Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Der erste Beste ^ Kind -- er zog sie wieder ein wenig an sich und küßte sie auf die Margarete war langsam glühend rot geworden. Mit niedergeschlagnen Und dann? fragte sie halblaut, gepreßt. Dann? Dann kam bald darauf eure Abreise, und wir trennten uns. Und mit Mama hattest du alles besprochen? Besprochen? Kein Wort. Ich hab ihr überhaupt nichts gesagt. Nur Womit? fragte Margarete leise, unsicher, als verstünde sie ihn nicht. Aber Liebchen! -- Er legte ihr die Hand unters Kinn und hob trotz Sie streifte ihn mit einem scheuen Blick. Wenn sie ihm jetzt gesagt hätte: Sie atmete tief auf und blieb stumm. Der erste Beste ^ Kind — er zog sie wieder ein wenig an sich und küßte sie auf die Margarete war langsam glühend rot geworden. Mit niedergeschlagnen Und dann? fragte sie halblaut, gepreßt. Dann? Dann kam bald darauf eure Abreise, und wir trennten uns. Und mit Mama hattest du alles besprochen? Besprochen? Kein Wort. Ich hab ihr überhaupt nichts gesagt. Nur Womit? fragte Margarete leise, unsicher, als verstünde sie ihn nicht. Aber Liebchen! — Er legte ihr die Hand unters Kinn und hob trotz Sie streifte ihn mit einem scheuen Blick. Wenn sie ihm jetzt gesagt hätte: Sie atmete tief auf und blieb stumm. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220017"/> <fw type="header" place="top"> Der erste Beste</fw><lb/> <p xml:id="ID_1252"> ^ Kind — er zog sie wieder ein wenig an sich und küßte sie auf die<lb/> Stirn — ich wußte genau, daß du im Augenblicke nicht für mich zu sprechen<lb/> warst, nicht für meine Stimme erreichbar, daß du auf einem andern Stern<lb/> warst, in einer andern Atmosphäre, weit weg, aber doch nicht so weit, daß<lb/> du dich nicht wieder hättest nach Hause finden können. Da ich nun nicht nur<lb/> elend verliebt in dich war, sondern dich auch ernsthaft und von Herzen lieb<lb/> hatte, konnte ichs fertig bringen, zu warten, ohne zu mucksen. Ich wußte<lb/> auch genau, daß du dich wieder nach Haus finden würdest. — Sie machte<lb/> eine heftige Bewegung, aber er faßte ruhig ihre beiden Hunde in seine Rechte<lb/> und fuhr fort. — Ich wußte es darum so genau, weit ich mir sagte: ein<lb/> Mädchen, das von einer solchen Mutter erzogen worden ist, hat einen gesunden<lb/> Kern, das kriegt wohl einmal ein Fieber, aber das Fieber thut ihm nichts;<lb/> denn wenn es davon aufwacht, dann liegt es nicht elend herum, sondern<lb/> springt frisch und lustig mit gleichen Füßen wieder ins Leben hinein, schon,<lb/> damit diese Mutter nicht umsonst — na, du verstehst mich. Und diese selbige<lb/> Mutter sagte mir eines Tages, als ich schon ein Weilchen euer einziger<lb/> Warnemünder Gefährte geblieben war: Wissen Sie, Herr Heilborn, Geduld<lb/> ist ein gutes Ding. Geduld ist ein Teil der wirklichen Liebe, nicht der Ver¬<lb/> liebtheit. Geduld und Mitleid sind zwei gute Helfer für den braven Manu,<lb/> der versuchen will, eine bekümmerte kleine Mädchenseele zu verstehen. Geduld<lb/> hilft über den Herbst und den Winter hinweg, und im Frühling, da sieht<lb/> dann manches Ding ganz anders aus. Und als ich sie anstarrte, sagte sie<lb/> mit einem Lächeln: Nichts für ungut; ich meine nur so. für den, ders ver¬<lb/> stehen kann. Damit ging sie aus dem Zimmer, zu dir auf die Veranda, wo<lb/> du saßest und dein Regen zusahst. Na, und ich verstand sie. O, das ist eine<lb/> Frau! Die ist so klug, wie sie gut ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1253"> Margarete war langsam glühend rot geworden. Mit niedergeschlagnen<lb/> Augen und schweren Atemzügen saß sie da.</p><lb/> <p xml:id="ID_1254"> Und dann? fragte sie halblaut, gepreßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1255"> Dann? Dann kam bald darauf eure Abreise, und wir trennten uns.<lb/> Ihr gingt nach Berlin, und ich zog da hinten in „Lindenhof" auf Posten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1256"> Und mit Mama hattest du alles besprochen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1257"> Besprochen? Kein Wort. Ich hab ihr überhaupt nichts gesagt. Nur<lb/> sie hat mir die kleine Rede gehalten. Der braucht man ja nichts zu sagen.<lb/> Auch beim Abschied keine Silbe weiter; nur so ein guter Händedruck und ein<lb/> guter Blick. Auf Wiedersehen! sagte ich, und dazu nickte sie. — Na, und hat<lb/> sie dann nicht Recht gehabt, deine kluge Mama?</p><lb/> <p xml:id="ID_1258"> Womit? fragte Margarete leise, unsicher, als verstünde sie ihn nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1259"> Aber Liebchen! — Er legte ihr die Hand unters Kinn und hob trotz<lb/> ihres Widerstrebens den tiefgesenkter Kopf in die Höhe. — Verstell dich doch<lb/> nur nicht. Verkriech dich doch nicht. Ob sie nicht Recht gehabt hat damit,<lb/> daß im Frühling manches Ding anders aussieht als im Herbst?</p><lb/> <p xml:id="ID_1260"> Sie streifte ihn mit einem scheuen Blick. Wenn sie ihm jetzt gesagt hätte:<lb/> Darnach hättest du mich vor der Hochzeit fragen müssen. Weißt du denn<lb/> überhaupt, warum ich dich geheiratet habe? Wenn sie ihm jetzt laut und<lb/> deutlich gesagt Hütte: Es war ja gar nicht Liebe! was wäre dann wohl ge¬<lb/> kommen? Aber — hatte sie denn nicht Ja gesagt, als er sie fragte: bist du<lb/> mir gut? Daß Gott erbarm!</p><lb/> <p xml:id="ID_1261"> Sie atmete tief auf und blieb stumm.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0341]
Der erste Beste
^ Kind — er zog sie wieder ein wenig an sich und küßte sie auf die
Stirn — ich wußte genau, daß du im Augenblicke nicht für mich zu sprechen
warst, nicht für meine Stimme erreichbar, daß du auf einem andern Stern
warst, in einer andern Atmosphäre, weit weg, aber doch nicht so weit, daß
du dich nicht wieder hättest nach Hause finden können. Da ich nun nicht nur
elend verliebt in dich war, sondern dich auch ernsthaft und von Herzen lieb
hatte, konnte ichs fertig bringen, zu warten, ohne zu mucksen. Ich wußte
auch genau, daß du dich wieder nach Haus finden würdest. — Sie machte
eine heftige Bewegung, aber er faßte ruhig ihre beiden Hunde in seine Rechte
und fuhr fort. — Ich wußte es darum so genau, weit ich mir sagte: ein
Mädchen, das von einer solchen Mutter erzogen worden ist, hat einen gesunden
Kern, das kriegt wohl einmal ein Fieber, aber das Fieber thut ihm nichts;
denn wenn es davon aufwacht, dann liegt es nicht elend herum, sondern
springt frisch und lustig mit gleichen Füßen wieder ins Leben hinein, schon,
damit diese Mutter nicht umsonst — na, du verstehst mich. Und diese selbige
Mutter sagte mir eines Tages, als ich schon ein Weilchen euer einziger
Warnemünder Gefährte geblieben war: Wissen Sie, Herr Heilborn, Geduld
ist ein gutes Ding. Geduld ist ein Teil der wirklichen Liebe, nicht der Ver¬
liebtheit. Geduld und Mitleid sind zwei gute Helfer für den braven Manu,
der versuchen will, eine bekümmerte kleine Mädchenseele zu verstehen. Geduld
hilft über den Herbst und den Winter hinweg, und im Frühling, da sieht
dann manches Ding ganz anders aus. Und als ich sie anstarrte, sagte sie
mit einem Lächeln: Nichts für ungut; ich meine nur so. für den, ders ver¬
stehen kann. Damit ging sie aus dem Zimmer, zu dir auf die Veranda, wo
du saßest und dein Regen zusahst. Na, und ich verstand sie. O, das ist eine
Frau! Die ist so klug, wie sie gut ist.
Margarete war langsam glühend rot geworden. Mit niedergeschlagnen
Augen und schweren Atemzügen saß sie da.
Und dann? fragte sie halblaut, gepreßt.
Dann? Dann kam bald darauf eure Abreise, und wir trennten uns.
Ihr gingt nach Berlin, und ich zog da hinten in „Lindenhof" auf Posten.
Und mit Mama hattest du alles besprochen?
Besprochen? Kein Wort. Ich hab ihr überhaupt nichts gesagt. Nur
sie hat mir die kleine Rede gehalten. Der braucht man ja nichts zu sagen.
Auch beim Abschied keine Silbe weiter; nur so ein guter Händedruck und ein
guter Blick. Auf Wiedersehen! sagte ich, und dazu nickte sie. — Na, und hat
sie dann nicht Recht gehabt, deine kluge Mama?
Womit? fragte Margarete leise, unsicher, als verstünde sie ihn nicht.
Aber Liebchen! — Er legte ihr die Hand unters Kinn und hob trotz
ihres Widerstrebens den tiefgesenkter Kopf in die Höhe. — Verstell dich doch
nur nicht. Verkriech dich doch nicht. Ob sie nicht Recht gehabt hat damit,
daß im Frühling manches Ding anders aussieht als im Herbst?
Sie streifte ihn mit einem scheuen Blick. Wenn sie ihm jetzt gesagt hätte:
Darnach hättest du mich vor der Hochzeit fragen müssen. Weißt du denn
überhaupt, warum ich dich geheiratet habe? Wenn sie ihm jetzt laut und
deutlich gesagt Hütte: Es war ja gar nicht Liebe! was wäre dann wohl ge¬
kommen? Aber — hatte sie denn nicht Ja gesagt, als er sie fragte: bist du
mir gut? Daß Gott erbarm!
Sie atmete tief auf und blieb stumm.
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