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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

einen Lümmel hast du nun zum Manne. Was soll daraus werden, du armes
kleines Ding?

Sie that einen tiefen, beklommnen Atemzug, aber rührte sich nicht. Er
hielt sie nur lose mit den Armen umschlungen.

Jetzt zog er sie sacht ein wenig an sich. Ich will dir was sagen, Kind.
Du mußt nicht immer so vor mir erschrecken, das hast du nicht nötig. Wenn
ich dich auch einmal -- sieh, es ist ja nur, weil ich dich so schauerlich lieu
habe, und weil ich all meine Sehnsucht diesen langen Winter über in mich
hineinfressen mußte. Was glaubst du wohl --

Wieso? fragte sie, indem sie ihn von der Seite ansah, deine Sehnsucht?
Warum hast du denn nicht eher --

Das ging nicht. Es geht ja manches im Leben nicht so zusammen, wie
es sollte. Da war mehrerlei im Wege. Zuerst meine -- nein, zu allererst
du selbst.

Ich?

Ja, mein Herzblatt. Du warst nämlich zu Anfang nicht da, sozusagen
für mich nicht da. Ich war Luft, ich war niemand. Oder welches kleine Dirning
war es denn, das neulich nicht einmal mehr wußte, wann und durch wen ich
mich damals euch habe vorstellen lassen? Wenn der gute Rat Lehnert nicht
gewesen wäre und das Glück, daß er mich und euch kannte! Aber weder die
Vorstellung noch der ganze Mensch machte dir irgend welchen Eindruck; das
konnte ich wohl sehen. Ich durfte so mitlaufen in eurer Gesellschaft. Ob ich
zwischendurch auf acht Tage verschwand und dann wiederkam, wußte niemand.
Wir sagten uns guten Tag und guten Weg, schönes Segelwetter! sind Sie
naß geworden aus der Mole heut Morgen? Keins von euch hatte eine Ahnung,
wie es mich nach mehr hungerte.

Du hast auch nicht dergleichen gethan.

Hätte mir auch nichts genützt, Liebchen. Und zum Schmachtlappen hab
ich kein Talent.

Worüber beklagst du dich also?

Ich beklage mich ja gar nicht. Du wolltest ja nur wissen, warum ich
diese meine Sehnsucht -- Du dummes kleines Ding, glaubst du wirklich,
was ein rechter Mann ist, der würde Hingeben und sagen: Hören Sie mal,
Fräulein Margarete, ich liebe Sie u. s. w., wenn er im voraus wissen kann, daß
ihn besagtes Früuleiu mit großen Augen, die von ganz wo anders herkommen,
ansehen wird und sich womöglich erst auf seinen Namen besinnen muß?
Nein! Die Zähne zusammengebissen, den Atem eine Weile angehalten, um¬
gedreht und aufs Wasser geguckt, auf die alte Ostsee, das war so mein Rezept,
Wenns mir dick in der Kehle wurde. Über so ein großes Wasser hin, weißt
du, das plauderhaft und verschwiegen zugleich ist, da sieht man sich die Augen
klar und die Seele ruhig.

Sie betrachtete ihn jetzt aufmerksam.

Ich glaube nicht, daß jemand von uns auf den Gedanken gekommen
wäre, daß gerade du -- du machtest immer einen ganz vergnügten Eindruck.

So? Nu ja. Hatte ja auch beschlossen, nicht zu jammern, nicht zu
toggenburgern, sondern stillschweigend Wache zu stehen, bis meine Zeit ge¬
kommen wäre.

Deine Zeit? -- Sie machte große Augen. -- Was für eine Zeit? Wenn
du doch genau wußtest --


Der erste Beste

einen Lümmel hast du nun zum Manne. Was soll daraus werden, du armes
kleines Ding?

Sie that einen tiefen, beklommnen Atemzug, aber rührte sich nicht. Er
hielt sie nur lose mit den Armen umschlungen.

Jetzt zog er sie sacht ein wenig an sich. Ich will dir was sagen, Kind.
Du mußt nicht immer so vor mir erschrecken, das hast du nicht nötig. Wenn
ich dich auch einmal — sieh, es ist ja nur, weil ich dich so schauerlich lieu
habe, und weil ich all meine Sehnsucht diesen langen Winter über in mich
hineinfressen mußte. Was glaubst du wohl —

Wieso? fragte sie, indem sie ihn von der Seite ansah, deine Sehnsucht?
Warum hast du denn nicht eher —

Das ging nicht. Es geht ja manches im Leben nicht so zusammen, wie
es sollte. Da war mehrerlei im Wege. Zuerst meine — nein, zu allererst
du selbst.

Ich?

Ja, mein Herzblatt. Du warst nämlich zu Anfang nicht da, sozusagen
für mich nicht da. Ich war Luft, ich war niemand. Oder welches kleine Dirning
war es denn, das neulich nicht einmal mehr wußte, wann und durch wen ich
mich damals euch habe vorstellen lassen? Wenn der gute Rat Lehnert nicht
gewesen wäre und das Glück, daß er mich und euch kannte! Aber weder die
Vorstellung noch der ganze Mensch machte dir irgend welchen Eindruck; das
konnte ich wohl sehen. Ich durfte so mitlaufen in eurer Gesellschaft. Ob ich
zwischendurch auf acht Tage verschwand und dann wiederkam, wußte niemand.
Wir sagten uns guten Tag und guten Weg, schönes Segelwetter! sind Sie
naß geworden aus der Mole heut Morgen? Keins von euch hatte eine Ahnung,
wie es mich nach mehr hungerte.

Du hast auch nicht dergleichen gethan.

Hätte mir auch nichts genützt, Liebchen. Und zum Schmachtlappen hab
ich kein Talent.

Worüber beklagst du dich also?

Ich beklage mich ja gar nicht. Du wolltest ja nur wissen, warum ich
diese meine Sehnsucht — Du dummes kleines Ding, glaubst du wirklich,
was ein rechter Mann ist, der würde Hingeben und sagen: Hören Sie mal,
Fräulein Margarete, ich liebe Sie u. s. w., wenn er im voraus wissen kann, daß
ihn besagtes Früuleiu mit großen Augen, die von ganz wo anders herkommen,
ansehen wird und sich womöglich erst auf seinen Namen besinnen muß?
Nein! Die Zähne zusammengebissen, den Atem eine Weile angehalten, um¬
gedreht und aufs Wasser geguckt, auf die alte Ostsee, das war so mein Rezept,
Wenns mir dick in der Kehle wurde. Über so ein großes Wasser hin, weißt
du, das plauderhaft und verschwiegen zugleich ist, da sieht man sich die Augen
klar und die Seele ruhig.

Sie betrachtete ihn jetzt aufmerksam.

Ich glaube nicht, daß jemand von uns auf den Gedanken gekommen
wäre, daß gerade du — du machtest immer einen ganz vergnügten Eindruck.

So? Nu ja. Hatte ja auch beschlossen, nicht zu jammern, nicht zu
toggenburgern, sondern stillschweigend Wache zu stehen, bis meine Zeit ge¬
kommen wäre.

Deine Zeit? — Sie machte große Augen. — Was für eine Zeit? Wenn
du doch genau wußtest —


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[0340] Der erste Beste einen Lümmel hast du nun zum Manne. Was soll daraus werden, du armes kleines Ding? Sie that einen tiefen, beklommnen Atemzug, aber rührte sich nicht. Er hielt sie nur lose mit den Armen umschlungen. Jetzt zog er sie sacht ein wenig an sich. Ich will dir was sagen, Kind. Du mußt nicht immer so vor mir erschrecken, das hast du nicht nötig. Wenn ich dich auch einmal — sieh, es ist ja nur, weil ich dich so schauerlich lieu habe, und weil ich all meine Sehnsucht diesen langen Winter über in mich hineinfressen mußte. Was glaubst du wohl — Wieso? fragte sie, indem sie ihn von der Seite ansah, deine Sehnsucht? Warum hast du denn nicht eher — Das ging nicht. Es geht ja manches im Leben nicht so zusammen, wie es sollte. Da war mehrerlei im Wege. Zuerst meine — nein, zu allererst du selbst. Ich? Ja, mein Herzblatt. Du warst nämlich zu Anfang nicht da, sozusagen für mich nicht da. Ich war Luft, ich war niemand. Oder welches kleine Dirning war es denn, das neulich nicht einmal mehr wußte, wann und durch wen ich mich damals euch habe vorstellen lassen? Wenn der gute Rat Lehnert nicht gewesen wäre und das Glück, daß er mich und euch kannte! Aber weder die Vorstellung noch der ganze Mensch machte dir irgend welchen Eindruck; das konnte ich wohl sehen. Ich durfte so mitlaufen in eurer Gesellschaft. Ob ich zwischendurch auf acht Tage verschwand und dann wiederkam, wußte niemand. Wir sagten uns guten Tag und guten Weg, schönes Segelwetter! sind Sie naß geworden aus der Mole heut Morgen? Keins von euch hatte eine Ahnung, wie es mich nach mehr hungerte. Du hast auch nicht dergleichen gethan. Hätte mir auch nichts genützt, Liebchen. Und zum Schmachtlappen hab ich kein Talent. Worüber beklagst du dich also? Ich beklage mich ja gar nicht. Du wolltest ja nur wissen, warum ich diese meine Sehnsucht — Du dummes kleines Ding, glaubst du wirklich, was ein rechter Mann ist, der würde Hingeben und sagen: Hören Sie mal, Fräulein Margarete, ich liebe Sie u. s. w., wenn er im voraus wissen kann, daß ihn besagtes Früuleiu mit großen Augen, die von ganz wo anders herkommen, ansehen wird und sich womöglich erst auf seinen Namen besinnen muß? Nein! Die Zähne zusammengebissen, den Atem eine Weile angehalten, um¬ gedreht und aufs Wasser geguckt, auf die alte Ostsee, das war so mein Rezept, Wenns mir dick in der Kehle wurde. Über so ein großes Wasser hin, weißt du, das plauderhaft und verschwiegen zugleich ist, da sieht man sich die Augen klar und die Seele ruhig. Sie betrachtete ihn jetzt aufmerksam. Ich glaube nicht, daß jemand von uns auf den Gedanken gekommen wäre, daß gerade du — du machtest immer einen ganz vergnügten Eindruck. So? Nu ja. Hatte ja auch beschlossen, nicht zu jammern, nicht zu toggenburgern, sondern stillschweigend Wache zu stehen, bis meine Zeit ge¬ kommen wäre. Deine Zeit? — Sie machte große Augen. — Was für eine Zeit? Wenn du doch genau wußtest —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/340>, abgerufen am 25.08.2024.