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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen

um sich entschieden zu äußern. Tritt in solchem Falle die Kritik mit be¬
stimmten Worten hervor, indem sie das Publikum in seinem Wohlgefallen oder
Mißfallen durch überlegne Einsicht stützt und bestärkt, so kann sie auf das Ja
oder Nein von bestimmenden Einfluß werden.

Die Dankbarkeit der durch Lob geförderten Künstler schlüge Hanslick nicht
hoch an. Ein winziger Tadel wiegt stets schwerer als ein riesengroßes Lob.
"Als schönster, meistenteils auch einziger Lohn bleibt uns das Vertrauen und
die dankbare Zustimmung des Leserkreises. Und dieser Lohn kann nur mit
echten Mitteln erworben und erhalten werden." Hanslick erinnert sich aus
seiner laugen Thätigkeit überhaupt nur zweier Beispiele, daß ihm Künstler
scharfen Tadel nicht nachgetragen haben -- die Frauen der Künstler verzeihen
überhaupt nie, weder in dieser noch in jener Welt; diese beiden rühmlichen,
wunderbaren Ausnahmen sind Baron Perfall, der (frühere) Generalintendant
des Münchner Hoftheaters, und der Italiener Bono, dessen Mefistofelc
Hanslick unbarmherzig mitgenommen hatte.

Die Verstimmung der getadelten Künstler ist aber etwas viel zu selbst¬
verständliches, als daß sich Hanslick nicht mit ihr abzufinden wüßte. Was ihn
befremdet und ihm wenigstens in früherer Zeit nahegegangen ist, das sind die
Bosheiten von Kollegen, denen er nie mit einem Worte entgegengetreten ist,
ja denen er sich in ihren Anfängen hilfreich erwiesen hat. Hanslick weiß wohl,
daß bei diesen Leuten von einem aufrichtig sachlichen Interesse oder wissen¬
schaftlichen Streite nicht die Rede ist: "Sie wollen den ältern, bekanntern
Schriftsteller nur zu einer Polemik reizen, die sie aus dein Halbdunkel ihrer
Zeitung in ein helleres Licht hervorziehen soll."

Seiner künstlerischen Gesinnung nach bekennt sich Hanslick unbedingt als
ein Vorkämpfer des guten Neuen. "Wir sind einmal modern, sagt er mit
Wilhelm Grimm, und unser Gutes ist es auch." Für Goethes Faust giebt
er den ganzen Sophokles hin, für Schumanns Quartette alle Konzerte und
sonnten von Bach, für den einen Don Juan, Fidelio oder Freischütz mit
Freuden den ganzen Gluck. Die lebendige Musik beginnt nach seiner Über¬
zeugung sür die Geschichte mit Bach und Hüudel, für sein Herz aber erst mit
Mozart. Er hält es für die Pflicht des Kritikers, "die Produktion nicht zu
erkundige", das echt Empfundne und ungesucht Geistvolle unsrer Zeit anzu¬
erkennen und es gegen ein cntschwundnes "goldnes Zeitalter" nicht verächtlich
herabzusetzen. Andre Zeiten schaffen andre Verhältnisse, und diese verändern
schließlich das künstlerische Gewissen und den künstlerischen Geschmack."

Der Ästhetiker Hanslick hat bekanntlich nicht weniger in das Getriebe der
modernen Anschauungen eingegriffen als der Kritiker; seine Abhandlung "Vom
musikalisch Schönen" hat Lob und Widerspruch in gleichem Maße erfahren.
Den Wagnerianern war es überaus erwünscht, ihren schärfsten Gegner nicht
mit Unrecht des Formalismus beschuldigen zu können. Hanslick erzählt sehr


Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen

um sich entschieden zu äußern. Tritt in solchem Falle die Kritik mit be¬
stimmten Worten hervor, indem sie das Publikum in seinem Wohlgefallen oder
Mißfallen durch überlegne Einsicht stützt und bestärkt, so kann sie auf das Ja
oder Nein von bestimmenden Einfluß werden.

Die Dankbarkeit der durch Lob geförderten Künstler schlüge Hanslick nicht
hoch an. Ein winziger Tadel wiegt stets schwerer als ein riesengroßes Lob.
„Als schönster, meistenteils auch einziger Lohn bleibt uns das Vertrauen und
die dankbare Zustimmung des Leserkreises. Und dieser Lohn kann nur mit
echten Mitteln erworben und erhalten werden." Hanslick erinnert sich aus
seiner laugen Thätigkeit überhaupt nur zweier Beispiele, daß ihm Künstler
scharfen Tadel nicht nachgetragen haben — die Frauen der Künstler verzeihen
überhaupt nie, weder in dieser noch in jener Welt; diese beiden rühmlichen,
wunderbaren Ausnahmen sind Baron Perfall, der (frühere) Generalintendant
des Münchner Hoftheaters, und der Italiener Bono, dessen Mefistofelc
Hanslick unbarmherzig mitgenommen hatte.

Die Verstimmung der getadelten Künstler ist aber etwas viel zu selbst¬
verständliches, als daß sich Hanslick nicht mit ihr abzufinden wüßte. Was ihn
befremdet und ihm wenigstens in früherer Zeit nahegegangen ist, das sind die
Bosheiten von Kollegen, denen er nie mit einem Worte entgegengetreten ist,
ja denen er sich in ihren Anfängen hilfreich erwiesen hat. Hanslick weiß wohl,
daß bei diesen Leuten von einem aufrichtig sachlichen Interesse oder wissen¬
schaftlichen Streite nicht die Rede ist: „Sie wollen den ältern, bekanntern
Schriftsteller nur zu einer Polemik reizen, die sie aus dein Halbdunkel ihrer
Zeitung in ein helleres Licht hervorziehen soll."

Seiner künstlerischen Gesinnung nach bekennt sich Hanslick unbedingt als
ein Vorkämpfer des guten Neuen. „Wir sind einmal modern, sagt er mit
Wilhelm Grimm, und unser Gutes ist es auch." Für Goethes Faust giebt
er den ganzen Sophokles hin, für Schumanns Quartette alle Konzerte und
sonnten von Bach, für den einen Don Juan, Fidelio oder Freischütz mit
Freuden den ganzen Gluck. Die lebendige Musik beginnt nach seiner Über¬
zeugung sür die Geschichte mit Bach und Hüudel, für sein Herz aber erst mit
Mozart. Er hält es für die Pflicht des Kritikers, „die Produktion nicht zu
erkundige«, das echt Empfundne und ungesucht Geistvolle unsrer Zeit anzu¬
erkennen und es gegen ein cntschwundnes »goldnes Zeitalter« nicht verächtlich
herabzusetzen. Andre Zeiten schaffen andre Verhältnisse, und diese verändern
schließlich das künstlerische Gewissen und den künstlerischen Geschmack."

Der Ästhetiker Hanslick hat bekanntlich nicht weniger in das Getriebe der
modernen Anschauungen eingegriffen als der Kritiker; seine Abhandlung „Vom
musikalisch Schönen" hat Lob und Widerspruch in gleichem Maße erfahren.
Den Wagnerianern war es überaus erwünscht, ihren schärfsten Gegner nicht
mit Unrecht des Formalismus beschuldigen zu können. Hanslick erzählt sehr


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[0333] Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen um sich entschieden zu äußern. Tritt in solchem Falle die Kritik mit be¬ stimmten Worten hervor, indem sie das Publikum in seinem Wohlgefallen oder Mißfallen durch überlegne Einsicht stützt und bestärkt, so kann sie auf das Ja oder Nein von bestimmenden Einfluß werden. Die Dankbarkeit der durch Lob geförderten Künstler schlüge Hanslick nicht hoch an. Ein winziger Tadel wiegt stets schwerer als ein riesengroßes Lob. „Als schönster, meistenteils auch einziger Lohn bleibt uns das Vertrauen und die dankbare Zustimmung des Leserkreises. Und dieser Lohn kann nur mit echten Mitteln erworben und erhalten werden." Hanslick erinnert sich aus seiner laugen Thätigkeit überhaupt nur zweier Beispiele, daß ihm Künstler scharfen Tadel nicht nachgetragen haben — die Frauen der Künstler verzeihen überhaupt nie, weder in dieser noch in jener Welt; diese beiden rühmlichen, wunderbaren Ausnahmen sind Baron Perfall, der (frühere) Generalintendant des Münchner Hoftheaters, und der Italiener Bono, dessen Mefistofelc Hanslick unbarmherzig mitgenommen hatte. Die Verstimmung der getadelten Künstler ist aber etwas viel zu selbst¬ verständliches, als daß sich Hanslick nicht mit ihr abzufinden wüßte. Was ihn befremdet und ihm wenigstens in früherer Zeit nahegegangen ist, das sind die Bosheiten von Kollegen, denen er nie mit einem Worte entgegengetreten ist, ja denen er sich in ihren Anfängen hilfreich erwiesen hat. Hanslick weiß wohl, daß bei diesen Leuten von einem aufrichtig sachlichen Interesse oder wissen¬ schaftlichen Streite nicht die Rede ist: „Sie wollen den ältern, bekanntern Schriftsteller nur zu einer Polemik reizen, die sie aus dein Halbdunkel ihrer Zeitung in ein helleres Licht hervorziehen soll." Seiner künstlerischen Gesinnung nach bekennt sich Hanslick unbedingt als ein Vorkämpfer des guten Neuen. „Wir sind einmal modern, sagt er mit Wilhelm Grimm, und unser Gutes ist es auch." Für Goethes Faust giebt er den ganzen Sophokles hin, für Schumanns Quartette alle Konzerte und sonnten von Bach, für den einen Don Juan, Fidelio oder Freischütz mit Freuden den ganzen Gluck. Die lebendige Musik beginnt nach seiner Über¬ zeugung sür die Geschichte mit Bach und Hüudel, für sein Herz aber erst mit Mozart. Er hält es für die Pflicht des Kritikers, „die Produktion nicht zu erkundige«, das echt Empfundne und ungesucht Geistvolle unsrer Zeit anzu¬ erkennen und es gegen ein cntschwundnes »goldnes Zeitalter« nicht verächtlich herabzusetzen. Andre Zeiten schaffen andre Verhältnisse, und diese verändern schließlich das künstlerische Gewissen und den künstlerischen Geschmack." Der Ästhetiker Hanslick hat bekanntlich nicht weniger in das Getriebe der modernen Anschauungen eingegriffen als der Kritiker; seine Abhandlung „Vom musikalisch Schönen" hat Lob und Widerspruch in gleichem Maße erfahren. Den Wagnerianern war es überaus erwünscht, ihren schärfsten Gegner nicht mit Unrecht des Formalismus beschuldigen zu können. Hanslick erzählt sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/333>, abgerufen am 26.08.2024.