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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenserinnermigen

hübsch die Entstehungsgeschichte und die Schicksale seiner Schrift; ihrem Inhalt
fügt er nichts Neues hinzu. Er hat inzwischen das Philosophiren über Musik
satt bekommen und sich der Geschichte der Musik zugewandt. Er will nichts
mehr mit abstrakten Begriffen zu thun haben; er giebt zwar gern zu, daß
vielleicht seiue bis zum Widerwillen gesteigerte Übersättigung mit systematischer
Philosophie seinen Blick getrübt habe und ihn das schlechthin sür unerreichbar
habe ansehen lassen, was nur seinen Kräften unerreichbar gewesen sei. Doch
weist er nochmals auf die unüberwindbar scheinende Schwierigkeit einer Ästhetik
der Musik hin, da in der Musik "die entscheidenden Begriffe Form und Inhalt
nicht Stand halten wollen, der Trennung sich widersetzen." Diese Schwierigkeit
ist aber nur für den vorhanden, der, um das Wesen der Musik zu ergründen,
etwas trennen will, was schlechterdings nicht zu trennen ist. Wer die Unlöslich¬
keit von Form und Inhalt als gegeben anerkennt, der sucht eben die Erklärung
des Wesens des musikalisch Schönen ganz wo anders, als in der reinlichen
Sonderung von Form und Inhalt. Es ist nicht richtig, wenn Hanslick be¬
hauptet: "Will man der reinen Instrumentalmusik einen bestimmten Inhalt
vindiziren -- in der Vokalmusik liefert ihn das Gedicht und nicht die Musik --,
so müßte man die kostbarsten Perlen der Tonkunst über Bord werfen, denen
niemand einen von der Form trennbaren "Inhalt" nachzuweisen oder auch
uur herauszufühlen vermag." Gewiß kann niemand in einer Sonate von
Beethoven den Inhalt von der Form trennen, denn beide sind eins, sie sind
in ihrer Vereinigung überhaupt erst der eigentliche Inhalt. Aus dieser Un-
trennbarkeit folgt aber darum nicht die "Unbestimmtheit" des Inhalts. Von
begrifflicher Bestimmtheit kann natürlich nicht die Rede sein, wohl aber von
einer Bestimmtheit, die gefühlsmäßig erfaßt wird. Der eine Punkt, daß der
künstlerische Gehalt der Musik eiuer begrifflichen Fassung widerstrebt, macht
Hanslick immer wieder stutzig und verleitet ihn schließlich dazu, diesen Inhalt
theoretisch ganz zu leugnen, und zu behaupten: "Die Musik spricht uicht bloß
durch Töne, sie spricht auch nur Töne"; "die Musik besteht ans Tonreihen,
diese haben keinen andern Inhalt als sich selbst." Eduard von Hartmann hat
in seiner Geschichte der Ästhetik überzeugend nachgewiesen, daß diese Behaup¬
tungen Hcmslicks nicht zutreffen, daß sie den Vorwurf des Formalismus ver¬
dienen. Es ist nicht wahr, daß die Musik nur Töne spricht und daß ihre Ton¬
reihen keinen andern Inhalt haben als sich selbst. Die Musik, sofern sie künstlerisch
wertvoll ist, bietet uns in erster Linie einen geistigen Gehalt von spezifisch
musikalischer Beschaffenheit, zu dem sich die "Tonreihen" als solche verhalten
wie das Mittel zum Zweck oder wie das Postament zur Statue. Ebensowenig ist
die Zwischenbemerkung Hcmslicks haltbar, daß in der Vokalmusik das Gedicht den
Inhalt liefere und nicht die Musik. Überall, wo sich Musik und Poesie verbinden,
hat man es mit einem künstlerischen Gehalt zu thun, der sich eben aus zwei
verschiednen Elementen zusammensetzt, dem poetischen und dem musikalischen.


Eduard Hanslicks Lebenserinnermigen

hübsch die Entstehungsgeschichte und die Schicksale seiner Schrift; ihrem Inhalt
fügt er nichts Neues hinzu. Er hat inzwischen das Philosophiren über Musik
satt bekommen und sich der Geschichte der Musik zugewandt. Er will nichts
mehr mit abstrakten Begriffen zu thun haben; er giebt zwar gern zu, daß
vielleicht seiue bis zum Widerwillen gesteigerte Übersättigung mit systematischer
Philosophie seinen Blick getrübt habe und ihn das schlechthin sür unerreichbar
habe ansehen lassen, was nur seinen Kräften unerreichbar gewesen sei. Doch
weist er nochmals auf die unüberwindbar scheinende Schwierigkeit einer Ästhetik
der Musik hin, da in der Musik „die entscheidenden Begriffe Form und Inhalt
nicht Stand halten wollen, der Trennung sich widersetzen." Diese Schwierigkeit
ist aber nur für den vorhanden, der, um das Wesen der Musik zu ergründen,
etwas trennen will, was schlechterdings nicht zu trennen ist. Wer die Unlöslich¬
keit von Form und Inhalt als gegeben anerkennt, der sucht eben die Erklärung
des Wesens des musikalisch Schönen ganz wo anders, als in der reinlichen
Sonderung von Form und Inhalt. Es ist nicht richtig, wenn Hanslick be¬
hauptet: „Will man der reinen Instrumentalmusik einen bestimmten Inhalt
vindiziren — in der Vokalmusik liefert ihn das Gedicht und nicht die Musik —,
so müßte man die kostbarsten Perlen der Tonkunst über Bord werfen, denen
niemand einen von der Form trennbaren »Inhalt« nachzuweisen oder auch
uur herauszufühlen vermag." Gewiß kann niemand in einer Sonate von
Beethoven den Inhalt von der Form trennen, denn beide sind eins, sie sind
in ihrer Vereinigung überhaupt erst der eigentliche Inhalt. Aus dieser Un-
trennbarkeit folgt aber darum nicht die „Unbestimmtheit" des Inhalts. Von
begrifflicher Bestimmtheit kann natürlich nicht die Rede sein, wohl aber von
einer Bestimmtheit, die gefühlsmäßig erfaßt wird. Der eine Punkt, daß der
künstlerische Gehalt der Musik eiuer begrifflichen Fassung widerstrebt, macht
Hanslick immer wieder stutzig und verleitet ihn schließlich dazu, diesen Inhalt
theoretisch ganz zu leugnen, und zu behaupten: „Die Musik spricht uicht bloß
durch Töne, sie spricht auch nur Töne"; „die Musik besteht ans Tonreihen,
diese haben keinen andern Inhalt als sich selbst." Eduard von Hartmann hat
in seiner Geschichte der Ästhetik überzeugend nachgewiesen, daß diese Behaup¬
tungen Hcmslicks nicht zutreffen, daß sie den Vorwurf des Formalismus ver¬
dienen. Es ist nicht wahr, daß die Musik nur Töne spricht und daß ihre Ton¬
reihen keinen andern Inhalt haben als sich selbst. Die Musik, sofern sie künstlerisch
wertvoll ist, bietet uns in erster Linie einen geistigen Gehalt von spezifisch
musikalischer Beschaffenheit, zu dem sich die „Tonreihen" als solche verhalten
wie das Mittel zum Zweck oder wie das Postament zur Statue. Ebensowenig ist
die Zwischenbemerkung Hcmslicks haltbar, daß in der Vokalmusik das Gedicht den
Inhalt liefere und nicht die Musik. Überall, wo sich Musik und Poesie verbinden,
hat man es mit einem künstlerischen Gehalt zu thun, der sich eben aus zwei
verschiednen Elementen zusammensetzt, dem poetischen und dem musikalischen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/334>, abgerufen am 25.08.2024.