Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

für alle Vorgänge der Bühne auf der Bühne einen reizend graziösen Ausdruck
zu finden und im Gegensatze dazu das Hineinspielen des wirklichen Lebens
unverkennbar ernst zu zeichnen. Der musikalische Ausdruck läßt eigentlich nie
einen Zweifel zu, wie die betreffende Person verstanden werden muß, ob im
Geiste der dargestellten Komödie oder mit ironischer Beziehung aus die pri¬
vaten Verhältnisse, oder ob schließlich die übermächtige Leidenschaft alles
rings umher vergessen macht und unbekümmert um die ganze Umgebung ihren
dämonischen Weg geht.

Tonio, der auch in der Komödie der verliebte Tölpel ist, ergeht sich
meist in ironischen musikalischen Anspielungen. Wirklich komisch zu sein, will
ihm auch hier nicht gelingen, dafür ist er aber um so höhnischer. Wenn er vor
Colombine niederkniee, scheint er sich einen Augenblick in den Geist des bloß
dargestellten Tölpels zu versetzen. Die Zurückweisung, die er aber auch auf
der Bühne erfährt, erinnert ihn wieder daran, daß diese Colombine dieselbe
Nedda ist, die ihn kaum vor einer Stunde so schmählich behandelt hat, und
mit beißender Ironie sagt er ihr, daß sie ja die Tugend und Keuschheit selbst
sei. Bei alledem bleibt er aber äußerlich durchaus im Geiste seiner Rolle,
sodaß die zuhörenden Bauern von dem Doppelsinn seiner Worte nichts ahnen
können, sondern glauben müssen, das, was da oben auf der Bühne vorgehe,
sei eben nur Komödie. Die Beziehung auf das Leben versteht nur der Hörer,
der über beiden Parteien steht und somit auch den musikalischen Doppelsinn
zu deuten weiß.

Beim Erscheinen des Harlekin, der den Taddeo (Tonio) zur Thür hinaus
wirft, bricht für einen Augenblick etwas wie Ernst durch; aber sofort siud wir
wieder auf dem Theater, und es spielt sich nun jene reizende, kurze Szene
zwischen Colombine und Harlekin ab (Nedda und Beppo stehen sich unbefangen
gegenüber), die durch ihre einschmeichelnde, ja gemütvolle Musik wohl in erster
Linie mit zum Erfolge der Oper beigetragen hat si'vmxw all Hg,on>ttA). Ba¬
jazzo erscheint und hört aus dem Munde seines Weibes dieselben Abschieds¬
worte, die ihn kurz zuvor zur Raserei gebracht haben. Es braust auf in ihm,
aber er faßt sich noch einmal und erinnert sich daran, daß er auf dem Theater
steht. So geht die Komödie fürs erste weiter, begleitet von einer leise
zögernden Melodie, die die Harlekinade als solche illustrirt und dabei doch die
ängstliche Spannung und den verbissenen Grimm der Schauspieler zum Aus¬
druck bringt. Der Teufel Tonio verteidigt Colombine mit durchsichtigem
Doppelsinn; die Musik drückt das treffend aus, indem sie zu der Melodie
der Komödie das den Tonio zeichnende Motiv in den Bässen hinzutreten läßt.
Die Bauern lachen, Canio aber vermag nicht mehr länger an sich zu halten.
Er vergißt alles rings umher, er sieht keine Colombine mehr, sondern nur
sein Weib Nedda, das ihn betrogen hat, und das ihm nun Rede stehen soll.
Ein kurzer Versuch Neddas, in den Ton der Komödie zurückzukehren, wird im


Grcnzbote" II 1895 3g

für alle Vorgänge der Bühne auf der Bühne einen reizend graziösen Ausdruck
zu finden und im Gegensatze dazu das Hineinspielen des wirklichen Lebens
unverkennbar ernst zu zeichnen. Der musikalische Ausdruck läßt eigentlich nie
einen Zweifel zu, wie die betreffende Person verstanden werden muß, ob im
Geiste der dargestellten Komödie oder mit ironischer Beziehung aus die pri¬
vaten Verhältnisse, oder ob schließlich die übermächtige Leidenschaft alles
rings umher vergessen macht und unbekümmert um die ganze Umgebung ihren
dämonischen Weg geht.

Tonio, der auch in der Komödie der verliebte Tölpel ist, ergeht sich
meist in ironischen musikalischen Anspielungen. Wirklich komisch zu sein, will
ihm auch hier nicht gelingen, dafür ist er aber um so höhnischer. Wenn er vor
Colombine niederkniee, scheint er sich einen Augenblick in den Geist des bloß
dargestellten Tölpels zu versetzen. Die Zurückweisung, die er aber auch auf
der Bühne erfährt, erinnert ihn wieder daran, daß diese Colombine dieselbe
Nedda ist, die ihn kaum vor einer Stunde so schmählich behandelt hat, und
mit beißender Ironie sagt er ihr, daß sie ja die Tugend und Keuschheit selbst
sei. Bei alledem bleibt er aber äußerlich durchaus im Geiste seiner Rolle,
sodaß die zuhörenden Bauern von dem Doppelsinn seiner Worte nichts ahnen
können, sondern glauben müssen, das, was da oben auf der Bühne vorgehe,
sei eben nur Komödie. Die Beziehung auf das Leben versteht nur der Hörer,
der über beiden Parteien steht und somit auch den musikalischen Doppelsinn
zu deuten weiß.

Beim Erscheinen des Harlekin, der den Taddeo (Tonio) zur Thür hinaus
wirft, bricht für einen Augenblick etwas wie Ernst durch; aber sofort siud wir
wieder auf dem Theater, und es spielt sich nun jene reizende, kurze Szene
zwischen Colombine und Harlekin ab (Nedda und Beppo stehen sich unbefangen
gegenüber), die durch ihre einschmeichelnde, ja gemütvolle Musik wohl in erster
Linie mit zum Erfolge der Oper beigetragen hat si'vmxw all Hg,on>ttA). Ba¬
jazzo erscheint und hört aus dem Munde seines Weibes dieselben Abschieds¬
worte, die ihn kurz zuvor zur Raserei gebracht haben. Es braust auf in ihm,
aber er faßt sich noch einmal und erinnert sich daran, daß er auf dem Theater
steht. So geht die Komödie fürs erste weiter, begleitet von einer leise
zögernden Melodie, die die Harlekinade als solche illustrirt und dabei doch die
ängstliche Spannung und den verbissenen Grimm der Schauspieler zum Aus¬
druck bringt. Der Teufel Tonio verteidigt Colombine mit durchsichtigem
Doppelsinn; die Musik drückt das treffend aus, indem sie zu der Melodie
der Komödie das den Tonio zeichnende Motiv in den Bässen hinzutreten läßt.
Die Bauern lachen, Canio aber vermag nicht mehr länger an sich zu halten.
Er vergißt alles rings umher, er sieht keine Colombine mehr, sondern nur
sein Weib Nedda, das ihn betrogen hat, und das ihm nun Rede stehen soll.
Ein kurzer Versuch Neddas, in den Ton der Komödie zurückzukehren, wird im


Grcnzbote» II 1895 3g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219917"/>
          <p xml:id="ID_831" prev="#ID_830"> für alle Vorgänge der Bühne auf der Bühne einen reizend graziösen Ausdruck<lb/>
zu finden und im Gegensatze dazu das Hineinspielen des wirklichen Lebens<lb/>
unverkennbar ernst zu zeichnen. Der musikalische Ausdruck läßt eigentlich nie<lb/>
einen Zweifel zu, wie die betreffende Person verstanden werden muß, ob im<lb/>
Geiste der dargestellten Komödie oder mit ironischer Beziehung aus die pri¬<lb/>
vaten Verhältnisse, oder ob schließlich die übermächtige Leidenschaft alles<lb/>
rings umher vergessen macht und unbekümmert um die ganze Umgebung ihren<lb/>
dämonischen Weg geht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_832"> Tonio, der auch in der Komödie der verliebte Tölpel ist, ergeht sich<lb/>
meist in ironischen musikalischen Anspielungen. Wirklich komisch zu sein, will<lb/>
ihm auch hier nicht gelingen, dafür ist er aber um so höhnischer. Wenn er vor<lb/>
Colombine niederkniee, scheint er sich einen Augenblick in den Geist des bloß<lb/>
dargestellten Tölpels zu versetzen. Die Zurückweisung, die er aber auch auf<lb/>
der Bühne erfährt, erinnert ihn wieder daran, daß diese Colombine dieselbe<lb/>
Nedda ist, die ihn kaum vor einer Stunde so schmählich behandelt hat, und<lb/>
mit beißender Ironie sagt er ihr, daß sie ja die Tugend und Keuschheit selbst<lb/>
sei. Bei alledem bleibt er aber äußerlich durchaus im Geiste seiner Rolle,<lb/>
sodaß die zuhörenden Bauern von dem Doppelsinn seiner Worte nichts ahnen<lb/>
können, sondern glauben müssen, das, was da oben auf der Bühne vorgehe,<lb/>
sei eben nur Komödie. Die Beziehung auf das Leben versteht nur der Hörer,<lb/>
der über beiden Parteien steht und somit auch den musikalischen Doppelsinn<lb/>
zu deuten weiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_833" next="#ID_834"> Beim Erscheinen des Harlekin, der den Taddeo (Tonio) zur Thür hinaus<lb/>
wirft, bricht für einen Augenblick etwas wie Ernst durch; aber sofort siud wir<lb/>
wieder auf dem Theater, und es spielt sich nun jene reizende, kurze Szene<lb/>
zwischen Colombine und Harlekin ab (Nedda und Beppo stehen sich unbefangen<lb/>
gegenüber), die durch ihre einschmeichelnde, ja gemütvolle Musik wohl in erster<lb/>
Linie mit zum Erfolge der Oper beigetragen hat si'vmxw all Hg,on&gt;ttA). Ba¬<lb/>
jazzo erscheint und hört aus dem Munde seines Weibes dieselben Abschieds¬<lb/>
worte, die ihn kurz zuvor zur Raserei gebracht haben. Es braust auf in ihm,<lb/>
aber er faßt sich noch einmal und erinnert sich daran, daß er auf dem Theater<lb/>
steht. So geht die Komödie fürs erste weiter, begleitet von einer leise<lb/>
zögernden Melodie, die die Harlekinade als solche illustrirt und dabei doch die<lb/>
ängstliche Spannung und den verbissenen Grimm der Schauspieler zum Aus¬<lb/>
druck bringt. Der Teufel Tonio verteidigt Colombine mit durchsichtigem<lb/>
Doppelsinn; die Musik drückt das treffend aus, indem sie zu der Melodie<lb/>
der Komödie das den Tonio zeichnende Motiv in den Bässen hinzutreten läßt.<lb/>
Die Bauern lachen, Canio aber vermag nicht mehr länger an sich zu halten.<lb/>
Er vergißt alles rings umher, er sieht keine Colombine mehr, sondern nur<lb/>
sein Weib Nedda, das ihn betrogen hat, und das ihm nun Rede stehen soll.<lb/>
Ein kurzer Versuch Neddas, in den Ton der Komödie zurückzukehren, wird im</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbote» II 1895 3g</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] für alle Vorgänge der Bühne auf der Bühne einen reizend graziösen Ausdruck zu finden und im Gegensatze dazu das Hineinspielen des wirklichen Lebens unverkennbar ernst zu zeichnen. Der musikalische Ausdruck läßt eigentlich nie einen Zweifel zu, wie die betreffende Person verstanden werden muß, ob im Geiste der dargestellten Komödie oder mit ironischer Beziehung aus die pri¬ vaten Verhältnisse, oder ob schließlich die übermächtige Leidenschaft alles rings umher vergessen macht und unbekümmert um die ganze Umgebung ihren dämonischen Weg geht. Tonio, der auch in der Komödie der verliebte Tölpel ist, ergeht sich meist in ironischen musikalischen Anspielungen. Wirklich komisch zu sein, will ihm auch hier nicht gelingen, dafür ist er aber um so höhnischer. Wenn er vor Colombine niederkniee, scheint er sich einen Augenblick in den Geist des bloß dargestellten Tölpels zu versetzen. Die Zurückweisung, die er aber auch auf der Bühne erfährt, erinnert ihn wieder daran, daß diese Colombine dieselbe Nedda ist, die ihn kaum vor einer Stunde so schmählich behandelt hat, und mit beißender Ironie sagt er ihr, daß sie ja die Tugend und Keuschheit selbst sei. Bei alledem bleibt er aber äußerlich durchaus im Geiste seiner Rolle, sodaß die zuhörenden Bauern von dem Doppelsinn seiner Worte nichts ahnen können, sondern glauben müssen, das, was da oben auf der Bühne vorgehe, sei eben nur Komödie. Die Beziehung auf das Leben versteht nur der Hörer, der über beiden Parteien steht und somit auch den musikalischen Doppelsinn zu deuten weiß. Beim Erscheinen des Harlekin, der den Taddeo (Tonio) zur Thür hinaus wirft, bricht für einen Augenblick etwas wie Ernst durch; aber sofort siud wir wieder auf dem Theater, und es spielt sich nun jene reizende, kurze Szene zwischen Colombine und Harlekin ab (Nedda und Beppo stehen sich unbefangen gegenüber), die durch ihre einschmeichelnde, ja gemütvolle Musik wohl in erster Linie mit zum Erfolge der Oper beigetragen hat si'vmxw all Hg,on>ttA). Ba¬ jazzo erscheint und hört aus dem Munde seines Weibes dieselben Abschieds¬ worte, die ihn kurz zuvor zur Raserei gebracht haben. Es braust auf in ihm, aber er faßt sich noch einmal und erinnert sich daran, daß er auf dem Theater steht. So geht die Komödie fürs erste weiter, begleitet von einer leise zögernden Melodie, die die Harlekinade als solche illustrirt und dabei doch die ängstliche Spannung und den verbissenen Grimm der Schauspieler zum Aus¬ druck bringt. Der Teufel Tonio verteidigt Colombine mit durchsichtigem Doppelsinn; die Musik drückt das treffend aus, indem sie zu der Melodie der Komödie das den Tonio zeichnende Motiv in den Bässen hinzutreten läßt. Die Bauern lachen, Canio aber vermag nicht mehr länger an sich zu halten. Er vergißt alles rings umher, er sieht keine Colombine mehr, sondern nur sein Weib Nedda, das ihn betrogen hat, und das ihm nun Rede stehen soll. Ein kurzer Versuch Neddas, in den Ton der Komödie zurückzukehren, wird im Grcnzbote» II 1895 3g

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/241>, abgerufen am 29.08.2024.