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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

der Gesamtmannschaft ist doch noch keineswegs erwiesen, wenn einige aus¬
gesuchte Leute ein Bravourstück leisten. Möge der Lloyd einmal auf Grund
des für jedes Schiff gesetzlich vorgeschriebnen Tagebuchs nachweisen, zu welchen
Zeiten seine Dampfer BootSmanöver geübt haben. Alles das soll übrigens nicht
für den Lloyd allein, sondern sür die Reedereien im allgemeinen gesagt sein,
auch soll nicht verkannt werden, daß die andern Handelsmarinen, die englische
am allerwenigsten ausgenommen, in diesen Dingen nichts vor uns voraus
haben. Aber darauf kommt es hier nicht an, sondern auf die Feststellung
der Verhältnisse, wie sie thatsächlich bei uns vorhanden sind, an deren
Kenntnis dein Reichstag gelegen sei" muß. Dieser könnte zunächst auf die
vom Reich subventivnirten Postdampferlinien seinen Einfluß geltend machen,
um vorbildliche Zustände herbeizuführen.

Außer durch Einführung einer Kontrolle der Schiffe vor ihrer Abfahrt
wäre durch Weiterbildung des Seestraßenrechts auf die Verminderung der
Unfälle hinzuwirken. Ganz allerdings wird man die Gefahr des Zusammen¬
stoßens niemals aufheben können, das liegt nun einmal in der Natur des
Seegewerbes. Das vorschriftsmäßige Ausweichen z. B. ist leicht, wenn bei
klarer Luft die Fahrzeuge schon von weitem den gegenseitigen Kurs erkennen;
werden sie aber erst auf eine oder zwei Schiffslängen einander gewahr, so hat
es mit dem Überlegen ein Ende, die Eingebung des Augenblicks entscheidet,
und aller Geschicklichkeit und Entschlossenheit zum Trotz steht das Gelingen
beim Zufall. Vor fünfzehn Jahren erklärte sich dieser gegen den Hamburger
Dampfer Pomerania. In regnerischer Nacht, nahe bei Dover, erblickte der
Kapitän plötzlich einen Segler dicht vor sich. Nach der internationalen Ab¬
machung, die vom Dampfer Ausweichen, vom Segler Kurshalten fordert, ge¬
dachte er den Segler zu umgehen. Dieser mochte die Absicht des Gegners
mißdeuten, denn er manövrirte ebenfalls, mit dem unglücklichen Erfolge, daß
sein Steven dem Dampfer in den Kesselraum drang, während sein Klüverbaum
den Schornstein wegstieß. Da die Kohlenbunker ohne Not sämtlich offen
standen, war der Dampfer nicht zu halten; doch konnten bei der Nähe der
Küste von seinen 111 Fahrgästen und 111 Mann Schiffspersonal 73 und 94
ihr Leben in Sicherheit bringen.

Der von den deutschen Amerikafahrern zu Passirende Englische Kanal, in
dem sich dieses Unglück und so manches andre ereignet hat, gehört gleich dem
angrenzenden Teile der Nordsee ("Mordsee" im Schiffermunde) zu den gefähr¬
lichsten Wasserstraßen der Erde; die Strömung ist stark, die Luft oft umsichtig
und der Verkehr so lebhaft, daß sich die Kurse unter allen Winkeln schneiden,
und in der Dunkelheit das Vielerlei der Lichter oder Tonsignale geradezu ver¬
wirrend wirkt. Des bessern Ausgucks halber müssen alle Lichter auf Deck ab¬
geblendet sein; es vergehen fast zehn Minuten, bis sich das Auge an das
umgebende Dunkel gewöhnt hat. Das Verstehen der fremden Schallzeichen


Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

der Gesamtmannschaft ist doch noch keineswegs erwiesen, wenn einige aus¬
gesuchte Leute ein Bravourstück leisten. Möge der Lloyd einmal auf Grund
des für jedes Schiff gesetzlich vorgeschriebnen Tagebuchs nachweisen, zu welchen
Zeiten seine Dampfer BootSmanöver geübt haben. Alles das soll übrigens nicht
für den Lloyd allein, sondern sür die Reedereien im allgemeinen gesagt sein,
auch soll nicht verkannt werden, daß die andern Handelsmarinen, die englische
am allerwenigsten ausgenommen, in diesen Dingen nichts vor uns voraus
haben. Aber darauf kommt es hier nicht an, sondern auf die Feststellung
der Verhältnisse, wie sie thatsächlich bei uns vorhanden sind, an deren
Kenntnis dein Reichstag gelegen sei» muß. Dieser könnte zunächst auf die
vom Reich subventivnirten Postdampferlinien seinen Einfluß geltend machen,
um vorbildliche Zustände herbeizuführen.

Außer durch Einführung einer Kontrolle der Schiffe vor ihrer Abfahrt
wäre durch Weiterbildung des Seestraßenrechts auf die Verminderung der
Unfälle hinzuwirken. Ganz allerdings wird man die Gefahr des Zusammen¬
stoßens niemals aufheben können, das liegt nun einmal in der Natur des
Seegewerbes. Das vorschriftsmäßige Ausweichen z. B. ist leicht, wenn bei
klarer Luft die Fahrzeuge schon von weitem den gegenseitigen Kurs erkennen;
werden sie aber erst auf eine oder zwei Schiffslängen einander gewahr, so hat
es mit dem Überlegen ein Ende, die Eingebung des Augenblicks entscheidet,
und aller Geschicklichkeit und Entschlossenheit zum Trotz steht das Gelingen
beim Zufall. Vor fünfzehn Jahren erklärte sich dieser gegen den Hamburger
Dampfer Pomerania. In regnerischer Nacht, nahe bei Dover, erblickte der
Kapitän plötzlich einen Segler dicht vor sich. Nach der internationalen Ab¬
machung, die vom Dampfer Ausweichen, vom Segler Kurshalten fordert, ge¬
dachte er den Segler zu umgehen. Dieser mochte die Absicht des Gegners
mißdeuten, denn er manövrirte ebenfalls, mit dem unglücklichen Erfolge, daß
sein Steven dem Dampfer in den Kesselraum drang, während sein Klüverbaum
den Schornstein wegstieß. Da die Kohlenbunker ohne Not sämtlich offen
standen, war der Dampfer nicht zu halten; doch konnten bei der Nähe der
Küste von seinen 111 Fahrgästen und 111 Mann Schiffspersonal 73 und 94
ihr Leben in Sicherheit bringen.

Der von den deutschen Amerikafahrern zu Passirende Englische Kanal, in
dem sich dieses Unglück und so manches andre ereignet hat, gehört gleich dem
angrenzenden Teile der Nordsee („Mordsee" im Schiffermunde) zu den gefähr¬
lichsten Wasserstraßen der Erde; die Strömung ist stark, die Luft oft umsichtig
und der Verkehr so lebhaft, daß sich die Kurse unter allen Winkeln schneiden,
und in der Dunkelheit das Vielerlei der Lichter oder Tonsignale geradezu ver¬
wirrend wirkt. Des bessern Ausgucks halber müssen alle Lichter auf Deck ab¬
geblendet sein; es vergehen fast zehn Minuten, bis sich das Auge an das
umgebende Dunkel gewöhnt hat. Das Verstehen der fremden Schallzeichen


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[0229] Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag der Gesamtmannschaft ist doch noch keineswegs erwiesen, wenn einige aus¬ gesuchte Leute ein Bravourstück leisten. Möge der Lloyd einmal auf Grund des für jedes Schiff gesetzlich vorgeschriebnen Tagebuchs nachweisen, zu welchen Zeiten seine Dampfer BootSmanöver geübt haben. Alles das soll übrigens nicht für den Lloyd allein, sondern sür die Reedereien im allgemeinen gesagt sein, auch soll nicht verkannt werden, daß die andern Handelsmarinen, die englische am allerwenigsten ausgenommen, in diesen Dingen nichts vor uns voraus haben. Aber darauf kommt es hier nicht an, sondern auf die Feststellung der Verhältnisse, wie sie thatsächlich bei uns vorhanden sind, an deren Kenntnis dein Reichstag gelegen sei» muß. Dieser könnte zunächst auf die vom Reich subventivnirten Postdampferlinien seinen Einfluß geltend machen, um vorbildliche Zustände herbeizuführen. Außer durch Einführung einer Kontrolle der Schiffe vor ihrer Abfahrt wäre durch Weiterbildung des Seestraßenrechts auf die Verminderung der Unfälle hinzuwirken. Ganz allerdings wird man die Gefahr des Zusammen¬ stoßens niemals aufheben können, das liegt nun einmal in der Natur des Seegewerbes. Das vorschriftsmäßige Ausweichen z. B. ist leicht, wenn bei klarer Luft die Fahrzeuge schon von weitem den gegenseitigen Kurs erkennen; werden sie aber erst auf eine oder zwei Schiffslängen einander gewahr, so hat es mit dem Überlegen ein Ende, die Eingebung des Augenblicks entscheidet, und aller Geschicklichkeit und Entschlossenheit zum Trotz steht das Gelingen beim Zufall. Vor fünfzehn Jahren erklärte sich dieser gegen den Hamburger Dampfer Pomerania. In regnerischer Nacht, nahe bei Dover, erblickte der Kapitän plötzlich einen Segler dicht vor sich. Nach der internationalen Ab¬ machung, die vom Dampfer Ausweichen, vom Segler Kurshalten fordert, ge¬ dachte er den Segler zu umgehen. Dieser mochte die Absicht des Gegners mißdeuten, denn er manövrirte ebenfalls, mit dem unglücklichen Erfolge, daß sein Steven dem Dampfer in den Kesselraum drang, während sein Klüverbaum den Schornstein wegstieß. Da die Kohlenbunker ohne Not sämtlich offen standen, war der Dampfer nicht zu halten; doch konnten bei der Nähe der Küste von seinen 111 Fahrgästen und 111 Mann Schiffspersonal 73 und 94 ihr Leben in Sicherheit bringen. Der von den deutschen Amerikafahrern zu Passirende Englische Kanal, in dem sich dieses Unglück und so manches andre ereignet hat, gehört gleich dem angrenzenden Teile der Nordsee („Mordsee" im Schiffermunde) zu den gefähr¬ lichsten Wasserstraßen der Erde; die Strömung ist stark, die Luft oft umsichtig und der Verkehr so lebhaft, daß sich die Kurse unter allen Winkeln schneiden, und in der Dunkelheit das Vielerlei der Lichter oder Tonsignale geradezu ver¬ wirrend wirkt. Des bessern Ausgucks halber müssen alle Lichter auf Deck ab¬ geblendet sein; es vergehen fast zehn Minuten, bis sich das Auge an das umgebende Dunkel gewöhnt hat. Das Verstehen der fremden Schallzeichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/229>, abgerufen am 30.08.2024.