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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

Manche wollen von "büreaukratischer Bevormundung" der Schiffahrt
nichts wissen, sei es aus grundsätzlicher Abneigung gegen das Eingreifen des
Staats in die gewerblichen Verhältnisse, sei es, weil ihnen der Zwang un¬
gelegen kommen würde. Hierher sind auch jene findigen Seekaufleute zu rechnen,
die im Zollbetrug eine ergiebige Einnahmequelle erblicken. Der Eingeweihte
weiß, daß heute noch so gut wie in frühern Jahren dem Kapitän manchmal vor¬
geschrieben wird, mit der Ladung zu einer bestimmten Frist an dem und dem
Punkte der Küste zu erscheinen, nicht früher und nicht später, weil dann ge¬
rade Gelegenheit ist, der Zollbehörde des "unzivilisirten" Staats ein Schnippchen
zu schlagen. Da dieses Geschäft ungemein einträglich, wenn auch nicht ganz
ungefährlich ist, so füllt mit den Jahren auch für den Kapitän etwas hübsches
ab, er schwingt sich zum selbständigen Reeber auf. Ein solches Gewerbe ver¬
trägt natürlich keine Fessel, welcher Art sie auch sei.

Es ist die alte Geschichte: der Unternehmer denkt nur an sich selber. Als
die Auswandrer noch "wie Schafe zusammengepfercht und wie Schweine be¬
handelt wurden," bedürfte es gleichfalls erst des Druckes der öffentlichen Mei¬
nung und des Einschreitens der Behörden, damit wenigstens dem Gröbsten
abgeholfen werde. Während heute, dank der bessern Verpflegung und vor
allem der kürzern Reise, Todesfälle unterwegs nur vereinzelt vorkommen, be¬
trugen sie früher nicht selten 10 Prozent der Fahrgüste, wie die folgende Auf¬
stellung für den Herbst des Jahres 1353 zeigt, eine Zeit, wo die Auswande¬
rung noch hauptsächlich durch Schnellsegler, die sogenannten Klipper, vermittelt
wurde. September: Abfahrthafen Liverpool, 800 Fahrgäste und 35 Todes¬
fälle, Bremen 280 (45), Liverpool 249 (38), Hamburg 237 (14), Havre
566 (24), Hamburg 210 (11), Liverpool 463 (79); Oktober: Hamburg 152 (19),
Liverpool 275 (34), Liverpool 400 (16), Liverpool 620 (15). Damals hat
sich der menschenfreundliche Jumar, der Gründer der Jumar Line, um die
Zwischendeckreisenden ein Verdienst erworben, indem er besondre Rücksicht auf
sie nahm und samt seiner Gattin die ersten Reisen mitmachte, um sich aus
eigner Anschauung von der Brauchbarkeit des Schisses und der Mannschaft
zu überzeugen. Heute thäte ein andrer Jumar not, der die Besatzung unter¬
wegs alarmirte, um sich von ihrer Befähigung zum Rettungsdienst zu über¬
zeugen, zu dessen Einübung mau bisher keine Zeit gefunden hat. Die erwähnte
Korrespondentin der Gartenlaube giebt die (ohne Zweifel von sachkundigen Ge¬
fährten vernommene) Meinung wieder, daß das eine Boot der Elbe aus dem
Grunde gesunken sei, weil man den Wasserablaß im Boden vergessen habe zu
schließen! Einem solchen Vorkommnis gegenüber will es wenig heißen, wenn
sich der norddeutsche Llohd in der Kölnischen Zeitung vernehmen läßt: "Die
Behauptung, daß die Besatzungen unsrer Schnelldampfer keine Übung im Boots¬
dienst hätten, wird schon allein durch die von diesen Besatzungen auf hoher
See ausgeführten Rettungen aufs glänzendste widerlegt." Die Tüchtigkeit


Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

Manche wollen von „büreaukratischer Bevormundung" der Schiffahrt
nichts wissen, sei es aus grundsätzlicher Abneigung gegen das Eingreifen des
Staats in die gewerblichen Verhältnisse, sei es, weil ihnen der Zwang un¬
gelegen kommen würde. Hierher sind auch jene findigen Seekaufleute zu rechnen,
die im Zollbetrug eine ergiebige Einnahmequelle erblicken. Der Eingeweihte
weiß, daß heute noch so gut wie in frühern Jahren dem Kapitän manchmal vor¬
geschrieben wird, mit der Ladung zu einer bestimmten Frist an dem und dem
Punkte der Küste zu erscheinen, nicht früher und nicht später, weil dann ge¬
rade Gelegenheit ist, der Zollbehörde des „unzivilisirten" Staats ein Schnippchen
zu schlagen. Da dieses Geschäft ungemein einträglich, wenn auch nicht ganz
ungefährlich ist, so füllt mit den Jahren auch für den Kapitän etwas hübsches
ab, er schwingt sich zum selbständigen Reeber auf. Ein solches Gewerbe ver¬
trägt natürlich keine Fessel, welcher Art sie auch sei.

Es ist die alte Geschichte: der Unternehmer denkt nur an sich selber. Als
die Auswandrer noch „wie Schafe zusammengepfercht und wie Schweine be¬
handelt wurden," bedürfte es gleichfalls erst des Druckes der öffentlichen Mei¬
nung und des Einschreitens der Behörden, damit wenigstens dem Gröbsten
abgeholfen werde. Während heute, dank der bessern Verpflegung und vor
allem der kürzern Reise, Todesfälle unterwegs nur vereinzelt vorkommen, be¬
trugen sie früher nicht selten 10 Prozent der Fahrgüste, wie die folgende Auf¬
stellung für den Herbst des Jahres 1353 zeigt, eine Zeit, wo die Auswande¬
rung noch hauptsächlich durch Schnellsegler, die sogenannten Klipper, vermittelt
wurde. September: Abfahrthafen Liverpool, 800 Fahrgäste und 35 Todes¬
fälle, Bremen 280 (45), Liverpool 249 (38), Hamburg 237 (14), Havre
566 (24), Hamburg 210 (11), Liverpool 463 (79); Oktober: Hamburg 152 (19),
Liverpool 275 (34), Liverpool 400 (16), Liverpool 620 (15). Damals hat
sich der menschenfreundliche Jumar, der Gründer der Jumar Line, um die
Zwischendeckreisenden ein Verdienst erworben, indem er besondre Rücksicht auf
sie nahm und samt seiner Gattin die ersten Reisen mitmachte, um sich aus
eigner Anschauung von der Brauchbarkeit des Schisses und der Mannschaft
zu überzeugen. Heute thäte ein andrer Jumar not, der die Besatzung unter¬
wegs alarmirte, um sich von ihrer Befähigung zum Rettungsdienst zu über¬
zeugen, zu dessen Einübung mau bisher keine Zeit gefunden hat. Die erwähnte
Korrespondentin der Gartenlaube giebt die (ohne Zweifel von sachkundigen Ge¬
fährten vernommene) Meinung wieder, daß das eine Boot der Elbe aus dem
Grunde gesunken sei, weil man den Wasserablaß im Boden vergessen habe zu
schließen! Einem solchen Vorkommnis gegenüber will es wenig heißen, wenn
sich der norddeutsche Llohd in der Kölnischen Zeitung vernehmen läßt: „Die
Behauptung, daß die Besatzungen unsrer Schnelldampfer keine Übung im Boots¬
dienst hätten, wird schon allein durch die von diesen Besatzungen auf hoher
See ausgeführten Rettungen aufs glänzendste widerlegt." Die Tüchtigkeit


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[0228] Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag Manche wollen von „büreaukratischer Bevormundung" der Schiffahrt nichts wissen, sei es aus grundsätzlicher Abneigung gegen das Eingreifen des Staats in die gewerblichen Verhältnisse, sei es, weil ihnen der Zwang un¬ gelegen kommen würde. Hierher sind auch jene findigen Seekaufleute zu rechnen, die im Zollbetrug eine ergiebige Einnahmequelle erblicken. Der Eingeweihte weiß, daß heute noch so gut wie in frühern Jahren dem Kapitän manchmal vor¬ geschrieben wird, mit der Ladung zu einer bestimmten Frist an dem und dem Punkte der Küste zu erscheinen, nicht früher und nicht später, weil dann ge¬ rade Gelegenheit ist, der Zollbehörde des „unzivilisirten" Staats ein Schnippchen zu schlagen. Da dieses Geschäft ungemein einträglich, wenn auch nicht ganz ungefährlich ist, so füllt mit den Jahren auch für den Kapitän etwas hübsches ab, er schwingt sich zum selbständigen Reeber auf. Ein solches Gewerbe ver¬ trägt natürlich keine Fessel, welcher Art sie auch sei. Es ist die alte Geschichte: der Unternehmer denkt nur an sich selber. Als die Auswandrer noch „wie Schafe zusammengepfercht und wie Schweine be¬ handelt wurden," bedürfte es gleichfalls erst des Druckes der öffentlichen Mei¬ nung und des Einschreitens der Behörden, damit wenigstens dem Gröbsten abgeholfen werde. Während heute, dank der bessern Verpflegung und vor allem der kürzern Reise, Todesfälle unterwegs nur vereinzelt vorkommen, be¬ trugen sie früher nicht selten 10 Prozent der Fahrgüste, wie die folgende Auf¬ stellung für den Herbst des Jahres 1353 zeigt, eine Zeit, wo die Auswande¬ rung noch hauptsächlich durch Schnellsegler, die sogenannten Klipper, vermittelt wurde. September: Abfahrthafen Liverpool, 800 Fahrgäste und 35 Todes¬ fälle, Bremen 280 (45), Liverpool 249 (38), Hamburg 237 (14), Havre 566 (24), Hamburg 210 (11), Liverpool 463 (79); Oktober: Hamburg 152 (19), Liverpool 275 (34), Liverpool 400 (16), Liverpool 620 (15). Damals hat sich der menschenfreundliche Jumar, der Gründer der Jumar Line, um die Zwischendeckreisenden ein Verdienst erworben, indem er besondre Rücksicht auf sie nahm und samt seiner Gattin die ersten Reisen mitmachte, um sich aus eigner Anschauung von der Brauchbarkeit des Schisses und der Mannschaft zu überzeugen. Heute thäte ein andrer Jumar not, der die Besatzung unter¬ wegs alarmirte, um sich von ihrer Befähigung zum Rettungsdienst zu über¬ zeugen, zu dessen Einübung mau bisher keine Zeit gefunden hat. Die erwähnte Korrespondentin der Gartenlaube giebt die (ohne Zweifel von sachkundigen Ge¬ fährten vernommene) Meinung wieder, daß das eine Boot der Elbe aus dem Grunde gesunken sei, weil man den Wasserablaß im Boden vergessen habe zu schließen! Einem solchen Vorkommnis gegenüber will es wenig heißen, wenn sich der norddeutsche Llohd in der Kölnischen Zeitung vernehmen läßt: „Die Behauptung, daß die Besatzungen unsrer Schnelldampfer keine Übung im Boots¬ dienst hätten, wird schon allein durch die von diesen Besatzungen auf hoher See ausgeführten Rettungen aufs glänzendste widerlegt." Die Tüchtigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/228>, abgerufen am 22.12.2024.