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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Sprachinsel Gottschee
er macht das Pest, was nit der lest
mit vechten und mit ringen;
der dauren schar was rufen dar:
stara prauda! u. s. w.

Nach wechselreichen Schicksalen, die sie aus der Hand des einen in die
Hand des andern Grafen warfen, kam die inzwischen zur Grafschaft erhobne
Herrschaft Gottschee 1641 an die gräfliche Familie Auersperg, der sie seitdem
verblieben ist. Am 11. November 1791 wurde das Land durch Kaiser Leopold II.
zum Herzogtum erhoben und dem jeweiligen Haupte der fürstlichen Familie
der Titel "Herzog von Gottschee" beigelegt.

Dem kargen Boden und der politischen Gebundenheit, mit denen das
Völkchen zu kämpfen hatte, entsprachen die Lebensverhältnisse, Erwerbsquellen
und öffentlichen Zustände des Gottscheecr Landes. Die Männer, denen die
Natur meist eine lange, sehnige Gestalt und ein schmales, knochiges Gesicht
mit starkem Bartwuchs mitgegeben hat, wodurch sie sich deutlich von den
rundlichen, glatt rasirten Gesichtern der Slowenen unterscheiden, sind höchst
arbeitsam, ernst, nüchtern und ruhig, und Gottscheecr Ehrlichkeit und Treue ist
ringsum ein Sprichwort. Schwung und Flottheit konnten in dieser rauhen
Natur nicht gedeihen, aber zu entsagender Sparsamkeit, berechnendem Geschäfts¬
geist, strebsamer Tüchtigkeit und zuverlässiger Ausdauer war sie ein glücklicher
Erzieher.^) Auf dem Lande herrscht noch heute die einfachste Lebensweise:
mit eingelegtem Sauerkraut, sauern Rüben und Kartoffeln, Maissterz und
Milch, Bohnen, gedörrten Obst und etwas Fleisch ist der Speisezettel des
Gottscheeer Bauern erschöpft. Da die Landwirtschaft bei dem steinigen Boden
und dem rauhen Klima von jeher kaum ihren Mann ernährte, so mußten die
Gottscheeer auf einen Nebenerwerb bedacht sein. Schon im fünfzehnten Jahr¬
hundert stellten sie Leinwand und Holzgeräte aller Art her, und 1492 verlieh
ihnen Kaiser Friedrich II. ausdrücklich das Recht des Hausirhandels, den sie
seitdem mit gutem Erfolge durch ganz Österreich-Ungarn und Deutschland be¬
trieben, der jetzt freilich durch allerlei gesetzliche Beschränkungen immer mehr
unterbunden wird und wahrscheinlich bald ganz aufhören wird. Aber auch
heute noch gilt es als Regel, daß der Gottscheeer im Herbst die Heimat ver¬
läßt und nach Laibach, Triest oder "Deutschland" (wie er alles Land nördlich
von Krcnn zu nennen pflegt) auswandert, um seine Südfrüchte, Sardinen¬
büchsen, verzuckerten Früchte, Galanterie- und Schmuckmaren von Stadt zu
Stadt, von Dorf zu Dorf anzubieten -- unter dem Namen "Kraner" (Krainer)
ist er ja überall bekannt -- und dann im Winter mit vollen Taschen heimzu¬
kehren. Seine Rückkunft gestaltet sich jedesmal zu einem hohen Feste: die
Frauen bereiten ihren Männern die gemauerte, während ihrer Abwesenheit



") Caprivi ist der Nachkomme eines Gottscheeers namens Kopriva aus Nesselthal, der
sich 1663 den Reichsadel erwarb.
Die deutsche Sprachinsel Gottschee
er macht das Pest, was nit der lest
mit vechten und mit ringen;
der dauren schar was rufen dar:
stara prauda! u. s. w.

Nach wechselreichen Schicksalen, die sie aus der Hand des einen in die
Hand des andern Grafen warfen, kam die inzwischen zur Grafschaft erhobne
Herrschaft Gottschee 1641 an die gräfliche Familie Auersperg, der sie seitdem
verblieben ist. Am 11. November 1791 wurde das Land durch Kaiser Leopold II.
zum Herzogtum erhoben und dem jeweiligen Haupte der fürstlichen Familie
der Titel „Herzog von Gottschee" beigelegt.

Dem kargen Boden und der politischen Gebundenheit, mit denen das
Völkchen zu kämpfen hatte, entsprachen die Lebensverhältnisse, Erwerbsquellen
und öffentlichen Zustände des Gottscheecr Landes. Die Männer, denen die
Natur meist eine lange, sehnige Gestalt und ein schmales, knochiges Gesicht
mit starkem Bartwuchs mitgegeben hat, wodurch sie sich deutlich von den
rundlichen, glatt rasirten Gesichtern der Slowenen unterscheiden, sind höchst
arbeitsam, ernst, nüchtern und ruhig, und Gottscheecr Ehrlichkeit und Treue ist
ringsum ein Sprichwort. Schwung und Flottheit konnten in dieser rauhen
Natur nicht gedeihen, aber zu entsagender Sparsamkeit, berechnendem Geschäfts¬
geist, strebsamer Tüchtigkeit und zuverlässiger Ausdauer war sie ein glücklicher
Erzieher.^) Auf dem Lande herrscht noch heute die einfachste Lebensweise:
mit eingelegtem Sauerkraut, sauern Rüben und Kartoffeln, Maissterz und
Milch, Bohnen, gedörrten Obst und etwas Fleisch ist der Speisezettel des
Gottscheeer Bauern erschöpft. Da die Landwirtschaft bei dem steinigen Boden
und dem rauhen Klima von jeher kaum ihren Mann ernährte, so mußten die
Gottscheeer auf einen Nebenerwerb bedacht sein. Schon im fünfzehnten Jahr¬
hundert stellten sie Leinwand und Holzgeräte aller Art her, und 1492 verlieh
ihnen Kaiser Friedrich II. ausdrücklich das Recht des Hausirhandels, den sie
seitdem mit gutem Erfolge durch ganz Österreich-Ungarn und Deutschland be¬
trieben, der jetzt freilich durch allerlei gesetzliche Beschränkungen immer mehr
unterbunden wird und wahrscheinlich bald ganz aufhören wird. Aber auch
heute noch gilt es als Regel, daß der Gottscheeer im Herbst die Heimat ver¬
läßt und nach Laibach, Triest oder „Deutschland" (wie er alles Land nördlich
von Krcnn zu nennen pflegt) auswandert, um seine Südfrüchte, Sardinen¬
büchsen, verzuckerten Früchte, Galanterie- und Schmuckmaren von Stadt zu
Stadt, von Dorf zu Dorf anzubieten — unter dem Namen „Kraner" (Krainer)
ist er ja überall bekannt — und dann im Winter mit vollen Taschen heimzu¬
kehren. Seine Rückkunft gestaltet sich jedesmal zu einem hohen Feste: die
Frauen bereiten ihren Männern die gemauerte, während ihrer Abwesenheit



") Caprivi ist der Nachkomme eines Gottscheeers namens Kopriva aus Nesselthal, der
sich 1663 den Reichsadel erwarb.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/134>, abgerufen am 25.08.2024.