Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Sprachinsel Gottschee

sorgsam verschlossen gehaltne gute Stube, gehen ihnen oft meilenweit entgegen
und begrüßen sie mit lautem Jubelruf. Diese Freude am heimatlichen Eigen¬
tum ist ein kennzeichnender schöner Zug an den Gottscheeer "Vagabunden" und
äußert sich auch an den überseeischen Auswandrern noch -- an zweitausend
Gottscheeer sitzen allein in den Vereinigten Staaten, wo sie meist ein Handwerk
betreiben --, indem alle in Treue ihrer alten Heimat gedenken und mancher
mehrmals den weiten Weg zurücklegt, um einmal wieder durch das heimatliche
Dorf zu schreiten. Neuerdings ist man erfolgreich darauf bedacht, für den ab¬
nehmenden Hausirhandel neue Quellen seßhaften Erwerbs zu erschließen. Seitdem
1882 durch die Bemühung des deutscheu Schulvereins in der Stadt Gottschee
eine Holzindustrieschule errichtet worden ist, der die holzreichen Wülder vor¬
treffliches Material liefern, blüht das Hausgewerbe hoffnungsvoll auf und
gewinnt seinen Erzeugnissen immer weitere Absatzgebiete, besonders seit 1893,
wo Gottschee durch eine Zweigbahn mit der Unterkrainer Bahnlinie verbunden
worden ist.

Für Schul- und Unterrichtsforderungen zeigte der Gottscheeer von früh-
auf ein warmes Verständnis und eine offne Hand. Eine sogenannte "Not¬
schule" fehlte nirgends. Irgend ein bresthafter Flickschuster oder Flickschneider
bettelte sich, wie das einmal der Abgeordnete Braun rührend geschildert
hat, einige wacklige Tische und Stühle zusammen, hängte ein mit Schuhwichse
angestrichnes Brett als Wandtafel auf, lehrte die Kleinen buchstabiren und
die Großen die biblische Geschichte und zog mit Hunger und Würgen das
kärgliche Schulgeld ein. Heute ist das Schulwesen in den geordnetsten und
erfreulichsten Verhältnissen, zu nicht geringem Teile ein Verdienst des Deutschen
Schulvereins. Dieser hat eine Reihe von Schulen gegründet oder erweitert,
fast alle übrigen Lehrerstellen unterstützt und im ganzen bis jetzt über hundert¬
tausend Gulden für die Sprachinsel ausgegeben. Durch die Gründung des
Untergymnasiums zu Gottschee (1872) und durch die Einrichtung mehrerer
hochherziger Stiftungen ist den Gottscheeer" nun auch der Besuch der Hoch¬
schule ermöglicht, und Jahr für Jahr wächst die Zahl der jungen Leute, die
berufen sind, auch in akademischen Stellungen ihrer Heimat zu dienen, da
zum Glück auf die deutsche Abstammung der Beamten, Ärzte und Professoren
energisch Gewicht gelegt wird. Neben den tüchtigen Schulen aber ist die beste
Stütze dieser deutscheu Sprachinsel die innige, tiefwurzelnde Heimathliebe ihrer
Bewohner. Aus der fernsten Gegend kehren die wandernden Männer wieder
heim; viele, die in der Fremde ansässig sind, bringen mit ihrer Familie den
Sommer in ihrem Geburtsdorfe zu; wer reich geworden und nicht mehr ans
Geschüft gebunden ist, verlebt sein Alter vollends in der Heimat, und in
manchen Gottscheeer Dörfern sieht man neben den einfachsten Hütten ein statt¬
liches Gebäude, das sich ein glücklich und wohlhabend Heimgekehrter auf¬
gebaut hat.


Die deutsche Sprachinsel Gottschee

sorgsam verschlossen gehaltne gute Stube, gehen ihnen oft meilenweit entgegen
und begrüßen sie mit lautem Jubelruf. Diese Freude am heimatlichen Eigen¬
tum ist ein kennzeichnender schöner Zug an den Gottscheeer „Vagabunden" und
äußert sich auch an den überseeischen Auswandrern noch — an zweitausend
Gottscheeer sitzen allein in den Vereinigten Staaten, wo sie meist ein Handwerk
betreiben —, indem alle in Treue ihrer alten Heimat gedenken und mancher
mehrmals den weiten Weg zurücklegt, um einmal wieder durch das heimatliche
Dorf zu schreiten. Neuerdings ist man erfolgreich darauf bedacht, für den ab¬
nehmenden Hausirhandel neue Quellen seßhaften Erwerbs zu erschließen. Seitdem
1882 durch die Bemühung des deutscheu Schulvereins in der Stadt Gottschee
eine Holzindustrieschule errichtet worden ist, der die holzreichen Wülder vor¬
treffliches Material liefern, blüht das Hausgewerbe hoffnungsvoll auf und
gewinnt seinen Erzeugnissen immer weitere Absatzgebiete, besonders seit 1893,
wo Gottschee durch eine Zweigbahn mit der Unterkrainer Bahnlinie verbunden
worden ist.

Für Schul- und Unterrichtsforderungen zeigte der Gottscheeer von früh-
auf ein warmes Verständnis und eine offne Hand. Eine sogenannte „Not¬
schule" fehlte nirgends. Irgend ein bresthafter Flickschuster oder Flickschneider
bettelte sich, wie das einmal der Abgeordnete Braun rührend geschildert
hat, einige wacklige Tische und Stühle zusammen, hängte ein mit Schuhwichse
angestrichnes Brett als Wandtafel auf, lehrte die Kleinen buchstabiren und
die Großen die biblische Geschichte und zog mit Hunger und Würgen das
kärgliche Schulgeld ein. Heute ist das Schulwesen in den geordnetsten und
erfreulichsten Verhältnissen, zu nicht geringem Teile ein Verdienst des Deutschen
Schulvereins. Dieser hat eine Reihe von Schulen gegründet oder erweitert,
fast alle übrigen Lehrerstellen unterstützt und im ganzen bis jetzt über hundert¬
tausend Gulden für die Sprachinsel ausgegeben. Durch die Gründung des
Untergymnasiums zu Gottschee (1872) und durch die Einrichtung mehrerer
hochherziger Stiftungen ist den Gottscheeer» nun auch der Besuch der Hoch¬
schule ermöglicht, und Jahr für Jahr wächst die Zahl der jungen Leute, die
berufen sind, auch in akademischen Stellungen ihrer Heimat zu dienen, da
zum Glück auf die deutsche Abstammung der Beamten, Ärzte und Professoren
energisch Gewicht gelegt wird. Neben den tüchtigen Schulen aber ist die beste
Stütze dieser deutscheu Sprachinsel die innige, tiefwurzelnde Heimathliebe ihrer
Bewohner. Aus der fernsten Gegend kehren die wandernden Männer wieder
heim; viele, die in der Fremde ansässig sind, bringen mit ihrer Familie den
Sommer in ihrem Geburtsdorfe zu; wer reich geworden und nicht mehr ans
Geschüft gebunden ist, verlebt sein Alter vollends in der Heimat, und in
manchen Gottscheeer Dörfern sieht man neben den einfachsten Hütten ein statt¬
liches Gebäude, das sich ein glücklich und wohlhabend Heimgekehrter auf¬
gebaut hat.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219811"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Sprachinsel Gottschee</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_421" prev="#ID_420"> sorgsam verschlossen gehaltne gute Stube, gehen ihnen oft meilenweit entgegen<lb/>
und begrüßen sie mit lautem Jubelruf. Diese Freude am heimatlichen Eigen¬<lb/>
tum ist ein kennzeichnender schöner Zug an den Gottscheeer &#x201E;Vagabunden" und<lb/>
äußert sich auch an den überseeischen Auswandrern noch &#x2014; an zweitausend<lb/>
Gottscheeer sitzen allein in den Vereinigten Staaten, wo sie meist ein Handwerk<lb/>
betreiben &#x2014;, indem alle in Treue ihrer alten Heimat gedenken und mancher<lb/>
mehrmals den weiten Weg zurücklegt, um einmal wieder durch das heimatliche<lb/>
Dorf zu schreiten. Neuerdings ist man erfolgreich darauf bedacht, für den ab¬<lb/>
nehmenden Hausirhandel neue Quellen seßhaften Erwerbs zu erschließen. Seitdem<lb/>
1882 durch die Bemühung des deutscheu Schulvereins in der Stadt Gottschee<lb/>
eine Holzindustrieschule errichtet worden ist, der die holzreichen Wülder vor¬<lb/>
treffliches Material liefern, blüht das Hausgewerbe hoffnungsvoll auf und<lb/>
gewinnt seinen Erzeugnissen immer weitere Absatzgebiete, besonders seit 1893,<lb/>
wo Gottschee durch eine Zweigbahn mit der Unterkrainer Bahnlinie verbunden<lb/>
worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422"> Für Schul- und Unterrichtsforderungen zeigte der Gottscheeer von früh-<lb/>
auf ein warmes Verständnis und eine offne Hand. Eine sogenannte &#x201E;Not¬<lb/>
schule" fehlte nirgends. Irgend ein bresthafter Flickschuster oder Flickschneider<lb/>
bettelte sich, wie das einmal der Abgeordnete Braun rührend geschildert<lb/>
hat, einige wacklige Tische und Stühle zusammen, hängte ein mit Schuhwichse<lb/>
angestrichnes Brett als Wandtafel auf, lehrte die Kleinen buchstabiren und<lb/>
die Großen die biblische Geschichte und zog mit Hunger und Würgen das<lb/>
kärgliche Schulgeld ein. Heute ist das Schulwesen in den geordnetsten und<lb/>
erfreulichsten Verhältnissen, zu nicht geringem Teile ein Verdienst des Deutschen<lb/>
Schulvereins. Dieser hat eine Reihe von Schulen gegründet oder erweitert,<lb/>
fast alle übrigen Lehrerstellen unterstützt und im ganzen bis jetzt über hundert¬<lb/>
tausend Gulden für die Sprachinsel ausgegeben. Durch die Gründung des<lb/>
Untergymnasiums zu Gottschee (1872) und durch die Einrichtung mehrerer<lb/>
hochherziger Stiftungen ist den Gottscheeer» nun auch der Besuch der Hoch¬<lb/>
schule ermöglicht, und Jahr für Jahr wächst die Zahl der jungen Leute, die<lb/>
berufen sind, auch in akademischen Stellungen ihrer Heimat zu dienen, da<lb/>
zum Glück auf die deutsche Abstammung der Beamten, Ärzte und Professoren<lb/>
energisch Gewicht gelegt wird. Neben den tüchtigen Schulen aber ist die beste<lb/>
Stütze dieser deutscheu Sprachinsel die innige, tiefwurzelnde Heimathliebe ihrer<lb/>
Bewohner. Aus der fernsten Gegend kehren die wandernden Männer wieder<lb/>
heim; viele, die in der Fremde ansässig sind, bringen mit ihrer Familie den<lb/>
Sommer in ihrem Geburtsdorfe zu; wer reich geworden und nicht mehr ans<lb/>
Geschüft gebunden ist, verlebt sein Alter vollends in der Heimat, und in<lb/>
manchen Gottscheeer Dörfern sieht man neben den einfachsten Hütten ein statt¬<lb/>
liches Gebäude, das sich ein glücklich und wohlhabend Heimgekehrter auf¬<lb/>
gebaut hat.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] Die deutsche Sprachinsel Gottschee sorgsam verschlossen gehaltne gute Stube, gehen ihnen oft meilenweit entgegen und begrüßen sie mit lautem Jubelruf. Diese Freude am heimatlichen Eigen¬ tum ist ein kennzeichnender schöner Zug an den Gottscheeer „Vagabunden" und äußert sich auch an den überseeischen Auswandrern noch — an zweitausend Gottscheeer sitzen allein in den Vereinigten Staaten, wo sie meist ein Handwerk betreiben —, indem alle in Treue ihrer alten Heimat gedenken und mancher mehrmals den weiten Weg zurücklegt, um einmal wieder durch das heimatliche Dorf zu schreiten. Neuerdings ist man erfolgreich darauf bedacht, für den ab¬ nehmenden Hausirhandel neue Quellen seßhaften Erwerbs zu erschließen. Seitdem 1882 durch die Bemühung des deutscheu Schulvereins in der Stadt Gottschee eine Holzindustrieschule errichtet worden ist, der die holzreichen Wülder vor¬ treffliches Material liefern, blüht das Hausgewerbe hoffnungsvoll auf und gewinnt seinen Erzeugnissen immer weitere Absatzgebiete, besonders seit 1893, wo Gottschee durch eine Zweigbahn mit der Unterkrainer Bahnlinie verbunden worden ist. Für Schul- und Unterrichtsforderungen zeigte der Gottscheeer von früh- auf ein warmes Verständnis und eine offne Hand. Eine sogenannte „Not¬ schule" fehlte nirgends. Irgend ein bresthafter Flickschuster oder Flickschneider bettelte sich, wie das einmal der Abgeordnete Braun rührend geschildert hat, einige wacklige Tische und Stühle zusammen, hängte ein mit Schuhwichse angestrichnes Brett als Wandtafel auf, lehrte die Kleinen buchstabiren und die Großen die biblische Geschichte und zog mit Hunger und Würgen das kärgliche Schulgeld ein. Heute ist das Schulwesen in den geordnetsten und erfreulichsten Verhältnissen, zu nicht geringem Teile ein Verdienst des Deutschen Schulvereins. Dieser hat eine Reihe von Schulen gegründet oder erweitert, fast alle übrigen Lehrerstellen unterstützt und im ganzen bis jetzt über hundert¬ tausend Gulden für die Sprachinsel ausgegeben. Durch die Gründung des Untergymnasiums zu Gottschee (1872) und durch die Einrichtung mehrerer hochherziger Stiftungen ist den Gottscheeer» nun auch der Besuch der Hoch¬ schule ermöglicht, und Jahr für Jahr wächst die Zahl der jungen Leute, die berufen sind, auch in akademischen Stellungen ihrer Heimat zu dienen, da zum Glück auf die deutsche Abstammung der Beamten, Ärzte und Professoren energisch Gewicht gelegt wird. Neben den tüchtigen Schulen aber ist die beste Stütze dieser deutscheu Sprachinsel die innige, tiefwurzelnde Heimathliebe ihrer Bewohner. Aus der fernsten Gegend kehren die wandernden Männer wieder heim; viele, die in der Fremde ansässig sind, bringen mit ihrer Familie den Sommer in ihrem Geburtsdorfe zu; wer reich geworden und nicht mehr ans Geschüft gebunden ist, verlebt sein Alter vollends in der Heimat, und in manchen Gottscheeer Dörfern sieht man neben den einfachsten Hütten ein statt¬ liches Gebäude, das sich ein glücklich und wohlhabend Heimgekehrter auf¬ gebaut hat.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/135>, abgerufen am 25.08.2024.