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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Behandlung des Verbrechers

Freiheitsstrafe auch in der Form des Hausarrestes, wofür im Militärstrafgesetz¬
buch, oder des Ortsarrestes, wofür im Jesuitengesetz, des Verbotes, sich an be¬
stimmten Orten aufzuhalten, wofür im Jesuitengesetz und Sozialistengesetz Anfänge
vorlagen, vollziehen lassen, selbstverständlich unter der Bedingung, daß, wenn die
Beschränkung gebrochen wird, die wirkliche Freiheitsstrafe an ihre Stelle tritt. Man
hätte die gemeinrechtliche, in England beibehciltne und jetzt in Italien gesetzliche
Friedensbürgschaft nicht so leicht von der Hand weisen sollen. Alle diese Vorschläge
zielen darauf ab, möglichst wenig Leute in die ohne Zweifel vorhandnen Gefahren
des Gefängnislebens hineinzubringen. Besonders sollte man die Wiedergutmachung
des durch das Verbrechen angerichteten Schadens, soweit es möglich ist, erzwingen.
Wenn zum Beispiel ein Raufbold, der einem Menschen eine Leibesverletznng zu¬
gefügt und ihn in seinem Berufs- und Geschäftsleben gestört hat, jede Woche
sein Geldstück abliefern müßte und unter anderen keine Schurke besuchen dürfte,
bis er auch den letzten Heller bezahlt hätte, dann würde sich mancher bekehren.
Das Messer bliebe häufiger in der Tasche, und die Tanzmusik endigte weniger
oft mit blutigen Schlägereien. Das entspräche dann den Grundsätzen der Ge-
rcchtigkeitstheorie, es lüge darin aber auch eine sehr scharfe und schneidige
Waffe aus der Rüstkammer der Abschreckungstheorie.

Vor allem aber sollte man nicht Kinder ins Gefängnis bringen. Es ist
doch jammervoll, ein Büblein, das noch in kurzen Höschen steckt, schon vor
der Gefängnispforte stehen zu sehen. Die Strafwürdigkeit der kleinen Sünder
soll nicht bestritten werden, aber war es notwendig und ist es zweckmäßig, sie
so früh schon dem Strafrichter zu übergeben? Viele Vergehen deuten auf
einen bösen Sinn hin oder auf eine schlechte Erziehung, manches Vergehen
aber kennzeichnet sich doch mehr als eine unüberlegte Handlung, für die eine
Tracht Prügel oder ein Strafmittel der Schule ausreichende Sühne geboten
hätte. Da wird z. B. ein Knabe wegen "Erpressung" bestraft. Seine Mit¬
schüler haben ihrem Lehrer einen Spitznamen gegeben, und er hat gedroht, sie
anzuzeigen, wenn sie ihm nicht Geld gäben, vermutlich zu Leckereien, denn
wozu sonst braucht ein zwölfjähriges Kind Geld? Ein Fortbildungsschüler
verweigert dem Lehrer den Gehorsam oder benimmt sich sonst unwürdig --
fort mit ihm ins Gefängnis! Jedermann atmet nun auf, obwohl sich doch
mancher Vater bange ans Herz fassen müßte. Denn auch er hat Kinder, die
sich nicht immer sittsam benehmen. Wenn man auch gegen sie so kühl und
herzlos verführe, was dann? Man sollte die halbwüchsige Jugend, die noch
unter der Erziehung des Elternhauses steht, nicht so ohne weiteres als er¬
wachsene Menschen ansehen. Das Elternhaus hat Strafmittel, die Schule
hat Strafmittel, und auch die Gemeinde hat Strafmittel. Selbst die Kirche
hat noch Machtmittel. Es ist freilich sehr einfach, jeden bösen Streich der
Jugend dem Strafrichter zu übergeben, der dann mit schwerem Herzen seine
Gesetzesparagraphen anwendet. Aber es ist anch gefährlich und gefühllos.


Die Behandlung des Verbrechers

Freiheitsstrafe auch in der Form des Hausarrestes, wofür im Militärstrafgesetz¬
buch, oder des Ortsarrestes, wofür im Jesuitengesetz, des Verbotes, sich an be¬
stimmten Orten aufzuhalten, wofür im Jesuitengesetz und Sozialistengesetz Anfänge
vorlagen, vollziehen lassen, selbstverständlich unter der Bedingung, daß, wenn die
Beschränkung gebrochen wird, die wirkliche Freiheitsstrafe an ihre Stelle tritt. Man
hätte die gemeinrechtliche, in England beibehciltne und jetzt in Italien gesetzliche
Friedensbürgschaft nicht so leicht von der Hand weisen sollen. Alle diese Vorschläge
zielen darauf ab, möglichst wenig Leute in die ohne Zweifel vorhandnen Gefahren
des Gefängnislebens hineinzubringen. Besonders sollte man die Wiedergutmachung
des durch das Verbrechen angerichteten Schadens, soweit es möglich ist, erzwingen.
Wenn zum Beispiel ein Raufbold, der einem Menschen eine Leibesverletznng zu¬
gefügt und ihn in seinem Berufs- und Geschäftsleben gestört hat, jede Woche
sein Geldstück abliefern müßte und unter anderen keine Schurke besuchen dürfte,
bis er auch den letzten Heller bezahlt hätte, dann würde sich mancher bekehren.
Das Messer bliebe häufiger in der Tasche, und die Tanzmusik endigte weniger
oft mit blutigen Schlägereien. Das entspräche dann den Grundsätzen der Ge-
rcchtigkeitstheorie, es lüge darin aber auch eine sehr scharfe und schneidige
Waffe aus der Rüstkammer der Abschreckungstheorie.

Vor allem aber sollte man nicht Kinder ins Gefängnis bringen. Es ist
doch jammervoll, ein Büblein, das noch in kurzen Höschen steckt, schon vor
der Gefängnispforte stehen zu sehen. Die Strafwürdigkeit der kleinen Sünder
soll nicht bestritten werden, aber war es notwendig und ist es zweckmäßig, sie
so früh schon dem Strafrichter zu übergeben? Viele Vergehen deuten auf
einen bösen Sinn hin oder auf eine schlechte Erziehung, manches Vergehen
aber kennzeichnet sich doch mehr als eine unüberlegte Handlung, für die eine
Tracht Prügel oder ein Strafmittel der Schule ausreichende Sühne geboten
hätte. Da wird z. B. ein Knabe wegen „Erpressung" bestraft. Seine Mit¬
schüler haben ihrem Lehrer einen Spitznamen gegeben, und er hat gedroht, sie
anzuzeigen, wenn sie ihm nicht Geld gäben, vermutlich zu Leckereien, denn
wozu sonst braucht ein zwölfjähriges Kind Geld? Ein Fortbildungsschüler
verweigert dem Lehrer den Gehorsam oder benimmt sich sonst unwürdig —
fort mit ihm ins Gefängnis! Jedermann atmet nun auf, obwohl sich doch
mancher Vater bange ans Herz fassen müßte. Denn auch er hat Kinder, die
sich nicht immer sittsam benehmen. Wenn man auch gegen sie so kühl und
herzlos verführe, was dann? Man sollte die halbwüchsige Jugend, die noch
unter der Erziehung des Elternhauses steht, nicht so ohne weiteres als er¬
wachsene Menschen ansehen. Das Elternhaus hat Strafmittel, die Schule
hat Strafmittel, und auch die Gemeinde hat Strafmittel. Selbst die Kirche
hat noch Machtmittel. Es ist freilich sehr einfach, jeden bösen Streich der
Jugend dem Strafrichter zu übergeben, der dann mit schwerem Herzen seine
Gesetzesparagraphen anwendet. Aber es ist anch gefährlich und gefühllos.


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[0128] Die Behandlung des Verbrechers Freiheitsstrafe auch in der Form des Hausarrestes, wofür im Militärstrafgesetz¬ buch, oder des Ortsarrestes, wofür im Jesuitengesetz, des Verbotes, sich an be¬ stimmten Orten aufzuhalten, wofür im Jesuitengesetz und Sozialistengesetz Anfänge vorlagen, vollziehen lassen, selbstverständlich unter der Bedingung, daß, wenn die Beschränkung gebrochen wird, die wirkliche Freiheitsstrafe an ihre Stelle tritt. Man hätte die gemeinrechtliche, in England beibehciltne und jetzt in Italien gesetzliche Friedensbürgschaft nicht so leicht von der Hand weisen sollen. Alle diese Vorschläge zielen darauf ab, möglichst wenig Leute in die ohne Zweifel vorhandnen Gefahren des Gefängnislebens hineinzubringen. Besonders sollte man die Wiedergutmachung des durch das Verbrechen angerichteten Schadens, soweit es möglich ist, erzwingen. Wenn zum Beispiel ein Raufbold, der einem Menschen eine Leibesverletznng zu¬ gefügt und ihn in seinem Berufs- und Geschäftsleben gestört hat, jede Woche sein Geldstück abliefern müßte und unter anderen keine Schurke besuchen dürfte, bis er auch den letzten Heller bezahlt hätte, dann würde sich mancher bekehren. Das Messer bliebe häufiger in der Tasche, und die Tanzmusik endigte weniger oft mit blutigen Schlägereien. Das entspräche dann den Grundsätzen der Ge- rcchtigkeitstheorie, es lüge darin aber auch eine sehr scharfe und schneidige Waffe aus der Rüstkammer der Abschreckungstheorie. Vor allem aber sollte man nicht Kinder ins Gefängnis bringen. Es ist doch jammervoll, ein Büblein, das noch in kurzen Höschen steckt, schon vor der Gefängnispforte stehen zu sehen. Die Strafwürdigkeit der kleinen Sünder soll nicht bestritten werden, aber war es notwendig und ist es zweckmäßig, sie so früh schon dem Strafrichter zu übergeben? Viele Vergehen deuten auf einen bösen Sinn hin oder auf eine schlechte Erziehung, manches Vergehen aber kennzeichnet sich doch mehr als eine unüberlegte Handlung, für die eine Tracht Prügel oder ein Strafmittel der Schule ausreichende Sühne geboten hätte. Da wird z. B. ein Knabe wegen „Erpressung" bestraft. Seine Mit¬ schüler haben ihrem Lehrer einen Spitznamen gegeben, und er hat gedroht, sie anzuzeigen, wenn sie ihm nicht Geld gäben, vermutlich zu Leckereien, denn wozu sonst braucht ein zwölfjähriges Kind Geld? Ein Fortbildungsschüler verweigert dem Lehrer den Gehorsam oder benimmt sich sonst unwürdig — fort mit ihm ins Gefängnis! Jedermann atmet nun auf, obwohl sich doch mancher Vater bange ans Herz fassen müßte. Denn auch er hat Kinder, die sich nicht immer sittsam benehmen. Wenn man auch gegen sie so kühl und herzlos verführe, was dann? Man sollte die halbwüchsige Jugend, die noch unter der Erziehung des Elternhauses steht, nicht so ohne weiteres als er¬ wachsene Menschen ansehen. Das Elternhaus hat Strafmittel, die Schule hat Strafmittel, und auch die Gemeinde hat Strafmittel. Selbst die Kirche hat noch Machtmittel. Es ist freilich sehr einfach, jeden bösen Streich der Jugend dem Strafrichter zu übergeben, der dann mit schwerem Herzen seine Gesetzesparagraphen anwendet. Aber es ist anch gefährlich und gefühllos.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/128>, abgerufen am 25.08.2024.