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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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nach Hegels Methode von Thesis durch Antithesis zur Synthesis fort. Im
Selbstbewußtsein findet er die beiden Naturen, die körperliche und geistige,
deren keine von der andern abgeleitet werden könne, die daher beide ein höheres
Drittes voraussetzten, einen übergeschöpflichen Schöpfer. Der Punkt, auf dem
das Gllnthertmn mit der römischen Orthodoxie zusammenstieß, war die Anthropo¬
logie. Während die Scholastiker den Geist für die Form, oder wie sich die
Neuern ausdrucken, das Lebensprinzip des Menschenleibs erklären, lehrt
Günther, die Natursubstanz habe ihr eignes Leben, das sich im Menschen
zur höchsten Blüte der Verinnerlichung. zur bewußte", aber noch nicht selbst¬
bewußten Leibscele steigere und eben dadurch fähig werde, mit einem ver¬
nünftigen Geiste die innigste Vereinigung einzugehen, sodaß die beiden wesens-
verschiednen Geschöpfe, der Menschenleib und der Geist, kraft der formellen
Ähnlichkeit ihrer Lebensäußerungen zur Einheit der Person verbunden werden,
ein Vorgang, der sich auf einer höhern Stufe noch einmal wiederholt, indem
der göttliche Logos mit dem Geiste des Menschen Jesu die hhpostatische Eini¬
gung eingeht, um der Schlußstein des Alls zu werden, in dem sich die
drei göttliche" Personen mit der dreigliedrigen Kreatur verschlingen. Baltzer
Vermochte die römischen Theologen, die ihn kaum verstanden haben mögen, von
dieser Ansicht so wenig zu überzeuge", wie es Günther vermocht hatte. Es
kam zu einem langwierigen Prozeß, der seine Lehrthätigkeit zuerst störte
- durch mehrmalige längere Abwesenheit i" Rom -- und zuletzt abschnitt.
Er wurde suspendirt, schließlich extommuuizirt, verwickelte sich in die ärger¬
lichsten Streitigkeiten mit dem Domkapitel, das ihm 1845 für seine glänzende
Verteidigung des katholischen Glaubens gegen einen Angriff des Konsistorial-
rath Falk eine von Förster verfaßte Adresse überreicht und dann als Mitglied
in seinen Schoß aufgenommen hatte. Förster, der erst durch ihn "ordentlich
katholisch" geworden war, sah sich zuletzt in die Stellung eines Verteidigers
der Orthodoxie gegen ihn gedrängt, und so mündete denn seine Opposition
in die im Jahre 1869 durch Roms Schuld hervorgerufene antivatikanische
ein, in deren erstem Stadium er gestorben ist. Der schlesische Klerus, der
ihm die dogmatisch begründete Überzeugung von der Wahrheit des römisch-
katholischen Glaubens verdankte, folgte ihm nicht in die Opposition. Er hatte
den Beweis für die Unfehlbarkeit des katholischen Lehramts verstanden, aber
wie dieses Lehramt, zu dein doch nun einmal der Papst auch nach der Lehre


entnehme ich folgende charakteristische Äußerung Baltzers. 1846 schreibt er in einem Briefe
an Knoodt: "Über Ihre mitunter sich regende Sehnsucht nach Breslau mußte ich lächeln, und
ich kann, ein so glaubwürdiger Manu wie Sie sind, doch in diesen, Punkte einen Anflug von
Unglauben nicht bergen. Denn heimatlich fühlt sich nun einmal der Rheinländer in Breslau
nimmermehr, besonders in einer Zeit, wie die unsrige ist. Wenigstens fühlt das katholische
Gemüt einen unausgesetzten Druck, den die Negation des zum Nullpunkt des Christentums
herabgesetzten Protestantismus ihm anthut."

nach Hegels Methode von Thesis durch Antithesis zur Synthesis fort. Im
Selbstbewußtsein findet er die beiden Naturen, die körperliche und geistige,
deren keine von der andern abgeleitet werden könne, die daher beide ein höheres
Drittes voraussetzten, einen übergeschöpflichen Schöpfer. Der Punkt, auf dem
das Gllnthertmn mit der römischen Orthodoxie zusammenstieß, war die Anthropo¬
logie. Während die Scholastiker den Geist für die Form, oder wie sich die
Neuern ausdrucken, das Lebensprinzip des Menschenleibs erklären, lehrt
Günther, die Natursubstanz habe ihr eignes Leben, das sich im Menschen
zur höchsten Blüte der Verinnerlichung. zur bewußte», aber noch nicht selbst¬
bewußten Leibscele steigere und eben dadurch fähig werde, mit einem ver¬
nünftigen Geiste die innigste Vereinigung einzugehen, sodaß die beiden wesens-
verschiednen Geschöpfe, der Menschenleib und der Geist, kraft der formellen
Ähnlichkeit ihrer Lebensäußerungen zur Einheit der Person verbunden werden,
ein Vorgang, der sich auf einer höhern Stufe noch einmal wiederholt, indem
der göttliche Logos mit dem Geiste des Menschen Jesu die hhpostatische Eini¬
gung eingeht, um der Schlußstein des Alls zu werden, in dem sich die
drei göttliche» Personen mit der dreigliedrigen Kreatur verschlingen. Baltzer
Vermochte die römischen Theologen, die ihn kaum verstanden haben mögen, von
dieser Ansicht so wenig zu überzeuge», wie es Günther vermocht hatte. Es
kam zu einem langwierigen Prozeß, der seine Lehrthätigkeit zuerst störte
- durch mehrmalige längere Abwesenheit i» Rom — und zuletzt abschnitt.
Er wurde suspendirt, schließlich extommuuizirt, verwickelte sich in die ärger¬
lichsten Streitigkeiten mit dem Domkapitel, das ihm 1845 für seine glänzende
Verteidigung des katholischen Glaubens gegen einen Angriff des Konsistorial-
rath Falk eine von Förster verfaßte Adresse überreicht und dann als Mitglied
in seinen Schoß aufgenommen hatte. Förster, der erst durch ihn „ordentlich
katholisch" geworden war, sah sich zuletzt in die Stellung eines Verteidigers
der Orthodoxie gegen ihn gedrängt, und so mündete denn seine Opposition
in die im Jahre 1869 durch Roms Schuld hervorgerufene antivatikanische
ein, in deren erstem Stadium er gestorben ist. Der schlesische Klerus, der
ihm die dogmatisch begründete Überzeugung von der Wahrheit des römisch-
katholischen Glaubens verdankte, folgte ihm nicht in die Opposition. Er hatte
den Beweis für die Unfehlbarkeit des katholischen Lehramts verstanden, aber
wie dieses Lehramt, zu dein doch nun einmal der Papst auch nach der Lehre


entnehme ich folgende charakteristische Äußerung Baltzers. 1846 schreibt er in einem Briefe
an Knoodt: „Über Ihre mitunter sich regende Sehnsucht nach Breslau mußte ich lächeln, und
ich kann, ein so glaubwürdiger Manu wie Sie sind, doch in diesen, Punkte einen Anflug von
Unglauben nicht bergen. Denn heimatlich fühlt sich nun einmal der Rheinländer in Breslau
nimmermehr, besonders in einer Zeit, wie die unsrige ist. Wenigstens fühlt das katholische
Gemüt einen unausgesetzten Druck, den die Negation des zum Nullpunkt des Christentums
herabgesetzten Protestantismus ihm anthut."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/91>, abgerufen am 28.06.2024.