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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Nuf, war ein ebensolcher richtiger alter Deutscher wie Ritter und hatte einen
Sohn, der ihm nachschlug. Dieser Sohn ließ sich als Arzt in Landes-
hnt nieder, und da wurde folgendes Geschichtchen von ihm erzählt. Graf Stol¬
berg auf Kreppelhof hatte in der Nähe der Stadt ein Krankenhaus gestiftet
und dem Kreisphhsikns Benedikt die ärztliche Leitung übergeben. Bei einem
königlichen Besuche der Anstalt machte der Arzt selbstverständlich den Führer
und bekam dann ebenso selbstverständlich einen Orden geschickt. Er aber schickte
ihn zurück mit der Bemerkung, da sein Vater, dessen Verdienste weltbekannt
seien, noch keinen Orden habe, könne er unmöglich eiuen annehmen bloß dafür,
daß er einmal mit einer hohen Person in Berührung gekommen sei. Gerade
an Ritter konnte man sehen, wie in solchen Sachen das Höfische entscheidet,
denn da er sich im Jahre 1848 im Sinne der Regierungspartei um den Staat
verdient gemacht hat, so hätte die Staatsräson gefordert, seine Grobheit zu
vergessen und ihn auszuzeichnen. Wie es sich bei einer solchen Natur von
selbst versteht, war er vom Demagogen ebenso weit entfernt wie vom Höfling.
"Im Jahre 1848, sagte er uns einmal, habe ich mit andern Ehrenmännern
zusammen die Ehre gehabt, ans dem Ringe in elügie verbrannt zu werden."
Unter anderm hatte er in diesem Sturmjahre antirevolutionäre Vorträge für
ein gemischtes Publikum gehalten. Da er sich aber in die Stadt, wo die
Universität liegt, nicht hineinwagen durste, so ließ er die beiden Säle, die im
Oberstock seiner Kurie") hinten hinaus liegen, mit Bänken versehen und zu
Hörsälen einrichten. Nach dieser Zeit zog er sich mehr und mehr sowohl von
den politischen wie von den Divzesanangelegenheiten zurück und widmete sich
ausschließlich der Universität und dem Konvikt, dessen wohnliche Ausstattung
und gute Verwaltung ihm sehr am Herzen lag. Ins Kolleg ging er Sommer
und Winter im Frack, gemächlich einherschlürfend, den Hut gewöhnlich in der
linken Hand, und mit der rechten hie und da für einen Bettler oder ein Kind
ans der Hosentasche einen Groschen hervorlaugend. Deu Studenten erwies er
sich als Vater. Auch darüber gingen mancherlei Anekdote" um. Ein Student
tritt in sein Arbeitszimmer und bleibt an der Thür stehen, während Ritter
an seinem Tische schreibt. Nach einer Weile spricht dieser, immer fortschreitend:
"Ich hör ja nichts!" Darauf der Student, ein phlegmatischer Bauerjunge:
"Ich hob ja ooch noch nischt gesoagt." Da dreht sich Ritter um, besieht sich
ihn und sagt: "Sie sind ja ein schnurriger Kerl; wie heißen Sie?" -- "Zeisig."
^ "Was wollen Sie?" -- "Ich mochte Sie bitten, mir mein im nächsten



5) Kuren heißen die Domherreuhttuser, die die Domstrnße bilde", Zwischen den beiden
Sälen liegt ein Zimmer, in dem Ritter sein Billard stehen hatte. Wenn man von der Ziegel -
bastion (jetzt Hvlteihöhe) zur Dominsel hiunbersieht, so hat man die Kurier der Südseite der
Domstrciße mit ihren Gärten voe sich. Die ehemals Nittersche steht links vom sürstbischöflichen
Palais; man erkennt sie leicht an den sieben Bogenfenstern: je drei Saalfenster und in der
Mitte sj" einzelnes.
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Nuf, war ein ebensolcher richtiger alter Deutscher wie Ritter und hatte einen
Sohn, der ihm nachschlug. Dieser Sohn ließ sich als Arzt in Landes-
hnt nieder, und da wurde folgendes Geschichtchen von ihm erzählt. Graf Stol¬
berg auf Kreppelhof hatte in der Nähe der Stadt ein Krankenhaus gestiftet
und dem Kreisphhsikns Benedikt die ärztliche Leitung übergeben. Bei einem
königlichen Besuche der Anstalt machte der Arzt selbstverständlich den Führer
und bekam dann ebenso selbstverständlich einen Orden geschickt. Er aber schickte
ihn zurück mit der Bemerkung, da sein Vater, dessen Verdienste weltbekannt
seien, noch keinen Orden habe, könne er unmöglich eiuen annehmen bloß dafür,
daß er einmal mit einer hohen Person in Berührung gekommen sei. Gerade
an Ritter konnte man sehen, wie in solchen Sachen das Höfische entscheidet,
denn da er sich im Jahre 1848 im Sinne der Regierungspartei um den Staat
verdient gemacht hat, so hätte die Staatsräson gefordert, seine Grobheit zu
vergessen und ihn auszuzeichnen. Wie es sich bei einer solchen Natur von
selbst versteht, war er vom Demagogen ebenso weit entfernt wie vom Höfling.
„Im Jahre 1848, sagte er uns einmal, habe ich mit andern Ehrenmännern
zusammen die Ehre gehabt, ans dem Ringe in elügie verbrannt zu werden."
Unter anderm hatte er in diesem Sturmjahre antirevolutionäre Vorträge für
ein gemischtes Publikum gehalten. Da er sich aber in die Stadt, wo die
Universität liegt, nicht hineinwagen durste, so ließ er die beiden Säle, die im
Oberstock seiner Kurie") hinten hinaus liegen, mit Bänken versehen und zu
Hörsälen einrichten. Nach dieser Zeit zog er sich mehr und mehr sowohl von
den politischen wie von den Divzesanangelegenheiten zurück und widmete sich
ausschließlich der Universität und dem Konvikt, dessen wohnliche Ausstattung
und gute Verwaltung ihm sehr am Herzen lag. Ins Kolleg ging er Sommer
und Winter im Frack, gemächlich einherschlürfend, den Hut gewöhnlich in der
linken Hand, und mit der rechten hie und da für einen Bettler oder ein Kind
ans der Hosentasche einen Groschen hervorlaugend. Deu Studenten erwies er
sich als Vater. Auch darüber gingen mancherlei Anekdote» um. Ein Student
tritt in sein Arbeitszimmer und bleibt an der Thür stehen, während Ritter
an seinem Tische schreibt. Nach einer Weile spricht dieser, immer fortschreitend:
„Ich hör ja nichts!" Darauf der Student, ein phlegmatischer Bauerjunge:
„Ich hob ja ooch noch nischt gesoagt." Da dreht sich Ritter um, besieht sich
ihn und sagt: „Sie sind ja ein schnurriger Kerl; wie heißen Sie?" — „Zeisig."
^ „Was wollen Sie?" — „Ich mochte Sie bitten, mir mein im nächsten



5) Kuren heißen die Domherreuhttuser, die die Domstrnße bilde», Zwischen den beiden
Sälen liegt ein Zimmer, in dem Ritter sein Billard stehen hatte. Wenn man von der Ziegel -
bastion (jetzt Hvlteihöhe) zur Dominsel hiunbersieht, so hat man die Kurier der Südseite der
Domstrciße mit ihren Gärten voe sich. Die ehemals Nittersche steht links vom sürstbischöflichen
Palais; man erkennt sie leicht an den sieben Bogenfenstern: je drei Saalfenster und in der
Mitte sj» einzelnes.
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[0087] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Nuf, war ein ebensolcher richtiger alter Deutscher wie Ritter und hatte einen Sohn, der ihm nachschlug. Dieser Sohn ließ sich als Arzt in Landes- hnt nieder, und da wurde folgendes Geschichtchen von ihm erzählt. Graf Stol¬ berg auf Kreppelhof hatte in der Nähe der Stadt ein Krankenhaus gestiftet und dem Kreisphhsikns Benedikt die ärztliche Leitung übergeben. Bei einem königlichen Besuche der Anstalt machte der Arzt selbstverständlich den Führer und bekam dann ebenso selbstverständlich einen Orden geschickt. Er aber schickte ihn zurück mit der Bemerkung, da sein Vater, dessen Verdienste weltbekannt seien, noch keinen Orden habe, könne er unmöglich eiuen annehmen bloß dafür, daß er einmal mit einer hohen Person in Berührung gekommen sei. Gerade an Ritter konnte man sehen, wie in solchen Sachen das Höfische entscheidet, denn da er sich im Jahre 1848 im Sinne der Regierungspartei um den Staat verdient gemacht hat, so hätte die Staatsräson gefordert, seine Grobheit zu vergessen und ihn auszuzeichnen. Wie es sich bei einer solchen Natur von selbst versteht, war er vom Demagogen ebenso weit entfernt wie vom Höfling. „Im Jahre 1848, sagte er uns einmal, habe ich mit andern Ehrenmännern zusammen die Ehre gehabt, ans dem Ringe in elügie verbrannt zu werden." Unter anderm hatte er in diesem Sturmjahre antirevolutionäre Vorträge für ein gemischtes Publikum gehalten. Da er sich aber in die Stadt, wo die Universität liegt, nicht hineinwagen durste, so ließ er die beiden Säle, die im Oberstock seiner Kurie") hinten hinaus liegen, mit Bänken versehen und zu Hörsälen einrichten. Nach dieser Zeit zog er sich mehr und mehr sowohl von den politischen wie von den Divzesanangelegenheiten zurück und widmete sich ausschließlich der Universität und dem Konvikt, dessen wohnliche Ausstattung und gute Verwaltung ihm sehr am Herzen lag. Ins Kolleg ging er Sommer und Winter im Frack, gemächlich einherschlürfend, den Hut gewöhnlich in der linken Hand, und mit der rechten hie und da für einen Bettler oder ein Kind ans der Hosentasche einen Groschen hervorlaugend. Deu Studenten erwies er sich als Vater. Auch darüber gingen mancherlei Anekdote» um. Ein Student tritt in sein Arbeitszimmer und bleibt an der Thür stehen, während Ritter an seinem Tische schreibt. Nach einer Weile spricht dieser, immer fortschreitend: „Ich hör ja nichts!" Darauf der Student, ein phlegmatischer Bauerjunge: „Ich hob ja ooch noch nischt gesoagt." Da dreht sich Ritter um, besieht sich ihn und sagt: „Sie sind ja ein schnurriger Kerl; wie heißen Sie?" — „Zeisig." ^ „Was wollen Sie?" — „Ich mochte Sie bitten, mir mein im nächsten 5) Kuren heißen die Domherreuhttuser, die die Domstrnße bilde», Zwischen den beiden Sälen liegt ein Zimmer, in dem Ritter sein Billard stehen hatte. Wenn man von der Ziegel - bastion (jetzt Hvlteihöhe) zur Dominsel hiunbersieht, so hat man die Kurier der Südseite der Domstrciße mit ihren Gärten voe sich. Die ehemals Nittersche steht links vom sürstbischöflichen Palais; man erkennt sie leicht an den sieben Bogenfenstern: je drei Saalfenster und in der Mitte sj» einzelnes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/87>, abgerufen am 23.07.2024.