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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Konvikts war. Ritter hat in der Rückkatholisirung des um Anfange unsers
Jahrhunderts rationalistischen schlesischen Klerus eine hervorragende Rolle ge¬
spielt; nicht durch Arbeit an der Umwandlung der Gesinnungen, sondern durch
Schaffung der äußern Bedingungen einer solchen. In dem kurzen Abriß, den
ich von dieser Thätigkeit zu geben versuchen will, muß ich mich auf mein Ge¬
dächtnis verlassen, weil ich die Denkschrift, die Movers über den Zustand der
katholischen theologischen Fakultät verfaßt hat, nicht zur Hand habe, und von
andern Quellen nur weniges.

Diese Fakultät bestand in den zwanziger Jahren zeitweilig aus zwei bis
drei ordentlichen Professoren, vou denen einer der rationalistische Exeget Dereser
war. Die preußische Regierung zeigte den besten Willen, sie zu vervollstän¬
digen, und bemühte sich u. a. zweimal, 1828 und 1832, Adam Möhler, den
berühmten Verfasser der Symbolik, zu gewinnen -- man denke! nicht etwa
unter Friedrich Wilhelm IV., sondern nnter dessen Vater, den später die
Katholiken Preußens als ihren ärgsten Feind betrachten gelernt haben --, aber
diese Bemühungen scheiterten an dem Widerstande der Fakultät selbst, die er¬
klärte, mau brauche keine Ergänzung; jeder der Herren besorge mehrere Fächer,
und die übrigen könnten bei den evangelischen Kollegen gehört werden, die
ihre Sache ganz vortrefflich machten. Der Tod riß aber in diese kleine Phalanx
Lücken, die unbedingt ausgefüllt werden mußten. Ritter kam hin, und dieser
ruhte nicht, bis die Fakultät vollständig war; zwei der berufnen, Movers und
Baltzer, waren sehr bedeutende Männer. Ritter war zugleich Kanonikus und
stieg zur Würde des Domdechanteu empor. Als solcher hat er auch die Inter¬
essen der ganzen Diözese sehr energisch vertreten. Er war ein- oder zweimal
Bistumsverweser, und die Negierung wollte ihn nicht anerkennen -- ich glaube
es war noch in der Zeit des Streites über die gemischten Ehen. Über seine
Haltung im Konflikt wußte mau allerlei Anekdoten zu erzählen. Der Ober¬
präsident sei einmal bei ihm vorgefahren und habe den Pförtner gefragt: "Ist
der Herr Kanonikus zu Hause?" Ritter, in Hemdsärmeln zum Fenster heraus¬
sehend, habe gerufen: "Der Kanonikus ist nicht zu sprechen, aber der Bis¬
tumsverweser." Und dem Könige, der ihm bei einem Besuche in Breslau
gesagt habe: "Sie sehen ja recht wohl aus," soll er geantwortet haben: "Ihre
Schuld ist das nicht, Majestät." Ich kann mir ihn recht gut vorstellen, den
großen breiten Mann, wie er, mit seinen säulenartig steifen und weit aus-
einaudergespreizteu Beinen auf den mächtigen Füßen nachlässig dastehend, in
seiner olympischen Ruhe, aus der ihn der Weltuntergang nicht zu bringen
vermocht Hütte, mit seinem ganzen breiten Gesichte lächelnd und mit den klugen
Äuglein blinzelnd, die Höflinge dnrch sein geflügeltes Wort erschreckt haben
wird. Er konnte denn auch noch weit später zu uns einmal im Kolleg sagen:
"Ich und der Kollege Benedikt, wir sind die einzigen ordentlichen Professoren
an der Universität, die keinen Orden haben." Benedikt, ein Augenarzt vou


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Konvikts war. Ritter hat in der Rückkatholisirung des um Anfange unsers
Jahrhunderts rationalistischen schlesischen Klerus eine hervorragende Rolle ge¬
spielt; nicht durch Arbeit an der Umwandlung der Gesinnungen, sondern durch
Schaffung der äußern Bedingungen einer solchen. In dem kurzen Abriß, den
ich von dieser Thätigkeit zu geben versuchen will, muß ich mich auf mein Ge¬
dächtnis verlassen, weil ich die Denkschrift, die Movers über den Zustand der
katholischen theologischen Fakultät verfaßt hat, nicht zur Hand habe, und von
andern Quellen nur weniges.

Diese Fakultät bestand in den zwanziger Jahren zeitweilig aus zwei bis
drei ordentlichen Professoren, vou denen einer der rationalistische Exeget Dereser
war. Die preußische Regierung zeigte den besten Willen, sie zu vervollstän¬
digen, und bemühte sich u. a. zweimal, 1828 und 1832, Adam Möhler, den
berühmten Verfasser der Symbolik, zu gewinnen — man denke! nicht etwa
unter Friedrich Wilhelm IV., sondern nnter dessen Vater, den später die
Katholiken Preußens als ihren ärgsten Feind betrachten gelernt haben —, aber
diese Bemühungen scheiterten an dem Widerstande der Fakultät selbst, die er¬
klärte, mau brauche keine Ergänzung; jeder der Herren besorge mehrere Fächer,
und die übrigen könnten bei den evangelischen Kollegen gehört werden, die
ihre Sache ganz vortrefflich machten. Der Tod riß aber in diese kleine Phalanx
Lücken, die unbedingt ausgefüllt werden mußten. Ritter kam hin, und dieser
ruhte nicht, bis die Fakultät vollständig war; zwei der berufnen, Movers und
Baltzer, waren sehr bedeutende Männer. Ritter war zugleich Kanonikus und
stieg zur Würde des Domdechanteu empor. Als solcher hat er auch die Inter¬
essen der ganzen Diözese sehr energisch vertreten. Er war ein- oder zweimal
Bistumsverweser, und die Negierung wollte ihn nicht anerkennen — ich glaube
es war noch in der Zeit des Streites über die gemischten Ehen. Über seine
Haltung im Konflikt wußte mau allerlei Anekdoten zu erzählen. Der Ober¬
präsident sei einmal bei ihm vorgefahren und habe den Pförtner gefragt: „Ist
der Herr Kanonikus zu Hause?" Ritter, in Hemdsärmeln zum Fenster heraus¬
sehend, habe gerufen: „Der Kanonikus ist nicht zu sprechen, aber der Bis¬
tumsverweser." Und dem Könige, der ihm bei einem Besuche in Breslau
gesagt habe: „Sie sehen ja recht wohl aus," soll er geantwortet haben: „Ihre
Schuld ist das nicht, Majestät." Ich kann mir ihn recht gut vorstellen, den
großen breiten Mann, wie er, mit seinen säulenartig steifen und weit aus-
einaudergespreizteu Beinen auf den mächtigen Füßen nachlässig dastehend, in
seiner olympischen Ruhe, aus der ihn der Weltuntergang nicht zu bringen
vermocht Hütte, mit seinem ganzen breiten Gesichte lächelnd und mit den klugen
Äuglein blinzelnd, die Höflinge dnrch sein geflügeltes Wort erschreckt haben
wird. Er konnte denn auch noch weit später zu uns einmal im Kolleg sagen:
„Ich und der Kollege Benedikt, wir sind die einzigen ordentlichen Professoren
an der Universität, die keinen Orden haben." Benedikt, ein Augenarzt vou


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/86>, abgerufen am 03.07.2024.