Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Zur Geschichte der feinen Sitte doch ganz bestimmt im allgemeinen niemals, wenn man nicht hergezogne Lands¬ Doch wir wollei, das und die Kleiderordnung beiseite lassen und uns die Zur Geschichte der feinen Sitte doch ganz bestimmt im allgemeinen niemals, wenn man nicht hergezogne Lands¬ Doch wir wollei, das und die Kleiderordnung beiseite lassen und uns die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0635" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219639"/> <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der feinen Sitte</fw><lb/> <p xml:id="ID_1974" prev="#ID_1973"> doch ganz bestimmt im allgemeinen niemals, wenn man nicht hergezogne Lands¬<lb/> knechte unbilligerweife an den feinern Menschen der seßhaften Stadtbevölkerung<lb/> messen will. Wer aber diesen Dingen nachgeht, wird finden, daß England<lb/> und weiter wahrscheinlich der Hof der Stuarts Prioritätsansprüche hat. Im<lb/> achtzehnten Jahrhundert brachte man dann englische Hans- und Toiletten-<lb/> einrichtungcn und äußere Lebensweise, manchmal bis zu den komischsten Einzel¬<lb/> heiten hinunter, nach Frankreich. Südenropa hat ans dieser Quelle am<lb/> wenigsten bekommen. Und es ist das auch gar nicht so merkwürdig. Denn<lb/> das, worauf die italienische Renaissance den höchsten Wert legt, vollkommner,<lb/> schöner Schein in äußerlichen und geistigen Dingen, kann sich gewiß ohne<lb/> große Reinlichkeit entfalten. Ja es wird vielleicht durch eine zu ernstliche<lb/> Nebenrichtung auf Hygiene und Appetitlichkeit sogar noch gefährdet werden.<lb/> Wir kennen aus der italienischen Kunst die kostbaren, in den Stoffen über¬<lb/> reichlich geschnittenen Kleidungsstücke und wissen, daß man sich noch im An¬<lb/> fang des sechzehnten Jahrhunderts — die Männer eingeschlossen — nach<lb/> seinem eignen Geschmacke trug. Der einzelne war also oft in seiner ganzen<lb/> äußern Erscheinung ein Künstler. Man wird nicht behaupten wollen, daß<lb/> dazu die Reinlichkeit des Nordländers gestimmt hätte. Ebenso, fürchte ich,<lb/> ist es vereinzelt und völlig theoretisch, daß im Galateo der widerliche Gebrauch<lb/> von Wohlgerüchen den Herren untersagt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1975" next="#ID_1976"> Doch wir wollei, das und die Kleiderordnung beiseite lassen und uns die<lb/> geistige Haltung des Menschen ansehen. Wenn in den Asolani Caterina Cornaro<lb/> in den Kreis der Unterhaltenden eintritt, um an den Gesprächen teilzunehmen,<lb/> so huldigt man ihr, der „Frau Königin von Cypern," wie sie Bembo dann<lb/> jedesmal nennt, mit ehrerbietigem Zeremoniell, und in Urbino ist die Herzogin<lb/> die Beherrscherin anch des geistigen Kreises der Männer. In ihren Gemächern<lb/> ist die Gesellschaft nach dem Abendessen bis in die späte Nacht versammelt.<lb/> Auffallend ist, daß die Damen in Asolo die jungen Herren mit „du" anreden,<lb/> diese aber doch „Madonna" und „Ihr" sagen. Daß die Anwesenheit der<lb/> Frauen nicht durchaus dazu führt, die Gespräche von Anstößigen fernzuhalten,<lb/> ist oft bemerkt worden, und das war jn später in England und Frankreich<lb/> oder wo sonst die Frauen Einfluß auf die Unterhaltung hatten, nicht anders.<lb/> Wohl aber tritt aufs kräftigste, z. B. im Cortegiano, der Protest gegen<lb/> Münnerthemnta, Fachgespräche und wissenschaftliche Zänkereien hervor, wenn<lb/> nicht die Form der Gespräche den Frauen den Anteil an solcher Unterhaltung<lb/> vffenhält, und an diesem Punkte beginnt der weitgehende Einfluß der Frauen<lb/> auf die geistige Kultur. Diesen höhern und doch eine tiefere Empfindung<lb/> ansprechenden Ausdruck hat zwar ein früheres Zeitalter auch ohne die Frauen<lb/> gefunden, wenn die Sprache der Dialoge Platos ein Abbild der feinern<lb/> athenischen Geselligkeit ist. Aber nachdem einmal die einfache Form für die<lb/> ans das Bessere und Edlere im Leben gerichtete Beobachtung (beiläufig gesagt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0635]
Zur Geschichte der feinen Sitte
doch ganz bestimmt im allgemeinen niemals, wenn man nicht hergezogne Lands¬
knechte unbilligerweife an den feinern Menschen der seßhaften Stadtbevölkerung
messen will. Wer aber diesen Dingen nachgeht, wird finden, daß England
und weiter wahrscheinlich der Hof der Stuarts Prioritätsansprüche hat. Im
achtzehnten Jahrhundert brachte man dann englische Hans- und Toiletten-
einrichtungcn und äußere Lebensweise, manchmal bis zu den komischsten Einzel¬
heiten hinunter, nach Frankreich. Südenropa hat ans dieser Quelle am
wenigsten bekommen. Und es ist das auch gar nicht so merkwürdig. Denn
das, worauf die italienische Renaissance den höchsten Wert legt, vollkommner,
schöner Schein in äußerlichen und geistigen Dingen, kann sich gewiß ohne
große Reinlichkeit entfalten. Ja es wird vielleicht durch eine zu ernstliche
Nebenrichtung auf Hygiene und Appetitlichkeit sogar noch gefährdet werden.
Wir kennen aus der italienischen Kunst die kostbaren, in den Stoffen über¬
reichlich geschnittenen Kleidungsstücke und wissen, daß man sich noch im An¬
fang des sechzehnten Jahrhunderts — die Männer eingeschlossen — nach
seinem eignen Geschmacke trug. Der einzelne war also oft in seiner ganzen
äußern Erscheinung ein Künstler. Man wird nicht behaupten wollen, daß
dazu die Reinlichkeit des Nordländers gestimmt hätte. Ebenso, fürchte ich,
ist es vereinzelt und völlig theoretisch, daß im Galateo der widerliche Gebrauch
von Wohlgerüchen den Herren untersagt wird.
Doch wir wollei, das und die Kleiderordnung beiseite lassen und uns die
geistige Haltung des Menschen ansehen. Wenn in den Asolani Caterina Cornaro
in den Kreis der Unterhaltenden eintritt, um an den Gesprächen teilzunehmen,
so huldigt man ihr, der „Frau Königin von Cypern," wie sie Bembo dann
jedesmal nennt, mit ehrerbietigem Zeremoniell, und in Urbino ist die Herzogin
die Beherrscherin anch des geistigen Kreises der Männer. In ihren Gemächern
ist die Gesellschaft nach dem Abendessen bis in die späte Nacht versammelt.
Auffallend ist, daß die Damen in Asolo die jungen Herren mit „du" anreden,
diese aber doch „Madonna" und „Ihr" sagen. Daß die Anwesenheit der
Frauen nicht durchaus dazu führt, die Gespräche von Anstößigen fernzuhalten,
ist oft bemerkt worden, und das war jn später in England und Frankreich
oder wo sonst die Frauen Einfluß auf die Unterhaltung hatten, nicht anders.
Wohl aber tritt aufs kräftigste, z. B. im Cortegiano, der Protest gegen
Münnerthemnta, Fachgespräche und wissenschaftliche Zänkereien hervor, wenn
nicht die Form der Gespräche den Frauen den Anteil an solcher Unterhaltung
vffenhält, und an diesem Punkte beginnt der weitgehende Einfluß der Frauen
auf die geistige Kultur. Diesen höhern und doch eine tiefere Empfindung
ansprechenden Ausdruck hat zwar ein früheres Zeitalter auch ohne die Frauen
gefunden, wenn die Sprache der Dialoge Platos ein Abbild der feinern
athenischen Geselligkeit ist. Aber nachdem einmal die einfache Form für die
ans das Bessere und Edlere im Leben gerichtete Beobachtung (beiläufig gesagt,
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