Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der feinen Sitte

nicht auch beim Essen sich edel zeigt, und bittet Euch, dem Mangel abzuhelfen."
Der Graf errötete, aber schnell gefaßt sagte er: "Danke Euerm Herrn und
sagt ihm, wenn alle Menschen solche Gastgeschenke gäben, so würde die Welt
reicher sein." Die Kunst dieses Zeitalters hat bekanntlich zahlreiche schöne
Eßbestecke, sogar in Silber und Gold, hinterlassen. Aber was den Haus¬
gebrauch selbst der feinern Kreise betrifft, so lernen wir genug aus einer An¬
weisung des Galateo: daß der Gast im fremden Hause sich unmittelbar vor
dem Essen recht sichtbar die Hände waschen soll, damit es vor allem der
Tischnachbar bemerkt, der "mit in dieselbe Schüssel taucht."

Wenn ferner bei uns jemand im geschlossenen Raum und in Gesellschaft
andrer ohne dringende Not ausspuckt, so gilt er unerbittlich als Flegel. Daß
man in dieser Hinsicht in Italien auch in feinen Kreisen anders denkt, wird
manchem unter uns bekannt sein. Daß es aber auch vor drei Jahrhunderten
ebenso war, beweist Monsignor della Casa, der schon zufrieden ist, wenn die
Unsitte zeitlich begrenzt und namentlich bei Tische "möglichst" das Ausspucken
vermieden wird. Sodann werfen wohl die homerischen Helden beim Mahle
ihren Hunden die Knochen zum Abnagen nnter den Tisch. Aber die entwickelte
ätherische Gesellschaft stellen wir uns mit Grund etwas feiner vor. Das Mittel-
alter fiel wieder zurück, und die Italiener haben es darin vielleicht nicht viel
weiter gebracht, wenn man nach dem Auftreten eines sizilischen Gesandten am
Hofe des Dass von Tunis -- allerdings vor der Zeit der eigentlich soge¬
nannten Renaissance -- schließen darf. Der Dey bemerkte jene Unart bei
Tafel an dem Italiener, ließ durch einen Höfling die Knochen von den Tellern
sämtlicher Anwesenven ihm unvermerkt unter den Stuhl schütten und fragte
ihn, nachdem die Tafel aufgehoben war, sarkastisch, ob da ein Hund gespeist
hätte. Der Gesandte war aber einer von jenen redegewandten Männern und
schlagfertig genng, dem Sultan zu antworten (wenn er uicht die Antwort nach¬
träglich erfunden hat): "Vielleicht habe ich mit Wölfen gegessen, die ihre
Knochen selbst abnagen; bei uns thun das die Hunde." Immerhin bleibt es
dabei, daß die Ansprüche der Muselmänner weitergingen als die des könig¬
lichen Hofes von Palermo.

Aber die Kultur, soweit sie mit Seife und Appetitlichkeit zusammenhängt,
worin noch jetzt jeder nördliche Landstrich jedem südlicher gelegnen durch¬
schnittlich etwas überlegen erscheint, ist auch nicht vom Süden gekommen,
sondern umgekehrt vom Norden, und sie ist, wie Italien und Südfrankreich
noch heute zeigen können, nicht sehr tief hinuntergegangen. In Italien mögen
sich einige bevorzugte Menschen, die im Zeitalter der Renaissance in ihrem
ganzen Gehaben mit Ausführlichkeit geschildert werden, noch soviel auf ihre
Reinlichkeit zu gute gethan haben -- war doch das Baden, Salben und
Striegeln antik --, die italienische Litteratur mag die Deutschen auch in dieser
Hinsicht bisweilen verspotten: weniger reinlich als die Italiener waren diese


Zur Geschichte der feinen Sitte

nicht auch beim Essen sich edel zeigt, und bittet Euch, dem Mangel abzuhelfen."
Der Graf errötete, aber schnell gefaßt sagte er: „Danke Euerm Herrn und
sagt ihm, wenn alle Menschen solche Gastgeschenke gäben, so würde die Welt
reicher sein." Die Kunst dieses Zeitalters hat bekanntlich zahlreiche schöne
Eßbestecke, sogar in Silber und Gold, hinterlassen. Aber was den Haus¬
gebrauch selbst der feinern Kreise betrifft, so lernen wir genug aus einer An¬
weisung des Galateo: daß der Gast im fremden Hause sich unmittelbar vor
dem Essen recht sichtbar die Hände waschen soll, damit es vor allem der
Tischnachbar bemerkt, der „mit in dieselbe Schüssel taucht."

Wenn ferner bei uns jemand im geschlossenen Raum und in Gesellschaft
andrer ohne dringende Not ausspuckt, so gilt er unerbittlich als Flegel. Daß
man in dieser Hinsicht in Italien auch in feinen Kreisen anders denkt, wird
manchem unter uns bekannt sein. Daß es aber auch vor drei Jahrhunderten
ebenso war, beweist Monsignor della Casa, der schon zufrieden ist, wenn die
Unsitte zeitlich begrenzt und namentlich bei Tische „möglichst" das Ausspucken
vermieden wird. Sodann werfen wohl die homerischen Helden beim Mahle
ihren Hunden die Knochen zum Abnagen nnter den Tisch. Aber die entwickelte
ätherische Gesellschaft stellen wir uns mit Grund etwas feiner vor. Das Mittel-
alter fiel wieder zurück, und die Italiener haben es darin vielleicht nicht viel
weiter gebracht, wenn man nach dem Auftreten eines sizilischen Gesandten am
Hofe des Dass von Tunis — allerdings vor der Zeit der eigentlich soge¬
nannten Renaissance — schließen darf. Der Dey bemerkte jene Unart bei
Tafel an dem Italiener, ließ durch einen Höfling die Knochen von den Tellern
sämtlicher Anwesenven ihm unvermerkt unter den Stuhl schütten und fragte
ihn, nachdem die Tafel aufgehoben war, sarkastisch, ob da ein Hund gespeist
hätte. Der Gesandte war aber einer von jenen redegewandten Männern und
schlagfertig genng, dem Sultan zu antworten (wenn er uicht die Antwort nach¬
träglich erfunden hat): „Vielleicht habe ich mit Wölfen gegessen, die ihre
Knochen selbst abnagen; bei uns thun das die Hunde." Immerhin bleibt es
dabei, daß die Ansprüche der Muselmänner weitergingen als die des könig¬
lichen Hofes von Palermo.

Aber die Kultur, soweit sie mit Seife und Appetitlichkeit zusammenhängt,
worin noch jetzt jeder nördliche Landstrich jedem südlicher gelegnen durch¬
schnittlich etwas überlegen erscheint, ist auch nicht vom Süden gekommen,
sondern umgekehrt vom Norden, und sie ist, wie Italien und Südfrankreich
noch heute zeigen können, nicht sehr tief hinuntergegangen. In Italien mögen
sich einige bevorzugte Menschen, die im Zeitalter der Renaissance in ihrem
ganzen Gehaben mit Ausführlichkeit geschildert werden, noch soviel auf ihre
Reinlichkeit zu gute gethan haben — war doch das Baden, Salben und
Striegeln antik —, die italienische Litteratur mag die Deutschen auch in dieser
Hinsicht bisweilen verspotten: weniger reinlich als die Italiener waren diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0634" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219638"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der feinen Sitte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1971" prev="#ID_1970"> nicht auch beim Essen sich edel zeigt, und bittet Euch, dem Mangel abzuhelfen."<lb/>
Der Graf errötete, aber schnell gefaßt sagte er: &#x201E;Danke Euerm Herrn und<lb/>
sagt ihm, wenn alle Menschen solche Gastgeschenke gäben, so würde die Welt<lb/>
reicher sein." Die Kunst dieses Zeitalters hat bekanntlich zahlreiche schöne<lb/>
Eßbestecke, sogar in Silber und Gold, hinterlassen. Aber was den Haus¬<lb/>
gebrauch selbst der feinern Kreise betrifft, so lernen wir genug aus einer An¬<lb/>
weisung des Galateo: daß der Gast im fremden Hause sich unmittelbar vor<lb/>
dem Essen recht sichtbar die Hände waschen soll, damit es vor allem der<lb/>
Tischnachbar bemerkt, der &#x201E;mit in dieselbe Schüssel taucht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1972"> Wenn ferner bei uns jemand im geschlossenen Raum und in Gesellschaft<lb/>
andrer ohne dringende Not ausspuckt, so gilt er unerbittlich als Flegel. Daß<lb/>
man in dieser Hinsicht in Italien auch in feinen Kreisen anders denkt, wird<lb/>
manchem unter uns bekannt sein. Daß es aber auch vor drei Jahrhunderten<lb/>
ebenso war, beweist Monsignor della Casa, der schon zufrieden ist, wenn die<lb/>
Unsitte zeitlich begrenzt und namentlich bei Tische &#x201E;möglichst" das Ausspucken<lb/>
vermieden wird. Sodann werfen wohl die homerischen Helden beim Mahle<lb/>
ihren Hunden die Knochen zum Abnagen nnter den Tisch. Aber die entwickelte<lb/>
ätherische Gesellschaft stellen wir uns mit Grund etwas feiner vor. Das Mittel-<lb/>
alter fiel wieder zurück, und die Italiener haben es darin vielleicht nicht viel<lb/>
weiter gebracht, wenn man nach dem Auftreten eines sizilischen Gesandten am<lb/>
Hofe des Dass von Tunis &#x2014; allerdings vor der Zeit der eigentlich soge¬<lb/>
nannten Renaissance &#x2014; schließen darf. Der Dey bemerkte jene Unart bei<lb/>
Tafel an dem Italiener, ließ durch einen Höfling die Knochen von den Tellern<lb/>
sämtlicher Anwesenven ihm unvermerkt unter den Stuhl schütten und fragte<lb/>
ihn, nachdem die Tafel aufgehoben war, sarkastisch, ob da ein Hund gespeist<lb/>
hätte. Der Gesandte war aber einer von jenen redegewandten Männern und<lb/>
schlagfertig genng, dem Sultan zu antworten (wenn er uicht die Antwort nach¬<lb/>
träglich erfunden hat): &#x201E;Vielleicht habe ich mit Wölfen gegessen, die ihre<lb/>
Knochen selbst abnagen; bei uns thun das die Hunde." Immerhin bleibt es<lb/>
dabei, daß die Ansprüche der Muselmänner weitergingen als die des könig¬<lb/>
lichen Hofes von Palermo.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1973" next="#ID_1974"> Aber die Kultur, soweit sie mit Seife und Appetitlichkeit zusammenhängt,<lb/>
worin noch jetzt jeder nördliche Landstrich jedem südlicher gelegnen durch¬<lb/>
schnittlich etwas überlegen erscheint, ist auch nicht vom Süden gekommen,<lb/>
sondern umgekehrt vom Norden, und sie ist, wie Italien und Südfrankreich<lb/>
noch heute zeigen können, nicht sehr tief hinuntergegangen. In Italien mögen<lb/>
sich einige bevorzugte Menschen, die im Zeitalter der Renaissance in ihrem<lb/>
ganzen Gehaben mit Ausführlichkeit geschildert werden, noch soviel auf ihre<lb/>
Reinlichkeit zu gute gethan haben &#x2014; war doch das Baden, Salben und<lb/>
Striegeln antik &#x2014;, die italienische Litteratur mag die Deutschen auch in dieser<lb/>
Hinsicht bisweilen verspotten: weniger reinlich als die Italiener waren diese</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0634] Zur Geschichte der feinen Sitte nicht auch beim Essen sich edel zeigt, und bittet Euch, dem Mangel abzuhelfen." Der Graf errötete, aber schnell gefaßt sagte er: „Danke Euerm Herrn und sagt ihm, wenn alle Menschen solche Gastgeschenke gäben, so würde die Welt reicher sein." Die Kunst dieses Zeitalters hat bekanntlich zahlreiche schöne Eßbestecke, sogar in Silber und Gold, hinterlassen. Aber was den Haus¬ gebrauch selbst der feinern Kreise betrifft, so lernen wir genug aus einer An¬ weisung des Galateo: daß der Gast im fremden Hause sich unmittelbar vor dem Essen recht sichtbar die Hände waschen soll, damit es vor allem der Tischnachbar bemerkt, der „mit in dieselbe Schüssel taucht." Wenn ferner bei uns jemand im geschlossenen Raum und in Gesellschaft andrer ohne dringende Not ausspuckt, so gilt er unerbittlich als Flegel. Daß man in dieser Hinsicht in Italien auch in feinen Kreisen anders denkt, wird manchem unter uns bekannt sein. Daß es aber auch vor drei Jahrhunderten ebenso war, beweist Monsignor della Casa, der schon zufrieden ist, wenn die Unsitte zeitlich begrenzt und namentlich bei Tische „möglichst" das Ausspucken vermieden wird. Sodann werfen wohl die homerischen Helden beim Mahle ihren Hunden die Knochen zum Abnagen nnter den Tisch. Aber die entwickelte ätherische Gesellschaft stellen wir uns mit Grund etwas feiner vor. Das Mittel- alter fiel wieder zurück, und die Italiener haben es darin vielleicht nicht viel weiter gebracht, wenn man nach dem Auftreten eines sizilischen Gesandten am Hofe des Dass von Tunis — allerdings vor der Zeit der eigentlich soge¬ nannten Renaissance — schließen darf. Der Dey bemerkte jene Unart bei Tafel an dem Italiener, ließ durch einen Höfling die Knochen von den Tellern sämtlicher Anwesenven ihm unvermerkt unter den Stuhl schütten und fragte ihn, nachdem die Tafel aufgehoben war, sarkastisch, ob da ein Hund gespeist hätte. Der Gesandte war aber einer von jenen redegewandten Männern und schlagfertig genng, dem Sultan zu antworten (wenn er uicht die Antwort nach¬ träglich erfunden hat): „Vielleicht habe ich mit Wölfen gegessen, die ihre Knochen selbst abnagen; bei uns thun das die Hunde." Immerhin bleibt es dabei, daß die Ansprüche der Muselmänner weitergingen als die des könig¬ lichen Hofes von Palermo. Aber die Kultur, soweit sie mit Seife und Appetitlichkeit zusammenhängt, worin noch jetzt jeder nördliche Landstrich jedem südlicher gelegnen durch¬ schnittlich etwas überlegen erscheint, ist auch nicht vom Süden gekommen, sondern umgekehrt vom Norden, und sie ist, wie Italien und Südfrankreich noch heute zeigen können, nicht sehr tief hinuntergegangen. In Italien mögen sich einige bevorzugte Menschen, die im Zeitalter der Renaissance in ihrem ganzen Gehaben mit Ausführlichkeit geschildert werden, noch soviel auf ihre Reinlichkeit zu gute gethan haben — war doch das Baden, Salben und Striegeln antik —, die italienische Litteratur mag die Deutschen auch in dieser Hinsicht bisweilen verspotten: weniger reinlich als die Italiener waren diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/634
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/634>, abgerufen am 01.07.2024.