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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Das Wandergewerbe

Entwurf will ihn deshalb auch aus der Gewerbeordnung entfernen, das Detail-
reifen dem Hausirer vollständig gleichstellen. Die Reisenden, vielfach junge
Burschen, Lehrlinge, deren Arbeitskraft dem Kaufmann wenig oder nichts
kostet, bedienen sich häufig ähnlicher Mittel und Kunstgriffe wie die Hau-
sirer, das Leben auf der Walze mit seinen Abenteuern hat gewisse Reize, und
so ist auch vom Standpunkte der Sittlichkeit das Detailreiseu anfechtbar. Daß
für gewisse Artikel, die überwiegend auf dem Wege des Detailreiscns Vertrieben
werden, so für einige Erzeugnisse des Buchhandels (Konversationslexika), für
Wein u. s. w. vom Bundesrat Ausnahmebestimmungen erlassen werden müssen,
ist einleuchtend. Andrerseits werden diese Ausnahmen wieder Klagen über Un¬
gerechtigkeit hervorrufen; die Leinwandhändler im Rheinland und in Westfalen
machen bereits gleiche "historische Rechte" auf das Detailreisen geltend, und
manche Cigarrenhändler schließen sich ihnen an. Viele Geschäftsleute fürchten
auch, daß von dem Verbot des Detailreisens nur die Versandtgeschäfte und
Bazare der großen Städte Nutzen ziehen. Sie glauben, daß das Detailreisen
genügend beschränkt werden würde, wenn man es den minderjährigen Per¬
sonen (Lehrlingen) untersagte. Auch wir glauben, daß mit einer der¬
artigen Bestimmung der Unfug des Detailreisens genügend beschränkt werden
würde. Die Unternehmungen, die jetzt ihren Absatz durch Detailreisende suchen,
werden freilich in Zukunft einfach Lohnhausirer in ihren Betrieb einstellen.
Damit wird aber wohl in manchen Fällen der Teufel durch Beelzebub aus-
getrieben und die Folge wird dann wieder nur sein, daß bald eine neue No¬
velle zur Gewerbeordnung die durch die letzte Novelle entstandnen Schäden
heilen und statt der Halbheiten etwas Ganzes schaffen muß.

Der Vertreter des Bundesrath sagt freilich: "Im übrigen sind meine
Taschen leer," und dennoch erwarten die organisirten Handwerker und die an¬
sässigen Handeltreibenden viel weitergehende Zugeständnisse, und zwar in erster
Linie, daß die Erlaubnis zum Hausirbetrieb von der Feststellung der Bedürfnis¬
frage abhängig gemacht werde. Sie verlangen weiter, daß das Lvhnhausirer-
tum unterdrückt werde, da es nur die Interessen der Hausirartikeliudustrie
wahrnehme und im übrigen durchaus kein wirtschaftliches Bedürfnis befriedige.
Bei der ersteren Forderung können sich die seßhaften Gewerbtreibenden auf einen
Antrag des Bundesstaats Baiern berufen. Baiern hatte im November 1892
beim Bundesrat in drei Punkten Änderungen der Neichsgewerbeordnuug be¬
antragt. Erstens sollte bestimmt werden, daß Gewerbtreibende oder Handlungs¬
reisende, die auf Grund des H 44 der Gewerbeordnung ihr Gewerbe ohne
Wandergewerbeschein ausüben, Bestellungen auf Waren nur bei solchen Per¬
sonen suchen dürften, in deren Gewerbebetrieb die angebotenen Waren Ver¬
wendung finden. Eine derartige Vorschrift war, wie wir gesehen haben, auch
in dem neuen Entwurf vorgeschlagen. Sodann sollte der Begriff des Hausir¬
handels auch auf den innerhalb des betreffenden Wohnorts umherziehenden


Das Wandergewerbe

Entwurf will ihn deshalb auch aus der Gewerbeordnung entfernen, das Detail-
reifen dem Hausirer vollständig gleichstellen. Die Reisenden, vielfach junge
Burschen, Lehrlinge, deren Arbeitskraft dem Kaufmann wenig oder nichts
kostet, bedienen sich häufig ähnlicher Mittel und Kunstgriffe wie die Hau-
sirer, das Leben auf der Walze mit seinen Abenteuern hat gewisse Reize, und
so ist auch vom Standpunkte der Sittlichkeit das Detailreiseu anfechtbar. Daß
für gewisse Artikel, die überwiegend auf dem Wege des Detailreiscns Vertrieben
werden, so für einige Erzeugnisse des Buchhandels (Konversationslexika), für
Wein u. s. w. vom Bundesrat Ausnahmebestimmungen erlassen werden müssen,
ist einleuchtend. Andrerseits werden diese Ausnahmen wieder Klagen über Un¬
gerechtigkeit hervorrufen; die Leinwandhändler im Rheinland und in Westfalen
machen bereits gleiche „historische Rechte" auf das Detailreisen geltend, und
manche Cigarrenhändler schließen sich ihnen an. Viele Geschäftsleute fürchten
auch, daß von dem Verbot des Detailreisens nur die Versandtgeschäfte und
Bazare der großen Städte Nutzen ziehen. Sie glauben, daß das Detailreisen
genügend beschränkt werden würde, wenn man es den minderjährigen Per¬
sonen (Lehrlingen) untersagte. Auch wir glauben, daß mit einer der¬
artigen Bestimmung der Unfug des Detailreisens genügend beschränkt werden
würde. Die Unternehmungen, die jetzt ihren Absatz durch Detailreisende suchen,
werden freilich in Zukunft einfach Lohnhausirer in ihren Betrieb einstellen.
Damit wird aber wohl in manchen Fällen der Teufel durch Beelzebub aus-
getrieben und die Folge wird dann wieder nur sein, daß bald eine neue No¬
velle zur Gewerbeordnung die durch die letzte Novelle entstandnen Schäden
heilen und statt der Halbheiten etwas Ganzes schaffen muß.

Der Vertreter des Bundesrath sagt freilich: „Im übrigen sind meine
Taschen leer," und dennoch erwarten die organisirten Handwerker und die an¬
sässigen Handeltreibenden viel weitergehende Zugeständnisse, und zwar in erster
Linie, daß die Erlaubnis zum Hausirbetrieb von der Feststellung der Bedürfnis¬
frage abhängig gemacht werde. Sie verlangen weiter, daß das Lvhnhausirer-
tum unterdrückt werde, da es nur die Interessen der Hausirartikeliudustrie
wahrnehme und im übrigen durchaus kein wirtschaftliches Bedürfnis befriedige.
Bei der ersteren Forderung können sich die seßhaften Gewerbtreibenden auf einen
Antrag des Bundesstaats Baiern berufen. Baiern hatte im November 1892
beim Bundesrat in drei Punkten Änderungen der Neichsgewerbeordnuug be¬
antragt. Erstens sollte bestimmt werden, daß Gewerbtreibende oder Handlungs¬
reisende, die auf Grund des H 44 der Gewerbeordnung ihr Gewerbe ohne
Wandergewerbeschein ausüben, Bestellungen auf Waren nur bei solchen Per¬
sonen suchen dürften, in deren Gewerbebetrieb die angebotenen Waren Ver¬
wendung finden. Eine derartige Vorschrift war, wie wir gesehen haben, auch
in dem neuen Entwurf vorgeschlagen. Sodann sollte der Begriff des Hausir¬
handels auch auf den innerhalb des betreffenden Wohnorts umherziehenden


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[0626] Das Wandergewerbe Entwurf will ihn deshalb auch aus der Gewerbeordnung entfernen, das Detail- reifen dem Hausirer vollständig gleichstellen. Die Reisenden, vielfach junge Burschen, Lehrlinge, deren Arbeitskraft dem Kaufmann wenig oder nichts kostet, bedienen sich häufig ähnlicher Mittel und Kunstgriffe wie die Hau- sirer, das Leben auf der Walze mit seinen Abenteuern hat gewisse Reize, und so ist auch vom Standpunkte der Sittlichkeit das Detailreiseu anfechtbar. Daß für gewisse Artikel, die überwiegend auf dem Wege des Detailreiscns Vertrieben werden, so für einige Erzeugnisse des Buchhandels (Konversationslexika), für Wein u. s. w. vom Bundesrat Ausnahmebestimmungen erlassen werden müssen, ist einleuchtend. Andrerseits werden diese Ausnahmen wieder Klagen über Un¬ gerechtigkeit hervorrufen; die Leinwandhändler im Rheinland und in Westfalen machen bereits gleiche „historische Rechte" auf das Detailreisen geltend, und manche Cigarrenhändler schließen sich ihnen an. Viele Geschäftsleute fürchten auch, daß von dem Verbot des Detailreisens nur die Versandtgeschäfte und Bazare der großen Städte Nutzen ziehen. Sie glauben, daß das Detailreisen genügend beschränkt werden würde, wenn man es den minderjährigen Per¬ sonen (Lehrlingen) untersagte. Auch wir glauben, daß mit einer der¬ artigen Bestimmung der Unfug des Detailreisens genügend beschränkt werden würde. Die Unternehmungen, die jetzt ihren Absatz durch Detailreisende suchen, werden freilich in Zukunft einfach Lohnhausirer in ihren Betrieb einstellen. Damit wird aber wohl in manchen Fällen der Teufel durch Beelzebub aus- getrieben und die Folge wird dann wieder nur sein, daß bald eine neue No¬ velle zur Gewerbeordnung die durch die letzte Novelle entstandnen Schäden heilen und statt der Halbheiten etwas Ganzes schaffen muß. Der Vertreter des Bundesrath sagt freilich: „Im übrigen sind meine Taschen leer," und dennoch erwarten die organisirten Handwerker und die an¬ sässigen Handeltreibenden viel weitergehende Zugeständnisse, und zwar in erster Linie, daß die Erlaubnis zum Hausirbetrieb von der Feststellung der Bedürfnis¬ frage abhängig gemacht werde. Sie verlangen weiter, daß das Lvhnhausirer- tum unterdrückt werde, da es nur die Interessen der Hausirartikeliudustrie wahrnehme und im übrigen durchaus kein wirtschaftliches Bedürfnis befriedige. Bei der ersteren Forderung können sich die seßhaften Gewerbtreibenden auf einen Antrag des Bundesstaats Baiern berufen. Baiern hatte im November 1892 beim Bundesrat in drei Punkten Änderungen der Neichsgewerbeordnuug be¬ antragt. Erstens sollte bestimmt werden, daß Gewerbtreibende oder Handlungs¬ reisende, die auf Grund des H 44 der Gewerbeordnung ihr Gewerbe ohne Wandergewerbeschein ausüben, Bestellungen auf Waren nur bei solchen Per¬ sonen suchen dürften, in deren Gewerbebetrieb die angebotenen Waren Ver¬ wendung finden. Eine derartige Vorschrift war, wie wir gesehen haben, auch in dem neuen Entwurf vorgeschlagen. Sodann sollte der Begriff des Hausir¬ handels auch auf den innerhalb des betreffenden Wohnorts umherziehenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/626>, abgerufen am 23.07.2024.