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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Das Wandergewerbe

auch von selbstgewonnenen oder rohen Erzeugnissen der Landwirtschaft, sowie
von selbstgefertigten Gegenständen des Wochenmarktes zu untersagen. Bisher
sind dahingehende vrtspolizeiliche Verordnungen -vom Gerichte beanstandet
worden; es ist erfreulich, wenn jetzt den Verordnungen die nötigen gesetzlichen
Grundlagen gegeben werden.

Um das Stadthausircn einzuschränken, soll nicht mehr ein Gemeinde¬
beschluß erforderlich sein, damit die höhern Verwaltungsbehörden das Hausirer
von Gemeindemitgliedern innerhalb des Gemeindebezirks von einer besondern
Erlaubnis abhängig machen können. Das Erfordernis einer besondern Er¬
laubnis soll auf einzelne Teile des Gemeindebezirks beschränkt werden können.
Unsers Erachtens sollte dieser Teil des ambulanten Handels nicht anders als
der Hausirhandel von Ort zu Ort behandelt werden, von dem er sich nach
Umfang und Wesen kaum unterscheidet; besonders in größern Gemeinden
fällt die Bekanntschaft mit dem Hausirer oder die Möglichkeit einer Kon¬
trolle vollständig weg. Auf der andern Seite befriedigt die neue Bestim¬
mung anch die Gemeindebehörden, denen damit ein Ttück Selbstverwaltung
genommen werden soll, durchaus nicht. Der Verfasser des Entwurfs scheint
sich darauf zu berufen, daß die Gemeindebehörden von ihrem Rechte, eine
Einschränkung des Stadthausirens den Verwaltungsbehörden anheimzugeben,
äußerst selten Gebrauch gemacht haben, daß sie daher auch nicht allzuviel
bei der Entziehung dieses Rechtes verlieren oder entbehren würden. Doch
haben schon einige größere städtische Gemeinwesen wie Berlin und Frank¬
furt a. M. gegen die Absicht der Regierungen mit Entschiedenheit protestirt;
wie weit hier wirkliche Gemeindeinteressen, wie weit manchesterliche oder frei¬
händlerische Honoratiorenpolitik die Anregung gegeben hat, ist von Unbe¬
teiligten schwer zu entscheiden.

Bei deu Vorschriften über das Detailreisen hat man auf die Bestimmung
des Rcgierungsentwurfs vom Jahre 1883 zurückgegriffen. Der Entwurf
fagt: Das Aufsuchen von Warenbestellungen soll, soweit nicht der Bundesrat
für bestimmte Waren Ausnahmen zuläßt, künftig nur bei Gewerbtreibenden ge¬
schehen, in deren Betriebe Waren der angebotenen Art Verwendung finden.
Das "Hausirer im Frack" hat, wie die angeführten Zahlen beweisen, unnatürlich
zugenommen. Die Kaufleute überschwemmen das Land mit Detailreisenden,
die nicht in Geschäften, sondern bei Privatleuten Kundschaft suchen, und die
hier der Magd im Stalle eine Schürze, dort dem Knechte eine Pfeife, Hosen¬
träger u. s. w. aufschwatzen sollen; im Sinne des Gesetzes sind diese Reisenden
keine Hausirer, da sie nur Muster und Proben mit sich führen dürfen, in der
Praxis wird die Sache aber vielfach so gehandhabt, daß die zugehörigen
Waren in einem Wirtshause in der Nähe sind, und daß etwaige Aufträge
sofort ausgeführt werden können. Ein Unterschied zwischen diesem Geschäfts¬
betrieb und dem Hausirer ist also in der Praxis kaum vorhanden, und der


Das Wandergewerbe

auch von selbstgewonnenen oder rohen Erzeugnissen der Landwirtschaft, sowie
von selbstgefertigten Gegenständen des Wochenmarktes zu untersagen. Bisher
sind dahingehende vrtspolizeiliche Verordnungen -vom Gerichte beanstandet
worden; es ist erfreulich, wenn jetzt den Verordnungen die nötigen gesetzlichen
Grundlagen gegeben werden.

Um das Stadthausircn einzuschränken, soll nicht mehr ein Gemeinde¬
beschluß erforderlich sein, damit die höhern Verwaltungsbehörden das Hausirer
von Gemeindemitgliedern innerhalb des Gemeindebezirks von einer besondern
Erlaubnis abhängig machen können. Das Erfordernis einer besondern Er¬
laubnis soll auf einzelne Teile des Gemeindebezirks beschränkt werden können.
Unsers Erachtens sollte dieser Teil des ambulanten Handels nicht anders als
der Hausirhandel von Ort zu Ort behandelt werden, von dem er sich nach
Umfang und Wesen kaum unterscheidet; besonders in größern Gemeinden
fällt die Bekanntschaft mit dem Hausirer oder die Möglichkeit einer Kon¬
trolle vollständig weg. Auf der andern Seite befriedigt die neue Bestim¬
mung anch die Gemeindebehörden, denen damit ein Ttück Selbstverwaltung
genommen werden soll, durchaus nicht. Der Verfasser des Entwurfs scheint
sich darauf zu berufen, daß die Gemeindebehörden von ihrem Rechte, eine
Einschränkung des Stadthausirens den Verwaltungsbehörden anheimzugeben,
äußerst selten Gebrauch gemacht haben, daß sie daher auch nicht allzuviel
bei der Entziehung dieses Rechtes verlieren oder entbehren würden. Doch
haben schon einige größere städtische Gemeinwesen wie Berlin und Frank¬
furt a. M. gegen die Absicht der Regierungen mit Entschiedenheit protestirt;
wie weit hier wirkliche Gemeindeinteressen, wie weit manchesterliche oder frei¬
händlerische Honoratiorenpolitik die Anregung gegeben hat, ist von Unbe¬
teiligten schwer zu entscheiden.

Bei deu Vorschriften über das Detailreisen hat man auf die Bestimmung
des Rcgierungsentwurfs vom Jahre 1883 zurückgegriffen. Der Entwurf
fagt: Das Aufsuchen von Warenbestellungen soll, soweit nicht der Bundesrat
für bestimmte Waren Ausnahmen zuläßt, künftig nur bei Gewerbtreibenden ge¬
schehen, in deren Betriebe Waren der angebotenen Art Verwendung finden.
Das „Hausirer im Frack" hat, wie die angeführten Zahlen beweisen, unnatürlich
zugenommen. Die Kaufleute überschwemmen das Land mit Detailreisenden,
die nicht in Geschäften, sondern bei Privatleuten Kundschaft suchen, und die
hier der Magd im Stalle eine Schürze, dort dem Knechte eine Pfeife, Hosen¬
träger u. s. w. aufschwatzen sollen; im Sinne des Gesetzes sind diese Reisenden
keine Hausirer, da sie nur Muster und Proben mit sich führen dürfen, in der
Praxis wird die Sache aber vielfach so gehandhabt, daß die zugehörigen
Waren in einem Wirtshause in der Nähe sind, und daß etwaige Aufträge
sofort ausgeführt werden können. Ein Unterschied zwischen diesem Geschäfts¬
betrieb und dem Hausirer ist also in der Praxis kaum vorhanden, und der


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[0625] Das Wandergewerbe auch von selbstgewonnenen oder rohen Erzeugnissen der Landwirtschaft, sowie von selbstgefertigten Gegenständen des Wochenmarktes zu untersagen. Bisher sind dahingehende vrtspolizeiliche Verordnungen -vom Gerichte beanstandet worden; es ist erfreulich, wenn jetzt den Verordnungen die nötigen gesetzlichen Grundlagen gegeben werden. Um das Stadthausircn einzuschränken, soll nicht mehr ein Gemeinde¬ beschluß erforderlich sein, damit die höhern Verwaltungsbehörden das Hausirer von Gemeindemitgliedern innerhalb des Gemeindebezirks von einer besondern Erlaubnis abhängig machen können. Das Erfordernis einer besondern Er¬ laubnis soll auf einzelne Teile des Gemeindebezirks beschränkt werden können. Unsers Erachtens sollte dieser Teil des ambulanten Handels nicht anders als der Hausirhandel von Ort zu Ort behandelt werden, von dem er sich nach Umfang und Wesen kaum unterscheidet; besonders in größern Gemeinden fällt die Bekanntschaft mit dem Hausirer oder die Möglichkeit einer Kon¬ trolle vollständig weg. Auf der andern Seite befriedigt die neue Bestim¬ mung anch die Gemeindebehörden, denen damit ein Ttück Selbstverwaltung genommen werden soll, durchaus nicht. Der Verfasser des Entwurfs scheint sich darauf zu berufen, daß die Gemeindebehörden von ihrem Rechte, eine Einschränkung des Stadthausirens den Verwaltungsbehörden anheimzugeben, äußerst selten Gebrauch gemacht haben, daß sie daher auch nicht allzuviel bei der Entziehung dieses Rechtes verlieren oder entbehren würden. Doch haben schon einige größere städtische Gemeinwesen wie Berlin und Frank¬ furt a. M. gegen die Absicht der Regierungen mit Entschiedenheit protestirt; wie weit hier wirkliche Gemeindeinteressen, wie weit manchesterliche oder frei¬ händlerische Honoratiorenpolitik die Anregung gegeben hat, ist von Unbe¬ teiligten schwer zu entscheiden. Bei deu Vorschriften über das Detailreisen hat man auf die Bestimmung des Rcgierungsentwurfs vom Jahre 1883 zurückgegriffen. Der Entwurf fagt: Das Aufsuchen von Warenbestellungen soll, soweit nicht der Bundesrat für bestimmte Waren Ausnahmen zuläßt, künftig nur bei Gewerbtreibenden ge¬ schehen, in deren Betriebe Waren der angebotenen Art Verwendung finden. Das „Hausirer im Frack" hat, wie die angeführten Zahlen beweisen, unnatürlich zugenommen. Die Kaufleute überschwemmen das Land mit Detailreisenden, die nicht in Geschäften, sondern bei Privatleuten Kundschaft suchen, und die hier der Magd im Stalle eine Schürze, dort dem Knechte eine Pfeife, Hosen¬ träger u. s. w. aufschwatzen sollen; im Sinne des Gesetzes sind diese Reisenden keine Hausirer, da sie nur Muster und Proben mit sich führen dürfen, in der Praxis wird die Sache aber vielfach so gehandhabt, daß die zugehörigen Waren in einem Wirtshause in der Nähe sind, und daß etwaige Aufträge sofort ausgeführt werden können. Ein Unterschied zwischen diesem Geschäfts¬ betrieb und dem Hausirer ist also in der Praxis kaum vorhanden, und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/625>, abgerufen am 23.07.2024.