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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Geschäftsbetrieb ausgedehnt, und drittens der für die Ausstellung des Wander¬
gewerbescheins zuständigen Behörde die Befugnis erteilt werden, die Erlaubnis
zum Hausirhandel zu versagen, wenn kein Bedürfnis in dem betreffenden Bezirk
dafür vorhanden wäre. Ähnliche Vorschläge, in einzelnen Punkten noch über
den bairischen Antrag hinausgehend, enthielten die Antrüge der Klerikalen
Grober, Hitze und Genossen und die Anträge der Konservativen Ackermann
und Genossen.

Für und gegen den Hausirhandel werden nicht selten politische und so¬
ziale Erwägungen ins Feld geführt, und es liegt daher die Gefahr vor,
daß die Bedürfnisfrage nicht immer rein sachlich beantwortet werden wird.
Auch Verwaltungsbeamte sind Menschen, die in und mit der Zeitströmung
leben und äußern Einflüssen zugänglich sind; werden sie denn immer eine
richtige Entscheidung treffen können, wann das Gewerbe, damit es im Sinne
der alten Zunft nicht "übersetzt" werde, zu "schließen" sei? Aber auch für
eine völlig objektiv urteilende Behörde liegen gerade diesem Gewerbebetriebe
gegenüber an allen Ecken und Enden große Schwierigkeiten vor, sobald sie
die Bedürfuisfrage für einen größern Bezirk und für eine bestimmte Zeit be¬
antworten sollen. Das Erwerbsleben liefert sich mit diesen Wünschen mit
Haut und Haar der Büreaukratie aus.

Beachtenswerter siud die übrigen Forderungen des seßhaften Gewerbes:
weitere Beschränkung der zum Wandergewerbe zugelassene" Waren, Verbot des
Frnucnhausirens, Erfordernis des Nachweises, daß der Hausirer ausreichend
für die Ausbildung und für den Unterhalt seiner Angehörigen sorge, Ver-
sagung des Wandergewerbescheins, wenn der Nachsuchende das dreißigste Lebens¬
jahr noch nicht erreicht hat, Beschränkung des Hnusircns für fremde Rechnung;
denn von allen diesen Vorschriften wird das Wandergewerbe, das eine selb¬
ständige volkswirtschaftliche Bedeutung hat. das eine Zuflucht für schwache,
zu andrer Arbeit untaugliche Leute bildet, das Hausirgewerbe des Eichs¬
feldes und andrer armer Gegenden Deutschlands, und das Wandergewerbe,
das die entlegnen, von: sonstigen Zwischenhandel schlechter oder ungenügend
erreichbaren Orte und Wohnstätten mit Bedürfnisartikeln versorgt, nicht berührt.

Daß, wenn diese Forderungen befriedigt werden, uicht mit einem Schlage
für das Handwerk und das stehende Handelsgewerbe alle Not ein Ende haben
wird, ist jedem, der die neuere Gewerbeentwickluug mit offnen Augen verfolgt,
klar. Immerhin ist man dann in den zur Erhaltung eines lebenskräftigen
Mittelstandes notwendigen Reformen ein stück weitergekommen, und wie sich
die ganze politische Lage zu entwickeln scheint, werden dann auch andre, ebenso
dringende Reformen nachfolgen.




Geschäftsbetrieb ausgedehnt, und drittens der für die Ausstellung des Wander¬
gewerbescheins zuständigen Behörde die Befugnis erteilt werden, die Erlaubnis
zum Hausirhandel zu versagen, wenn kein Bedürfnis in dem betreffenden Bezirk
dafür vorhanden wäre. Ähnliche Vorschläge, in einzelnen Punkten noch über
den bairischen Antrag hinausgehend, enthielten die Antrüge der Klerikalen
Grober, Hitze und Genossen und die Anträge der Konservativen Ackermann
und Genossen.

Für und gegen den Hausirhandel werden nicht selten politische und so¬
ziale Erwägungen ins Feld geführt, und es liegt daher die Gefahr vor,
daß die Bedürfnisfrage nicht immer rein sachlich beantwortet werden wird.
Auch Verwaltungsbeamte sind Menschen, die in und mit der Zeitströmung
leben und äußern Einflüssen zugänglich sind; werden sie denn immer eine
richtige Entscheidung treffen können, wann das Gewerbe, damit es im Sinne
der alten Zunft nicht „übersetzt" werde, zu „schließen" sei? Aber auch für
eine völlig objektiv urteilende Behörde liegen gerade diesem Gewerbebetriebe
gegenüber an allen Ecken und Enden große Schwierigkeiten vor, sobald sie
die Bedürfuisfrage für einen größern Bezirk und für eine bestimmte Zeit be¬
antworten sollen. Das Erwerbsleben liefert sich mit diesen Wünschen mit
Haut und Haar der Büreaukratie aus.

Beachtenswerter siud die übrigen Forderungen des seßhaften Gewerbes:
weitere Beschränkung der zum Wandergewerbe zugelassene» Waren, Verbot des
Frnucnhausirens, Erfordernis des Nachweises, daß der Hausirer ausreichend
für die Ausbildung und für den Unterhalt seiner Angehörigen sorge, Ver-
sagung des Wandergewerbescheins, wenn der Nachsuchende das dreißigste Lebens¬
jahr noch nicht erreicht hat, Beschränkung des Hnusircns für fremde Rechnung;
denn von allen diesen Vorschriften wird das Wandergewerbe, das eine selb¬
ständige volkswirtschaftliche Bedeutung hat. das eine Zuflucht für schwache,
zu andrer Arbeit untaugliche Leute bildet, das Hausirgewerbe des Eichs¬
feldes und andrer armer Gegenden Deutschlands, und das Wandergewerbe,
das die entlegnen, von: sonstigen Zwischenhandel schlechter oder ungenügend
erreichbaren Orte und Wohnstätten mit Bedürfnisartikeln versorgt, nicht berührt.

Daß, wenn diese Forderungen befriedigt werden, uicht mit einem Schlage
für das Handwerk und das stehende Handelsgewerbe alle Not ein Ende haben
wird, ist jedem, der die neuere Gewerbeentwickluug mit offnen Augen verfolgt,
klar. Immerhin ist man dann in den zur Erhaltung eines lebenskräftigen
Mittelstandes notwendigen Reformen ein stück weitergekommen, und wie sich
die ganze politische Lage zu entwickeln scheint, werden dann auch andre, ebenso
dringende Reformen nachfolgen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/627>, abgerufen am 23.07.2024.