Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

vie auswärtige Politik auf dem Kontinent oft einen verwirrenden Eindruck.
An Frankreich ist es diesmal fast spurlos vorübergegangen, Deutschland hat
ihm nach seiner Gewohnheit mehr Beachtung geschenkt. Aber eingehend haben
sich nur die englischen Blätter mit dem Gedanken einer Ausgleichung der
englisch-russischen Schwierigkeiten beschäftigt.

Wie sie das thun, ist bezeichnend und lehrreich. Von einem ernsthaften
Angreifen des Problems keine Rede. Für solche Fälle sind die Lx<zoig.l Oorr<z-
sxomlsnw da. Die Kunst, aus dem neuesten Klatsch und den ältesten That¬
sachen mit geschickter Berechnung der Kritiklosigkeit und Vergeßlichkeit des
Publikums eine aufsehenerregende Enthüllung zu brauen, verstehen sie vor¬
trefflich. So ein Vlowitz kennt die Bornirtheit seiner Insulaner in festlän¬
dischen Angelegenheiten, uno demgemäß trägt er ans. Ein einstmals scharf¬
sichtigeres Blatt wie die LÄt,v.rillrf Koviov schreibt: Ur. als Llovvitn ug.s r"zvgÄl<z,I
As M g-spsot ol' t'Q6 18W plur^otsr, als ob dieser Preßjude Hume oder
Gibbon wäre: der Zarewitsch bewunderte zuerst in dem alten Kaiser Wilhelm
das Ideal eines großen Fürsten, bis ihn dessen allzu warmes Lob der Friedens¬
politik Alexanders des Dritten stutzig machte. Später begann er die Fran¬
zosen zu lieben, behielt aber die Warnung seines Vaters vor einem voreiligen
Vertrag mit Frankreich, die in "seinen eignen Worten" gegeben wird, treu im
Gedächtnis. Außerdem ist er aber auch der englischen Litteratur zugethan, und
dazu hat der Prinz von Wales eine Freundschaft mit ihm geschlossen, die als
eine politische That um so lauter gefeiert wird, je weniger Gutes selbst eng¬
lische Stimmen von der Staatsmannschaft des ruhmlos alt, kahl und fett ge-
wordnen Lebemanns zu melden hatten. Wenn bei solchen angeblichen Enthül¬
lungen etwas für die Eigenliebe Englands herauskommt, erscheinen sie immer
doppelt annehmbar. Daß der junge Zar "ein aufrichtiger Bewunderer der eng¬
lischen Einrichtungen" sei, ist eine Phrase von augenfälliger Hohlheit, aber ge¬
rade diese wird wiederholt und von der Masse geglaubt. Schwarz auf weiß liegt
nur seiue Bewunderung der Ungeschicklichkeit der Engländer in der Behandlung
der Volker Asiens vor. Fürst Uchtomskh, der Chronist der Weltreise des
Zarewitsch, hat ihr in dem großen Reisewerk des damaligen Thronfolgers geist¬
volle, Englands Zukunft in Asien verurteilende Worte geliehen. So etwas
liest ein Engländer natürlich nicht, und wenn es einer liest, glaubt er es nicht.

Diese ganze aufgeblühte Geschichte hängt mit der Wirklichkeit nur durch
den vergänglichen Faden der heutigen Lage Koreas zusammen. Hier sind
einmal Nußland und England auf dasselbe Ziel hingewiesen, Japan zurück¬
zuhalten. Und den siegreich vorwärts eilenden Japanern Schrecken einzuflößen,
ist der einzige greifbare Zweck dieser Deklamationen von englisch-russischer
Freundschaft. Gegen Nußland ist ja zum Teil auch der Schlag gerichtet ge¬
wesen, den China mit so unerwarteter Wirkung erhalten hat. Machten doch
die japanischen Staatsmänner kein Hehl aus ihrer Absicht, die koreanische


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

vie auswärtige Politik auf dem Kontinent oft einen verwirrenden Eindruck.
An Frankreich ist es diesmal fast spurlos vorübergegangen, Deutschland hat
ihm nach seiner Gewohnheit mehr Beachtung geschenkt. Aber eingehend haben
sich nur die englischen Blätter mit dem Gedanken einer Ausgleichung der
englisch-russischen Schwierigkeiten beschäftigt.

Wie sie das thun, ist bezeichnend und lehrreich. Von einem ernsthaften
Angreifen des Problems keine Rede. Für solche Fälle sind die Lx<zoig.l Oorr<z-
sxomlsnw da. Die Kunst, aus dem neuesten Klatsch und den ältesten That¬
sachen mit geschickter Berechnung der Kritiklosigkeit und Vergeßlichkeit des
Publikums eine aufsehenerregende Enthüllung zu brauen, verstehen sie vor¬
trefflich. So ein Vlowitz kennt die Bornirtheit seiner Insulaner in festlän¬
dischen Angelegenheiten, uno demgemäß trägt er ans. Ein einstmals scharf¬
sichtigeres Blatt wie die LÄt,v.rillrf Koviov schreibt: Ur. als Llovvitn ug.s r«zvgÄl<z,I
As M g-spsot ol' t'Q6 18W plur^otsr, als ob dieser Preßjude Hume oder
Gibbon wäre: der Zarewitsch bewunderte zuerst in dem alten Kaiser Wilhelm
das Ideal eines großen Fürsten, bis ihn dessen allzu warmes Lob der Friedens¬
politik Alexanders des Dritten stutzig machte. Später begann er die Fran¬
zosen zu lieben, behielt aber die Warnung seines Vaters vor einem voreiligen
Vertrag mit Frankreich, die in „seinen eignen Worten" gegeben wird, treu im
Gedächtnis. Außerdem ist er aber auch der englischen Litteratur zugethan, und
dazu hat der Prinz von Wales eine Freundschaft mit ihm geschlossen, die als
eine politische That um so lauter gefeiert wird, je weniger Gutes selbst eng¬
lische Stimmen von der Staatsmannschaft des ruhmlos alt, kahl und fett ge-
wordnen Lebemanns zu melden hatten. Wenn bei solchen angeblichen Enthül¬
lungen etwas für die Eigenliebe Englands herauskommt, erscheinen sie immer
doppelt annehmbar. Daß der junge Zar „ein aufrichtiger Bewunderer der eng¬
lischen Einrichtungen" sei, ist eine Phrase von augenfälliger Hohlheit, aber ge¬
rade diese wird wiederholt und von der Masse geglaubt. Schwarz auf weiß liegt
nur seiue Bewunderung der Ungeschicklichkeit der Engländer in der Behandlung
der Volker Asiens vor. Fürst Uchtomskh, der Chronist der Weltreise des
Zarewitsch, hat ihr in dem großen Reisewerk des damaligen Thronfolgers geist¬
volle, Englands Zukunft in Asien verurteilende Worte geliehen. So etwas
liest ein Engländer natürlich nicht, und wenn es einer liest, glaubt er es nicht.

Diese ganze aufgeblühte Geschichte hängt mit der Wirklichkeit nur durch
den vergänglichen Faden der heutigen Lage Koreas zusammen. Hier sind
einmal Nußland und England auf dasselbe Ziel hingewiesen, Japan zurück¬
zuhalten. Und den siegreich vorwärts eilenden Japanern Schrecken einzuflößen,
ist der einzige greifbare Zweck dieser Deklamationen von englisch-russischer
Freundschaft. Gegen Nußland ist ja zum Teil auch der Schlag gerichtet ge¬
wesen, den China mit so unerwarteter Wirkung erhalten hat. Machten doch
die japanischen Staatsmänner kein Hehl aus ihrer Absicht, die koreanische


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219061"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_186" prev="#ID_185"> vie auswärtige Politik auf dem Kontinent oft einen verwirrenden Eindruck.<lb/>
An Frankreich ist es diesmal fast spurlos vorübergegangen, Deutschland hat<lb/>
ihm nach seiner Gewohnheit mehr Beachtung geschenkt. Aber eingehend haben<lb/>
sich nur die englischen Blätter mit dem Gedanken einer Ausgleichung der<lb/>
englisch-russischen Schwierigkeiten beschäftigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_187"> Wie sie das thun, ist bezeichnend und lehrreich.  Von einem ernsthaften<lb/>
Angreifen des Problems keine Rede. Für solche Fälle sind die Lx&lt;zoig.l Oorr&lt;z-<lb/>
sxomlsnw da.  Die Kunst, aus dem neuesten Klatsch und den ältesten That¬<lb/>
sachen mit geschickter Berechnung der Kritiklosigkeit und Vergeßlichkeit des<lb/>
Publikums eine aufsehenerregende Enthüllung zu brauen, verstehen sie vor¬<lb/>
trefflich.  So ein Vlowitz kennt die Bornirtheit seiner Insulaner in festlän¬<lb/>
dischen Angelegenheiten, uno demgemäß trägt er ans.  Ein einstmals scharf¬<lb/>
sichtigeres Blatt wie die LÄt,v.rillrf Koviov schreibt: Ur. als Llovvitn ug.s r«zvgÄl&lt;z,I<lb/>
As M g-spsot ol' t'Q6 18W plur^otsr, als ob dieser Preßjude Hume oder<lb/>
Gibbon wäre: der Zarewitsch bewunderte zuerst in dem alten Kaiser Wilhelm<lb/>
das Ideal eines großen Fürsten, bis ihn dessen allzu warmes Lob der Friedens¬<lb/>
politik Alexanders des Dritten stutzig machte.  Später begann er die Fran¬<lb/>
zosen zu lieben, behielt aber die Warnung seines Vaters vor einem voreiligen<lb/>
Vertrag mit Frankreich, die in &#x201E;seinen eignen Worten" gegeben wird, treu im<lb/>
Gedächtnis. Außerdem ist er aber auch der englischen Litteratur zugethan, und<lb/>
dazu hat der Prinz von Wales eine Freundschaft mit ihm geschlossen, die als<lb/>
eine politische That um so lauter gefeiert wird, je weniger Gutes selbst eng¬<lb/>
lische Stimmen von der Staatsmannschaft des ruhmlos alt, kahl und fett ge-<lb/>
wordnen Lebemanns zu melden hatten. Wenn bei solchen angeblichen Enthül¬<lb/>
lungen etwas für die Eigenliebe Englands herauskommt, erscheinen sie immer<lb/>
doppelt annehmbar. Daß der junge Zar &#x201E;ein aufrichtiger Bewunderer der eng¬<lb/>
lischen Einrichtungen" sei, ist eine Phrase von augenfälliger Hohlheit, aber ge¬<lb/>
rade diese wird wiederholt und von der Masse geglaubt. Schwarz auf weiß liegt<lb/>
nur seiue Bewunderung der Ungeschicklichkeit der Engländer in der Behandlung<lb/>
der Volker Asiens vor.  Fürst Uchtomskh, der Chronist der Weltreise des<lb/>
Zarewitsch, hat ihr in dem großen Reisewerk des damaligen Thronfolgers geist¬<lb/>
volle, Englands Zukunft in Asien verurteilende Worte geliehen.  So etwas<lb/>
liest ein Engländer natürlich nicht, und wenn es einer liest, glaubt er es nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_188" next="#ID_189"> Diese ganze aufgeblühte Geschichte hängt mit der Wirklichkeit nur durch<lb/>
den vergänglichen Faden der heutigen Lage Koreas zusammen. Hier sind<lb/>
einmal Nußland und England auf dasselbe Ziel hingewiesen, Japan zurück¬<lb/>
zuhalten. Und den siegreich vorwärts eilenden Japanern Schrecken einzuflößen,<lb/>
ist der einzige greifbare Zweck dieser Deklamationen von englisch-russischer<lb/>
Freundschaft. Gegen Nußland ist ja zum Teil auch der Schlag gerichtet ge¬<lb/>
wesen, den China mit so unerwarteter Wirkung erhalten hat. Machten doch<lb/>
die japanischen Staatsmänner kein Hehl aus ihrer Absicht, die koreanische</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik vie auswärtige Politik auf dem Kontinent oft einen verwirrenden Eindruck. An Frankreich ist es diesmal fast spurlos vorübergegangen, Deutschland hat ihm nach seiner Gewohnheit mehr Beachtung geschenkt. Aber eingehend haben sich nur die englischen Blätter mit dem Gedanken einer Ausgleichung der englisch-russischen Schwierigkeiten beschäftigt. Wie sie das thun, ist bezeichnend und lehrreich. Von einem ernsthaften Angreifen des Problems keine Rede. Für solche Fälle sind die Lx<zoig.l Oorr<z- sxomlsnw da. Die Kunst, aus dem neuesten Klatsch und den ältesten That¬ sachen mit geschickter Berechnung der Kritiklosigkeit und Vergeßlichkeit des Publikums eine aufsehenerregende Enthüllung zu brauen, verstehen sie vor¬ trefflich. So ein Vlowitz kennt die Bornirtheit seiner Insulaner in festlän¬ dischen Angelegenheiten, uno demgemäß trägt er ans. Ein einstmals scharf¬ sichtigeres Blatt wie die LÄt,v.rillrf Koviov schreibt: Ur. als Llovvitn ug.s r«zvgÄl<z,I As M g-spsot ol' t'Q6 18W plur^otsr, als ob dieser Preßjude Hume oder Gibbon wäre: der Zarewitsch bewunderte zuerst in dem alten Kaiser Wilhelm das Ideal eines großen Fürsten, bis ihn dessen allzu warmes Lob der Friedens¬ politik Alexanders des Dritten stutzig machte. Später begann er die Fran¬ zosen zu lieben, behielt aber die Warnung seines Vaters vor einem voreiligen Vertrag mit Frankreich, die in „seinen eignen Worten" gegeben wird, treu im Gedächtnis. Außerdem ist er aber auch der englischen Litteratur zugethan, und dazu hat der Prinz von Wales eine Freundschaft mit ihm geschlossen, die als eine politische That um so lauter gefeiert wird, je weniger Gutes selbst eng¬ lische Stimmen von der Staatsmannschaft des ruhmlos alt, kahl und fett ge- wordnen Lebemanns zu melden hatten. Wenn bei solchen angeblichen Enthül¬ lungen etwas für die Eigenliebe Englands herauskommt, erscheinen sie immer doppelt annehmbar. Daß der junge Zar „ein aufrichtiger Bewunderer der eng¬ lischen Einrichtungen" sei, ist eine Phrase von augenfälliger Hohlheit, aber ge¬ rade diese wird wiederholt und von der Masse geglaubt. Schwarz auf weiß liegt nur seiue Bewunderung der Ungeschicklichkeit der Engländer in der Behandlung der Volker Asiens vor. Fürst Uchtomskh, der Chronist der Weltreise des Zarewitsch, hat ihr in dem großen Reisewerk des damaligen Thronfolgers geist¬ volle, Englands Zukunft in Asien verurteilende Worte geliehen. So etwas liest ein Engländer natürlich nicht, und wenn es einer liest, glaubt er es nicht. Diese ganze aufgeblühte Geschichte hängt mit der Wirklichkeit nur durch den vergänglichen Faden der heutigen Lage Koreas zusammen. Hier sind einmal Nußland und England auf dasselbe Ziel hingewiesen, Japan zurück¬ zuhalten. Und den siegreich vorwärts eilenden Japanern Schrecken einzuflößen, ist der einzige greifbare Zweck dieser Deklamationen von englisch-russischer Freundschaft. Gegen Nußland ist ja zum Teil auch der Schlag gerichtet ge¬ wesen, den China mit so unerwarteter Wirkung erhalten hat. Machten doch die japanischen Staatsmänner kein Hehl aus ihrer Absicht, die koreanische

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/59
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/59>, abgerufen am 23.07.2024.