Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Streit der Fakultäten

über immer verworfene Einleitungszeilen, die dann von seltsamen Stricheleien
umrahmt wurden, war er nicht hinausgekommen. Er las die Gedichte der
Annette von Droste-Hülshoff, obwohl sie vielleicht am wenigsten seiner gegen¬
wärtigen Stimmung entgegenkamen. Diese der schönen Bewohnerin von Marien¬
zelle bringen zu können, sann er auf einen Vorwand. Er fand es schicklich,
einen Dankbesuch für die freundliche Aufnahme zu machen, und wählte dazu
diesen Nachmittag, um dem etwas in der Luft lag, was als frühe Anmeldung
des Herbstes gedeutet werden konnte.

Er wurde gut aufgenommen. So wenig Glück er auch sonst im Stift
gehabt hatte, so ließ doch die Stiftsdame seinem Bemühen, sich angenehm zu
machen und höflich zu erweisen, gern Gerechtigkeit widerfahren. Auf Umwegen
brachte er das Gespräch auf sein Thema.

Ach, die Droste! unterbrach ihn die Stiftsdame, wir sind sogar weitläufig
verwandt. Ich habe natürlich einiges von ihr gelesen, aber ich muß aufrichtig
gestehen, sie ist mir unverständlich geblieben. Außerdem sind mir die Be¬
ziehungen zu dem jungeu Schücking doch ein bischen zu extravagant.

Verwandt sind wir? sagte die Nichte mit Lebhaftigkeit, da muß ich ihre
Sachen doch einmal lesen.

Ich habe mir erlaubt, Ihnen die Gedichte mitzubringen, sagte der Pastor.
Ich habe mich diese Tage so in sie vertieft, daß ich den Wunsch hatte, mich
darüber aussprechen zu können.

O, wie nett! Darf ich sie ein paar Tage behalten? Damit fing Fräulein
von Mechtshausen an, in dem kleinen Büchelchen, das ihr der Pastor freudig
überreichte, zu blättern.

Da wurde Dr. Töteberg gemeldet. Mit ansprechender Sicherheit be¬
grüßte er die Damen und wurde dann mit dem jungen Pastor bekannt gemacht.

Darf man wissen, gnädiges Fräulein, begann er, welches glücklichen Schrift¬
stellers unsterbliche Werke Sie da soeben studiren?

Herr Pastor Klages ist so freundlich gewesen, mir die Gedichte der Freiin
von Droste mitzubringen.

Ah, Annette! Da komme ich wohl zu ungünstiger Stunde, um, wie Sie
es wünschten, Ihnen die Kirche zu zeigen? Ich habe mich selbst heute Morgen
an Ort und Stelle gründlich darauf vorbereitet und hoffe, nun bestehen zu
können. Ist das eine interessante Kirche! "

Nicht wahr, sagte die Stiftsdame, ein schönes altes Gotteshaus, voll von
Erinnerungen! Leider kann ich Sie nicht begleiten. Aber Herr Pastor Klages
schließt sich Ihnen gewiß gern an.

Mit dem größten Vergnügen!

Da niemand Miene machte, sofort zur Besichtigung aufzubrechen, blieb man
sitzen, und so wurde aus der kunstgeschichtlichen Betrachtung überhaupt nichts.
Denn nach kurzer Zeit erschien der Rechtsanwalt Vogelsang. Er hatte während


Der Streit der Fakultäten

über immer verworfene Einleitungszeilen, die dann von seltsamen Stricheleien
umrahmt wurden, war er nicht hinausgekommen. Er las die Gedichte der
Annette von Droste-Hülshoff, obwohl sie vielleicht am wenigsten seiner gegen¬
wärtigen Stimmung entgegenkamen. Diese der schönen Bewohnerin von Marien¬
zelle bringen zu können, sann er auf einen Vorwand. Er fand es schicklich,
einen Dankbesuch für die freundliche Aufnahme zu machen, und wählte dazu
diesen Nachmittag, um dem etwas in der Luft lag, was als frühe Anmeldung
des Herbstes gedeutet werden konnte.

Er wurde gut aufgenommen. So wenig Glück er auch sonst im Stift
gehabt hatte, so ließ doch die Stiftsdame seinem Bemühen, sich angenehm zu
machen und höflich zu erweisen, gern Gerechtigkeit widerfahren. Auf Umwegen
brachte er das Gespräch auf sein Thema.

Ach, die Droste! unterbrach ihn die Stiftsdame, wir sind sogar weitläufig
verwandt. Ich habe natürlich einiges von ihr gelesen, aber ich muß aufrichtig
gestehen, sie ist mir unverständlich geblieben. Außerdem sind mir die Be¬
ziehungen zu dem jungeu Schücking doch ein bischen zu extravagant.

Verwandt sind wir? sagte die Nichte mit Lebhaftigkeit, da muß ich ihre
Sachen doch einmal lesen.

Ich habe mir erlaubt, Ihnen die Gedichte mitzubringen, sagte der Pastor.
Ich habe mich diese Tage so in sie vertieft, daß ich den Wunsch hatte, mich
darüber aussprechen zu können.

O, wie nett! Darf ich sie ein paar Tage behalten? Damit fing Fräulein
von Mechtshausen an, in dem kleinen Büchelchen, das ihr der Pastor freudig
überreichte, zu blättern.

Da wurde Dr. Töteberg gemeldet. Mit ansprechender Sicherheit be¬
grüßte er die Damen und wurde dann mit dem jungen Pastor bekannt gemacht.

Darf man wissen, gnädiges Fräulein, begann er, welches glücklichen Schrift¬
stellers unsterbliche Werke Sie da soeben studiren?

Herr Pastor Klages ist so freundlich gewesen, mir die Gedichte der Freiin
von Droste mitzubringen.

Ah, Annette! Da komme ich wohl zu ungünstiger Stunde, um, wie Sie
es wünschten, Ihnen die Kirche zu zeigen? Ich habe mich selbst heute Morgen
an Ort und Stelle gründlich darauf vorbereitet und hoffe, nun bestehen zu
können. Ist das eine interessante Kirche! "

Nicht wahr, sagte die Stiftsdame, ein schönes altes Gotteshaus, voll von
Erinnerungen! Leider kann ich Sie nicht begleiten. Aber Herr Pastor Klages
schließt sich Ihnen gewiß gern an.

Mit dem größten Vergnügen!

Da niemand Miene machte, sofort zur Besichtigung aufzubrechen, blieb man
sitzen, und so wurde aus der kunstgeschichtlichen Betrachtung überhaupt nichts.
Denn nach kurzer Zeit erschien der Rechtsanwalt Vogelsang. Er hatte während


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219544"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Streit der Fakultäten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1628" prev="#ID_1627"> über immer verworfene Einleitungszeilen, die dann von seltsamen Stricheleien<lb/>
umrahmt wurden, war er nicht hinausgekommen. Er las die Gedichte der<lb/>
Annette von Droste-Hülshoff, obwohl sie vielleicht am wenigsten seiner gegen¬<lb/>
wärtigen Stimmung entgegenkamen. Diese der schönen Bewohnerin von Marien¬<lb/>
zelle bringen zu können, sann er auf einen Vorwand. Er fand es schicklich,<lb/>
einen Dankbesuch für die freundliche Aufnahme zu machen, und wählte dazu<lb/>
diesen Nachmittag, um dem etwas in der Luft lag, was als frühe Anmeldung<lb/>
des Herbstes gedeutet werden konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1629"> Er wurde gut aufgenommen. So wenig Glück er auch sonst im Stift<lb/>
gehabt hatte, so ließ doch die Stiftsdame seinem Bemühen, sich angenehm zu<lb/>
machen und höflich zu erweisen, gern Gerechtigkeit widerfahren. Auf Umwegen<lb/>
brachte er das Gespräch auf sein Thema.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1630"> Ach, die Droste! unterbrach ihn die Stiftsdame, wir sind sogar weitläufig<lb/>
verwandt. Ich habe natürlich einiges von ihr gelesen, aber ich muß aufrichtig<lb/>
gestehen, sie ist mir unverständlich geblieben. Außerdem sind mir die Be¬<lb/>
ziehungen zu dem jungeu Schücking doch ein bischen zu extravagant.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1631"> Verwandt sind wir? sagte die Nichte mit Lebhaftigkeit, da muß ich ihre<lb/>
Sachen doch einmal lesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1632"> Ich habe mir erlaubt, Ihnen die Gedichte mitzubringen, sagte der Pastor.<lb/>
Ich habe mich diese Tage so in sie vertieft, daß ich den Wunsch hatte, mich<lb/>
darüber aussprechen zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1633"> O, wie nett! Darf ich sie ein paar Tage behalten? Damit fing Fräulein<lb/>
von Mechtshausen an, in dem kleinen Büchelchen, das ihr der Pastor freudig<lb/>
überreichte, zu blättern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1634"> Da wurde Dr. Töteberg gemeldet. Mit ansprechender Sicherheit be¬<lb/>
grüßte er die Damen und wurde dann mit dem jungen Pastor bekannt gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1635"> Darf man wissen, gnädiges Fräulein, begann er, welches glücklichen Schrift¬<lb/>
stellers unsterbliche Werke Sie da soeben studiren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1636"> Herr Pastor Klages ist so freundlich gewesen, mir die Gedichte der Freiin<lb/>
von Droste mitzubringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1637"> Ah, Annette! Da komme ich wohl zu ungünstiger Stunde, um, wie Sie<lb/>
es wünschten, Ihnen die Kirche zu zeigen? Ich habe mich selbst heute Morgen<lb/>
an Ort und Stelle gründlich darauf vorbereitet und hoffe, nun bestehen zu<lb/>
können.  Ist das eine interessante Kirche! "</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1638"> Nicht wahr, sagte die Stiftsdame, ein schönes altes Gotteshaus, voll von<lb/>
Erinnerungen! Leider kann ich Sie nicht begleiten. Aber Herr Pastor Klages<lb/>
schließt sich Ihnen gewiß gern an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1639"> Mit dem größten Vergnügen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1640" next="#ID_1641"> Da niemand Miene machte, sofort zur Besichtigung aufzubrechen, blieb man<lb/>
sitzen, und so wurde aus der kunstgeschichtlichen Betrachtung überhaupt nichts.<lb/>
Denn nach kurzer Zeit erschien der Rechtsanwalt Vogelsang. Er hatte während</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0542] Der Streit der Fakultäten über immer verworfene Einleitungszeilen, die dann von seltsamen Stricheleien umrahmt wurden, war er nicht hinausgekommen. Er las die Gedichte der Annette von Droste-Hülshoff, obwohl sie vielleicht am wenigsten seiner gegen¬ wärtigen Stimmung entgegenkamen. Diese der schönen Bewohnerin von Marien¬ zelle bringen zu können, sann er auf einen Vorwand. Er fand es schicklich, einen Dankbesuch für die freundliche Aufnahme zu machen, und wählte dazu diesen Nachmittag, um dem etwas in der Luft lag, was als frühe Anmeldung des Herbstes gedeutet werden konnte. Er wurde gut aufgenommen. So wenig Glück er auch sonst im Stift gehabt hatte, so ließ doch die Stiftsdame seinem Bemühen, sich angenehm zu machen und höflich zu erweisen, gern Gerechtigkeit widerfahren. Auf Umwegen brachte er das Gespräch auf sein Thema. Ach, die Droste! unterbrach ihn die Stiftsdame, wir sind sogar weitläufig verwandt. Ich habe natürlich einiges von ihr gelesen, aber ich muß aufrichtig gestehen, sie ist mir unverständlich geblieben. Außerdem sind mir die Be¬ ziehungen zu dem jungeu Schücking doch ein bischen zu extravagant. Verwandt sind wir? sagte die Nichte mit Lebhaftigkeit, da muß ich ihre Sachen doch einmal lesen. Ich habe mir erlaubt, Ihnen die Gedichte mitzubringen, sagte der Pastor. Ich habe mich diese Tage so in sie vertieft, daß ich den Wunsch hatte, mich darüber aussprechen zu können. O, wie nett! Darf ich sie ein paar Tage behalten? Damit fing Fräulein von Mechtshausen an, in dem kleinen Büchelchen, das ihr der Pastor freudig überreichte, zu blättern. Da wurde Dr. Töteberg gemeldet. Mit ansprechender Sicherheit be¬ grüßte er die Damen und wurde dann mit dem jungen Pastor bekannt gemacht. Darf man wissen, gnädiges Fräulein, begann er, welches glücklichen Schrift¬ stellers unsterbliche Werke Sie da soeben studiren? Herr Pastor Klages ist so freundlich gewesen, mir die Gedichte der Freiin von Droste mitzubringen. Ah, Annette! Da komme ich wohl zu ungünstiger Stunde, um, wie Sie es wünschten, Ihnen die Kirche zu zeigen? Ich habe mich selbst heute Morgen an Ort und Stelle gründlich darauf vorbereitet und hoffe, nun bestehen zu können. Ist das eine interessante Kirche! " Nicht wahr, sagte die Stiftsdame, ein schönes altes Gotteshaus, voll von Erinnerungen! Leider kann ich Sie nicht begleiten. Aber Herr Pastor Klages schließt sich Ihnen gewiß gern an. Mit dem größten Vergnügen! Da niemand Miene machte, sofort zur Besichtigung aufzubrechen, blieb man sitzen, und so wurde aus der kunstgeschichtlichen Betrachtung überhaupt nichts. Denn nach kurzer Zeit erschien der Rechtsanwalt Vogelsang. Er hatte während

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/542
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/542>, abgerufen am 23.07.2024.