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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Vor Streit der Fakultäten

gern als Führer dienen. Aber zu dem Umwege, den ich gehen muß, kann ich
Sie doch nicht gut einladen. Ich muß mich überdies sehr beeilen. Die Leute
warten wahrscheinlich schon auf mich.

Damit stand der Arzt aus, dankte der Stiftsdame für den interessanten
Nachmittag, gab dein jungen Fräulein von Mechtshausen beim Abschiede die
Hand, grüßte deu Dr. Töteberg durch eine Verbeugung und ging.

Auch dessen Bleiben konnte nun nicht gut mehr ausgedehnt werden. Die
Damen beschrieben ihm den Weg nach Bcttenbostel, die jüngere bat ihn, ihr
gelegentlich die Kirche zu zeigen, die sie doch sonst so gut kenne, und erklärte
sich dafür zu allen Führerdiensten bereit, wo es sich um Örtlichkeiten und nicht
um Stil und Kunst handle. So verabschiedete er sich.

Nun, wie gefällt dir der junge Mann? fragte die Stiftsdame, als er ge¬
gangen war.

Anfangs viel besser als nachher. Aber ich glaube, er hat sich uur schlecht
gestellt. Die beiden paßten nicht zusammen, und ich bin dem Doktor Uter-
möhlen fast böse, daß er so schwerfällig war. Er wurde ja fast ausfallend.

Ich habe es immer gesagt, das ist mein Mann, entgegnete die Stiftsdnme.
Der will nicht in die Wolken und kennt das Volk. Und wie nett er es machte,
als er den Streit abbrach mit Rücksicht auf mich und dich.

Ach, da konnte er einfach nicht weiter! Das war keine Kunst. Aber viel¬
leicht thue ich ihm Unrecht.

Das thust du ihm ganz gewiß. Er ist ein prächtiger Mensch, und Recht
hatte er auch, namentlich als er den Windhund mit auf die Praxis nehmen
wollte. Wir etabliren hier übrigens allmählich eine vollkommne Akademie der
Wissenschaften. Wir müssen, wenn ich erst wieder ganz zu gebrauchen bin, die
Leutchen einmal zusammenbitten. Georg wird Augen machen, wenn er uns in
so gelehrter Umgebung antrifft.

Georg?

Ach, ich habe dir ja noch gar nichts davon gesagt. Georg hat sich an¬
gemeldet; er will vor dem Manöver ein paar Tage hier zubringen. Freust du
dich nicht?

O sehr. Der gute Vetter!

Fräulein von Mechtshausen brauchte nicht erst eine große Veranstaltung,
die neue Akademie zusammenzubringen, denn am folgenden Tage kamen die
vier neu gewonnenen Bekannten, wie auf Verabredung, einer nach dem andern,
von selbst, alle am Nachmittage. Zuerst stellte sich Pastor Klages ein. Er hatte
sich seit jenem Mittagessen aus seinem Pfarrhause eine poetische Einsiedelei
gemacht, empfangend und genießend. Ab und zu hatte er sich auch wohl ein Blatt
Papier zurecht gelegt, um selbst seiner verworrenen Stimmung, die zwischen
unaussprechlichem Drange in unbekannte Fernen, schmerzlicher Entsagung und
zager Hoffnung hin- und herschwankte, dichterischen Ausdruck zu geben. Aber


Vor Streit der Fakultäten

gern als Führer dienen. Aber zu dem Umwege, den ich gehen muß, kann ich
Sie doch nicht gut einladen. Ich muß mich überdies sehr beeilen. Die Leute
warten wahrscheinlich schon auf mich.

Damit stand der Arzt aus, dankte der Stiftsdame für den interessanten
Nachmittag, gab dein jungen Fräulein von Mechtshausen beim Abschiede die
Hand, grüßte deu Dr. Töteberg durch eine Verbeugung und ging.

Auch dessen Bleiben konnte nun nicht gut mehr ausgedehnt werden. Die
Damen beschrieben ihm den Weg nach Bcttenbostel, die jüngere bat ihn, ihr
gelegentlich die Kirche zu zeigen, die sie doch sonst so gut kenne, und erklärte
sich dafür zu allen Führerdiensten bereit, wo es sich um Örtlichkeiten und nicht
um Stil und Kunst handle. So verabschiedete er sich.

Nun, wie gefällt dir der junge Mann? fragte die Stiftsdame, als er ge¬
gangen war.

Anfangs viel besser als nachher. Aber ich glaube, er hat sich uur schlecht
gestellt. Die beiden paßten nicht zusammen, und ich bin dem Doktor Uter-
möhlen fast böse, daß er so schwerfällig war. Er wurde ja fast ausfallend.

Ich habe es immer gesagt, das ist mein Mann, entgegnete die Stiftsdnme.
Der will nicht in die Wolken und kennt das Volk. Und wie nett er es machte,
als er den Streit abbrach mit Rücksicht auf mich und dich.

Ach, da konnte er einfach nicht weiter! Das war keine Kunst. Aber viel¬
leicht thue ich ihm Unrecht.

Das thust du ihm ganz gewiß. Er ist ein prächtiger Mensch, und Recht
hatte er auch, namentlich als er den Windhund mit auf die Praxis nehmen
wollte. Wir etabliren hier übrigens allmählich eine vollkommne Akademie der
Wissenschaften. Wir müssen, wenn ich erst wieder ganz zu gebrauchen bin, die
Leutchen einmal zusammenbitten. Georg wird Augen machen, wenn er uns in
so gelehrter Umgebung antrifft.

Georg?

Ach, ich habe dir ja noch gar nichts davon gesagt. Georg hat sich an¬
gemeldet; er will vor dem Manöver ein paar Tage hier zubringen. Freust du
dich nicht?

O sehr. Der gute Vetter!

Fräulein von Mechtshausen brauchte nicht erst eine große Veranstaltung,
die neue Akademie zusammenzubringen, denn am folgenden Tage kamen die
vier neu gewonnenen Bekannten, wie auf Verabredung, einer nach dem andern,
von selbst, alle am Nachmittage. Zuerst stellte sich Pastor Klages ein. Er hatte
sich seit jenem Mittagessen aus seinem Pfarrhause eine poetische Einsiedelei
gemacht, empfangend und genießend. Ab und zu hatte er sich auch wohl ein Blatt
Papier zurecht gelegt, um selbst seiner verworrenen Stimmung, die zwischen
unaussprechlichem Drange in unbekannte Fernen, schmerzlicher Entsagung und
zager Hoffnung hin- und herschwankte, dichterischen Ausdruck zu geben. Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/541>, abgerufen am 25.08.2024.