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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

der ganzen vierzehn Tage, die seit seinem ersten Besuche verflossen waren, ver¬
geblich auf eine Entscheidung über den Hausverkauf gewartet. Der Unfall der
Tante hatte das Fräulein vou Mechtshausen, die durchaus noch unschlüssig
war, bisher verhindert, sich zu äußern, und sie hatte, ganz gegen ihre Art,
die Verschleppung der Verkaufsangelegenheit beinahe angenehm empfunden.
Der Rechtsanwalt hatte es nun vorgezogen, anstatt eine schriftliche Mahnung
ergehen zu lassen, selbst hinauszufahren und die Angelegenheit mündlich zum
Abschluß zu bringen. Nicht jeder Klient konnte sich einer so entgegenkommenden
Behandlung rühmen. Die Ausnahme suchte er sich selbst durch die besondern
Verhältnisse, die Unerfahrenheit und die schwierige Lage seiner Auftraggeberin
zu begründen. Er hätte es übel genommen, wenn ihm jemand gesagt hätte,
er fahre nach Marienzelle hinaus, lediglich um das schöne Fräulein wiederzu¬
sehen. Ganz gewiß nicht. Er fuhr hinaus, um indem wohl wahrgenommnen
Interesse seiner Klientin eine Entscheidung zu erzwingen, auf die der ungedul¬
dige Unternehmer endlich zu dringen allen Grund hatte.

Das Eintreten des Rechtsanwalts führte abermals ein Rücken der Stühle,
ein Begrüßen und Vorstellen herbei. Das junge Mädchen bat in einiger Ver¬
legenheit, ihr Schweigen mit ihrem Pflegeramte zu entschuldigen, Vogelsang
fragte voll Teilnahme nach dem bedauerlichen Unfälle der Stiftsdame, und
man nahm Platz. Pastor Klages glaubte, wieder wie vor vierzehn Tagen, der
Jurisprudenz weichen zu sollen, aber da Dr. Töteberg blieb, der auf die Gelegen¬
heit, jeden irgendwie möglichen ungünstigen Eindruck vom Tage zuvor durch
eine erlesene Kunstbetrachtuug in der Kirche zu verwischen, gutwillig nicht
verzichten wollte, so blieb er auch. Und die Damen, die beide mit leisem Un¬
behagen der notwendig folgenden Auseinandersetzung über den Hausverkauf ent¬
gegensahen, begünstigten ihren Entschluß in unausgesprochuem Einverständnis.

Dr. Töteberg bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Er wandte
sich an die Stiftsdame und gab seiner Freude Ausdruck, daß trotz aller Stürme
der Zeiten das Stift der Aufhebung entgangen und so ein Stückchen Mittel¬
alter erhalten worden sei.

Die Gelehrten, sagte die Stiftsdame, sind sonst derartigen Stiftungen nicht
günstig. Aber es freut mich, was Sie da sagen, wenn Sie es auch nur thun,
weil Sie eine Art Museum bei uns zu finden glauben. Die Professoren
möchten am liebsten alle unsre Erinnerungen in irgend einer Sammlung auf¬
häufen, wo sie sich gegenseitig erdrücken, die Juristen unsre letzten Rechte ab¬
lösen und die Landstände unser Stift als Sommerfrische vermieten. Die ein¬
zigen, die vielleicht noch Sinn für unsre alten Stifter haben, sind die Theologen.
Was meinen Sie, Herr Pastor?

Ich muß bekennen, sagte der junge Geistliche ernsthaft, daß ich früher
wohl wie die Landstände gedacht habe, aber der Augenschein und ruhigeres
Nachdenken haben mich umgestimmt. Es kann nicht alles nivellirt werden.


Der Streit der Fakultäten

der ganzen vierzehn Tage, die seit seinem ersten Besuche verflossen waren, ver¬
geblich auf eine Entscheidung über den Hausverkauf gewartet. Der Unfall der
Tante hatte das Fräulein vou Mechtshausen, die durchaus noch unschlüssig
war, bisher verhindert, sich zu äußern, und sie hatte, ganz gegen ihre Art,
die Verschleppung der Verkaufsangelegenheit beinahe angenehm empfunden.
Der Rechtsanwalt hatte es nun vorgezogen, anstatt eine schriftliche Mahnung
ergehen zu lassen, selbst hinauszufahren und die Angelegenheit mündlich zum
Abschluß zu bringen. Nicht jeder Klient konnte sich einer so entgegenkommenden
Behandlung rühmen. Die Ausnahme suchte er sich selbst durch die besondern
Verhältnisse, die Unerfahrenheit und die schwierige Lage seiner Auftraggeberin
zu begründen. Er hätte es übel genommen, wenn ihm jemand gesagt hätte,
er fahre nach Marienzelle hinaus, lediglich um das schöne Fräulein wiederzu¬
sehen. Ganz gewiß nicht. Er fuhr hinaus, um indem wohl wahrgenommnen
Interesse seiner Klientin eine Entscheidung zu erzwingen, auf die der ungedul¬
dige Unternehmer endlich zu dringen allen Grund hatte.

Das Eintreten des Rechtsanwalts führte abermals ein Rücken der Stühle,
ein Begrüßen und Vorstellen herbei. Das junge Mädchen bat in einiger Ver¬
legenheit, ihr Schweigen mit ihrem Pflegeramte zu entschuldigen, Vogelsang
fragte voll Teilnahme nach dem bedauerlichen Unfälle der Stiftsdame, und
man nahm Platz. Pastor Klages glaubte, wieder wie vor vierzehn Tagen, der
Jurisprudenz weichen zu sollen, aber da Dr. Töteberg blieb, der auf die Gelegen¬
heit, jeden irgendwie möglichen ungünstigen Eindruck vom Tage zuvor durch
eine erlesene Kunstbetrachtuug in der Kirche zu verwischen, gutwillig nicht
verzichten wollte, so blieb er auch. Und die Damen, die beide mit leisem Un¬
behagen der notwendig folgenden Auseinandersetzung über den Hausverkauf ent¬
gegensahen, begünstigten ihren Entschluß in unausgesprochuem Einverständnis.

Dr. Töteberg bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Er wandte
sich an die Stiftsdame und gab seiner Freude Ausdruck, daß trotz aller Stürme
der Zeiten das Stift der Aufhebung entgangen und so ein Stückchen Mittel¬
alter erhalten worden sei.

Die Gelehrten, sagte die Stiftsdame, sind sonst derartigen Stiftungen nicht
günstig. Aber es freut mich, was Sie da sagen, wenn Sie es auch nur thun,
weil Sie eine Art Museum bei uns zu finden glauben. Die Professoren
möchten am liebsten alle unsre Erinnerungen in irgend einer Sammlung auf¬
häufen, wo sie sich gegenseitig erdrücken, die Juristen unsre letzten Rechte ab¬
lösen und die Landstände unser Stift als Sommerfrische vermieten. Die ein¬
zigen, die vielleicht noch Sinn für unsre alten Stifter haben, sind die Theologen.
Was meinen Sie, Herr Pastor?

Ich muß bekennen, sagte der junge Geistliche ernsthaft, daß ich früher
wohl wie die Landstände gedacht habe, aber der Augenschein und ruhigeres
Nachdenken haben mich umgestimmt. Es kann nicht alles nivellirt werden.


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[0543] Der Streit der Fakultäten der ganzen vierzehn Tage, die seit seinem ersten Besuche verflossen waren, ver¬ geblich auf eine Entscheidung über den Hausverkauf gewartet. Der Unfall der Tante hatte das Fräulein vou Mechtshausen, die durchaus noch unschlüssig war, bisher verhindert, sich zu äußern, und sie hatte, ganz gegen ihre Art, die Verschleppung der Verkaufsangelegenheit beinahe angenehm empfunden. Der Rechtsanwalt hatte es nun vorgezogen, anstatt eine schriftliche Mahnung ergehen zu lassen, selbst hinauszufahren und die Angelegenheit mündlich zum Abschluß zu bringen. Nicht jeder Klient konnte sich einer so entgegenkommenden Behandlung rühmen. Die Ausnahme suchte er sich selbst durch die besondern Verhältnisse, die Unerfahrenheit und die schwierige Lage seiner Auftraggeberin zu begründen. Er hätte es übel genommen, wenn ihm jemand gesagt hätte, er fahre nach Marienzelle hinaus, lediglich um das schöne Fräulein wiederzu¬ sehen. Ganz gewiß nicht. Er fuhr hinaus, um indem wohl wahrgenommnen Interesse seiner Klientin eine Entscheidung zu erzwingen, auf die der ungedul¬ dige Unternehmer endlich zu dringen allen Grund hatte. Das Eintreten des Rechtsanwalts führte abermals ein Rücken der Stühle, ein Begrüßen und Vorstellen herbei. Das junge Mädchen bat in einiger Ver¬ legenheit, ihr Schweigen mit ihrem Pflegeramte zu entschuldigen, Vogelsang fragte voll Teilnahme nach dem bedauerlichen Unfälle der Stiftsdame, und man nahm Platz. Pastor Klages glaubte, wieder wie vor vierzehn Tagen, der Jurisprudenz weichen zu sollen, aber da Dr. Töteberg blieb, der auf die Gelegen¬ heit, jeden irgendwie möglichen ungünstigen Eindruck vom Tage zuvor durch eine erlesene Kunstbetrachtuug in der Kirche zu verwischen, gutwillig nicht verzichten wollte, so blieb er auch. Und die Damen, die beide mit leisem Un¬ behagen der notwendig folgenden Auseinandersetzung über den Hausverkauf ent¬ gegensahen, begünstigten ihren Entschluß in unausgesprochuem Einverständnis. Dr. Töteberg bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Er wandte sich an die Stiftsdame und gab seiner Freude Ausdruck, daß trotz aller Stürme der Zeiten das Stift der Aufhebung entgangen und so ein Stückchen Mittel¬ alter erhalten worden sei. Die Gelehrten, sagte die Stiftsdame, sind sonst derartigen Stiftungen nicht günstig. Aber es freut mich, was Sie da sagen, wenn Sie es auch nur thun, weil Sie eine Art Museum bei uns zu finden glauben. Die Professoren möchten am liebsten alle unsre Erinnerungen in irgend einer Sammlung auf¬ häufen, wo sie sich gegenseitig erdrücken, die Juristen unsre letzten Rechte ab¬ lösen und die Landstände unser Stift als Sommerfrische vermieten. Die ein¬ zigen, die vielleicht noch Sinn für unsre alten Stifter haben, sind die Theologen. Was meinen Sie, Herr Pastor? Ich muß bekennen, sagte der junge Geistliche ernsthaft, daß ich früher wohl wie die Landstände gedacht habe, aber der Augenschein und ruhigeres Nachdenken haben mich umgestimmt. Es kann nicht alles nivellirt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/543>, abgerufen am 23.07.2024.