Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule

tagsabgeordneten verwaltet. Er meinte: Dem Kind ist das Weihnachtsfest
gründlich zu Wasser geworden.

Während auf der Bühne wieder ein Lied erschallte, sah ich mich im
Saal um. Es mochten gegen dreihundert Menschen anwesend sein. Zwischen
den Stühlen standen einige Dutzend Tische, die mit Bierseideln besetzt waren.
Im Hintergrunde sah ich verschämtes Rauchen. Auf der Bühne ging Gesang
und Deklamation weiter. Das nächste Kind war tapferer und krähte seinen
Weihnachtsspruch so frech ins Publikum, daß es mir viel weniger gefiel als
Emma Wichmann. Es folgte aber ein mächtiges Klatschen. Vernünftigere
Leute zischten zwar dazwischen -- ich für meine Person verhielt mich still --,
aber die siebenjährige Krabbe hatte sich doch von einigen hundert Leuten bei
dieser Weihnachtsfeier beklatschen lassen und wird diese Erinnerung so bald
nicht vergessen.

Schließlich traten die kleinen Kinder ab, um den größern Platz zu machen.
Emma Wichmann hatte unaufhörlich geheult und setzte dies Geschäft im Saale
fort. Die größern Mädchen erzählten abwechselnd die Geschichte von der
Geburt Christi mit allen Einzelheiten, von denen ich ihnen manche gern ge¬
schenkt Hütte. Dazwischen wurde gesungen. Der Saal hatte sich inzwischen
beängstigend gefüllt. Irgend welche Kontrolle der Eintrittskarten schien nicht
vorhanden zu sein. Es konnte jeder herein. Zwei Kellner wanden sich
wie Aale durch die Menge und teilten Bier aus. Leider wurde so viel ver¬
tilgt, daß ein zweites Faß angesteckt werden mußte. Diese heikle Geschichte
übernahm der Wirt selbst gerade zu der Zeit, als auf der Bühne die Ge¬
schichte der heiligen drei Könige erzählt wurde. Er wollte das Faß möglichst
geräuschlos mit dem Hammer öffnen und legte sein Taschentuch zwischen
Hammer und Spund, aber es störte doch, und er hielt ein, obwohl die Kellner
mit leeren Gläsern um ihn herumstanden.

Der Gesang begann wieder. -- Buen, bum, machte der Hammer -- du
lieber Heilger frommer Christ, -- bum, bum -- weil heute dein Geburtstag
ist -- bum, bum. Dem Manne liefen die Schweißtropfen von der Stirn,
aber er mußte noch die nächste Deklamation vorübergehen lassen. Als es
aber dann kräftig ertönte: Vom Himmel hoch dn komm ich her, faßte er Mut.
Ein kräftiger Schlag, und das Faß war spundfrei. Glücklicherweise ließ zu
gleicher Zeit jemand im Saal ein Glas Bier fallen, während sich ein Kind am
Allerweltscmtomaten vergriff und anstatt der Schokolade ein Musikstück erwischte.
Es klang nicht weit, ich hörte aber doch, daß es die Gigerlkönigin war.

Eine gute Stunde war inzwischen vergangen. Die "ernste Weihnachts¬
feier" war beendet. Es war sehr heiß, und ich wäre am liebsten in den fast
leeren obern Restaurationsraum gegangen. Aber meine Frau bat mich, auf
einige kleine Kinder aufzupassen, die wir mitgenommen hatten, da sie der Frau
Holle die Flügel anheften wolle.


Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule

tagsabgeordneten verwaltet. Er meinte: Dem Kind ist das Weihnachtsfest
gründlich zu Wasser geworden.

Während auf der Bühne wieder ein Lied erschallte, sah ich mich im
Saal um. Es mochten gegen dreihundert Menschen anwesend sein. Zwischen
den Stühlen standen einige Dutzend Tische, die mit Bierseideln besetzt waren.
Im Hintergrunde sah ich verschämtes Rauchen. Auf der Bühne ging Gesang
und Deklamation weiter. Das nächste Kind war tapferer und krähte seinen
Weihnachtsspruch so frech ins Publikum, daß es mir viel weniger gefiel als
Emma Wichmann. Es folgte aber ein mächtiges Klatschen. Vernünftigere
Leute zischten zwar dazwischen — ich für meine Person verhielt mich still —,
aber die siebenjährige Krabbe hatte sich doch von einigen hundert Leuten bei
dieser Weihnachtsfeier beklatschen lassen und wird diese Erinnerung so bald
nicht vergessen.

Schließlich traten die kleinen Kinder ab, um den größern Platz zu machen.
Emma Wichmann hatte unaufhörlich geheult und setzte dies Geschäft im Saale
fort. Die größern Mädchen erzählten abwechselnd die Geschichte von der
Geburt Christi mit allen Einzelheiten, von denen ich ihnen manche gern ge¬
schenkt Hütte. Dazwischen wurde gesungen. Der Saal hatte sich inzwischen
beängstigend gefüllt. Irgend welche Kontrolle der Eintrittskarten schien nicht
vorhanden zu sein. Es konnte jeder herein. Zwei Kellner wanden sich
wie Aale durch die Menge und teilten Bier aus. Leider wurde so viel ver¬
tilgt, daß ein zweites Faß angesteckt werden mußte. Diese heikle Geschichte
übernahm der Wirt selbst gerade zu der Zeit, als auf der Bühne die Ge¬
schichte der heiligen drei Könige erzählt wurde. Er wollte das Faß möglichst
geräuschlos mit dem Hammer öffnen und legte sein Taschentuch zwischen
Hammer und Spund, aber es störte doch, und er hielt ein, obwohl die Kellner
mit leeren Gläsern um ihn herumstanden.

Der Gesang begann wieder. — Buen, bum, machte der Hammer — du
lieber Heilger frommer Christ, — bum, bum — weil heute dein Geburtstag
ist — bum, bum. Dem Manne liefen die Schweißtropfen von der Stirn,
aber er mußte noch die nächste Deklamation vorübergehen lassen. Als es
aber dann kräftig ertönte: Vom Himmel hoch dn komm ich her, faßte er Mut.
Ein kräftiger Schlag, und das Faß war spundfrei. Glücklicherweise ließ zu
gleicher Zeit jemand im Saal ein Glas Bier fallen, während sich ein Kind am
Allerweltscmtomaten vergriff und anstatt der Schokolade ein Musikstück erwischte.
Es klang nicht weit, ich hörte aber doch, daß es die Gigerlkönigin war.

Eine gute Stunde war inzwischen vergangen. Die „ernste Weihnachts¬
feier" war beendet. Es war sehr heiß, und ich wäre am liebsten in den fast
leeren obern Restaurationsraum gegangen. Aber meine Frau bat mich, auf
einige kleine Kinder aufzupassen, die wir mitgenommen hatten, da sie der Frau
Holle die Flügel anheften wolle.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219053"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_154" prev="#ID_153"> tagsabgeordneten verwaltet. Er meinte: Dem Kind ist das Weihnachtsfest<lb/>
gründlich zu Wasser geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_155"> Während auf der Bühne wieder ein Lied erschallte, sah ich mich im<lb/>
Saal um. Es mochten gegen dreihundert Menschen anwesend sein. Zwischen<lb/>
den Stühlen standen einige Dutzend Tische, die mit Bierseideln besetzt waren.<lb/>
Im Hintergrunde sah ich verschämtes Rauchen. Auf der Bühne ging Gesang<lb/>
und Deklamation weiter. Das nächste Kind war tapferer und krähte seinen<lb/>
Weihnachtsspruch so frech ins Publikum, daß es mir viel weniger gefiel als<lb/>
Emma Wichmann. Es folgte aber ein mächtiges Klatschen. Vernünftigere<lb/>
Leute zischten zwar dazwischen &#x2014; ich für meine Person verhielt mich still &#x2014;,<lb/>
aber die siebenjährige Krabbe hatte sich doch von einigen hundert Leuten bei<lb/>
dieser Weihnachtsfeier beklatschen lassen und wird diese Erinnerung so bald<lb/>
nicht vergessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Schließlich traten die kleinen Kinder ab, um den größern Platz zu machen.<lb/>
Emma Wichmann hatte unaufhörlich geheult und setzte dies Geschäft im Saale<lb/>
fort. Die größern Mädchen erzählten abwechselnd die Geschichte von der<lb/>
Geburt Christi mit allen Einzelheiten, von denen ich ihnen manche gern ge¬<lb/>
schenkt Hütte. Dazwischen wurde gesungen. Der Saal hatte sich inzwischen<lb/>
beängstigend gefüllt. Irgend welche Kontrolle der Eintrittskarten schien nicht<lb/>
vorhanden zu sein. Es konnte jeder herein. Zwei Kellner wanden sich<lb/>
wie Aale durch die Menge und teilten Bier aus. Leider wurde so viel ver¬<lb/>
tilgt, daß ein zweites Faß angesteckt werden mußte. Diese heikle Geschichte<lb/>
übernahm der Wirt selbst gerade zu der Zeit, als auf der Bühne die Ge¬<lb/>
schichte der heiligen drei Könige erzählt wurde. Er wollte das Faß möglichst<lb/>
geräuschlos mit dem Hammer öffnen und legte sein Taschentuch zwischen<lb/>
Hammer und Spund, aber es störte doch, und er hielt ein, obwohl die Kellner<lb/>
mit leeren Gläsern um ihn herumstanden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> Der Gesang begann wieder. &#x2014; Buen, bum, machte der Hammer &#x2014; du<lb/>
lieber Heilger frommer Christ, &#x2014; bum, bum &#x2014; weil heute dein Geburtstag<lb/>
ist &#x2014; bum, bum. Dem Manne liefen die Schweißtropfen von der Stirn,<lb/>
aber er mußte noch die nächste Deklamation vorübergehen lassen. Als es<lb/>
aber dann kräftig ertönte: Vom Himmel hoch dn komm ich her, faßte er Mut.<lb/>
Ein kräftiger Schlag, und das Faß war spundfrei. Glücklicherweise ließ zu<lb/>
gleicher Zeit jemand im Saal ein Glas Bier fallen, während sich ein Kind am<lb/>
Allerweltscmtomaten vergriff und anstatt der Schokolade ein Musikstück erwischte.<lb/>
Es klang nicht weit, ich hörte aber doch, daß es die Gigerlkönigin war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158"> Eine gute Stunde war inzwischen vergangen. Die &#x201E;ernste Weihnachts¬<lb/>
feier" war beendet. Es war sehr heiß, und ich wäre am liebsten in den fast<lb/>
leeren obern Restaurationsraum gegangen. Aber meine Frau bat mich, auf<lb/>
einige kleine Kinder aufzupassen, die wir mitgenommen hatten, da sie der Frau<lb/>
Holle die Flügel anheften wolle.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule tagsabgeordneten verwaltet. Er meinte: Dem Kind ist das Weihnachtsfest gründlich zu Wasser geworden. Während auf der Bühne wieder ein Lied erschallte, sah ich mich im Saal um. Es mochten gegen dreihundert Menschen anwesend sein. Zwischen den Stühlen standen einige Dutzend Tische, die mit Bierseideln besetzt waren. Im Hintergrunde sah ich verschämtes Rauchen. Auf der Bühne ging Gesang und Deklamation weiter. Das nächste Kind war tapferer und krähte seinen Weihnachtsspruch so frech ins Publikum, daß es mir viel weniger gefiel als Emma Wichmann. Es folgte aber ein mächtiges Klatschen. Vernünftigere Leute zischten zwar dazwischen — ich für meine Person verhielt mich still —, aber die siebenjährige Krabbe hatte sich doch von einigen hundert Leuten bei dieser Weihnachtsfeier beklatschen lassen und wird diese Erinnerung so bald nicht vergessen. Schließlich traten die kleinen Kinder ab, um den größern Platz zu machen. Emma Wichmann hatte unaufhörlich geheult und setzte dies Geschäft im Saale fort. Die größern Mädchen erzählten abwechselnd die Geschichte von der Geburt Christi mit allen Einzelheiten, von denen ich ihnen manche gern ge¬ schenkt Hütte. Dazwischen wurde gesungen. Der Saal hatte sich inzwischen beängstigend gefüllt. Irgend welche Kontrolle der Eintrittskarten schien nicht vorhanden zu sein. Es konnte jeder herein. Zwei Kellner wanden sich wie Aale durch die Menge und teilten Bier aus. Leider wurde so viel ver¬ tilgt, daß ein zweites Faß angesteckt werden mußte. Diese heikle Geschichte übernahm der Wirt selbst gerade zu der Zeit, als auf der Bühne die Ge¬ schichte der heiligen drei Könige erzählt wurde. Er wollte das Faß möglichst geräuschlos mit dem Hammer öffnen und legte sein Taschentuch zwischen Hammer und Spund, aber es störte doch, und er hielt ein, obwohl die Kellner mit leeren Gläsern um ihn herumstanden. Der Gesang begann wieder. — Buen, bum, machte der Hammer — du lieber Heilger frommer Christ, — bum, bum — weil heute dein Geburtstag ist — bum, bum. Dem Manne liefen die Schweißtropfen von der Stirn, aber er mußte noch die nächste Deklamation vorübergehen lassen. Als es aber dann kräftig ertönte: Vom Himmel hoch dn komm ich her, faßte er Mut. Ein kräftiger Schlag, und das Faß war spundfrei. Glücklicherweise ließ zu gleicher Zeit jemand im Saal ein Glas Bier fallen, während sich ein Kind am Allerweltscmtomaten vergriff und anstatt der Schokolade ein Musikstück erwischte. Es klang nicht weit, ich hörte aber doch, daß es die Gigerlkönigin war. Eine gute Stunde war inzwischen vergangen. Die „ernste Weihnachts¬ feier" war beendet. Es war sehr heiß, und ich wäre am liebsten in den fast leeren obern Restaurationsraum gegangen. Aber meine Frau bat mich, auf einige kleine Kinder aufzupassen, die wir mitgenommen hatten, da sie der Frau Holle die Flügel anheften wolle.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/51>, abgerufen am 23.07.2024.