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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule

bei Lampenlicht vollendet. Die Stickerei wurde erst spät in der Nacht fertig.
Sie mußte fertig werden, da ihrer noch das Waschen, Trocknen und Plätten
harrte. Dann mußte auch mein Ältester nochmals die Partie der Frau Holle
endgiltig mit Meta durchpauken. Er erklärte aber dann, nun sei sie gründ¬
lich fest.

Die Toilette der Frau Holle hatte sich meine Frau zu leicht gedacht,
die Flügel wollten schlechterdings nicht sitzen. Den 18. Dezember nahm sie
fast ganz in Anspruch, obwohl tüchtig vorgearbeitet war. Fertig mußte aber
alles werden, da die Schule am 19. nicht ausfallen sollte. Es giebt nämlich
unvermutete Besuche der Kreisschuliuspektion.

Meine Frau ist immer liebenswürdig; ganz besonders aber war sie es
am 19. Dezember morgens.

Na, Männchen, du kommst doch auch hin?

Was? doch nicht zu eurer Weihnachtsgeschichte?

Aber sieh mal, das Kind würde unglücklich sein, wenn der Papa nicht
dabei wäre.

Aber liebe Frau, du vergißt, daß ich vor sieben Uhr nicht zu Hause sein
kann, und da wird die Sache doch zu Ende sein.

Aber du hast dich ja schon öfter frei gemacht. Thus heute auch einmal,
bitte! Dabei kraute sie in meinem struppigen Bart.

Ich rufe die Ehemänner unter den Lesern an, ob ich zu verurteilen bin,
daß ich mich wirklich frei machte.

Ich kam eine Viertelstunde nach fünf Uhr in den großen Saal des
Königshofs, der fast ganz gefüllt war. Am Eingang wurde mir von einem
freundlichen Herrn -- einem Lehrer der Spitzlerschen Schule -- ein Programm
eingehändigt, worin die Angaben des Bimmelhagener Kreisblattes wiederholt
waren. Dazu ein Textbuch zur "Winterfeier." Beides erhielt ich für dreißig
Pfennige.

Alsbald hob sich der Vorhang, und die kleineren Schülerinnen zeigten sich
niedlich angeputzt. Die "ernste Weihnachtsfeier" begann mit dem von einer
der ältesten Schülerinnen gesprochnen Prolog. Dann wurden einige Weih¬
nachtslieder gesungen, die auf einem verstimmten Klavier von einer Lehrerin
begleitet wurden. Darauf trat ein niedliches kleines Mädchen vor, um zu
deklamiren. Das Kind sah schüchtern vor sich hin und hätte gut gethan,
dabei zu bleiben. Aber es mochte sich wohl vor dem großen Akt erst noch
unter den im Publikum sitzenden Eltern Mut holen wollen und suchte diese
mit seinen hübschen blauen Augen. Dann stotterte es einige Worte und brach
in ein jämmerliches Geheul aus.

Das ist Emma Wichmann, hörte ich hinter mir. Es schien von einer
etwas schadenfrohen Stimme zu kommen.

Neben mir stand ein würdiger Herr, der nebenbei das Amt eines Land-


Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule

bei Lampenlicht vollendet. Die Stickerei wurde erst spät in der Nacht fertig.
Sie mußte fertig werden, da ihrer noch das Waschen, Trocknen und Plätten
harrte. Dann mußte auch mein Ältester nochmals die Partie der Frau Holle
endgiltig mit Meta durchpauken. Er erklärte aber dann, nun sei sie gründ¬
lich fest.

Die Toilette der Frau Holle hatte sich meine Frau zu leicht gedacht,
die Flügel wollten schlechterdings nicht sitzen. Den 18. Dezember nahm sie
fast ganz in Anspruch, obwohl tüchtig vorgearbeitet war. Fertig mußte aber
alles werden, da die Schule am 19. nicht ausfallen sollte. Es giebt nämlich
unvermutete Besuche der Kreisschuliuspektion.

Meine Frau ist immer liebenswürdig; ganz besonders aber war sie es
am 19. Dezember morgens.

Na, Männchen, du kommst doch auch hin?

Was? doch nicht zu eurer Weihnachtsgeschichte?

Aber sieh mal, das Kind würde unglücklich sein, wenn der Papa nicht
dabei wäre.

Aber liebe Frau, du vergißt, daß ich vor sieben Uhr nicht zu Hause sein
kann, und da wird die Sache doch zu Ende sein.

Aber du hast dich ja schon öfter frei gemacht. Thus heute auch einmal,
bitte! Dabei kraute sie in meinem struppigen Bart.

Ich rufe die Ehemänner unter den Lesern an, ob ich zu verurteilen bin,
daß ich mich wirklich frei machte.

Ich kam eine Viertelstunde nach fünf Uhr in den großen Saal des
Königshofs, der fast ganz gefüllt war. Am Eingang wurde mir von einem
freundlichen Herrn — einem Lehrer der Spitzlerschen Schule — ein Programm
eingehändigt, worin die Angaben des Bimmelhagener Kreisblattes wiederholt
waren. Dazu ein Textbuch zur „Winterfeier." Beides erhielt ich für dreißig
Pfennige.

Alsbald hob sich der Vorhang, und die kleineren Schülerinnen zeigten sich
niedlich angeputzt. Die „ernste Weihnachtsfeier" begann mit dem von einer
der ältesten Schülerinnen gesprochnen Prolog. Dann wurden einige Weih¬
nachtslieder gesungen, die auf einem verstimmten Klavier von einer Lehrerin
begleitet wurden. Darauf trat ein niedliches kleines Mädchen vor, um zu
deklamiren. Das Kind sah schüchtern vor sich hin und hätte gut gethan,
dabei zu bleiben. Aber es mochte sich wohl vor dem großen Akt erst noch
unter den im Publikum sitzenden Eltern Mut holen wollen und suchte diese
mit seinen hübschen blauen Augen. Dann stotterte es einige Worte und brach
in ein jämmerliches Geheul aus.

Das ist Emma Wichmann, hörte ich hinter mir. Es schien von einer
etwas schadenfrohen Stimme zu kommen.

Neben mir stand ein würdiger Herr, der nebenbei das Amt eines Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/50>, abgerufen am 22.07.2024.