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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule

Nun ja, in der Schule kommt sie wohl nicht zu stände damit.

Später kamen zu der Stickerei noch einige Malarbeiten, die nur bei Tages¬
licht angefertigt werden konnten. Und da die Tage sehr kurz waren, mußten
sie gründlich ausgenutzt werden. Dann kam die Stickerei. Dann die Schul¬
arbeiten.

Ende November ließ der Musiklehrer der Spitzlerschen Schule meinen
ältesten Sohn freundlichst bitten, der Meta die Rolle der Frau Holle noch
etwas einzuüben, da noch nicht alles ganz geläufig ginge. Der Junge, der
leidlich musikalisch ist, machte sich tapfer an das Geschäft, und dabei
stellte sich allerdings heraus, daß die Kleine von der Sache keine rechte
Ahnung hatte.

Inzwischen erkundigte sich Frau Rätin Meier bei meiner Frau, ob unsre
Meta wirklich die Rolle der Frau Holle haben solle. Fräulein Spitzler hätte
sie ihrer Tochter Sidonie versprochen, und die sei nun ganz unglücklich.

Meine Frau war einigermaßen verblüfft, zumal da es sich wirklich so
verhielt. Sidonie Meier sollte ursprünglich die Rolle haben; der Musiklehrer
hatte aber behauptet, er könne sie ihr nicht einpauken, obwohl er sich die größte
Mühe damit gebe.

Ich meinte: vielleicht kapirt sich noch, und dann ist Meta ihre Holle los
und hat keine Flügel und kein Filigran nötig.

Damit war ich aber leichtsinnig gewesen. Rasch entschlossen ging meine
Frau zu Fräulein Spitzler und verlangte ein entschiednes Entwederoder. Jetzt
freue sich ihr Kind auf die mit großer Mühe von ihrem Bruder ihr ein¬
geübte Rolle.

Diese wurde denn auch der Meta endgiltig zugeteilt. Sidonie Meier
sollte in andrer Weise entschädigt werden. Es seien leider schon viele Kinder
rebellisch, weil sie sich andern gegenüber zurückgesetzt fühlten. Meta erzählte,
daß noch niemals so viel Zwistigkeiten unter den Schülerinnen bestanden hätten.
Es drehe sich alles um die Weihnachtsfeier. Luise Wille und Gertrud Machio
sollten überhaupt nicht mitmachen; die Eltern Hütten es verboten.

Ich kannte den Professor Machio als einen außerordentlich tüchtigen und
trotz seiner Professur kinderfreundlichen Mann und wurde etwas nachdenklich.

Mitte Dezember war großes Hasten und Schaffen. Die Stickerei müßte
fertig werden. Mit den Malereien ging die Kleine wiederholt zur Hand¬
arbeitslehrerin zur "Korrektur." Wenn sie zurückkam, sahen die Dinger auf¬
fallend verbessert aus. Die Mitschülerinnen, die bei der Weihnachtsfeier mit
Malarbeiten vertreten sein wollten, wären sämtlich zur "Korrektur" dort
gewesen.

Am 17. und 18. Dezember erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt.
Malereien und Stickereien waren noch nicht ganz fertig, und es wurde mit
Hochdruck gearbeitet. Meine Frau half tapfer mit. Die Malereien wurden


Grenzboten 1 1895 6
Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule

Nun ja, in der Schule kommt sie wohl nicht zu stände damit.

Später kamen zu der Stickerei noch einige Malarbeiten, die nur bei Tages¬
licht angefertigt werden konnten. Und da die Tage sehr kurz waren, mußten
sie gründlich ausgenutzt werden. Dann kam die Stickerei. Dann die Schul¬
arbeiten.

Ende November ließ der Musiklehrer der Spitzlerschen Schule meinen
ältesten Sohn freundlichst bitten, der Meta die Rolle der Frau Holle noch
etwas einzuüben, da noch nicht alles ganz geläufig ginge. Der Junge, der
leidlich musikalisch ist, machte sich tapfer an das Geschäft, und dabei
stellte sich allerdings heraus, daß die Kleine von der Sache keine rechte
Ahnung hatte.

Inzwischen erkundigte sich Frau Rätin Meier bei meiner Frau, ob unsre
Meta wirklich die Rolle der Frau Holle haben solle. Fräulein Spitzler hätte
sie ihrer Tochter Sidonie versprochen, und die sei nun ganz unglücklich.

Meine Frau war einigermaßen verblüfft, zumal da es sich wirklich so
verhielt. Sidonie Meier sollte ursprünglich die Rolle haben; der Musiklehrer
hatte aber behauptet, er könne sie ihr nicht einpauken, obwohl er sich die größte
Mühe damit gebe.

Ich meinte: vielleicht kapirt sich noch, und dann ist Meta ihre Holle los
und hat keine Flügel und kein Filigran nötig.

Damit war ich aber leichtsinnig gewesen. Rasch entschlossen ging meine
Frau zu Fräulein Spitzler und verlangte ein entschiednes Entwederoder. Jetzt
freue sich ihr Kind auf die mit großer Mühe von ihrem Bruder ihr ein¬
geübte Rolle.

Diese wurde denn auch der Meta endgiltig zugeteilt. Sidonie Meier
sollte in andrer Weise entschädigt werden. Es seien leider schon viele Kinder
rebellisch, weil sie sich andern gegenüber zurückgesetzt fühlten. Meta erzählte,
daß noch niemals so viel Zwistigkeiten unter den Schülerinnen bestanden hätten.
Es drehe sich alles um die Weihnachtsfeier. Luise Wille und Gertrud Machio
sollten überhaupt nicht mitmachen; die Eltern Hütten es verboten.

Ich kannte den Professor Machio als einen außerordentlich tüchtigen und
trotz seiner Professur kinderfreundlichen Mann und wurde etwas nachdenklich.

Mitte Dezember war großes Hasten und Schaffen. Die Stickerei müßte
fertig werden. Mit den Malereien ging die Kleine wiederholt zur Hand¬
arbeitslehrerin zur „Korrektur." Wenn sie zurückkam, sahen die Dinger auf¬
fallend verbessert aus. Die Mitschülerinnen, die bei der Weihnachtsfeier mit
Malarbeiten vertreten sein wollten, wären sämtlich zur „Korrektur" dort
gewesen.

Am 17. und 18. Dezember erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt.
Malereien und Stickereien waren noch nicht ganz fertig, und es wurde mit
Hochdruck gearbeitet. Meine Frau half tapfer mit. Die Malereien wurden


Grenzboten 1 1895 6
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[0049] Die Weihnachtsfeier in der Rechenheimer Töchterschule Nun ja, in der Schule kommt sie wohl nicht zu stände damit. Später kamen zu der Stickerei noch einige Malarbeiten, die nur bei Tages¬ licht angefertigt werden konnten. Und da die Tage sehr kurz waren, mußten sie gründlich ausgenutzt werden. Dann kam die Stickerei. Dann die Schul¬ arbeiten. Ende November ließ der Musiklehrer der Spitzlerschen Schule meinen ältesten Sohn freundlichst bitten, der Meta die Rolle der Frau Holle noch etwas einzuüben, da noch nicht alles ganz geläufig ginge. Der Junge, der leidlich musikalisch ist, machte sich tapfer an das Geschäft, und dabei stellte sich allerdings heraus, daß die Kleine von der Sache keine rechte Ahnung hatte. Inzwischen erkundigte sich Frau Rätin Meier bei meiner Frau, ob unsre Meta wirklich die Rolle der Frau Holle haben solle. Fräulein Spitzler hätte sie ihrer Tochter Sidonie versprochen, und die sei nun ganz unglücklich. Meine Frau war einigermaßen verblüfft, zumal da es sich wirklich so verhielt. Sidonie Meier sollte ursprünglich die Rolle haben; der Musiklehrer hatte aber behauptet, er könne sie ihr nicht einpauken, obwohl er sich die größte Mühe damit gebe. Ich meinte: vielleicht kapirt sich noch, und dann ist Meta ihre Holle los und hat keine Flügel und kein Filigran nötig. Damit war ich aber leichtsinnig gewesen. Rasch entschlossen ging meine Frau zu Fräulein Spitzler und verlangte ein entschiednes Entwederoder. Jetzt freue sich ihr Kind auf die mit großer Mühe von ihrem Bruder ihr ein¬ geübte Rolle. Diese wurde denn auch der Meta endgiltig zugeteilt. Sidonie Meier sollte in andrer Weise entschädigt werden. Es seien leider schon viele Kinder rebellisch, weil sie sich andern gegenüber zurückgesetzt fühlten. Meta erzählte, daß noch niemals so viel Zwistigkeiten unter den Schülerinnen bestanden hätten. Es drehe sich alles um die Weihnachtsfeier. Luise Wille und Gertrud Machio sollten überhaupt nicht mitmachen; die Eltern Hütten es verboten. Ich kannte den Professor Machio als einen außerordentlich tüchtigen und trotz seiner Professur kinderfreundlichen Mann und wurde etwas nachdenklich. Mitte Dezember war großes Hasten und Schaffen. Die Stickerei müßte fertig werden. Mit den Malereien ging die Kleine wiederholt zur Hand¬ arbeitslehrerin zur „Korrektur." Wenn sie zurückkam, sahen die Dinger auf¬ fallend verbessert aus. Die Mitschülerinnen, die bei der Weihnachtsfeier mit Malarbeiten vertreten sein wollten, wären sämtlich zur „Korrektur" dort gewesen. Am 17. und 18. Dezember erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt. Malereien und Stickereien waren noch nicht ganz fertig, und es wurde mit Hochdruck gearbeitet. Meine Frau half tapfer mit. Die Malereien wurden Grenzboten 1 1895 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/49>, abgerufen am 23.07.2024.