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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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einer den Gesetzen und dem Geist der Muttersprache entsprechenden Form
schriftlich entwickelt. Damit schlösse ich freilich, wie ich nun zu meinem
Schrecken sehe, alle nur berichtenden und beschreibenden (schildernden) Schrift¬
steller aus, und es unterliegt doch wohl keinem Zweifel, daß auch diese eine
hohe Meisterschaft beweisen können. Also setzen wir für "eigne und fremde
Gedanken" "Geschehenes, Gesehenes, Empfundnes und Gedachtes" und für
"in logischer Weise" "in logischer oder anschaulicher Weise." Da aber möchte
jeder Berichterstatter kommen und sagen, er sei Schriftsteller, und erst recht
jeder Journalist. Lassen wir es daher bei den "Gedanken" und sagen wir für
"fremde" noch richtiger "vollständig angeeignete." Für die Berichterstatter und
Journalisten ist die Erfolgfrage ja auch leicht gelöst: der eine hat seinen
Erfolg, wenn er möglichst viel Zeilen in möglichst vielen Zeitungen, die die
Zeile mit mehr als fünf Pfennigen bezahlen, unterbringt, der andre, wenn er
einen möglichst hohen Gehalt bezieht und möglichst wenig Ärger durch seineu
Verleger und sein Publikum hat. Ehrgeiz darf der Journalist nur für seine
Zeitung haben, es nützt ihm auch wenig, wenn er persönlich ehrgeizig ist;
denn das Publikum hat -- mit Recht -- kein Gedächtnis sür Journalisteu-
ucnnen, nicht einmal sür die der doch schon mehr persönlich hervortretenden
Feuilletonisten. Verliere deine Stellung, großer Kritiker, und du kannst über¬
zeugt sei", daß der Herr Theaterdirektor, der vorher die Liebenswürdigkeit
selbst war, auch deinen liebenswürdigsten Brief unbeantwortet läßt, daß
Herr X, der dich früher so gern "Herr Doktor" anredete, dich jetzt auf der
Straße nicht mehr kennt, und daß Fräulein U, die dich früher durchaus
bezaubern wollte, dich nun in allen Gesellschaften, die sie besucht, einen un¬
verschämten Menschen nennt. Der Erfolg des Journalisten beruht darauf,
immer Journalist bei einem angesehenen Blatte zu bleiben. Dabei wird man
nicht Millionär, genießt auch im allgemeinen keine besondre Achtung, aber
man hat eine gewisse Macht, die einem sehr viel Komplimente, lächelnde Ge¬
sichter und zu allen möglichen Vergnügungen Freikarten einbringt.

Eine Stufenleiter höher kommen wir zu dem Schriftsteller mit den an¬
geeigneten Gedanken. Über seine Bedeutung für unser geistiges Leben kann
keine Meinungsverschiedenheit herrschen; er ist es, der die Bücher bedeutender
Geister liest und ihre Gedanken oder wissenschaftliche Ergebnisse -- wenn auch
manchmal etwas verflacht -- in die gebildeten Kreise und nach und nach ins
Volk bringt. Das ist eine Aufgabe, der man sich sogar mit Begeisterung
hingeben kann -- und der Erfolg? Wenn der Schriftsteller nicht, wie es
vielfach der Fall ist, irgend einen fachmännischer Beruf oder Vermögen hat
oder endlich Redakteur ist, so ist er meist schlimm daran. Er muß dann als
Mitarbeiter von Zeitungen leben, und dabei ist im ganzen keine Seide zu
spinnen. Die Konkurrenz ist auch hier heute zu groß, eben die Schriftsteller mit
Beruf und Vermögen und alle die, die wegen eines Nebenverdienstes oder


einer den Gesetzen und dem Geist der Muttersprache entsprechenden Form
schriftlich entwickelt. Damit schlösse ich freilich, wie ich nun zu meinem
Schrecken sehe, alle nur berichtenden und beschreibenden (schildernden) Schrift¬
steller aus, und es unterliegt doch wohl keinem Zweifel, daß auch diese eine
hohe Meisterschaft beweisen können. Also setzen wir für „eigne und fremde
Gedanken" „Geschehenes, Gesehenes, Empfundnes und Gedachtes" und für
„in logischer Weise" „in logischer oder anschaulicher Weise." Da aber möchte
jeder Berichterstatter kommen und sagen, er sei Schriftsteller, und erst recht
jeder Journalist. Lassen wir es daher bei den „Gedanken" und sagen wir für
„fremde" noch richtiger „vollständig angeeignete." Für die Berichterstatter und
Journalisten ist die Erfolgfrage ja auch leicht gelöst: der eine hat seinen
Erfolg, wenn er möglichst viel Zeilen in möglichst vielen Zeitungen, die die
Zeile mit mehr als fünf Pfennigen bezahlen, unterbringt, der andre, wenn er
einen möglichst hohen Gehalt bezieht und möglichst wenig Ärger durch seineu
Verleger und sein Publikum hat. Ehrgeiz darf der Journalist nur für seine
Zeitung haben, es nützt ihm auch wenig, wenn er persönlich ehrgeizig ist;
denn das Publikum hat — mit Recht — kein Gedächtnis sür Journalisteu-
ucnnen, nicht einmal sür die der doch schon mehr persönlich hervortretenden
Feuilletonisten. Verliere deine Stellung, großer Kritiker, und du kannst über¬
zeugt sei», daß der Herr Theaterdirektor, der vorher die Liebenswürdigkeit
selbst war, auch deinen liebenswürdigsten Brief unbeantwortet läßt, daß
Herr X, der dich früher so gern „Herr Doktor" anredete, dich jetzt auf der
Straße nicht mehr kennt, und daß Fräulein U, die dich früher durchaus
bezaubern wollte, dich nun in allen Gesellschaften, die sie besucht, einen un¬
verschämten Menschen nennt. Der Erfolg des Journalisten beruht darauf,
immer Journalist bei einem angesehenen Blatte zu bleiben. Dabei wird man
nicht Millionär, genießt auch im allgemeinen keine besondre Achtung, aber
man hat eine gewisse Macht, die einem sehr viel Komplimente, lächelnde Ge¬
sichter und zu allen möglichen Vergnügungen Freikarten einbringt.

Eine Stufenleiter höher kommen wir zu dem Schriftsteller mit den an¬
geeigneten Gedanken. Über seine Bedeutung für unser geistiges Leben kann
keine Meinungsverschiedenheit herrschen; er ist es, der die Bücher bedeutender
Geister liest und ihre Gedanken oder wissenschaftliche Ergebnisse — wenn auch
manchmal etwas verflacht — in die gebildeten Kreise und nach und nach ins
Volk bringt. Das ist eine Aufgabe, der man sich sogar mit Begeisterung
hingeben kann — und der Erfolg? Wenn der Schriftsteller nicht, wie es
vielfach der Fall ist, irgend einen fachmännischer Beruf oder Vermögen hat
oder endlich Redakteur ist, so ist er meist schlimm daran. Er muß dann als
Mitarbeiter von Zeitungen leben, und dabei ist im ganzen keine Seide zu
spinnen. Die Konkurrenz ist auch hier heute zu groß, eben die Schriftsteller mit
Beruf und Vermögen und alle die, die wegen eines Nebenverdienstes oder


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[0477] einer den Gesetzen und dem Geist der Muttersprache entsprechenden Form schriftlich entwickelt. Damit schlösse ich freilich, wie ich nun zu meinem Schrecken sehe, alle nur berichtenden und beschreibenden (schildernden) Schrift¬ steller aus, und es unterliegt doch wohl keinem Zweifel, daß auch diese eine hohe Meisterschaft beweisen können. Also setzen wir für „eigne und fremde Gedanken" „Geschehenes, Gesehenes, Empfundnes und Gedachtes" und für „in logischer Weise" „in logischer oder anschaulicher Weise." Da aber möchte jeder Berichterstatter kommen und sagen, er sei Schriftsteller, und erst recht jeder Journalist. Lassen wir es daher bei den „Gedanken" und sagen wir für „fremde" noch richtiger „vollständig angeeignete." Für die Berichterstatter und Journalisten ist die Erfolgfrage ja auch leicht gelöst: der eine hat seinen Erfolg, wenn er möglichst viel Zeilen in möglichst vielen Zeitungen, die die Zeile mit mehr als fünf Pfennigen bezahlen, unterbringt, der andre, wenn er einen möglichst hohen Gehalt bezieht und möglichst wenig Ärger durch seineu Verleger und sein Publikum hat. Ehrgeiz darf der Journalist nur für seine Zeitung haben, es nützt ihm auch wenig, wenn er persönlich ehrgeizig ist; denn das Publikum hat — mit Recht — kein Gedächtnis sür Journalisteu- ucnnen, nicht einmal sür die der doch schon mehr persönlich hervortretenden Feuilletonisten. Verliere deine Stellung, großer Kritiker, und du kannst über¬ zeugt sei», daß der Herr Theaterdirektor, der vorher die Liebenswürdigkeit selbst war, auch deinen liebenswürdigsten Brief unbeantwortet läßt, daß Herr X, der dich früher so gern „Herr Doktor" anredete, dich jetzt auf der Straße nicht mehr kennt, und daß Fräulein U, die dich früher durchaus bezaubern wollte, dich nun in allen Gesellschaften, die sie besucht, einen un¬ verschämten Menschen nennt. Der Erfolg des Journalisten beruht darauf, immer Journalist bei einem angesehenen Blatte zu bleiben. Dabei wird man nicht Millionär, genießt auch im allgemeinen keine besondre Achtung, aber man hat eine gewisse Macht, die einem sehr viel Komplimente, lächelnde Ge¬ sichter und zu allen möglichen Vergnügungen Freikarten einbringt. Eine Stufenleiter höher kommen wir zu dem Schriftsteller mit den an¬ geeigneten Gedanken. Über seine Bedeutung für unser geistiges Leben kann keine Meinungsverschiedenheit herrschen; er ist es, der die Bücher bedeutender Geister liest und ihre Gedanken oder wissenschaftliche Ergebnisse — wenn auch manchmal etwas verflacht — in die gebildeten Kreise und nach und nach ins Volk bringt. Das ist eine Aufgabe, der man sich sogar mit Begeisterung hingeben kann — und der Erfolg? Wenn der Schriftsteller nicht, wie es vielfach der Fall ist, irgend einen fachmännischer Beruf oder Vermögen hat oder endlich Redakteur ist, so ist er meist schlimm daran. Er muß dann als Mitarbeiter von Zeitungen leben, und dabei ist im ganzen keine Seide zu spinnen. Die Konkurrenz ist auch hier heute zu groß, eben die Schriftsteller mit Beruf und Vermögen und alle die, die wegen eines Nebenverdienstes oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/477>, abgerufen am 22.07.2024.