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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Anselm Feuerbachs Leben und Kunst

Über die Ablehnung vernichtet), Nymphenbild (bei Schuck); die Med-een, Jphi
genier, die Poesie, die Madonna. Nur gelegentlich in dem "Tod des Pietro
Aretino" und in der Aleibiadesgruppe im "Gastmahl des Platon" hatte er
schon gezeigt, daß sich seine Art mit der Festhaltung der ruhenden Erscheinung
nicht zufrieden zu geben gedenke, daß ihn der bewegteste Vorgang nicht zurück¬
schrecke. Jetzt wagte er sich rückhaltlos, wie im Sturme, mit diesem innersten
Anliegen seiner Kunst heraus. Auch hier gleich in des Wortes sinnlicher Be¬
deutung! Denn Sturmbilder sind zugleich diese (in der wildesten Bewegung
gleichsam erstarrten mächtigen) Kampsgruppen der Mannweiber und der Halb¬
götter: die übereinanderstürzenden Amazoneuleiber mit der gespenstischen Sil¬
houette des stürmenden Reiters im Hintergrund und die schiebenden, stürzenden
Titanen mit der erstarrten Niobe in der Mitte. Im Sturme sährt sein Uranos
einher, der Gestalt, in der ein deutscher Meister mit Raphaels "Vision des
Ezechiel" in der malerischen Übersetzung des Michelangeloschen plastischen Typus
wetteifert, im Sturme seine Güa, und auf den Wogen des Meeres seine Venus
Ancidyomene. Unter den göttlichen Einzelgestalten der Wiener Auladecke sind
es diese , drei, die Feuerbach noch ganz allein gefertigt hat. Die übrigen
sind teils Ausführungen Feuerbachscher Entwürfe von seinem Schüler Tenschert,
teils in der Hauptsache eigne Erfindungen Griepenkerls. Als Feuerbachs De¬
vise für die ungeheure malerische Idee dieser Decke und zugleich für seine
Malerei überhaupt erscheint mir das Peudcint zum Titanensturz, das zweite
große Oval'y "Der gefesselte Prometheus." Nicht in irgend welchem trivialen
stürmerisch-drängerischen Sinne. In dieser Hinsicht bildet Feuerbachs theore¬
tisch nüchterne Natur vielmehr einen wohlthuenden Gegensatz gegen die phrascn-
rasselnden Kunstbramarbasse und Litteraturtitanen unsrer Zeit. Nein, wir meinen
das' wieder durchaus sinnfällig. .Genau wie der von Muskeln und BewegNngs-
draug geschwellte Nriesenleib. des Prometheus hier gefesselt liegt, von heran¬
schwimmenden Okeaniden, den Verkörperungen der ans Ufer schlagenden Wogen
getröstet, so möchte Feuerbach den ganzen riesigen Körper der bewegten Natur
in die Fesseln seiner strengen Konturen legen, so faßt er seine Aufgabe als
Künstler der Farben, dieser heitern, ,>beweglichen- Trösterinnen des schweren,
lastenden Daseins.,- / > - ^

Es hat Feuerbach nicht an Humor gefehlt. "Eine gewisse großartige
Heiterkeit, die ihm im Leben versagt blieb," schrieb er sich selbst bei seinem
künstlerischen Schaffen zu. Das Leben und Treiben des Kindes hat sein male¬
risches Auge immer angezogen und zu den tiefgehenden Studien im Festhalten
des bewegten kindlichen Körpers angeregt, die seine beiden Kinderbilder "Bal¬
gende Buben" und "Ständchen" wie in einem Kanon zusammenfassen. Selbst



Der Titanensturz war ursprünglich als Obloug geplant, die Farbenskizze dazu hängt
ni der Münchner neuen Pinakothek.
Grenzboten I 1895 5
Anselm Feuerbachs Leben und Kunst

Über die Ablehnung vernichtet), Nymphenbild (bei Schuck); die Med-een, Jphi
genier, die Poesie, die Madonna. Nur gelegentlich in dem „Tod des Pietro
Aretino" und in der Aleibiadesgruppe im „Gastmahl des Platon" hatte er
schon gezeigt, daß sich seine Art mit der Festhaltung der ruhenden Erscheinung
nicht zufrieden zu geben gedenke, daß ihn der bewegteste Vorgang nicht zurück¬
schrecke. Jetzt wagte er sich rückhaltlos, wie im Sturme, mit diesem innersten
Anliegen seiner Kunst heraus. Auch hier gleich in des Wortes sinnlicher Be¬
deutung! Denn Sturmbilder sind zugleich diese (in der wildesten Bewegung
gleichsam erstarrten mächtigen) Kampsgruppen der Mannweiber und der Halb¬
götter: die übereinanderstürzenden Amazoneuleiber mit der gespenstischen Sil¬
houette des stürmenden Reiters im Hintergrund und die schiebenden, stürzenden
Titanen mit der erstarrten Niobe in der Mitte. Im Sturme sährt sein Uranos
einher, der Gestalt, in der ein deutscher Meister mit Raphaels „Vision des
Ezechiel" in der malerischen Übersetzung des Michelangeloschen plastischen Typus
wetteifert, im Sturme seine Güa, und auf den Wogen des Meeres seine Venus
Ancidyomene. Unter den göttlichen Einzelgestalten der Wiener Auladecke sind
es diese , drei, die Feuerbach noch ganz allein gefertigt hat. Die übrigen
sind teils Ausführungen Feuerbachscher Entwürfe von seinem Schüler Tenschert,
teils in der Hauptsache eigne Erfindungen Griepenkerls. Als Feuerbachs De¬
vise für die ungeheure malerische Idee dieser Decke und zugleich für seine
Malerei überhaupt erscheint mir das Peudcint zum Titanensturz, das zweite
große Oval'y „Der gefesselte Prometheus." Nicht in irgend welchem trivialen
stürmerisch-drängerischen Sinne. In dieser Hinsicht bildet Feuerbachs theore¬
tisch nüchterne Natur vielmehr einen wohlthuenden Gegensatz gegen die phrascn-
rasselnden Kunstbramarbasse und Litteraturtitanen unsrer Zeit. Nein, wir meinen
das' wieder durchaus sinnfällig. .Genau wie der von Muskeln und BewegNngs-
draug geschwellte Nriesenleib. des Prometheus hier gefesselt liegt, von heran¬
schwimmenden Okeaniden, den Verkörperungen der ans Ufer schlagenden Wogen
getröstet, so möchte Feuerbach den ganzen riesigen Körper der bewegten Natur
in die Fesseln seiner strengen Konturen legen, so faßt er seine Aufgabe als
Künstler der Farben, dieser heitern, ,>beweglichen- Trösterinnen des schweren,
lastenden Daseins.,- / > - ^

Es hat Feuerbach nicht an Humor gefehlt. „Eine gewisse großartige
Heiterkeit, die ihm im Leben versagt blieb," schrieb er sich selbst bei seinem
künstlerischen Schaffen zu. Das Leben und Treiben des Kindes hat sein male¬
risches Auge immer angezogen und zu den tiefgehenden Studien im Festhalten
des bewegten kindlichen Körpers angeregt, die seine beiden Kinderbilder „Bal¬
gende Buben" und „Ständchen" wie in einem Kanon zusammenfassen. Selbst



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[0041] Anselm Feuerbachs Leben und Kunst Über die Ablehnung vernichtet), Nymphenbild (bei Schuck); die Med-een, Jphi genier, die Poesie, die Madonna. Nur gelegentlich in dem „Tod des Pietro Aretino" und in der Aleibiadesgruppe im „Gastmahl des Platon" hatte er schon gezeigt, daß sich seine Art mit der Festhaltung der ruhenden Erscheinung nicht zufrieden zu geben gedenke, daß ihn der bewegteste Vorgang nicht zurück¬ schrecke. Jetzt wagte er sich rückhaltlos, wie im Sturme, mit diesem innersten Anliegen seiner Kunst heraus. Auch hier gleich in des Wortes sinnlicher Be¬ deutung! Denn Sturmbilder sind zugleich diese (in der wildesten Bewegung gleichsam erstarrten mächtigen) Kampsgruppen der Mannweiber und der Halb¬ götter: die übereinanderstürzenden Amazoneuleiber mit der gespenstischen Sil¬ houette des stürmenden Reiters im Hintergrund und die schiebenden, stürzenden Titanen mit der erstarrten Niobe in der Mitte. Im Sturme sährt sein Uranos einher, der Gestalt, in der ein deutscher Meister mit Raphaels „Vision des Ezechiel" in der malerischen Übersetzung des Michelangeloschen plastischen Typus wetteifert, im Sturme seine Güa, und auf den Wogen des Meeres seine Venus Ancidyomene. Unter den göttlichen Einzelgestalten der Wiener Auladecke sind es diese , drei, die Feuerbach noch ganz allein gefertigt hat. Die übrigen sind teils Ausführungen Feuerbachscher Entwürfe von seinem Schüler Tenschert, teils in der Hauptsache eigne Erfindungen Griepenkerls. Als Feuerbachs De¬ vise für die ungeheure malerische Idee dieser Decke und zugleich für seine Malerei überhaupt erscheint mir das Peudcint zum Titanensturz, das zweite große Oval'y „Der gefesselte Prometheus." Nicht in irgend welchem trivialen stürmerisch-drängerischen Sinne. In dieser Hinsicht bildet Feuerbachs theore¬ tisch nüchterne Natur vielmehr einen wohlthuenden Gegensatz gegen die phrascn- rasselnden Kunstbramarbasse und Litteraturtitanen unsrer Zeit. Nein, wir meinen das' wieder durchaus sinnfällig. .Genau wie der von Muskeln und BewegNngs- draug geschwellte Nriesenleib. des Prometheus hier gefesselt liegt, von heran¬ schwimmenden Okeaniden, den Verkörperungen der ans Ufer schlagenden Wogen getröstet, so möchte Feuerbach den ganzen riesigen Körper der bewegten Natur in die Fesseln seiner strengen Konturen legen, so faßt er seine Aufgabe als Künstler der Farben, dieser heitern, ,>beweglichen- Trösterinnen des schweren, lastenden Daseins.,- / > - ^ Es hat Feuerbach nicht an Humor gefehlt. „Eine gewisse großartige Heiterkeit, die ihm im Leben versagt blieb," schrieb er sich selbst bei seinem künstlerischen Schaffen zu. Das Leben und Treiben des Kindes hat sein male¬ risches Auge immer angezogen und zu den tiefgehenden Studien im Festhalten des bewegten kindlichen Körpers angeregt, die seine beiden Kinderbilder „Bal¬ gende Buben" und „Ständchen" wie in einem Kanon zusammenfassen. Selbst Der Titanensturz war ursprünglich als Obloug geplant, die Farbenskizze dazu hängt ni der Münchner neuen Pinakothek. Grenzboten I 1895 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/41>, abgerufen am 22.07.2024.