Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anselm Feuerbachs Leben und llunst

wird immer ein Künstler für die zehn Kenner unter den tausend Freunden
seiner Kunst überhaupt bleibe". Böcklins eigentümliche Jdealisirung des Cha¬
rakteristischen, ja Bizarren, seine Wirkungen aus die Empfindung, die von Natur
statt auf Dauer der Erscheinung auf das Übergehende, Schwankende, schwellende
und Wogende des Augenblicks gerichtet sind, sie leuchteten schließlich dem tiefern
Bestreben'in der "modernen" Anschauungsweise ein, die im Moment lebt und
doch zu sehr Anschauung ist, um in ihm aufzugehen. Für sie ist Böcklin mit
seinen "blauen" Wundern, seinen wallenden Wogen und wehenden Lüften,
seinen Schaum- und Luftgeschöpfen, deren Verrenkungen und Verzeichnungen
nur das eigentümlich Huschende, Standlose, Wesenlose der Hallucination noch/
erhöhen, der rechte Mann. Feuerbach stößt ab. Denn er giebt und -- fordert>
Beharrung, Zusammenfassung, ja in gewissem Sinne Anziehung. Man muß
sich mit dem Blicke festsaugen an diesen trotzigen Gestalten eines nicht vom
Platze und nicht aus der Zeit weichenden sinnlichen Volllebens. Man hat es
hier mit einem Maler zu thun, der es sich in den Kopf gesetzt zu haben scheint,
das, "was in schwankender Erscheinung schwebt," statt in Gedanken "in dauernden
Figuren" in des Wortes sinnlicher Bedeutung festzuhalten. Darum sind semel
bis auf den heutigen Tag am meisten angefochtnen unter seinen Kompositionen
(die zuerst in Wien ausgestellte und "gerichtete" Amazonenschlacht und die
Deckenbilder für die Aula der Akademie in Wien) gerade der entschiedenste
Ausdruck seines künstlerischen Bestrebens. Hier -- bei den Deckenbildern zum
Titanensturz -- hat er einmal die überschwengliche Empfindung ausgesprochen,
"für ein Menschenleben genug" gethan zu haben. In diesen Kompositionen
hat es der Maler unternommen, sein Streben nach unbedingter plastischer Be¬
stimmtheit im Ausdruck der fließenden Erscheinung menschlicher Körper in den
größten Verhältnissen und an den widerstrebendsten Vorwürfen durchzuführen.
Das Recht zu jenen großen Dimensionen für seine Darstellungen hat ihm sein
zeitweiliger Mäcen Schack bestritten. Feuerbach hat sich durch seinen Zug
ins Große mancher' Stütze seines äußern Lebens beraubt, die einem ihm
möglichst unähnlichen und üngleichwertigen Talente, dem zick-und gestaltungs¬
losen Experimentirer, Hans Marees , zu gute kam.*) Feuerbach mußte ins
Große, ja ins Größte malen, wenn seine Art Bedeutung erhalten, wenn sie
die feinem eisernen Fleiß entsprechende Entfaltung seines besondern Vermögens
zulassen sollte. Dieses galt aber der höchstmöglichen malerischen FestbannUng
der plastischen Körperform in allen Lagen und Verhältnissen. Bis dahin
hatte Feuerbach streng statutarisch bestimmte Vorwürfe in Gruppenbildern,
Doppel- und Einzelfiguren vorgezogen: Dante mit den edeln Frauen, die
Gärten des Ariost , das Urteil des Paris, Hafis am Brunnen, PietZ. - Paolo
und Francescci, die Versuchung des heiligen Antonius (vom Maler im Ärger



D. M ") Unsers Wissens war es aber nicht Schack, der Marves hauptsächlich förderte. '
Anselm Feuerbachs Leben und llunst

wird immer ein Künstler für die zehn Kenner unter den tausend Freunden
seiner Kunst überhaupt bleibe«. Böcklins eigentümliche Jdealisirung des Cha¬
rakteristischen, ja Bizarren, seine Wirkungen aus die Empfindung, die von Natur
statt auf Dauer der Erscheinung auf das Übergehende, Schwankende, schwellende
und Wogende des Augenblicks gerichtet sind, sie leuchteten schließlich dem tiefern
Bestreben'in der „modernen" Anschauungsweise ein, die im Moment lebt und
doch zu sehr Anschauung ist, um in ihm aufzugehen. Für sie ist Böcklin mit
seinen „blauen" Wundern, seinen wallenden Wogen und wehenden Lüften,
seinen Schaum- und Luftgeschöpfen, deren Verrenkungen und Verzeichnungen
nur das eigentümlich Huschende, Standlose, Wesenlose der Hallucination noch/
erhöhen, der rechte Mann. Feuerbach stößt ab. Denn er giebt und — fordert>
Beharrung, Zusammenfassung, ja in gewissem Sinne Anziehung. Man muß
sich mit dem Blicke festsaugen an diesen trotzigen Gestalten eines nicht vom
Platze und nicht aus der Zeit weichenden sinnlichen Volllebens. Man hat es
hier mit einem Maler zu thun, der es sich in den Kopf gesetzt zu haben scheint,
das, „was in schwankender Erscheinung schwebt," statt in Gedanken „in dauernden
Figuren" in des Wortes sinnlicher Bedeutung festzuhalten. Darum sind semel
bis auf den heutigen Tag am meisten angefochtnen unter seinen Kompositionen
(die zuerst in Wien ausgestellte und „gerichtete" Amazonenschlacht und die
Deckenbilder für die Aula der Akademie in Wien) gerade der entschiedenste
Ausdruck seines künstlerischen Bestrebens. Hier — bei den Deckenbildern zum
Titanensturz — hat er einmal die überschwengliche Empfindung ausgesprochen,
„für ein Menschenleben genug" gethan zu haben. In diesen Kompositionen
hat es der Maler unternommen, sein Streben nach unbedingter plastischer Be¬
stimmtheit im Ausdruck der fließenden Erscheinung menschlicher Körper in den
größten Verhältnissen und an den widerstrebendsten Vorwürfen durchzuführen.
Das Recht zu jenen großen Dimensionen für seine Darstellungen hat ihm sein
zeitweiliger Mäcen Schack bestritten. Feuerbach hat sich durch seinen Zug
ins Große mancher' Stütze seines äußern Lebens beraubt, die einem ihm
möglichst unähnlichen und üngleichwertigen Talente, dem zick-und gestaltungs¬
losen Experimentirer, Hans Marees , zu gute kam.*) Feuerbach mußte ins
Große, ja ins Größte malen, wenn seine Art Bedeutung erhalten, wenn sie
die feinem eisernen Fleiß entsprechende Entfaltung seines besondern Vermögens
zulassen sollte. Dieses galt aber der höchstmöglichen malerischen FestbannUng
der plastischen Körperform in allen Lagen und Verhältnissen. Bis dahin
hatte Feuerbach streng statutarisch bestimmte Vorwürfe in Gruppenbildern,
Doppel- und Einzelfiguren vorgezogen: Dante mit den edeln Frauen, die
Gärten des Ariost , das Urteil des Paris, Hafis am Brunnen, PietZ. - Paolo
und Francescci, die Versuchung des heiligen Antonius (vom Maler im Ärger



D. M ») Unsers Wissens war es aber nicht Schack, der Marves hauptsächlich förderte. '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219042"/>
          <fw type="header" place="top"> Anselm Feuerbachs Leben und llunst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_100" prev="#ID_99" next="#ID_101"> wird immer ein Künstler für die zehn Kenner unter den tausend Freunden<lb/>
seiner Kunst überhaupt bleibe«. Böcklins eigentümliche Jdealisirung des Cha¬<lb/>
rakteristischen, ja Bizarren, seine Wirkungen aus die Empfindung, die von Natur<lb/>
statt auf Dauer der Erscheinung auf das Übergehende, Schwankende, schwellende<lb/>
und Wogende des Augenblicks gerichtet sind, sie leuchteten schließlich dem tiefern<lb/>
Bestreben'in der &#x201E;modernen" Anschauungsweise ein, die im Moment lebt und<lb/>
doch zu sehr Anschauung ist, um in ihm aufzugehen. Für sie ist Böcklin mit<lb/>
seinen &#x201E;blauen" Wundern, seinen wallenden Wogen und wehenden Lüften,<lb/>
seinen Schaum- und Luftgeschöpfen, deren Verrenkungen und Verzeichnungen<lb/>
nur das eigentümlich Huschende, Standlose, Wesenlose der Hallucination noch/<lb/>
erhöhen, der rechte Mann. Feuerbach stößt ab. Denn er giebt und &#x2014; fordert&gt;<lb/>
Beharrung, Zusammenfassung, ja in gewissem Sinne Anziehung. Man muß<lb/>
sich mit dem Blicke festsaugen an diesen trotzigen Gestalten eines nicht vom<lb/>
Platze und nicht aus der Zeit weichenden sinnlichen Volllebens. Man hat es<lb/>
hier mit einem Maler zu thun, der es sich in den Kopf gesetzt zu haben scheint,<lb/>
das, &#x201E;was in schwankender Erscheinung schwebt," statt in Gedanken &#x201E;in dauernden<lb/>
Figuren" in des Wortes sinnlicher Bedeutung festzuhalten. Darum sind semel<lb/>
bis auf den heutigen Tag am meisten angefochtnen unter seinen Kompositionen<lb/>
(die zuerst in Wien ausgestellte und &#x201E;gerichtete" Amazonenschlacht und die<lb/>
Deckenbilder für die Aula der Akademie in Wien) gerade der entschiedenste<lb/>
Ausdruck seines künstlerischen Bestrebens. Hier &#x2014; bei den Deckenbildern zum<lb/>
Titanensturz &#x2014; hat er einmal die überschwengliche Empfindung ausgesprochen,<lb/>
&#x201E;für ein Menschenleben genug" gethan zu haben. In diesen Kompositionen<lb/>
hat es der Maler unternommen, sein Streben nach unbedingter plastischer Be¬<lb/>
stimmtheit im Ausdruck der fließenden Erscheinung menschlicher Körper in den<lb/>
größten Verhältnissen und an den widerstrebendsten Vorwürfen durchzuführen.<lb/>
Das Recht zu jenen großen Dimensionen für seine Darstellungen hat ihm sein<lb/>
zeitweiliger Mäcen Schack bestritten. Feuerbach hat sich durch seinen Zug<lb/>
ins Große mancher' Stütze seines äußern Lebens beraubt, die einem ihm<lb/>
möglichst unähnlichen und üngleichwertigen Talente, dem zick-und gestaltungs¬<lb/>
losen Experimentirer, Hans Marees , zu gute kam.*) Feuerbach mußte ins<lb/>
Große, ja ins Größte malen, wenn seine Art Bedeutung erhalten, wenn sie<lb/>
die feinem eisernen Fleiß entsprechende Entfaltung seines besondern Vermögens<lb/>
zulassen sollte. Dieses galt aber der höchstmöglichen malerischen FestbannUng<lb/>
der plastischen Körperform in allen Lagen und Verhältnissen. Bis dahin<lb/>
hatte Feuerbach streng statutarisch bestimmte Vorwürfe in Gruppenbildern,<lb/>
Doppel- und Einzelfiguren vorgezogen: Dante mit den edeln Frauen, die<lb/>
Gärten des Ariost , das Urteil des Paris, Hafis am Brunnen, PietZ. - Paolo<lb/>
und Francescci, die Versuchung des heiligen Antonius (vom Maler im Ärger</p><lb/>
          <note xml:id="FID_9" place="foot"><note type="byline"> D. M </note> ») Unsers Wissens war es aber nicht Schack, der Marves hauptsächlich förderte. '</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0040] Anselm Feuerbachs Leben und llunst wird immer ein Künstler für die zehn Kenner unter den tausend Freunden seiner Kunst überhaupt bleibe«. Böcklins eigentümliche Jdealisirung des Cha¬ rakteristischen, ja Bizarren, seine Wirkungen aus die Empfindung, die von Natur statt auf Dauer der Erscheinung auf das Übergehende, Schwankende, schwellende und Wogende des Augenblicks gerichtet sind, sie leuchteten schließlich dem tiefern Bestreben'in der „modernen" Anschauungsweise ein, die im Moment lebt und doch zu sehr Anschauung ist, um in ihm aufzugehen. Für sie ist Böcklin mit seinen „blauen" Wundern, seinen wallenden Wogen und wehenden Lüften, seinen Schaum- und Luftgeschöpfen, deren Verrenkungen und Verzeichnungen nur das eigentümlich Huschende, Standlose, Wesenlose der Hallucination noch/ erhöhen, der rechte Mann. Feuerbach stößt ab. Denn er giebt und — fordert> Beharrung, Zusammenfassung, ja in gewissem Sinne Anziehung. Man muß sich mit dem Blicke festsaugen an diesen trotzigen Gestalten eines nicht vom Platze und nicht aus der Zeit weichenden sinnlichen Volllebens. Man hat es hier mit einem Maler zu thun, der es sich in den Kopf gesetzt zu haben scheint, das, „was in schwankender Erscheinung schwebt," statt in Gedanken „in dauernden Figuren" in des Wortes sinnlicher Bedeutung festzuhalten. Darum sind semel bis auf den heutigen Tag am meisten angefochtnen unter seinen Kompositionen (die zuerst in Wien ausgestellte und „gerichtete" Amazonenschlacht und die Deckenbilder für die Aula der Akademie in Wien) gerade der entschiedenste Ausdruck seines künstlerischen Bestrebens. Hier — bei den Deckenbildern zum Titanensturz — hat er einmal die überschwengliche Empfindung ausgesprochen, „für ein Menschenleben genug" gethan zu haben. In diesen Kompositionen hat es der Maler unternommen, sein Streben nach unbedingter plastischer Be¬ stimmtheit im Ausdruck der fließenden Erscheinung menschlicher Körper in den größten Verhältnissen und an den widerstrebendsten Vorwürfen durchzuführen. Das Recht zu jenen großen Dimensionen für seine Darstellungen hat ihm sein zeitweiliger Mäcen Schack bestritten. Feuerbach hat sich durch seinen Zug ins Große mancher' Stütze seines äußern Lebens beraubt, die einem ihm möglichst unähnlichen und üngleichwertigen Talente, dem zick-und gestaltungs¬ losen Experimentirer, Hans Marees , zu gute kam.*) Feuerbach mußte ins Große, ja ins Größte malen, wenn seine Art Bedeutung erhalten, wenn sie die feinem eisernen Fleiß entsprechende Entfaltung seines besondern Vermögens zulassen sollte. Dieses galt aber der höchstmöglichen malerischen FestbannUng der plastischen Körperform in allen Lagen und Verhältnissen. Bis dahin hatte Feuerbach streng statutarisch bestimmte Vorwürfe in Gruppenbildern, Doppel- und Einzelfiguren vorgezogen: Dante mit den edeln Frauen, die Gärten des Ariost , das Urteil des Paris, Hafis am Brunnen, PietZ. - Paolo und Francescci, die Versuchung des heiligen Antonius (vom Maler im Ärger D. M ») Unsers Wissens war es aber nicht Schack, der Marves hauptsächlich förderte. '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/40
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/40>, abgerufen am 22.07.2024.