Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Anselm Feuerbachs Leben und Kunst mitten in dem Sturz seiner Titanen sollte sein Poseidon das olympische Lachen Welch ein Jammer, daß ein hartes, unnachsichtiges Geschick den edeln ". B. Anselm Feuerbachs Leben und Kunst mitten in dem Sturz seiner Titanen sollte sein Poseidon das olympische Lachen Welch ein Jammer, daß ein hartes, unnachsichtiges Geschick den edeln «. B. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219044"/> <fw type="header" place="top"> Anselm Feuerbachs Leben und Kunst</fw><lb/> <p xml:id="ID_103" prev="#ID_102"> mitten in dem Sturz seiner Titanen sollte sein Poseidon das olympische Lachen<lb/> der seligen Götter zum Ausdruck bringen. Aber im wesentlichen äußerte sich<lb/> der besondre Humor dieser ernsten Kunstlererscheinung doch mehr in einer prak¬<lb/> tischen Fähigkeit des Humoristen: nämlich in entgegengesetzte Stimmungen an¬<lb/> standslos überzugehen, verschiedne Stoffwellen gleichzeitig zu beherrschen. Zu<lb/> derselben Zeit am Ende seines Lebens, wo er die Titcmcnbilder für Wien ent¬<lb/> warf, malte er in Oberitalien das große .Krönungsbild Kaiser Ludwigs des<lb/> Baiern für Nürnberg und die Krone seiner Schöpfungen für viele, denen er<lb/> sonst ein Fremder bleiben würde, das „Konzert" in der Berliner Nativnal-<lb/> galerie. Der privilegirte dicke Bückermeister im Huldigungsznge des Krönnngs-<lb/> bildes, wie der übermütige Putto über der Gruppe der Handelsherren sind<lb/> lustig genug. Aber der sonnige Eindruck dieser beiden Goldgrundbilder beruht<lb/> doch auf etwas anderen und tieferen als gewöhnlicher Heiterkeit. Es ist etwas<lb/> wie Heimat in diesen Bildern gegenüber der sonstigen strengen klassischen Ab¬<lb/> geschlossenheit der Feuerbachschen Muse. Wie die endliche Landung im Hafen<lb/> der vaterländischen Fürsorge sie eingegeben hat, so regt es sich darin wie ein<lb/> frohes Wiederanknüpfen ein die bürgerlichen und gemütlichen Beziehungen der<lb/> Heimat. Nicht zufällig ist es die Musik, diese gemeinsame Lebensmitgabe der<lb/> (doch wohl meist und im letzten Grnnde nur aus Mittellosigkeit harten) deut¬<lb/> schen Mutter an ihre Söhne, die in dem Quartett der vier musizirenden<lb/> Frauen so wahrhaft musikalisch gefeiert wird. Feuerbach war eine musikalische<lb/> Natur, ein sicherer Quartettsänger, ein leidenschaftlicher Musikfreund. In den<lb/> zartern verschwebenden Konturen der Töne fand er das, was sein heißes künstle¬<lb/> risches Bestreben bei den strengen, uunnchlässigen Formen seiner Bildkunst nicht<lb/> aufkommen ließ, Freiheit, Nachlassung, Lebensfreude.</p><lb/> <p xml:id="ID_104"> Welch ein Jammer, daß ein hartes, unnachsichtiges Geschick den edeln<lb/> Meister alsbald hinwegraffte, da er künstlerisch am Ziel war, aber den ver¬<lb/> dienten Lohn seines mühe- und arbeitreichen Daseins eben erst gewinnen sollte!<lb/> Was hätte er noch schaffen können, um die vielen unwegsamen Höhen seiner<lb/> künstlerischen Sphäre auch den minder geübten unter seinen Landsleuten zu<lb/> erschließen! Freuen wir uns, daß Zugänge hierfür vorhanden sind, und<lb/> daß jeder, von welcher Seite es auch sei, sich den hohen Anliegen dieses<lb/> musterhaften Künstlerdaseins nähern kann, das der Freund des Verewigten in<lb/> seinem schönen Buche der Nation vorlegt. Wenn nicht vom künstlerischen, so<lb/> schlage man vom ethischen Standpunkte diese Biographie auf, die an einem<lb/> frischen Beispiele das in unsern Tagen doppelt nötige Muster eines rein<lb/> geistigen Bestrebens aufstellt. In dem gemeinen Nützlichkeitssinne der Zeit<lb/> war es ein Leben pro nilülo. In dem Sinne der wirklichen Aufgabe mensch¬<lb/> lichen Daseins in dieser Welt des Scheins und des Nichts war es ein Leben<lb/> für das Wahre und das All, ein unsterbliches Leben.</p><lb/> <note type="byline"> «. B.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
Anselm Feuerbachs Leben und Kunst
mitten in dem Sturz seiner Titanen sollte sein Poseidon das olympische Lachen
der seligen Götter zum Ausdruck bringen. Aber im wesentlichen äußerte sich
der besondre Humor dieser ernsten Kunstlererscheinung doch mehr in einer prak¬
tischen Fähigkeit des Humoristen: nämlich in entgegengesetzte Stimmungen an¬
standslos überzugehen, verschiedne Stoffwellen gleichzeitig zu beherrschen. Zu
derselben Zeit am Ende seines Lebens, wo er die Titcmcnbilder für Wien ent¬
warf, malte er in Oberitalien das große .Krönungsbild Kaiser Ludwigs des
Baiern für Nürnberg und die Krone seiner Schöpfungen für viele, denen er
sonst ein Fremder bleiben würde, das „Konzert" in der Berliner Nativnal-
galerie. Der privilegirte dicke Bückermeister im Huldigungsznge des Krönnngs-
bildes, wie der übermütige Putto über der Gruppe der Handelsherren sind
lustig genug. Aber der sonnige Eindruck dieser beiden Goldgrundbilder beruht
doch auf etwas anderen und tieferen als gewöhnlicher Heiterkeit. Es ist etwas
wie Heimat in diesen Bildern gegenüber der sonstigen strengen klassischen Ab¬
geschlossenheit der Feuerbachschen Muse. Wie die endliche Landung im Hafen
der vaterländischen Fürsorge sie eingegeben hat, so regt es sich darin wie ein
frohes Wiederanknüpfen ein die bürgerlichen und gemütlichen Beziehungen der
Heimat. Nicht zufällig ist es die Musik, diese gemeinsame Lebensmitgabe der
(doch wohl meist und im letzten Grnnde nur aus Mittellosigkeit harten) deut¬
schen Mutter an ihre Söhne, die in dem Quartett der vier musizirenden
Frauen so wahrhaft musikalisch gefeiert wird. Feuerbach war eine musikalische
Natur, ein sicherer Quartettsänger, ein leidenschaftlicher Musikfreund. In den
zartern verschwebenden Konturen der Töne fand er das, was sein heißes künstle¬
risches Bestreben bei den strengen, uunnchlässigen Formen seiner Bildkunst nicht
aufkommen ließ, Freiheit, Nachlassung, Lebensfreude.
Welch ein Jammer, daß ein hartes, unnachsichtiges Geschick den edeln
Meister alsbald hinwegraffte, da er künstlerisch am Ziel war, aber den ver¬
dienten Lohn seines mühe- und arbeitreichen Daseins eben erst gewinnen sollte!
Was hätte er noch schaffen können, um die vielen unwegsamen Höhen seiner
künstlerischen Sphäre auch den minder geübten unter seinen Landsleuten zu
erschließen! Freuen wir uns, daß Zugänge hierfür vorhanden sind, und
daß jeder, von welcher Seite es auch sei, sich den hohen Anliegen dieses
musterhaften Künstlerdaseins nähern kann, das der Freund des Verewigten in
seinem schönen Buche der Nation vorlegt. Wenn nicht vom künstlerischen, so
schlage man vom ethischen Standpunkte diese Biographie auf, die an einem
frischen Beispiele das in unsern Tagen doppelt nötige Muster eines rein
geistigen Bestrebens aufstellt. In dem gemeinen Nützlichkeitssinne der Zeit
war es ein Leben pro nilülo. In dem Sinne der wirklichen Aufgabe mensch¬
lichen Daseins in dieser Welt des Scheins und des Nichts war es ein Leben
für das Wahre und das All, ein unsterbliches Leben.
«. B.
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