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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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schichtlichem Persönlichkeit nachweisen können. Dieser Punkt ist zwischen den
ältesten Christen und den Juden oft erörtert wurden, und die Anfertigung einer
Genealogie Jesu, die ihn als "Sohn Abrahams, Sohn Davids" nachwies,
konnte nicht unterbleiben, ja sie muß zu der frühesten litterarischen Thätigkeit
der Christen gehört haben und der Aufzeichnung der Evangelien vorausgegangen
sein. Solch eine alte Genealogie mit der dazu gehörigen Überschrift liegt zu
Aufang des Matthäusevaugeliums vor.

Aber wie? Das soll eine Genealogie Jesu sein, was wir im ersten Ka¬
pitel unsers Matthäusevaugeliums lesen? Nun, in der heutigen Gestalt aller¬
dings nicht, aber es ist einmal eine gewesen. Zwar führt die Liste Glied für
Glied von Abraham bis auf Joseph, aber dort hört sie auf: Jesus hat mit
Joseph nichts mehr zu thun, denn Vers 16 lautet bekanntlich: "Jakob zeugte
Joseph, den Manu der Maria, aus der gezeugt wurde Jesus, deu mau Christus
heißt." Damit wird offenbar augedeutet, daß Joseph nicht der Vater Jesu
gewesen sei, sondern nur der Mann der Maria, "aus der gezeugt wurde Jesus,
der Christus heißt," wobei ungesagt bleibt, wer der vorausgesetzte Erzeuger ist.
Gedacht wurde natürlich an den Geist Gottes.

Daß die Genealogie mit diesem Schluß nicht leistete, was sie eigentlich
leisten sollte, ist klar, denn wenn Jesus nicht von Joseph gezeugt ist, so steht
er ja in keiner Blutsverwandtschaft mit David, aus dessen Samen er als
Messias doch kommen muß. Diese Schwierigkeit meinen die Vertreter der her¬
kömmlichen Theologie ans doppeltem Wege beseitigen zu können. Erstens wird
geltend gemacht, Joseph sei immerhin "in rechtlichem Sinne" der Vater Jesu
gewesen, während thatsächlich nur ein Advptivnsverhältnis bestanden habe.
So beliebt aber auch diese Auskunft ist, so ungenügend ist sie. Bei der Ab¬
stammung von David handelt es sich natürlich um Blutsverwandtschaft und
nicht um ein fingirtes Verhältnis in deu Augen der Welt, dessen "Rechtlich¬
keit" überhaupt nicht einzusehen ist. War Jesus vom Stamme Davids, so
war er anch Josephs Sohn; war er aber das eine nicht, so ist er auch das
andre nicht gewesen. Es wird denn nun auch vielfach anerkannt, daß in dem
Stammbaum eine eigentliche Davidssohnschaft nicht vorliege -- es fragt sich
nur, wozu das Register denn überhaupt dasteht! --, aber die Blutsverwandt¬
schaft werde durch Maria hergestellt, die auch vom Stamme Davids gewesen sei.
Das ist aber eine reine Erfindung. Nirgends in den Evangelien oder sonst
im Neuen Testament ist gesagt oder irgendwie angedeutet, daß Maria zum
Davidischen Geschlecht gehört habe; wenn mau Andeutungen über ihre Her¬
kunft suchen will, so könnte man eher auf levitische Abstammung schließen.
"Vom Hause Davids" ist immer und überall nur von Joseph gesagt. Da
aber angesichts des Stammbaumschlusscs die ganze Davidsohuschaft Jesu auf
der Frage beruht, ob seine Mutter aus Davids Stamme sei oder nicht, so ist
es gar nicht denkbar, daß die Evangelisten das verschwiegen haben sollten,


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schichtlichem Persönlichkeit nachweisen können. Dieser Punkt ist zwischen den
ältesten Christen und den Juden oft erörtert wurden, und die Anfertigung einer
Genealogie Jesu, die ihn als „Sohn Abrahams, Sohn Davids" nachwies,
konnte nicht unterbleiben, ja sie muß zu der frühesten litterarischen Thätigkeit
der Christen gehört haben und der Aufzeichnung der Evangelien vorausgegangen
sein. Solch eine alte Genealogie mit der dazu gehörigen Überschrift liegt zu
Aufang des Matthäusevaugeliums vor.

Aber wie? Das soll eine Genealogie Jesu sein, was wir im ersten Ka¬
pitel unsers Matthäusevaugeliums lesen? Nun, in der heutigen Gestalt aller¬
dings nicht, aber es ist einmal eine gewesen. Zwar führt die Liste Glied für
Glied von Abraham bis auf Joseph, aber dort hört sie auf: Jesus hat mit
Joseph nichts mehr zu thun, denn Vers 16 lautet bekanntlich: „Jakob zeugte
Joseph, den Manu der Maria, aus der gezeugt wurde Jesus, deu mau Christus
heißt." Damit wird offenbar augedeutet, daß Joseph nicht der Vater Jesu
gewesen sei, sondern nur der Mann der Maria, „aus der gezeugt wurde Jesus,
der Christus heißt," wobei ungesagt bleibt, wer der vorausgesetzte Erzeuger ist.
Gedacht wurde natürlich an den Geist Gottes.

Daß die Genealogie mit diesem Schluß nicht leistete, was sie eigentlich
leisten sollte, ist klar, denn wenn Jesus nicht von Joseph gezeugt ist, so steht
er ja in keiner Blutsverwandtschaft mit David, aus dessen Samen er als
Messias doch kommen muß. Diese Schwierigkeit meinen die Vertreter der her¬
kömmlichen Theologie ans doppeltem Wege beseitigen zu können. Erstens wird
geltend gemacht, Joseph sei immerhin „in rechtlichem Sinne" der Vater Jesu
gewesen, während thatsächlich nur ein Advptivnsverhältnis bestanden habe.
So beliebt aber auch diese Auskunft ist, so ungenügend ist sie. Bei der Ab¬
stammung von David handelt es sich natürlich um Blutsverwandtschaft und
nicht um ein fingirtes Verhältnis in deu Augen der Welt, dessen „Rechtlich¬
keit" überhaupt nicht einzusehen ist. War Jesus vom Stamme Davids, so
war er anch Josephs Sohn; war er aber das eine nicht, so ist er auch das
andre nicht gewesen. Es wird denn nun auch vielfach anerkannt, daß in dem
Stammbaum eine eigentliche Davidssohnschaft nicht vorliege — es fragt sich
nur, wozu das Register denn überhaupt dasteht! —, aber die Blutsverwandt¬
schaft werde durch Maria hergestellt, die auch vom Stamme Davids gewesen sei.
Das ist aber eine reine Erfindung. Nirgends in den Evangelien oder sonst
im Neuen Testament ist gesagt oder irgendwie angedeutet, daß Maria zum
Davidischen Geschlecht gehört habe; wenn mau Andeutungen über ihre Her¬
kunft suchen will, so könnte man eher auf levitische Abstammung schließen.
„Vom Hause Davids" ist immer und überall nur von Joseph gesagt. Da
aber angesichts des Stammbaumschlusscs die ganze Davidsohuschaft Jesu auf
der Frage beruht, ob seine Mutter aus Davids Stamme sei oder nicht, so ist
es gar nicht denkbar, daß die Evangelisten das verschwiegen haben sollten,


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[0383] Line Rechtfertigung der theologischen Wissenschaft schichtlichem Persönlichkeit nachweisen können. Dieser Punkt ist zwischen den ältesten Christen und den Juden oft erörtert wurden, und die Anfertigung einer Genealogie Jesu, die ihn als „Sohn Abrahams, Sohn Davids" nachwies, konnte nicht unterbleiben, ja sie muß zu der frühesten litterarischen Thätigkeit der Christen gehört haben und der Aufzeichnung der Evangelien vorausgegangen sein. Solch eine alte Genealogie mit der dazu gehörigen Überschrift liegt zu Aufang des Matthäusevaugeliums vor. Aber wie? Das soll eine Genealogie Jesu sein, was wir im ersten Ka¬ pitel unsers Matthäusevaugeliums lesen? Nun, in der heutigen Gestalt aller¬ dings nicht, aber es ist einmal eine gewesen. Zwar führt die Liste Glied für Glied von Abraham bis auf Joseph, aber dort hört sie auf: Jesus hat mit Joseph nichts mehr zu thun, denn Vers 16 lautet bekanntlich: „Jakob zeugte Joseph, den Manu der Maria, aus der gezeugt wurde Jesus, deu mau Christus heißt." Damit wird offenbar augedeutet, daß Joseph nicht der Vater Jesu gewesen sei, sondern nur der Mann der Maria, „aus der gezeugt wurde Jesus, der Christus heißt," wobei ungesagt bleibt, wer der vorausgesetzte Erzeuger ist. Gedacht wurde natürlich an den Geist Gottes. Daß die Genealogie mit diesem Schluß nicht leistete, was sie eigentlich leisten sollte, ist klar, denn wenn Jesus nicht von Joseph gezeugt ist, so steht er ja in keiner Blutsverwandtschaft mit David, aus dessen Samen er als Messias doch kommen muß. Diese Schwierigkeit meinen die Vertreter der her¬ kömmlichen Theologie ans doppeltem Wege beseitigen zu können. Erstens wird geltend gemacht, Joseph sei immerhin „in rechtlichem Sinne" der Vater Jesu gewesen, während thatsächlich nur ein Advptivnsverhältnis bestanden habe. So beliebt aber auch diese Auskunft ist, so ungenügend ist sie. Bei der Ab¬ stammung von David handelt es sich natürlich um Blutsverwandtschaft und nicht um ein fingirtes Verhältnis in deu Augen der Welt, dessen „Rechtlich¬ keit" überhaupt nicht einzusehen ist. War Jesus vom Stamme Davids, so war er anch Josephs Sohn; war er aber das eine nicht, so ist er auch das andre nicht gewesen. Es wird denn nun auch vielfach anerkannt, daß in dem Stammbaum eine eigentliche Davidssohnschaft nicht vorliege — es fragt sich nur, wozu das Register denn überhaupt dasteht! —, aber die Blutsverwandt¬ schaft werde durch Maria hergestellt, die auch vom Stamme Davids gewesen sei. Das ist aber eine reine Erfindung. Nirgends in den Evangelien oder sonst im Neuen Testament ist gesagt oder irgendwie angedeutet, daß Maria zum Davidischen Geschlecht gehört habe; wenn mau Andeutungen über ihre Her¬ kunft suchen will, so könnte man eher auf levitische Abstammung schließen. „Vom Hause Davids" ist immer und überall nur von Joseph gesagt. Da aber angesichts des Stammbaumschlusscs die ganze Davidsohuschaft Jesu auf der Frage beruht, ob seine Mutter aus Davids Stamme sei oder nicht, so ist es gar nicht denkbar, daß die Evangelisten das verschwiegen haben sollten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/383>, abgerufen am 25.08.2024.