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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Aiiselm Feuerbachs Leben und Kunst

Unwesentliche wegzulassen; dann die Einsamkeit in Italien, wo nur Himmel
und Meer glänzen und die Seidenmanufakturen in zweiter Linie stehen; endlich
die Gegenstände meiner Bilder selbst, bei denen die menschliche Form wichtiger
erschien als die besten Schneiderkünste." Es war ohne Zweifel von Vorteil
für die Entfaltung und Wahrung seines strengen Stilprinzips und für dessen
Bewährung in rastloser Übung, daß Feuerbach dem Verkehr mit den modernen
historischen Schneider- und Toilettenkünsten der fünfziger, sechziger und sieb¬
ziger Jahre entrückt blieb. So konnte er sich einsam inmitten des allgemeinen
Taumels in Makartschem Farbenrausch zum Troste sagen: "Dennoch möchte
ich hier nicht aus einen Tausch eingehen. Mit brillanter Farbe die Unkenntnis
des menschlichen Körpers verdecken, ist auch keine Freude. Mein bescheidnes
Glück ist, daß meine Figuren Füße haben, zu stehen und zu gehen, und
Hände, um etwas anzufassen."

Wie sich dieser Triumph "brillanter" Farben schon nach zwei Jahrzehnten
ausnehmen sollte, das wissen wir jetzt, wenn wir an den toten Flächen blau-
und braunschwarzer Finsternis vorübergehen, deren glänzende Buntheit einst
die Massen bezaubert hat. Feuerbach war auch hierin von einer alle Zu¬
mutungen des Effekts peinlich abweisender Zurückhaltung und Gewissenhaftig¬
keit. Er ließ keines seiner Bilder vor Ablauf eines Jahres firnissen; manche,
wie das (erste) "Gastmahl des Platon," haben diese Politur erst nach zwanzig
Jahren erhalten. Dafür sprechen aber auch ihre Farben jetzt mit einer ur¬
sprünglichen Klarheit, abgegrenzten Bestimmtheit und abgetöntem Sicherheit,
wie der Meister sie reden lassen wollte, um "nach fünfzig Jahren zu ver¬
kündigen, wer er war." In dem genannten Bilde, das Feuerbachs Ruhm
gegenwärtig in die weitesten Kreise hinausträgt, tadelte man die vollkommne
Stumpfheit und Abgestorbenheit der Farbe, die man auch in andern Bildern
dieser Zeit, so in dem Frühlingsbilde (moderne Frauen in Frühlingslandschaft
um eine Sängerin gruppirt) finden wollte. Man zuckte die Achseln über des
Künstlers "graue Periode" und sprach auch bei ihm, wie in andern Be¬
ziehungen bei Böcklin, dem größten Künstler des Kolorits, den das sinkende
Jahrhundert noch reifen ließ, von "Farbenblindheit." In beiden Füllen hat
die Farbe den Malern dazu dienen müssen, großen künstlerischen Endabsichten
zur Wirkung zu verhelfen. Böcklin brauchte die ungebrochnen Farbengegensätze
der südlichen Landschaft, um durch ihre elementaren Wirkungen den sinnlichen
Eindruck des sonst leicht leeren und abstrakten Phantasiebildes zu erhöhen.
Feuerbach bekennt, "um des plastischen Vortrags willen beim Übergang in die
große Historie einen knappern Ausdruck in der Farbe gewühlt zu haben." Beide
Künstler vermochten es nicht, wie es jetzt das eindringende Banciusentum zu
fordern begann, die Farbe gesondert als ein Ding für sich, als außerhalb der
Kunstmittel liegend zu behandeln. Wie ganz anders hatte es doch Kaulbach
verstanden, das historische Ä trssvo mit seiner einfachen, offnen, monumen-


Aiiselm Feuerbachs Leben und Kunst

Unwesentliche wegzulassen; dann die Einsamkeit in Italien, wo nur Himmel
und Meer glänzen und die Seidenmanufakturen in zweiter Linie stehen; endlich
die Gegenstände meiner Bilder selbst, bei denen die menschliche Form wichtiger
erschien als die besten Schneiderkünste." Es war ohne Zweifel von Vorteil
für die Entfaltung und Wahrung seines strengen Stilprinzips und für dessen
Bewährung in rastloser Übung, daß Feuerbach dem Verkehr mit den modernen
historischen Schneider- und Toilettenkünsten der fünfziger, sechziger und sieb¬
ziger Jahre entrückt blieb. So konnte er sich einsam inmitten des allgemeinen
Taumels in Makartschem Farbenrausch zum Troste sagen: „Dennoch möchte
ich hier nicht aus einen Tausch eingehen. Mit brillanter Farbe die Unkenntnis
des menschlichen Körpers verdecken, ist auch keine Freude. Mein bescheidnes
Glück ist, daß meine Figuren Füße haben, zu stehen und zu gehen, und
Hände, um etwas anzufassen."

Wie sich dieser Triumph „brillanter" Farben schon nach zwei Jahrzehnten
ausnehmen sollte, das wissen wir jetzt, wenn wir an den toten Flächen blau-
und braunschwarzer Finsternis vorübergehen, deren glänzende Buntheit einst
die Massen bezaubert hat. Feuerbach war auch hierin von einer alle Zu¬
mutungen des Effekts peinlich abweisender Zurückhaltung und Gewissenhaftig¬
keit. Er ließ keines seiner Bilder vor Ablauf eines Jahres firnissen; manche,
wie das (erste) „Gastmahl des Platon," haben diese Politur erst nach zwanzig
Jahren erhalten. Dafür sprechen aber auch ihre Farben jetzt mit einer ur¬
sprünglichen Klarheit, abgegrenzten Bestimmtheit und abgetöntem Sicherheit,
wie der Meister sie reden lassen wollte, um „nach fünfzig Jahren zu ver¬
kündigen, wer er war." In dem genannten Bilde, das Feuerbachs Ruhm
gegenwärtig in die weitesten Kreise hinausträgt, tadelte man die vollkommne
Stumpfheit und Abgestorbenheit der Farbe, die man auch in andern Bildern
dieser Zeit, so in dem Frühlingsbilde (moderne Frauen in Frühlingslandschaft
um eine Sängerin gruppirt) finden wollte. Man zuckte die Achseln über des
Künstlers „graue Periode" und sprach auch bei ihm, wie in andern Be¬
ziehungen bei Böcklin, dem größten Künstler des Kolorits, den das sinkende
Jahrhundert noch reifen ließ, von „Farbenblindheit." In beiden Füllen hat
die Farbe den Malern dazu dienen müssen, großen künstlerischen Endabsichten
zur Wirkung zu verhelfen. Böcklin brauchte die ungebrochnen Farbengegensätze
der südlichen Landschaft, um durch ihre elementaren Wirkungen den sinnlichen
Eindruck des sonst leicht leeren und abstrakten Phantasiebildes zu erhöhen.
Feuerbach bekennt, „um des plastischen Vortrags willen beim Übergang in die
große Historie einen knappern Ausdruck in der Farbe gewühlt zu haben." Beide
Künstler vermochten es nicht, wie es jetzt das eindringende Banciusentum zu
fordern begann, die Farbe gesondert als ein Ding für sich, als außerhalb der
Kunstmittel liegend zu behandeln. Wie ganz anders hatte es doch Kaulbach
verstanden, das historische Ä trssvo mit seiner einfachen, offnen, monumen-


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[0038] Aiiselm Feuerbachs Leben und Kunst Unwesentliche wegzulassen; dann die Einsamkeit in Italien, wo nur Himmel und Meer glänzen und die Seidenmanufakturen in zweiter Linie stehen; endlich die Gegenstände meiner Bilder selbst, bei denen die menschliche Form wichtiger erschien als die besten Schneiderkünste." Es war ohne Zweifel von Vorteil für die Entfaltung und Wahrung seines strengen Stilprinzips und für dessen Bewährung in rastloser Übung, daß Feuerbach dem Verkehr mit den modernen historischen Schneider- und Toilettenkünsten der fünfziger, sechziger und sieb¬ ziger Jahre entrückt blieb. So konnte er sich einsam inmitten des allgemeinen Taumels in Makartschem Farbenrausch zum Troste sagen: „Dennoch möchte ich hier nicht aus einen Tausch eingehen. Mit brillanter Farbe die Unkenntnis des menschlichen Körpers verdecken, ist auch keine Freude. Mein bescheidnes Glück ist, daß meine Figuren Füße haben, zu stehen und zu gehen, und Hände, um etwas anzufassen." Wie sich dieser Triumph „brillanter" Farben schon nach zwei Jahrzehnten ausnehmen sollte, das wissen wir jetzt, wenn wir an den toten Flächen blau- und braunschwarzer Finsternis vorübergehen, deren glänzende Buntheit einst die Massen bezaubert hat. Feuerbach war auch hierin von einer alle Zu¬ mutungen des Effekts peinlich abweisender Zurückhaltung und Gewissenhaftig¬ keit. Er ließ keines seiner Bilder vor Ablauf eines Jahres firnissen; manche, wie das (erste) „Gastmahl des Platon," haben diese Politur erst nach zwanzig Jahren erhalten. Dafür sprechen aber auch ihre Farben jetzt mit einer ur¬ sprünglichen Klarheit, abgegrenzten Bestimmtheit und abgetöntem Sicherheit, wie der Meister sie reden lassen wollte, um „nach fünfzig Jahren zu ver¬ kündigen, wer er war." In dem genannten Bilde, das Feuerbachs Ruhm gegenwärtig in die weitesten Kreise hinausträgt, tadelte man die vollkommne Stumpfheit und Abgestorbenheit der Farbe, die man auch in andern Bildern dieser Zeit, so in dem Frühlingsbilde (moderne Frauen in Frühlingslandschaft um eine Sängerin gruppirt) finden wollte. Man zuckte die Achseln über des Künstlers „graue Periode" und sprach auch bei ihm, wie in andern Be¬ ziehungen bei Böcklin, dem größten Künstler des Kolorits, den das sinkende Jahrhundert noch reifen ließ, von „Farbenblindheit." In beiden Füllen hat die Farbe den Malern dazu dienen müssen, großen künstlerischen Endabsichten zur Wirkung zu verhelfen. Böcklin brauchte die ungebrochnen Farbengegensätze der südlichen Landschaft, um durch ihre elementaren Wirkungen den sinnlichen Eindruck des sonst leicht leeren und abstrakten Phantasiebildes zu erhöhen. Feuerbach bekennt, „um des plastischen Vortrags willen beim Übergang in die große Historie einen knappern Ausdruck in der Farbe gewühlt zu haben." Beide Künstler vermochten es nicht, wie es jetzt das eindringende Banciusentum zu fordern begann, die Farbe gesondert als ein Ding für sich, als außerhalb der Kunstmittel liegend zu behandeln. Wie ganz anders hatte es doch Kaulbach verstanden, das historische Ä trssvo mit seiner einfachen, offnen, monumen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/38>, abgerufen am 22.07.2024.