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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Anselm Feuerbachs Leben und Kunst

Der orientalische Mystiker des Lebensgenusses, nur zwischen drei in ihrer be¬
scheidnen Zurückhaltung meisterhaft gestellte und behandelte Nmgebungsfiguren
äußerst glücklich hineingesetzt, schreibt, mit der einen Hand den Becher haltend,
den Gesang, der seinen Lippen entströmt, auf die rebenumrankte Schenkenwand,
Das "paradiesische Lächeln" dieses weltfrohen klassischen Greisenkopses mit dem
südlichen, halborientalischen Typus enthält nach Ulrichs Voraussage wirklich
den ganzen zukünftigen Meister. Es ist keineswegs der Meister "genial sein
sollender Nachahmung französischer Effekte." Den hat ihm die Kunstentwick¬
lung alsbald als äußersten Antipoden seiner Richtung gegenübergestellt. Er
mußte den Weg seines Triumphs unmittelbar kreuzen, als er in Wien im
Schatten von Makarts Ruhme den ersten und letzten allzuspäten und bedingten
schüchternen Ansatz zum Erfolge machte.

Er ist der Meister jener wundersamen weltabgewandten Weltlichkeit,
jenes traumhaft in sich versunkner Brütens der Natur über sich selbst und
ihrem größten Geheimnisse der menschlichen Form, wie es in seinen "Iphi-
genien" und "Medem," seinen Götterbildern zur Titanenschlacht, in seinen
allegorischen und mythologischen Darstellungen so gut wie in seinen Zustands¬
bildern und in seiner "Madonna" und "Pieta" zum Ausdruck kommt. Daran
ist Feuerbach sofort kenntlich und wird es bleiben, wenn er in späterer Zeit,
wo der Kunstjahrmarkt unsrer Zeit "längst in alle vier Winde zerstoben sein
wird, mit wenigen Edeln das künstlerische Streben dieses Zeitabschnitts ver¬
körpern wird: ein Streben, das in dem wohlverstandnen Bewußtsein seiner
historischen Stellung ganz besonders konservativ und in dem steten Hinblick
auf die völlige künstlerische Verwahrlosung, ja Kunstfeindseligkeit der Zeit
durchaus sich selbst genug sein mußte. Die gesteigerten Selbstansprüche, die
aus jenem (von Feuerbach selbst genügend betonten) Konservativismus, aus
dem Bestreben, die Stufe der großen alten Meister nicht zu verlieren, hervor¬
gingen, die Resignation, die die aufgezwungne Selbstgenügsamkeit zur Folge
hatte, vervollständigen das kunstgeschichtliche Bild Anselm Feuerbachs. Für
ihn war es nötig, der allgemeinen selbstherrlichen Stillosigkeit gegenüber nicht
bloß den großen Stil, sondern den Stil überhaupt hochzuhalten, ihn über
die Zeit seiner geflissentlicher Verhöhnung durch die Stümperei aller Reviere
hinüberzuretten. Dies erklärt vorwiegend seine Selbstabschließung und sein
trotz aller Ansätze seiner stark heimatbedürftigen Natur, irgendwo in Deutsch¬
land Wurzel zu schlagen, immer wieder als notwendig gefühltes Zurückziehen
in die italienische Umgebung, nach Rom. Durch das Verhalten der aus¬
schlaggebenden Kräfte im Vaterlande wurde ihm die Selbstverbannung sehr
erleichtert, ja nahegelegt. Er fagte später, als er endlich in Wien eine Stätte
sand, in einem Anfall von Verwundrung über sich selbst gerade in dieser
künstlerischen Umgebung: "In meiner Kunst war ich bis jetzt zu einfach, wie
ich jetzt wohl einsehe. Daran ist die fortwährende Stilübung schuld, das


Anselm Feuerbachs Leben und Kunst

Der orientalische Mystiker des Lebensgenusses, nur zwischen drei in ihrer be¬
scheidnen Zurückhaltung meisterhaft gestellte und behandelte Nmgebungsfiguren
äußerst glücklich hineingesetzt, schreibt, mit der einen Hand den Becher haltend,
den Gesang, der seinen Lippen entströmt, auf die rebenumrankte Schenkenwand,
Das „paradiesische Lächeln" dieses weltfrohen klassischen Greisenkopses mit dem
südlichen, halborientalischen Typus enthält nach Ulrichs Voraussage wirklich
den ganzen zukünftigen Meister. Es ist keineswegs der Meister „genial sein
sollender Nachahmung französischer Effekte." Den hat ihm die Kunstentwick¬
lung alsbald als äußersten Antipoden seiner Richtung gegenübergestellt. Er
mußte den Weg seines Triumphs unmittelbar kreuzen, als er in Wien im
Schatten von Makarts Ruhme den ersten und letzten allzuspäten und bedingten
schüchternen Ansatz zum Erfolge machte.

Er ist der Meister jener wundersamen weltabgewandten Weltlichkeit,
jenes traumhaft in sich versunkner Brütens der Natur über sich selbst und
ihrem größten Geheimnisse der menschlichen Form, wie es in seinen „Iphi-
genien" und „Medem," seinen Götterbildern zur Titanenschlacht, in seinen
allegorischen und mythologischen Darstellungen so gut wie in seinen Zustands¬
bildern und in seiner „Madonna" und „Pieta" zum Ausdruck kommt. Daran
ist Feuerbach sofort kenntlich und wird es bleiben, wenn er in späterer Zeit,
wo der Kunstjahrmarkt unsrer Zeit "längst in alle vier Winde zerstoben sein
wird, mit wenigen Edeln das künstlerische Streben dieses Zeitabschnitts ver¬
körpern wird: ein Streben, das in dem wohlverstandnen Bewußtsein seiner
historischen Stellung ganz besonders konservativ und in dem steten Hinblick
auf die völlige künstlerische Verwahrlosung, ja Kunstfeindseligkeit der Zeit
durchaus sich selbst genug sein mußte. Die gesteigerten Selbstansprüche, die
aus jenem (von Feuerbach selbst genügend betonten) Konservativismus, aus
dem Bestreben, die Stufe der großen alten Meister nicht zu verlieren, hervor¬
gingen, die Resignation, die die aufgezwungne Selbstgenügsamkeit zur Folge
hatte, vervollständigen das kunstgeschichtliche Bild Anselm Feuerbachs. Für
ihn war es nötig, der allgemeinen selbstherrlichen Stillosigkeit gegenüber nicht
bloß den großen Stil, sondern den Stil überhaupt hochzuhalten, ihn über
die Zeit seiner geflissentlicher Verhöhnung durch die Stümperei aller Reviere
hinüberzuretten. Dies erklärt vorwiegend seine Selbstabschließung und sein
trotz aller Ansätze seiner stark heimatbedürftigen Natur, irgendwo in Deutsch¬
land Wurzel zu schlagen, immer wieder als notwendig gefühltes Zurückziehen
in die italienische Umgebung, nach Rom. Durch das Verhalten der aus¬
schlaggebenden Kräfte im Vaterlande wurde ihm die Selbstverbannung sehr
erleichtert, ja nahegelegt. Er fagte später, als er endlich in Wien eine Stätte
sand, in einem Anfall von Verwundrung über sich selbst gerade in dieser
künstlerischen Umgebung: „In meiner Kunst war ich bis jetzt zu einfach, wie
ich jetzt wohl einsehe. Daran ist die fortwährende Stilübung schuld, das


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[0037] Anselm Feuerbachs Leben und Kunst Der orientalische Mystiker des Lebensgenusses, nur zwischen drei in ihrer be¬ scheidnen Zurückhaltung meisterhaft gestellte und behandelte Nmgebungsfiguren äußerst glücklich hineingesetzt, schreibt, mit der einen Hand den Becher haltend, den Gesang, der seinen Lippen entströmt, auf die rebenumrankte Schenkenwand, Das „paradiesische Lächeln" dieses weltfrohen klassischen Greisenkopses mit dem südlichen, halborientalischen Typus enthält nach Ulrichs Voraussage wirklich den ganzen zukünftigen Meister. Es ist keineswegs der Meister „genial sein sollender Nachahmung französischer Effekte." Den hat ihm die Kunstentwick¬ lung alsbald als äußersten Antipoden seiner Richtung gegenübergestellt. Er mußte den Weg seines Triumphs unmittelbar kreuzen, als er in Wien im Schatten von Makarts Ruhme den ersten und letzten allzuspäten und bedingten schüchternen Ansatz zum Erfolge machte. Er ist der Meister jener wundersamen weltabgewandten Weltlichkeit, jenes traumhaft in sich versunkner Brütens der Natur über sich selbst und ihrem größten Geheimnisse der menschlichen Form, wie es in seinen „Iphi- genien" und „Medem," seinen Götterbildern zur Titanenschlacht, in seinen allegorischen und mythologischen Darstellungen so gut wie in seinen Zustands¬ bildern und in seiner „Madonna" und „Pieta" zum Ausdruck kommt. Daran ist Feuerbach sofort kenntlich und wird es bleiben, wenn er in späterer Zeit, wo der Kunstjahrmarkt unsrer Zeit "längst in alle vier Winde zerstoben sein wird, mit wenigen Edeln das künstlerische Streben dieses Zeitabschnitts ver¬ körpern wird: ein Streben, das in dem wohlverstandnen Bewußtsein seiner historischen Stellung ganz besonders konservativ und in dem steten Hinblick auf die völlige künstlerische Verwahrlosung, ja Kunstfeindseligkeit der Zeit durchaus sich selbst genug sein mußte. Die gesteigerten Selbstansprüche, die aus jenem (von Feuerbach selbst genügend betonten) Konservativismus, aus dem Bestreben, die Stufe der großen alten Meister nicht zu verlieren, hervor¬ gingen, die Resignation, die die aufgezwungne Selbstgenügsamkeit zur Folge hatte, vervollständigen das kunstgeschichtliche Bild Anselm Feuerbachs. Für ihn war es nötig, der allgemeinen selbstherrlichen Stillosigkeit gegenüber nicht bloß den großen Stil, sondern den Stil überhaupt hochzuhalten, ihn über die Zeit seiner geflissentlicher Verhöhnung durch die Stümperei aller Reviere hinüberzuretten. Dies erklärt vorwiegend seine Selbstabschließung und sein trotz aller Ansätze seiner stark heimatbedürftigen Natur, irgendwo in Deutsch¬ land Wurzel zu schlagen, immer wieder als notwendig gefühltes Zurückziehen in die italienische Umgebung, nach Rom. Durch das Verhalten der aus¬ schlaggebenden Kräfte im Vaterlande wurde ihm die Selbstverbannung sehr erleichtert, ja nahegelegt. Er fagte später, als er endlich in Wien eine Stätte sand, in einem Anfall von Verwundrung über sich selbst gerade in dieser künstlerischen Umgebung: „In meiner Kunst war ich bis jetzt zu einfach, wie ich jetzt wohl einsehe. Daran ist die fortwährende Stilübung schuld, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/37>, abgerufen am 22.07.2024.