Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Anselm Feuerbachs Leben und Kunst Mythe mit Byron eine wilde Ehe eingegangen zu sein schien: "Bacchus unter "Was das Studium betrifft, so heißt es hier in Antwerpen immer Anselm Feuerbachs Leben und Kunst Mythe mit Byron eine wilde Ehe eingegangen zu sein schien: „Bacchus unter „Was das Studium betrifft, so heißt es hier in Antwerpen immer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219038"/> <fw type="header" place="top"> Anselm Feuerbachs Leben und Kunst</fw><lb/> <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> Mythe mit Byron eine wilde Ehe eingegangen zu sein schien: „Bacchus unter<lb/> den Seeräubern." In Antwerpen freilich hatte er bescheidne Ansätze gemacht,<lb/> in den Niederungen des zeitgenössischen Realismus heimisch zu werden. Er<lb/> malte das obligate, gegen die Pfäfferei lärmende, aufdringliche Statistenbild<lb/> jener Zeit: „Junge Hexe auf dem Wege zum Scheiterhaufen." Auch Allgeyer<lb/> meint davon: „Man kann sagen, es sei dies das einzige Bild von Feuerbach,<lb/> in dem reinen Füllungs- und Verlegenheitsgestalten, unter Zurückdrängung<lb/> der wesentlichen Handlung in dem rückwärtsliegenden Plan des Ganzen, räumlich<lb/> ein solches Übergewicht zugeteilt ist." Das Bild ist erhalten. Ehe ein Rei¬<lb/> nigungsversuch den Namen Feuerbachs an den Tag brachte, galt es bei einem<lb/> französischen Patrioten als die „Jungfrau von Orleans" eines unbekannten<lb/> Meisters. Ein zweites Bild dieser Zeit, auf das der Künstler mehr Wert<lb/> legte: „Kirchenräuber" im nächtlichen Dunkel einer Kapelle von ein paar un¬<lb/> heimlichen Lichtern gestreift, ist verschollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_93" next="#ID_94"> „Was das Studium betrifft, so heißt es hier in Antwerpen immer<lb/> »Natur,« gleichviel ob schön oder häßlich, und »frappante Effekte.« Das alles<lb/> kann ich ja brauchen." Diese treuherzige Schülerbriefstelle des Jünglings von<lb/> 1850 klingt jetzt beim Rückblick auf sein Leben wie drastische Ironie. Es hat<lb/> kaum je einen Künstler der Fläche und Farbe, und nun gar unter den Neuesten<lb/> gegeben, der dem Effekt so beharrlich, so sorgfältig aus dem Wege gegangen<lb/> wäre, wie der vornehme Geist dieses deutschen Gelehrtensohnes. Charakteristisch<lb/> ist eine andre Briefstelle noch kurz vorher ans der Münchner Zeit: „Zu Schorn<lb/> hätte ich gesollt? Nun wohl, ich war überrascht von so wenig Geist und<lb/> Gemüt bei so brillanter Technik. Das gleißt und glänzt. Seine Schüler<lb/> malen einer wie der andre. Die Bilder sehen prächtig aus; schimmernde Stoffe!<lb/> Die Technik hat mich kleinmütig gemacht, aber die Bilder haben mich kalt<lb/> gelassen. Schorns Schüler werden Maler, ich will ein Künstler werden."<lb/> Seine Technik bekennt er in Paris unter Couture von der „deutschen Spitz-<lb/> Pinselei" befreit zu haben. Dieser Lehrer habe ihn zu „breiter, pastoser Be¬<lb/> handlung" und damit auch „von der akademischen Schablonenkomposition zu<lb/> großer Anschauung und Auffassung geführt." Die heimische Kritik warf ihm<lb/> „genial sein sollende Nachahmung französischer Spachtelmalerei" vor, als er<lb/> sein erstes selbständiges Werk ausstellte. Heute, wo man nach einer Anregung<lb/> der Fliegenden Blätter galvanoplastische Abgüsse von „modernen" Bildern<lb/> nehmen kann, sind wir in dieser Hinsicht weit—sichtiger. „Heutzutage über¬<lb/> rascht uns an dem Bilde nicht sowohl die Zartheit des Tones, als gerade der<lb/> vorwiegend dünne, durchsichtige Farbenauftrag." Nur Titus Ulrich in Berlin<lb/> übersah über der ungewohnten Technik nicht die durchaus ungewöhnliche Art,<lb/> die sich in dem Vorwurf des Bildes und seiner Auffassung durch den erst vier-<lb/> undzwanzigjährigen Künstler aussprach: „Haffs in der Schenke," offenbar durch<lb/> Daumers eben erschienene zweite Sammlung von Hafisübersetzungen angeregt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Anselm Feuerbachs Leben und Kunst
Mythe mit Byron eine wilde Ehe eingegangen zu sein schien: „Bacchus unter
den Seeräubern." In Antwerpen freilich hatte er bescheidne Ansätze gemacht,
in den Niederungen des zeitgenössischen Realismus heimisch zu werden. Er
malte das obligate, gegen die Pfäfferei lärmende, aufdringliche Statistenbild
jener Zeit: „Junge Hexe auf dem Wege zum Scheiterhaufen." Auch Allgeyer
meint davon: „Man kann sagen, es sei dies das einzige Bild von Feuerbach,
in dem reinen Füllungs- und Verlegenheitsgestalten, unter Zurückdrängung
der wesentlichen Handlung in dem rückwärtsliegenden Plan des Ganzen, räumlich
ein solches Übergewicht zugeteilt ist." Das Bild ist erhalten. Ehe ein Rei¬
nigungsversuch den Namen Feuerbachs an den Tag brachte, galt es bei einem
französischen Patrioten als die „Jungfrau von Orleans" eines unbekannten
Meisters. Ein zweites Bild dieser Zeit, auf das der Künstler mehr Wert
legte: „Kirchenräuber" im nächtlichen Dunkel einer Kapelle von ein paar un¬
heimlichen Lichtern gestreift, ist verschollen.
„Was das Studium betrifft, so heißt es hier in Antwerpen immer
»Natur,« gleichviel ob schön oder häßlich, und »frappante Effekte.« Das alles
kann ich ja brauchen." Diese treuherzige Schülerbriefstelle des Jünglings von
1850 klingt jetzt beim Rückblick auf sein Leben wie drastische Ironie. Es hat
kaum je einen Künstler der Fläche und Farbe, und nun gar unter den Neuesten
gegeben, der dem Effekt so beharrlich, so sorgfältig aus dem Wege gegangen
wäre, wie der vornehme Geist dieses deutschen Gelehrtensohnes. Charakteristisch
ist eine andre Briefstelle noch kurz vorher ans der Münchner Zeit: „Zu Schorn
hätte ich gesollt? Nun wohl, ich war überrascht von so wenig Geist und
Gemüt bei so brillanter Technik. Das gleißt und glänzt. Seine Schüler
malen einer wie der andre. Die Bilder sehen prächtig aus; schimmernde Stoffe!
Die Technik hat mich kleinmütig gemacht, aber die Bilder haben mich kalt
gelassen. Schorns Schüler werden Maler, ich will ein Künstler werden."
Seine Technik bekennt er in Paris unter Couture von der „deutschen Spitz-
Pinselei" befreit zu haben. Dieser Lehrer habe ihn zu „breiter, pastoser Be¬
handlung" und damit auch „von der akademischen Schablonenkomposition zu
großer Anschauung und Auffassung geführt." Die heimische Kritik warf ihm
„genial sein sollende Nachahmung französischer Spachtelmalerei" vor, als er
sein erstes selbständiges Werk ausstellte. Heute, wo man nach einer Anregung
der Fliegenden Blätter galvanoplastische Abgüsse von „modernen" Bildern
nehmen kann, sind wir in dieser Hinsicht weit—sichtiger. „Heutzutage über¬
rascht uns an dem Bilde nicht sowohl die Zartheit des Tones, als gerade der
vorwiegend dünne, durchsichtige Farbenauftrag." Nur Titus Ulrich in Berlin
übersah über der ungewohnten Technik nicht die durchaus ungewöhnliche Art,
die sich in dem Vorwurf des Bildes und seiner Auffassung durch den erst vier-
undzwanzigjährigen Künstler aussprach: „Haffs in der Schenke," offenbar durch
Daumers eben erschienene zweite Sammlung von Hafisübersetzungen angeregt.
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