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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Untergang der Elbe

Boote der Elbe untergekommen. Vermutlich zwang die äußerste Not, von
dem angefangnen Nettungswerke plötzlich abzustehen, weil der Untergang des
Dampfers dicht vor Augen rückte; heißt es doch, das abgestoßene Boot habe
Mühe gehabt, vom Sog der verschwindenden Elbe loszukommen. Seine
Insassen handelten zweckmäßig, indem sie sich nicht nutzlos opferten. Wäre
auch dieses Boot nicht davongekommen, so wüßten wir von dem unheilvollen
Ereignis weiter nichts, als ungefähr die Zeit seines Eintritts, sein ohnehin
grausiger Charakter Hütte sich ins unheimliche gesteigert. Die Klage der ge¬
retteten Reisenden, unter der Mannschaft sei zu viel unerfahrenes Volk ge¬
wesen, rührt lediglich daher, daß vier Fünftel der Besatzung eines Schnell¬
dampfers, dieser "Windhunde des Ozeans" und "schwimmenden Hotels," aus
Maschinenarbeitern und Stewards (Kellnern) bestehen, Leuten, die mit dem
eigentlichen Seewesen nichts zu schaffen haben.

Was bisher über, das Ereignis in den Tagesblättern gestanden hat, ge¬
nügt nicht annähernd, es aufzuklären. Zu den wenig gehaltvollen Kund¬
gebungen gehört auch eine angeblich auf das Zentralbüreau des Norddeutschen
Lloyd zurückgehende, wonach der Reichskommissar für das Auswanderungs¬
wesen in Bremen die Elbe vor ihrem Abgange auf ihre "Seetüchtigkeit" unter¬
sucht habe. Der Reichskommissar befaßt sich allerdings mit den auf das all¬
gemeine Wohlergehen und die Sicherheit der Reisenden bezüglichen Einrichtungen,
aber nicht im Sinne der Schiffsarchitektur; hierzu wären tausend Kleinigkeiten
erforderlich, die nur im Trockendock auf Grund einer genauen Besichtigung des
Fahrzeugs von außen und von innen festgestellt werden können. Ebenso wenig
ist etwas auf die Nachricht zu geben, die Elbe habe bezüglich der Einrichtung
ihrer Schotten und Thüren "völlig auf der Höhe der Zeit gestanden." Nach
den Aussagen eines Teils der Geretteten sind die Fahrgüste erster Klasse meist
unter Deck ertrunken. Da die erste Kajüte der Lloyddampfer vor und neben
dem Maschinenraum liegt und der Zusammenstoß hinter diesem Raum erfolgte,
so muß das Wasser ungehindert nach vorn gestürzt sein. Die Seeamtsverhand¬
lung wird festzustellen haben, ob man sämtliche Reisenden, insbesondre auch
die des Zwischendecks, sofort zu wecken gesucht hat. Zum Leben verhelfen
konnte das zwar schließlich keinem, wohl aber zum Sterben. Nach dem Ver¬
sinken des Schiffs haben die unter Deck verblichnen gleichsam in einer Taucher¬
glocke gesessen und sich zu einem langsamen Erstickungstode verurteilt gesehen.
Von der Verwendung von Korkwesten oder Rettnngsgürteln hat man weiter
nichts gehört, als daß einem der Reisenden die seinige entrissen wurde. Jeder
Fahrgast findet eine Korkweste entweder unterm Kopfkissen oder sonstwo in
der Nähe, sehr viele aber wissen wegen fehlender oder ungenügender Instruktion
um den Gebrauch des Rettungsmittels zu wenig Bescheid, oder sie besinnen
sich in der Verwirrung zu spät darauf. Bei der erstarrenden Kälte war
übrigens an Schwimmen nicht zu denken.


Der Untergang der Elbe

Boote der Elbe untergekommen. Vermutlich zwang die äußerste Not, von
dem angefangnen Nettungswerke plötzlich abzustehen, weil der Untergang des
Dampfers dicht vor Augen rückte; heißt es doch, das abgestoßene Boot habe
Mühe gehabt, vom Sog der verschwindenden Elbe loszukommen. Seine
Insassen handelten zweckmäßig, indem sie sich nicht nutzlos opferten. Wäre
auch dieses Boot nicht davongekommen, so wüßten wir von dem unheilvollen
Ereignis weiter nichts, als ungefähr die Zeit seines Eintritts, sein ohnehin
grausiger Charakter Hütte sich ins unheimliche gesteigert. Die Klage der ge¬
retteten Reisenden, unter der Mannschaft sei zu viel unerfahrenes Volk ge¬
wesen, rührt lediglich daher, daß vier Fünftel der Besatzung eines Schnell¬
dampfers, dieser „Windhunde des Ozeans" und „schwimmenden Hotels," aus
Maschinenarbeitern und Stewards (Kellnern) bestehen, Leuten, die mit dem
eigentlichen Seewesen nichts zu schaffen haben.

Was bisher über, das Ereignis in den Tagesblättern gestanden hat, ge¬
nügt nicht annähernd, es aufzuklären. Zu den wenig gehaltvollen Kund¬
gebungen gehört auch eine angeblich auf das Zentralbüreau des Norddeutschen
Lloyd zurückgehende, wonach der Reichskommissar für das Auswanderungs¬
wesen in Bremen die Elbe vor ihrem Abgange auf ihre „Seetüchtigkeit" unter¬
sucht habe. Der Reichskommissar befaßt sich allerdings mit den auf das all¬
gemeine Wohlergehen und die Sicherheit der Reisenden bezüglichen Einrichtungen,
aber nicht im Sinne der Schiffsarchitektur; hierzu wären tausend Kleinigkeiten
erforderlich, die nur im Trockendock auf Grund einer genauen Besichtigung des
Fahrzeugs von außen und von innen festgestellt werden können. Ebenso wenig
ist etwas auf die Nachricht zu geben, die Elbe habe bezüglich der Einrichtung
ihrer Schotten und Thüren „völlig auf der Höhe der Zeit gestanden." Nach
den Aussagen eines Teils der Geretteten sind die Fahrgüste erster Klasse meist
unter Deck ertrunken. Da die erste Kajüte der Lloyddampfer vor und neben
dem Maschinenraum liegt und der Zusammenstoß hinter diesem Raum erfolgte,
so muß das Wasser ungehindert nach vorn gestürzt sein. Die Seeamtsverhand¬
lung wird festzustellen haben, ob man sämtliche Reisenden, insbesondre auch
die des Zwischendecks, sofort zu wecken gesucht hat. Zum Leben verhelfen
konnte das zwar schließlich keinem, wohl aber zum Sterben. Nach dem Ver¬
sinken des Schiffs haben die unter Deck verblichnen gleichsam in einer Taucher¬
glocke gesessen und sich zu einem langsamen Erstickungstode verurteilt gesehen.
Von der Verwendung von Korkwesten oder Rettnngsgürteln hat man weiter
nichts gehört, als daß einem der Reisenden die seinige entrissen wurde. Jeder
Fahrgast findet eine Korkweste entweder unterm Kopfkissen oder sonstwo in
der Nähe, sehr viele aber wissen wegen fehlender oder ungenügender Instruktion
um den Gebrauch des Rettungsmittels zu wenig Bescheid, oder sie besinnen
sich in der Verwirrung zu spät darauf. Bei der erstarrenden Kälte war
übrigens an Schwimmen nicht zu denken.


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[0361] Der Untergang der Elbe Boote der Elbe untergekommen. Vermutlich zwang die äußerste Not, von dem angefangnen Nettungswerke plötzlich abzustehen, weil der Untergang des Dampfers dicht vor Augen rückte; heißt es doch, das abgestoßene Boot habe Mühe gehabt, vom Sog der verschwindenden Elbe loszukommen. Seine Insassen handelten zweckmäßig, indem sie sich nicht nutzlos opferten. Wäre auch dieses Boot nicht davongekommen, so wüßten wir von dem unheilvollen Ereignis weiter nichts, als ungefähr die Zeit seines Eintritts, sein ohnehin grausiger Charakter Hütte sich ins unheimliche gesteigert. Die Klage der ge¬ retteten Reisenden, unter der Mannschaft sei zu viel unerfahrenes Volk ge¬ wesen, rührt lediglich daher, daß vier Fünftel der Besatzung eines Schnell¬ dampfers, dieser „Windhunde des Ozeans" und „schwimmenden Hotels," aus Maschinenarbeitern und Stewards (Kellnern) bestehen, Leuten, die mit dem eigentlichen Seewesen nichts zu schaffen haben. Was bisher über, das Ereignis in den Tagesblättern gestanden hat, ge¬ nügt nicht annähernd, es aufzuklären. Zu den wenig gehaltvollen Kund¬ gebungen gehört auch eine angeblich auf das Zentralbüreau des Norddeutschen Lloyd zurückgehende, wonach der Reichskommissar für das Auswanderungs¬ wesen in Bremen die Elbe vor ihrem Abgange auf ihre „Seetüchtigkeit" unter¬ sucht habe. Der Reichskommissar befaßt sich allerdings mit den auf das all¬ gemeine Wohlergehen und die Sicherheit der Reisenden bezüglichen Einrichtungen, aber nicht im Sinne der Schiffsarchitektur; hierzu wären tausend Kleinigkeiten erforderlich, die nur im Trockendock auf Grund einer genauen Besichtigung des Fahrzeugs von außen und von innen festgestellt werden können. Ebenso wenig ist etwas auf die Nachricht zu geben, die Elbe habe bezüglich der Einrichtung ihrer Schotten und Thüren „völlig auf der Höhe der Zeit gestanden." Nach den Aussagen eines Teils der Geretteten sind die Fahrgüste erster Klasse meist unter Deck ertrunken. Da die erste Kajüte der Lloyddampfer vor und neben dem Maschinenraum liegt und der Zusammenstoß hinter diesem Raum erfolgte, so muß das Wasser ungehindert nach vorn gestürzt sein. Die Seeamtsverhand¬ lung wird festzustellen haben, ob man sämtliche Reisenden, insbesondre auch die des Zwischendecks, sofort zu wecken gesucht hat. Zum Leben verhelfen konnte das zwar schließlich keinem, wohl aber zum Sterben. Nach dem Ver¬ sinken des Schiffs haben die unter Deck verblichnen gleichsam in einer Taucher¬ glocke gesessen und sich zu einem langsamen Erstickungstode verurteilt gesehen. Von der Verwendung von Korkwesten oder Rettnngsgürteln hat man weiter nichts gehört, als daß einem der Reisenden die seinige entrissen wurde. Jeder Fahrgast findet eine Korkweste entweder unterm Kopfkissen oder sonstwo in der Nähe, sehr viele aber wissen wegen fehlender oder ungenügender Instruktion um den Gebrauch des Rettungsmittels zu wenig Bescheid, oder sie besinnen sich in der Verwirrung zu spät darauf. Bei der erstarrenden Kälte war übrigens an Schwimmen nicht zu denken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/361>, abgerufen am 25.08.2024.