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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Anselm Leuerbachs Leben und Kunst

an Epigraphik und Anthropologie geschult zeigt. Er war der Enkel Anselm
Feuerbachs, des bairischen Humanitätsjuristen aus der Zeit der Befreiungs¬
kriege. Welch eine Welt übertrug sich von Vater und Großvater auf den
Sohn, um in welch einer anders gewordnen Welt vertreten zu werden!

Das ist der Kern des unglückseligen Zwiespalts auch in dieser traurigen
Künstlerlausbahn, die uns soeben ein Freund des früh Verstorbnen, Julius
Allgeyer in München, mit der Hingebung und Sorgfalt entworfen hat,*) wie
sie nur möglich ist, wenn man einer Sache, hier der Vertretung eines künst¬
lerischen Freundes, sein Leben opfert. Allgeyer lernte den genialen badischen
Landsmann im Jahre 1856 in Rom kennen. Feuerbach war schon damals
sehr mißtrauisch gegen alles, was aus seinem Vaterlande und besonders
aus seinem engern Vaterlande kam, das ihn die Teilnahmlosigkeit für die
Interessen seiner Kunst mit einer Härte fühlen ließ, wie sie den jung ver¬
wöhnten Sprößling der Geistesaristokratie doppelt enttäuschen und verletzen
mußte. In diesem Falle trat er aus seiner Jsolirung heraus. Allgeyer hat
dann bis um Feuerbachs Lebensende (1880) in engen Beziehungen zu ihm
gestanden. Er blieb mit Feuerbachs (erst kürzlich verstorbner) Stiefmutter,
Henriette gebornen Heydenreich, der mütterlichsten aller Stiefmutter, die in
diesem Lebenskampfe den Heroismus einer opferfreudigen, hingebungsvollen
Mutter vielleicht noch überboten hat, in dieser ganzen Zeit der ständige un¬
verbrüchliche Rückhalt der geistigen und materiellen Existenz des Künstlers.

Als Maler ein Wunderkind, wie es bei seinem urwüchsig schöpfungs¬
freudigen Talent in der Atmosphäre eines künstlerischen Hauses nicht anders sein
konnte, kam Feuerbach schon Anfang 1845 als Fünfzehnjähriger, etwas früh,
auf Schadows entschiednen Rat auf die Kunstschule zu Düsseldorf, 1848 ver¬
tauschte er sie mit München. Er teilte als Aufstrebender natürlich den Wett¬
eifer , der gerade damals in Deutschland durch die glänzenden Erfolge der
farbigen Lebendigkeit belgischer und französischer Künstler entfacht war. Er
setzte es durch, noch in Antwerpen und Paris zu studiren, und die letztere
Zeit betrachtete er immer als die fruchtbarste für seine Bildung. Aber ganz
entschieden zeigte sich dabei von Anbeginn in ihm die eigentümliche, der Zeit
ganz entgegengesetzte Richtung auf große, klassische, dem eng und beschränkt
Menschlichen und in diesem negativen Sinne sogar dem nationalen gänzlich
entrückte Vorwürfe. Shakespeare, und zwar gerade die Weltferne des "Sturms,"
blieb das Gebiet, das sich ihm aus der Spätromantik der spezifischen Düssel¬
dorferei befruchtend heraushob. Im übrigen versuchte er sich an antikisirenden
Graburnenträgerinnen und einem merkwürdigen Mythologen, worin die antike



Anselm Feuer bach. Sein Leben und seine Kunst. Dargestellt von Julius
Allgeher. Mit einem in Kupfer gestochnen Selbstbildnis des Künstlers und 38 Text¬
illustrationen in Autotypie. Bamberg, C. C. Buchner (Rud. Koch), 1394.
Anselm Leuerbachs Leben und Kunst

an Epigraphik und Anthropologie geschult zeigt. Er war der Enkel Anselm
Feuerbachs, des bairischen Humanitätsjuristen aus der Zeit der Befreiungs¬
kriege. Welch eine Welt übertrug sich von Vater und Großvater auf den
Sohn, um in welch einer anders gewordnen Welt vertreten zu werden!

Das ist der Kern des unglückseligen Zwiespalts auch in dieser traurigen
Künstlerlausbahn, die uns soeben ein Freund des früh Verstorbnen, Julius
Allgeyer in München, mit der Hingebung und Sorgfalt entworfen hat,*) wie
sie nur möglich ist, wenn man einer Sache, hier der Vertretung eines künst¬
lerischen Freundes, sein Leben opfert. Allgeyer lernte den genialen badischen
Landsmann im Jahre 1856 in Rom kennen. Feuerbach war schon damals
sehr mißtrauisch gegen alles, was aus seinem Vaterlande und besonders
aus seinem engern Vaterlande kam, das ihn die Teilnahmlosigkeit für die
Interessen seiner Kunst mit einer Härte fühlen ließ, wie sie den jung ver¬
wöhnten Sprößling der Geistesaristokratie doppelt enttäuschen und verletzen
mußte. In diesem Falle trat er aus seiner Jsolirung heraus. Allgeyer hat
dann bis um Feuerbachs Lebensende (1880) in engen Beziehungen zu ihm
gestanden. Er blieb mit Feuerbachs (erst kürzlich verstorbner) Stiefmutter,
Henriette gebornen Heydenreich, der mütterlichsten aller Stiefmutter, die in
diesem Lebenskampfe den Heroismus einer opferfreudigen, hingebungsvollen
Mutter vielleicht noch überboten hat, in dieser ganzen Zeit der ständige un¬
verbrüchliche Rückhalt der geistigen und materiellen Existenz des Künstlers.

Als Maler ein Wunderkind, wie es bei seinem urwüchsig schöpfungs¬
freudigen Talent in der Atmosphäre eines künstlerischen Hauses nicht anders sein
konnte, kam Feuerbach schon Anfang 1845 als Fünfzehnjähriger, etwas früh,
auf Schadows entschiednen Rat auf die Kunstschule zu Düsseldorf, 1848 ver¬
tauschte er sie mit München. Er teilte als Aufstrebender natürlich den Wett¬
eifer , der gerade damals in Deutschland durch die glänzenden Erfolge der
farbigen Lebendigkeit belgischer und französischer Künstler entfacht war. Er
setzte es durch, noch in Antwerpen und Paris zu studiren, und die letztere
Zeit betrachtete er immer als die fruchtbarste für seine Bildung. Aber ganz
entschieden zeigte sich dabei von Anbeginn in ihm die eigentümliche, der Zeit
ganz entgegengesetzte Richtung auf große, klassische, dem eng und beschränkt
Menschlichen und in diesem negativen Sinne sogar dem nationalen gänzlich
entrückte Vorwürfe. Shakespeare, und zwar gerade die Weltferne des „Sturms,"
blieb das Gebiet, das sich ihm aus der Spätromantik der spezifischen Düssel¬
dorferei befruchtend heraushob. Im übrigen versuchte er sich an antikisirenden
Graburnenträgerinnen und einem merkwürdigen Mythologen, worin die antike



Anselm Feuer bach. Sein Leben und seine Kunst. Dargestellt von Julius
Allgeher. Mit einem in Kupfer gestochnen Selbstbildnis des Künstlers und 38 Text¬
illustrationen in Autotypie. Bamberg, C. C. Buchner (Rud. Koch), 1394.
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[0035] Anselm Leuerbachs Leben und Kunst an Epigraphik und Anthropologie geschult zeigt. Er war der Enkel Anselm Feuerbachs, des bairischen Humanitätsjuristen aus der Zeit der Befreiungs¬ kriege. Welch eine Welt übertrug sich von Vater und Großvater auf den Sohn, um in welch einer anders gewordnen Welt vertreten zu werden! Das ist der Kern des unglückseligen Zwiespalts auch in dieser traurigen Künstlerlausbahn, die uns soeben ein Freund des früh Verstorbnen, Julius Allgeyer in München, mit der Hingebung und Sorgfalt entworfen hat,*) wie sie nur möglich ist, wenn man einer Sache, hier der Vertretung eines künst¬ lerischen Freundes, sein Leben opfert. Allgeyer lernte den genialen badischen Landsmann im Jahre 1856 in Rom kennen. Feuerbach war schon damals sehr mißtrauisch gegen alles, was aus seinem Vaterlande und besonders aus seinem engern Vaterlande kam, das ihn die Teilnahmlosigkeit für die Interessen seiner Kunst mit einer Härte fühlen ließ, wie sie den jung ver¬ wöhnten Sprößling der Geistesaristokratie doppelt enttäuschen und verletzen mußte. In diesem Falle trat er aus seiner Jsolirung heraus. Allgeyer hat dann bis um Feuerbachs Lebensende (1880) in engen Beziehungen zu ihm gestanden. Er blieb mit Feuerbachs (erst kürzlich verstorbner) Stiefmutter, Henriette gebornen Heydenreich, der mütterlichsten aller Stiefmutter, die in diesem Lebenskampfe den Heroismus einer opferfreudigen, hingebungsvollen Mutter vielleicht noch überboten hat, in dieser ganzen Zeit der ständige un¬ verbrüchliche Rückhalt der geistigen und materiellen Existenz des Künstlers. Als Maler ein Wunderkind, wie es bei seinem urwüchsig schöpfungs¬ freudigen Talent in der Atmosphäre eines künstlerischen Hauses nicht anders sein konnte, kam Feuerbach schon Anfang 1845 als Fünfzehnjähriger, etwas früh, auf Schadows entschiednen Rat auf die Kunstschule zu Düsseldorf, 1848 ver¬ tauschte er sie mit München. Er teilte als Aufstrebender natürlich den Wett¬ eifer , der gerade damals in Deutschland durch die glänzenden Erfolge der farbigen Lebendigkeit belgischer und französischer Künstler entfacht war. Er setzte es durch, noch in Antwerpen und Paris zu studiren, und die letztere Zeit betrachtete er immer als die fruchtbarste für seine Bildung. Aber ganz entschieden zeigte sich dabei von Anbeginn in ihm die eigentümliche, der Zeit ganz entgegengesetzte Richtung auf große, klassische, dem eng und beschränkt Menschlichen und in diesem negativen Sinne sogar dem nationalen gänzlich entrückte Vorwürfe. Shakespeare, und zwar gerade die Weltferne des „Sturms," blieb das Gebiet, das sich ihm aus der Spätromantik der spezifischen Düssel¬ dorferei befruchtend heraushob. Im übrigen versuchte er sich an antikisirenden Graburnenträgerinnen und einem merkwürdigen Mythologen, worin die antike Anselm Feuer bach. Sein Leben und seine Kunst. Dargestellt von Julius Allgeher. Mit einem in Kupfer gestochnen Selbstbildnis des Künstlers und 38 Text¬ illustrationen in Autotypie. Bamberg, C. C. Buchner (Rud. Koch), 1394.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/35>, abgerufen am 22.07.2024.