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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-japanische Beziehungen

nach der Weise europäischer Fürstinnen die Unterrichts- und Wohlthätigkeits¬
anstalten der Hauptstadt und ist bemüht, die Frau zu der Stellung empor¬
zuheben, auf der sie in den christlichen Staaten steht. Auf ihre Bitte
wurde vom Berliner Hofe Herr von Mohl entsandt, der nebst seiner Gemahlin
das japanische Hofzeremouiell nach europäischer Weise umgestaltete. Der Kaiser
entsendet alljährlich eine große Anzahl fähiger japanischer Jünglinge, damit sie
auf unsern Hochschulen studiren. Im Jahre 1892 waren es gegen 150.

Um aber auch weitere Kreise des Volkes für deutschen Geist und deutsches
Wissen zu gewinnen, werden alljährlich von japanischen und deutschen Gelehrten
in Tokio gemeinverständliche wissenschaftliche Vortrüge aus allen Wissens¬
gebieten vor einem größer" Publikum, und zwar in deutscher Sprache gehalten.
Am Schluß jedes Vortrags wird von einem Dolmetscher der Inhalt den Zu¬
hörern, die des Deutschen nicht genügend mächtig sind, japanisch wiedergegeben.
Diese Vorträge werden von den japanischen Studenten, aber auch vou Eng¬
ländern und Amerikanern besucht. Außerdem haben es auch die in Japan als
Professoren und Kaufleute sich aufhaltenden Deutschen als ihre Pflicht be¬
trachtet, ihre Landsleute in der Heimat mit dem Volke der Japaner, das sie
liebgewonnen und schätzen gelernt haben, bekannt zu machen. So wurde dem?
am 22. März 1873, am Geburtstage des alten Kaisers Wilhelm, durch den
Oberstabsarzt or. Müller die deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens in Tokio gegründet, von der bis jetzt schon 54 stattliche Hefte heraus¬
gegeben worden sind.

Seit wann bestehen diese regen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland
und Japan? Zuerst suchte Preußen mit dem Inselreiche in Handelsverbindung
zu treten durch Aussenduug der Thetis (1859) und dann der Gazelle (1862).
Auf der Gazelle befand sich auch die erste Gesandtschaft unter Führung des
Grafen Fritz von Eulenburg, des spätern Ministers des Innern. Aber diese
Bemühungen hatten wenig Erfolg. Sie scheiterten an dem Mißtrauen der
alten Negierung gegen alles Fremde. Als aber im Jahre 1868 die Regierung
des Mikado die allzu selbständigen Vasallenfürsten, die Daimios, unterworfen
hatte, wurde das Land den Fremden geöffnet, und mit unwiderstehlicher Macht
drangen nun europäische Ideen in das Inselreich ein, und die Einheimischen
wanderten in die Fremde. Zuerst gaben sich die Japaner dem Einfluß der
Engländer hin, die infolge ihrer herrschenden Stellung im Welthandel auch
hier zahlreich festen Fuß faßten. Ihnen folgten die Amerikaner und dann die
Franzosen, die besonders als Hauptabnehmer japanischer Seide bald einen
Vorrang gewannen. Aber die Erfolge der Jahre 1870 und 1871 setzten die
Deutschen an ihre Stelle, und seitdem übt das deutsche Geistesleben auf Japan
von Tag zu Tag mehr Einfluß aus, und wir können ohne Übertreibung be¬
haupten, daß sich kein andres Volk dem deutschen Geiste so hingiebt wie Japan.

Ehe die Deutschen nach Japan kamen, war das Zoll- und Verkehrswesen


Deutsch-japanische Beziehungen

nach der Weise europäischer Fürstinnen die Unterrichts- und Wohlthätigkeits¬
anstalten der Hauptstadt und ist bemüht, die Frau zu der Stellung empor¬
zuheben, auf der sie in den christlichen Staaten steht. Auf ihre Bitte
wurde vom Berliner Hofe Herr von Mohl entsandt, der nebst seiner Gemahlin
das japanische Hofzeremouiell nach europäischer Weise umgestaltete. Der Kaiser
entsendet alljährlich eine große Anzahl fähiger japanischer Jünglinge, damit sie
auf unsern Hochschulen studiren. Im Jahre 1892 waren es gegen 150.

Um aber auch weitere Kreise des Volkes für deutschen Geist und deutsches
Wissen zu gewinnen, werden alljährlich von japanischen und deutschen Gelehrten
in Tokio gemeinverständliche wissenschaftliche Vortrüge aus allen Wissens¬
gebieten vor einem größer» Publikum, und zwar in deutscher Sprache gehalten.
Am Schluß jedes Vortrags wird von einem Dolmetscher der Inhalt den Zu¬
hörern, die des Deutschen nicht genügend mächtig sind, japanisch wiedergegeben.
Diese Vorträge werden von den japanischen Studenten, aber auch vou Eng¬
ländern und Amerikanern besucht. Außerdem haben es auch die in Japan als
Professoren und Kaufleute sich aufhaltenden Deutschen als ihre Pflicht be¬
trachtet, ihre Landsleute in der Heimat mit dem Volke der Japaner, das sie
liebgewonnen und schätzen gelernt haben, bekannt zu machen. So wurde dem?
am 22. März 1873, am Geburtstage des alten Kaisers Wilhelm, durch den
Oberstabsarzt or. Müller die deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde
Ostasiens in Tokio gegründet, von der bis jetzt schon 54 stattliche Hefte heraus¬
gegeben worden sind.

Seit wann bestehen diese regen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland
und Japan? Zuerst suchte Preußen mit dem Inselreiche in Handelsverbindung
zu treten durch Aussenduug der Thetis (1859) und dann der Gazelle (1862).
Auf der Gazelle befand sich auch die erste Gesandtschaft unter Führung des
Grafen Fritz von Eulenburg, des spätern Ministers des Innern. Aber diese
Bemühungen hatten wenig Erfolg. Sie scheiterten an dem Mißtrauen der
alten Negierung gegen alles Fremde. Als aber im Jahre 1868 die Regierung
des Mikado die allzu selbständigen Vasallenfürsten, die Daimios, unterworfen
hatte, wurde das Land den Fremden geöffnet, und mit unwiderstehlicher Macht
drangen nun europäische Ideen in das Inselreich ein, und die Einheimischen
wanderten in die Fremde. Zuerst gaben sich die Japaner dem Einfluß der
Engländer hin, die infolge ihrer herrschenden Stellung im Welthandel auch
hier zahlreich festen Fuß faßten. Ihnen folgten die Amerikaner und dann die
Franzosen, die besonders als Hauptabnehmer japanischer Seide bald einen
Vorrang gewannen. Aber die Erfolge der Jahre 1870 und 1871 setzten die
Deutschen an ihre Stelle, und seitdem übt das deutsche Geistesleben auf Japan
von Tag zu Tag mehr Einfluß aus, und wir können ohne Übertreibung be¬
haupten, daß sich kein andres Volk dem deutschen Geiste so hingiebt wie Japan.

Ehe die Deutschen nach Japan kamen, war das Zoll- und Verkehrswesen


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[0349] Deutsch-japanische Beziehungen nach der Weise europäischer Fürstinnen die Unterrichts- und Wohlthätigkeits¬ anstalten der Hauptstadt und ist bemüht, die Frau zu der Stellung empor¬ zuheben, auf der sie in den christlichen Staaten steht. Auf ihre Bitte wurde vom Berliner Hofe Herr von Mohl entsandt, der nebst seiner Gemahlin das japanische Hofzeremouiell nach europäischer Weise umgestaltete. Der Kaiser entsendet alljährlich eine große Anzahl fähiger japanischer Jünglinge, damit sie auf unsern Hochschulen studiren. Im Jahre 1892 waren es gegen 150. Um aber auch weitere Kreise des Volkes für deutschen Geist und deutsches Wissen zu gewinnen, werden alljährlich von japanischen und deutschen Gelehrten in Tokio gemeinverständliche wissenschaftliche Vortrüge aus allen Wissens¬ gebieten vor einem größer» Publikum, und zwar in deutscher Sprache gehalten. Am Schluß jedes Vortrags wird von einem Dolmetscher der Inhalt den Zu¬ hörern, die des Deutschen nicht genügend mächtig sind, japanisch wiedergegeben. Diese Vorträge werden von den japanischen Studenten, aber auch vou Eng¬ ländern und Amerikanern besucht. Außerdem haben es auch die in Japan als Professoren und Kaufleute sich aufhaltenden Deutschen als ihre Pflicht be¬ trachtet, ihre Landsleute in der Heimat mit dem Volke der Japaner, das sie liebgewonnen und schätzen gelernt haben, bekannt zu machen. So wurde dem? am 22. März 1873, am Geburtstage des alten Kaisers Wilhelm, durch den Oberstabsarzt or. Müller die deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens in Tokio gegründet, von der bis jetzt schon 54 stattliche Hefte heraus¬ gegeben worden sind. Seit wann bestehen diese regen Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Japan? Zuerst suchte Preußen mit dem Inselreiche in Handelsverbindung zu treten durch Aussenduug der Thetis (1859) und dann der Gazelle (1862). Auf der Gazelle befand sich auch die erste Gesandtschaft unter Führung des Grafen Fritz von Eulenburg, des spätern Ministers des Innern. Aber diese Bemühungen hatten wenig Erfolg. Sie scheiterten an dem Mißtrauen der alten Negierung gegen alles Fremde. Als aber im Jahre 1868 die Regierung des Mikado die allzu selbständigen Vasallenfürsten, die Daimios, unterworfen hatte, wurde das Land den Fremden geöffnet, und mit unwiderstehlicher Macht drangen nun europäische Ideen in das Inselreich ein, und die Einheimischen wanderten in die Fremde. Zuerst gaben sich die Japaner dem Einfluß der Engländer hin, die infolge ihrer herrschenden Stellung im Welthandel auch hier zahlreich festen Fuß faßten. Ihnen folgten die Amerikaner und dann die Franzosen, die besonders als Hauptabnehmer japanischer Seide bald einen Vorrang gewannen. Aber die Erfolge der Jahre 1870 und 1871 setzten die Deutschen an ihre Stelle, und seitdem übt das deutsche Geistesleben auf Japan von Tag zu Tag mehr Einfluß aus, und wir können ohne Übertreibung be¬ haupten, daß sich kein andres Volk dem deutschen Geiste so hingiebt wie Japan. Ehe die Deutschen nach Japan kamen, war das Zoll- und Verkehrswesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/349>, abgerufen am 23.07.2024.