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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-japanische Beziehungen

können wir nicht umhin, auf Deutschland zu weisen. Dort ist die Haupt¬
quelle des Stromes der Wissenschaft unsrer Tage zu suchen. Das Übergewicht
der deutschen Forschung ist eine allseitig anerkannte Thatsache. In der Gefühls¬
welt des Deutschen und des Japaners herrscht so mannichfache Übereinstim¬
mung, daß wir zum Beispiel beim Lesen des Wilhelm Tell oder der Iphigenie
auf Tauris uns ganz anders ergriffen fühlen, als beim Lesen des Hamlet und
der Phüdra, ja daß es einem Japaner verhältnismüßig leichter ist, sich in die
deutsche Gedanken- und Gefühlswelt zu finden, als einem Franzosen oder Ru-
mänier. Auch der immer wachsende Handel Deutschlands mit Ostasien ist
ein Grund, die klangvolle Sprache Luthers in Japan immer weiter zu ver¬
breiten; wenngleich nicht in Abrede gestellt wird, daß die Handelssprache
Asiens, Australiens und Nordamerikas, das Englische, sür den Alltagsgebrauch
in den Vordergrund zu treten hat."

Freilich wird diese Zeitschrift von Japanern, die in Deutschland ihre
Bildung genossen haben, herausgegeben, und so könnte man wieder meinen,
daß nur der gebildete Japaner, namentlich der in Deutschland gebildete, von
einer Gemeinschaft der Gedanken- und Gefühlswelt beider Nationen reden könne.
Daß aber auch das japanische Volk deutsche Geisteserzeugnisse begeistert auf¬
nimmt, auch dafür wurde jüngst der Beweis gebracht. Im Anfang des vorigen
Jahres bot eine japanische Zeitung ihren Lesern versuchsweise eine Übersetzung
von Werthers Leiden. Die Zeitung erhielt dadurch solchen Absatz, daß man
sich entschloß, die Übersetzung -- eine Arbeit des Professors Mori -- als
Buch zu veröffentlichen.

Daß sich japanisches und deutsches Wesen in mancherlei Beziehung be¬
rühren, können wir auch aus dem begeisterten Lobe ersehen, das Deutsche dem
japanischen Volke gespendet haben. So schreibt Baron von Korff in seinem
Weltreisetagebuche: "Ich habe die ganze Welt durchkreuzt, aber nirgends ein
so fein gesittetes, feinfühliges, glückliches, heiteres, herzensgebildetes Volk ge¬
sehen wie die Japaner."

Der Major Katigave weist dem Grafen Aoki, dem langjährigen Gesandten
am Berliner Hofe, das Verdienst zu, das Band zwischen Deutschland und
Japan geknüpft zu haben. Dieses Verdienst soll dem fähigen Staatsmanne
nicht abgestritten werden; unterhält er doch auch durch seine Verheiratung mit
einer deutschen Adlichen zahlreiche Beziehungen zu unserm Vaterlande. Doch
würde er allein mit seinen Bemühungen wohl wenig Erfolg gehabt haben,
wenn er sich nicht in seinem Streben eins wüßte mit seinem Volke und
namentlich auch mit seinem Kaiserhause. Gerade die Mitglieder der kaiserlichen
Familie, der Kaiser und seine Gemahlin Haruko. die Prinzen Komatsu und
Arisugawa, gehen den Unterthanen in der Umgestaltung des Staats- und
Gesellschaftslebens nach deutschem Muster voran. Die Kaiserin hat längst mit
der morgenländischen Sitte strenger Abgeschlossenheit gebrochen. Sie besucht


Deutsch-japanische Beziehungen

können wir nicht umhin, auf Deutschland zu weisen. Dort ist die Haupt¬
quelle des Stromes der Wissenschaft unsrer Tage zu suchen. Das Übergewicht
der deutschen Forschung ist eine allseitig anerkannte Thatsache. In der Gefühls¬
welt des Deutschen und des Japaners herrscht so mannichfache Übereinstim¬
mung, daß wir zum Beispiel beim Lesen des Wilhelm Tell oder der Iphigenie
auf Tauris uns ganz anders ergriffen fühlen, als beim Lesen des Hamlet und
der Phüdra, ja daß es einem Japaner verhältnismüßig leichter ist, sich in die
deutsche Gedanken- und Gefühlswelt zu finden, als einem Franzosen oder Ru-
mänier. Auch der immer wachsende Handel Deutschlands mit Ostasien ist
ein Grund, die klangvolle Sprache Luthers in Japan immer weiter zu ver¬
breiten; wenngleich nicht in Abrede gestellt wird, daß die Handelssprache
Asiens, Australiens und Nordamerikas, das Englische, sür den Alltagsgebrauch
in den Vordergrund zu treten hat."

Freilich wird diese Zeitschrift von Japanern, die in Deutschland ihre
Bildung genossen haben, herausgegeben, und so könnte man wieder meinen,
daß nur der gebildete Japaner, namentlich der in Deutschland gebildete, von
einer Gemeinschaft der Gedanken- und Gefühlswelt beider Nationen reden könne.
Daß aber auch das japanische Volk deutsche Geisteserzeugnisse begeistert auf¬
nimmt, auch dafür wurde jüngst der Beweis gebracht. Im Anfang des vorigen
Jahres bot eine japanische Zeitung ihren Lesern versuchsweise eine Übersetzung
von Werthers Leiden. Die Zeitung erhielt dadurch solchen Absatz, daß man
sich entschloß, die Übersetzung — eine Arbeit des Professors Mori — als
Buch zu veröffentlichen.

Daß sich japanisches und deutsches Wesen in mancherlei Beziehung be¬
rühren, können wir auch aus dem begeisterten Lobe ersehen, das Deutsche dem
japanischen Volke gespendet haben. So schreibt Baron von Korff in seinem
Weltreisetagebuche: „Ich habe die ganze Welt durchkreuzt, aber nirgends ein
so fein gesittetes, feinfühliges, glückliches, heiteres, herzensgebildetes Volk ge¬
sehen wie die Japaner."

Der Major Katigave weist dem Grafen Aoki, dem langjährigen Gesandten
am Berliner Hofe, das Verdienst zu, das Band zwischen Deutschland und
Japan geknüpft zu haben. Dieses Verdienst soll dem fähigen Staatsmanne
nicht abgestritten werden; unterhält er doch auch durch seine Verheiratung mit
einer deutschen Adlichen zahlreiche Beziehungen zu unserm Vaterlande. Doch
würde er allein mit seinen Bemühungen wohl wenig Erfolg gehabt haben,
wenn er sich nicht in seinem Streben eins wüßte mit seinem Volke und
namentlich auch mit seinem Kaiserhause. Gerade die Mitglieder der kaiserlichen
Familie, der Kaiser und seine Gemahlin Haruko. die Prinzen Komatsu und
Arisugawa, gehen den Unterthanen in der Umgestaltung des Staats- und
Gesellschaftslebens nach deutschem Muster voran. Die Kaiserin hat längst mit
der morgenländischen Sitte strenger Abgeschlossenheit gebrochen. Sie besucht


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[0348] Deutsch-japanische Beziehungen können wir nicht umhin, auf Deutschland zu weisen. Dort ist die Haupt¬ quelle des Stromes der Wissenschaft unsrer Tage zu suchen. Das Übergewicht der deutschen Forschung ist eine allseitig anerkannte Thatsache. In der Gefühls¬ welt des Deutschen und des Japaners herrscht so mannichfache Übereinstim¬ mung, daß wir zum Beispiel beim Lesen des Wilhelm Tell oder der Iphigenie auf Tauris uns ganz anders ergriffen fühlen, als beim Lesen des Hamlet und der Phüdra, ja daß es einem Japaner verhältnismüßig leichter ist, sich in die deutsche Gedanken- und Gefühlswelt zu finden, als einem Franzosen oder Ru- mänier. Auch der immer wachsende Handel Deutschlands mit Ostasien ist ein Grund, die klangvolle Sprache Luthers in Japan immer weiter zu ver¬ breiten; wenngleich nicht in Abrede gestellt wird, daß die Handelssprache Asiens, Australiens und Nordamerikas, das Englische, sür den Alltagsgebrauch in den Vordergrund zu treten hat." Freilich wird diese Zeitschrift von Japanern, die in Deutschland ihre Bildung genossen haben, herausgegeben, und so könnte man wieder meinen, daß nur der gebildete Japaner, namentlich der in Deutschland gebildete, von einer Gemeinschaft der Gedanken- und Gefühlswelt beider Nationen reden könne. Daß aber auch das japanische Volk deutsche Geisteserzeugnisse begeistert auf¬ nimmt, auch dafür wurde jüngst der Beweis gebracht. Im Anfang des vorigen Jahres bot eine japanische Zeitung ihren Lesern versuchsweise eine Übersetzung von Werthers Leiden. Die Zeitung erhielt dadurch solchen Absatz, daß man sich entschloß, die Übersetzung — eine Arbeit des Professors Mori — als Buch zu veröffentlichen. Daß sich japanisches und deutsches Wesen in mancherlei Beziehung be¬ rühren, können wir auch aus dem begeisterten Lobe ersehen, das Deutsche dem japanischen Volke gespendet haben. So schreibt Baron von Korff in seinem Weltreisetagebuche: „Ich habe die ganze Welt durchkreuzt, aber nirgends ein so fein gesittetes, feinfühliges, glückliches, heiteres, herzensgebildetes Volk ge¬ sehen wie die Japaner." Der Major Katigave weist dem Grafen Aoki, dem langjährigen Gesandten am Berliner Hofe, das Verdienst zu, das Band zwischen Deutschland und Japan geknüpft zu haben. Dieses Verdienst soll dem fähigen Staatsmanne nicht abgestritten werden; unterhält er doch auch durch seine Verheiratung mit einer deutschen Adlichen zahlreiche Beziehungen zu unserm Vaterlande. Doch würde er allein mit seinen Bemühungen wohl wenig Erfolg gehabt haben, wenn er sich nicht in seinem Streben eins wüßte mit seinem Volke und namentlich auch mit seinem Kaiserhause. Gerade die Mitglieder der kaiserlichen Familie, der Kaiser und seine Gemahlin Haruko. die Prinzen Komatsu und Arisugawa, gehen den Unterthanen in der Umgestaltung des Staats- und Gesellschaftslebens nach deutschem Muster voran. Die Kaiserin hat längst mit der morgenländischen Sitte strenger Abgeschlossenheit gebrochen. Sie besucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/348>, abgerufen am 22.07.2024.