Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Moderne in der Wissenschaft

seiner selbst vergessen machen -- für einen Augenblick durchbreche ich den Bann,
zur Wirklichkeit der Gegenwart zurückzukehren. An meinem Finger glänzt der
goldne Reif, ich sehe seine zierlich geschmückten Bänder kreisen! Ein gütiges
Geschick war es, das ihn benutzte, mich auf die Spur einer merkwürdigen
historischen Begebenheit zu führen, und nun möchte die Phantasie ihn selbst
hineinziehen in dieselbe, ihm eine Rolle in jenen ergreifenden Vorfällen zu¬
weisen, bloß deshalb, weil durch seine Vermittlung Geist und Seele in Thätig¬
versetzt wurden! Bloß deshalb? Und die fieberhafte Erregung, die mich in
atemloser Hast vorwärts treibt, zu suchen und forschen, als wäre mir ein
unbekanntes Ziel gesetzt, das ich erst erkennen werde, wenn ich es erreicht, als
riefe mich eine Pflicht, deren Erfüllung allein mir die innere Ruhe wiedergeben
könne -- ist diese Erregung auch uur ein Werk meiner Phantasie?" Nachdem
er ein paar trockne urkundliche Mitteilungen gemacht hat über die Schlösser
in Kärnten, die im Besitz der Gemahlin Frangipanis waren, ruft er aus:
"Verpfändungen, Zahlenziffern -- gespenstisch treten sie aus dem Dunkel, in
welches Apollonias Leben während langer Jahre für unsre Blicke gehüllt ist,
hervor, als spotteten sie des Forschers, der nach dem ersten, ahnungsvollen
Einblick in die Wunder jungen, seligen Liebens die allzu kühne Hoffnung gehegt,
auch an den Leiden und Erfahrungen einer Frauenseele teilnehmen zu dürfen,
nachdem der Zauber ihres Glückes ihr genommen. O thörichter Wahn! Als
wäre je solches Leiden aus seinen Tiefen aufgestiegen, sich einem andern
im kalten Tageslicht zu zeigen, als vermöchte es je, sei es nun auf den
Blättern der Geschichte, sei es in Worten eines klagenden Mundes, sich zu
äußern ^ begrabene Welten, die nur in ihrer Versteinerung, aber nimmer vom
Atem des Lebens beseelt dem Auge zu schauen gestattet ist!" Einen Bries
der Gräfin Frangipani an ihren Gemahl ins Gefängnis versieht er mit fol¬
gender Nachschrift: "Welche Stimme erklingt mir! Aus den demütigen, den
kindlichen Worten -- welch göttliche Einfalt eines liebestarken Herzens spricht
zu mir! -- Getrost, gefangner Graf Christoph! Unbegrenzte, ewige und un¬
verletzliche Liebe wacht über dir! Dein Vater, deine Brüder, welche ihr Vater,
ihre Brüder geworden sind, ruhen nicht. Dein mächtiger Schwager bietet
seinen Einfluß auf, und dein Hab und Gut wird von treuen Händen ver¬
waltet." Das sind nur einige Proben; ich könnte noch viele andre geben.
Das Kapitel über das Altarbild in Obervellach ist ein "Erlebnis" für sich.
Der Verfasser schildert die Fahrt, die Ankunft in den "morgenlichen" Strahlen
der Sonne, die Landschaft, die Natur, das Wetter, die Kirche, das Bild, alles
überspannt und in einer Sprache, die wie erstarrte oder erstarrende Verse
linge. Er sieht nicht mehr, er "erschaut" nur noch. Zuletzt erstirbt die Dar¬
stellung in einem verzückten Gestammel an Apollonia.

Der Verfasser ist jung, wenigstens soviel ich weiß, er ist gefühlvoll und
augenscheinlich ein bischen eitel, er schwärmt für Richard Wagner, womit er


Die Moderne in der Wissenschaft

seiner selbst vergessen machen — für einen Augenblick durchbreche ich den Bann,
zur Wirklichkeit der Gegenwart zurückzukehren. An meinem Finger glänzt der
goldne Reif, ich sehe seine zierlich geschmückten Bänder kreisen! Ein gütiges
Geschick war es, das ihn benutzte, mich auf die Spur einer merkwürdigen
historischen Begebenheit zu führen, und nun möchte die Phantasie ihn selbst
hineinziehen in dieselbe, ihm eine Rolle in jenen ergreifenden Vorfällen zu¬
weisen, bloß deshalb, weil durch seine Vermittlung Geist und Seele in Thätig¬
versetzt wurden! Bloß deshalb? Und die fieberhafte Erregung, die mich in
atemloser Hast vorwärts treibt, zu suchen und forschen, als wäre mir ein
unbekanntes Ziel gesetzt, das ich erst erkennen werde, wenn ich es erreicht, als
riefe mich eine Pflicht, deren Erfüllung allein mir die innere Ruhe wiedergeben
könne — ist diese Erregung auch uur ein Werk meiner Phantasie?" Nachdem
er ein paar trockne urkundliche Mitteilungen gemacht hat über die Schlösser
in Kärnten, die im Besitz der Gemahlin Frangipanis waren, ruft er aus:
„Verpfändungen, Zahlenziffern — gespenstisch treten sie aus dem Dunkel, in
welches Apollonias Leben während langer Jahre für unsre Blicke gehüllt ist,
hervor, als spotteten sie des Forschers, der nach dem ersten, ahnungsvollen
Einblick in die Wunder jungen, seligen Liebens die allzu kühne Hoffnung gehegt,
auch an den Leiden und Erfahrungen einer Frauenseele teilnehmen zu dürfen,
nachdem der Zauber ihres Glückes ihr genommen. O thörichter Wahn! Als
wäre je solches Leiden aus seinen Tiefen aufgestiegen, sich einem andern
im kalten Tageslicht zu zeigen, als vermöchte es je, sei es nun auf den
Blättern der Geschichte, sei es in Worten eines klagenden Mundes, sich zu
äußern ^ begrabene Welten, die nur in ihrer Versteinerung, aber nimmer vom
Atem des Lebens beseelt dem Auge zu schauen gestattet ist!" Einen Bries
der Gräfin Frangipani an ihren Gemahl ins Gefängnis versieht er mit fol¬
gender Nachschrift: „Welche Stimme erklingt mir! Aus den demütigen, den
kindlichen Worten — welch göttliche Einfalt eines liebestarken Herzens spricht
zu mir! — Getrost, gefangner Graf Christoph! Unbegrenzte, ewige und un¬
verletzliche Liebe wacht über dir! Dein Vater, deine Brüder, welche ihr Vater,
ihre Brüder geworden sind, ruhen nicht. Dein mächtiger Schwager bietet
seinen Einfluß auf, und dein Hab und Gut wird von treuen Händen ver¬
waltet." Das sind nur einige Proben; ich könnte noch viele andre geben.
Das Kapitel über das Altarbild in Obervellach ist ein „Erlebnis" für sich.
Der Verfasser schildert die Fahrt, die Ankunft in den „morgenlichen" Strahlen
der Sonne, die Landschaft, die Natur, das Wetter, die Kirche, das Bild, alles
überspannt und in einer Sprache, die wie erstarrte oder erstarrende Verse
linge. Er sieht nicht mehr, er „erschaut" nur noch. Zuletzt erstirbt die Dar¬
stellung in einem verzückten Gestammel an Apollonia.

Der Verfasser ist jung, wenigstens soviel ich weiß, er ist gefühlvoll und
augenscheinlich ein bischen eitel, er schwärmt für Richard Wagner, womit er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219034"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Moderne in der Wissenschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80"> seiner selbst vergessen machen &#x2014; für einen Augenblick durchbreche ich den Bann,<lb/>
zur Wirklichkeit der Gegenwart zurückzukehren. An meinem Finger glänzt der<lb/>
goldne Reif, ich sehe seine zierlich geschmückten Bänder kreisen! Ein gütiges<lb/>
Geschick war es, das ihn benutzte, mich auf die Spur einer merkwürdigen<lb/>
historischen Begebenheit zu führen, und nun möchte die Phantasie ihn selbst<lb/>
hineinziehen in dieselbe, ihm eine Rolle in jenen ergreifenden Vorfällen zu¬<lb/>
weisen, bloß deshalb, weil durch seine Vermittlung Geist und Seele in Thätig¬<lb/>
versetzt wurden! Bloß deshalb? Und die fieberhafte Erregung, die mich in<lb/>
atemloser Hast vorwärts treibt, zu suchen und forschen, als wäre mir ein<lb/>
unbekanntes Ziel gesetzt, das ich erst erkennen werde, wenn ich es erreicht, als<lb/>
riefe mich eine Pflicht, deren Erfüllung allein mir die innere Ruhe wiedergeben<lb/>
könne &#x2014; ist diese Erregung auch uur ein Werk meiner Phantasie?" Nachdem<lb/>
er ein paar trockne urkundliche Mitteilungen gemacht hat über die Schlösser<lb/>
in Kärnten, die im Besitz der Gemahlin Frangipanis waren, ruft er aus:<lb/>
&#x201E;Verpfändungen, Zahlenziffern &#x2014; gespenstisch treten sie aus dem Dunkel, in<lb/>
welches Apollonias Leben während langer Jahre für unsre Blicke gehüllt ist,<lb/>
hervor, als spotteten sie des Forschers, der nach dem ersten, ahnungsvollen<lb/>
Einblick in die Wunder jungen, seligen Liebens die allzu kühne Hoffnung gehegt,<lb/>
auch an den Leiden und Erfahrungen einer Frauenseele teilnehmen zu dürfen,<lb/>
nachdem der Zauber ihres Glückes ihr genommen. O thörichter Wahn! Als<lb/>
wäre je solches Leiden aus seinen Tiefen aufgestiegen, sich einem andern<lb/>
im kalten Tageslicht zu zeigen, als vermöchte es je, sei es nun auf den<lb/>
Blättern der Geschichte, sei es in Worten eines klagenden Mundes, sich zu<lb/>
äußern ^ begrabene Welten, die nur in ihrer Versteinerung, aber nimmer vom<lb/>
Atem des Lebens beseelt dem Auge zu schauen gestattet ist!" Einen Bries<lb/>
der Gräfin Frangipani an ihren Gemahl ins Gefängnis versieht er mit fol¬<lb/>
gender Nachschrift: &#x201E;Welche Stimme erklingt mir! Aus den demütigen, den<lb/>
kindlichen Worten &#x2014; welch göttliche Einfalt eines liebestarken Herzens spricht<lb/>
zu mir! &#x2014; Getrost, gefangner Graf Christoph! Unbegrenzte, ewige und un¬<lb/>
verletzliche Liebe wacht über dir! Dein Vater, deine Brüder, welche ihr Vater,<lb/>
ihre Brüder geworden sind, ruhen nicht. Dein mächtiger Schwager bietet<lb/>
seinen Einfluß auf, und dein Hab und Gut wird von treuen Händen ver¬<lb/>
waltet." Das sind nur einige Proben; ich könnte noch viele andre geben.<lb/>
Das Kapitel über das Altarbild in Obervellach ist ein &#x201E;Erlebnis" für sich.<lb/>
Der Verfasser schildert die Fahrt, die Ankunft in den &#x201E;morgenlichen" Strahlen<lb/>
der Sonne, die Landschaft, die Natur, das Wetter, die Kirche, das Bild, alles<lb/>
überspannt und in einer Sprache, die wie erstarrte oder erstarrende Verse<lb/>
linge. Er sieht nicht mehr, er &#x201E;erschaut" nur noch. Zuletzt erstirbt die Dar¬<lb/>
stellung in einem verzückten Gestammel an Apollonia.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_82" next="#ID_83"> Der Verfasser ist jung, wenigstens soviel ich weiß, er ist gefühlvoll und<lb/>
augenscheinlich ein bischen eitel, er schwärmt für Richard Wagner, womit er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] Die Moderne in der Wissenschaft seiner selbst vergessen machen — für einen Augenblick durchbreche ich den Bann, zur Wirklichkeit der Gegenwart zurückzukehren. An meinem Finger glänzt der goldne Reif, ich sehe seine zierlich geschmückten Bänder kreisen! Ein gütiges Geschick war es, das ihn benutzte, mich auf die Spur einer merkwürdigen historischen Begebenheit zu führen, und nun möchte die Phantasie ihn selbst hineinziehen in dieselbe, ihm eine Rolle in jenen ergreifenden Vorfällen zu¬ weisen, bloß deshalb, weil durch seine Vermittlung Geist und Seele in Thätig¬ versetzt wurden! Bloß deshalb? Und die fieberhafte Erregung, die mich in atemloser Hast vorwärts treibt, zu suchen und forschen, als wäre mir ein unbekanntes Ziel gesetzt, das ich erst erkennen werde, wenn ich es erreicht, als riefe mich eine Pflicht, deren Erfüllung allein mir die innere Ruhe wiedergeben könne — ist diese Erregung auch uur ein Werk meiner Phantasie?" Nachdem er ein paar trockne urkundliche Mitteilungen gemacht hat über die Schlösser in Kärnten, die im Besitz der Gemahlin Frangipanis waren, ruft er aus: „Verpfändungen, Zahlenziffern — gespenstisch treten sie aus dem Dunkel, in welches Apollonias Leben während langer Jahre für unsre Blicke gehüllt ist, hervor, als spotteten sie des Forschers, der nach dem ersten, ahnungsvollen Einblick in die Wunder jungen, seligen Liebens die allzu kühne Hoffnung gehegt, auch an den Leiden und Erfahrungen einer Frauenseele teilnehmen zu dürfen, nachdem der Zauber ihres Glückes ihr genommen. O thörichter Wahn! Als wäre je solches Leiden aus seinen Tiefen aufgestiegen, sich einem andern im kalten Tageslicht zu zeigen, als vermöchte es je, sei es nun auf den Blättern der Geschichte, sei es in Worten eines klagenden Mundes, sich zu äußern ^ begrabene Welten, die nur in ihrer Versteinerung, aber nimmer vom Atem des Lebens beseelt dem Auge zu schauen gestattet ist!" Einen Bries der Gräfin Frangipani an ihren Gemahl ins Gefängnis versieht er mit fol¬ gender Nachschrift: „Welche Stimme erklingt mir! Aus den demütigen, den kindlichen Worten — welch göttliche Einfalt eines liebestarken Herzens spricht zu mir! — Getrost, gefangner Graf Christoph! Unbegrenzte, ewige und un¬ verletzliche Liebe wacht über dir! Dein Vater, deine Brüder, welche ihr Vater, ihre Brüder geworden sind, ruhen nicht. Dein mächtiger Schwager bietet seinen Einfluß auf, und dein Hab und Gut wird von treuen Händen ver¬ waltet." Das sind nur einige Proben; ich könnte noch viele andre geben. Das Kapitel über das Altarbild in Obervellach ist ein „Erlebnis" für sich. Der Verfasser schildert die Fahrt, die Ankunft in den „morgenlichen" Strahlen der Sonne, die Landschaft, die Natur, das Wetter, die Kirche, das Bild, alles überspannt und in einer Sprache, die wie erstarrte oder erstarrende Verse linge. Er sieht nicht mehr, er „erschaut" nur noch. Zuletzt erstirbt die Dar¬ stellung in einem verzückten Gestammel an Apollonia. Der Verfasser ist jung, wenigstens soviel ich weiß, er ist gefühlvoll und augenscheinlich ein bischen eitel, er schwärmt für Richard Wagner, womit er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/32>, abgerufen am 22.07.2024.