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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Moderne in der Wissenschaft

hier so unpassend als möglich kokettirt, er hat Phantasie und eine poetische
Ader, und der rührende Gegenstand war dazu angethan/diese Gaben in leb¬
haften Schwung zu versetzen, und zu alledem: der Verfasser ist verliebt, außer
dem Ring der Apollonia hat er bei seiner Arbeit wohl noch einen zweiten
Ring am Finger getragen, und mehr als alle Leser hat ihm eine Leserin vor¬
geschwebt. "Der Einen zu eigen!" steht auf dem Widmungsblatte. Das alles ^
erklärt so manches in seinem Buche. Dennoch bleibt die Einkleidung einer ^
wissenschaftlichen Untersuchung in das Gewand eines "Erlebnisses," die Ver¬
packung von Wissenschaft und Poesie und die damit unzertrennliche Stilver-!
mengung, wie sie hier vorliegt, eine Geschmacksverirrung, und wenn der Ver¬
fasser, wie es stark den Anschein hat, glaubt, durch sein Buch die Wissenschaft
um eine neue Darstellungsform bereichert zu haben, um die des wissenschaft¬
lichen "Erlebnisses," so kann man nur wünschen, daß er damit nicht etwa
Schule mache. Man könnte sich ja denken, daß ein Meister der Darstellung
auch in dieser Form einmal ein klassisches kleines Muster aufstellen könnte
^ ein kleines, denn in die Länge gezogen, wäre es keins --, aber dazu ge¬
hörte vor allem eine ganz andre Beherrschung der Sprache, als sie der Ver¬
fasser hat. Er ist zwar sichtlich bemüht, auch die rein geschichtlichen Partien
seines Buches , die nur für den Fachmann bestimmt sind, in ein schönes Ge-^
wand zu kleiden, aber er bringt es doch nicht weiter damit, als bis zu einem
gezierten und gespreizten Zeituugsstil. Auf der einen Seite eine gesuchte Wort-
stellung, die persönlichen Fürwörter z. B. an der denkbar unnatürlichsten Stelle
des Satzes (In immer größerer Ferne verloren die Hoffnungen fich!), alle
Nebensätze natürlich ohne Hilfszeitwörter, und auf der andern Seite ein sinn¬
widrig mechanisch geschachtelter Satzbau, und immer und ewig: derselbe, des¬
selben, demselben, denselben! In solchem Stil schreiben jetzt freilich viele
unsrer jungen Gelehrten, aber deshalb wird kein Kunstgenuß daraus.

Soll ich noch über die Ausstattung des Buches reden ? Die Illustrationen
sind vortrefflich; darauf verstehen wir uns heute, die Maschine thut ihre Schul¬
digkeit. Und wie schön ist alles gedruckt! Über allen Kapitelanfängen stehen
Zierleisten, die Hans Thoma gezeichnet hat. Ich hatte noch nie etwas von
Thoma gesehen, und so war auch der Anblick dieser hübschen kleinen Streifchen
ein "Erlebnis" für mich. "Variationen über den Ring" könnte man sie nennen --
eine allerliebste Spielerei. Wir sehen den Ring als Ring, als Krone, als
Kranz, als Schlange, auf der Wasserfläche, im Baumstamm , wir sehen, wie
er geschmiedet wird, wie ihn der Fisch verschlingt, wir sehen zuletzt auch noch
den Ring des Saturn am Nachthimmel. Der Verfasser gedenkt dieser Bildchen
in seinem Nachwort, das natürlich nicht aus dem prosaischen Berlin, sondern
aus der "Villa Cargnacco am Gardasee" datirt ist, mit-folgenden feierlichen
Schlußakkorden: "Was aber, nachdem meine Arbeit vollendet, ein teuerster
Freund und Meister diesem Buche schenken wollte (zu schenken geruhte, hätte


Grenzboten I 1895 4
Die Moderne in der Wissenschaft

hier so unpassend als möglich kokettirt, er hat Phantasie und eine poetische
Ader, und der rührende Gegenstand war dazu angethan/diese Gaben in leb¬
haften Schwung zu versetzen, und zu alledem: der Verfasser ist verliebt, außer
dem Ring der Apollonia hat er bei seiner Arbeit wohl noch einen zweiten
Ring am Finger getragen, und mehr als alle Leser hat ihm eine Leserin vor¬
geschwebt. „Der Einen zu eigen!" steht auf dem Widmungsblatte. Das alles ^
erklärt so manches in seinem Buche. Dennoch bleibt die Einkleidung einer ^
wissenschaftlichen Untersuchung in das Gewand eines „Erlebnisses," die Ver¬
packung von Wissenschaft und Poesie und die damit unzertrennliche Stilver-!
mengung, wie sie hier vorliegt, eine Geschmacksverirrung, und wenn der Ver¬
fasser, wie es stark den Anschein hat, glaubt, durch sein Buch die Wissenschaft
um eine neue Darstellungsform bereichert zu haben, um die des wissenschaft¬
lichen „Erlebnisses," so kann man nur wünschen, daß er damit nicht etwa
Schule mache. Man könnte sich ja denken, daß ein Meister der Darstellung
auch in dieser Form einmal ein klassisches kleines Muster aufstellen könnte
^ ein kleines, denn in die Länge gezogen, wäre es keins —, aber dazu ge¬
hörte vor allem eine ganz andre Beherrschung der Sprache, als sie der Ver¬
fasser hat. Er ist zwar sichtlich bemüht, auch die rein geschichtlichen Partien
seines Buches , die nur für den Fachmann bestimmt sind, in ein schönes Ge-^
wand zu kleiden, aber er bringt es doch nicht weiter damit, als bis zu einem
gezierten und gespreizten Zeituugsstil. Auf der einen Seite eine gesuchte Wort-
stellung, die persönlichen Fürwörter z. B. an der denkbar unnatürlichsten Stelle
des Satzes (In immer größerer Ferne verloren die Hoffnungen fich!), alle
Nebensätze natürlich ohne Hilfszeitwörter, und auf der andern Seite ein sinn¬
widrig mechanisch geschachtelter Satzbau, und immer und ewig: derselbe, des¬
selben, demselben, denselben! In solchem Stil schreiben jetzt freilich viele
unsrer jungen Gelehrten, aber deshalb wird kein Kunstgenuß daraus.

Soll ich noch über die Ausstattung des Buches reden ? Die Illustrationen
sind vortrefflich; darauf verstehen wir uns heute, die Maschine thut ihre Schul¬
digkeit. Und wie schön ist alles gedruckt! Über allen Kapitelanfängen stehen
Zierleisten, die Hans Thoma gezeichnet hat. Ich hatte noch nie etwas von
Thoma gesehen, und so war auch der Anblick dieser hübschen kleinen Streifchen
ein „Erlebnis" für mich. „Variationen über den Ring" könnte man sie nennen —
eine allerliebste Spielerei. Wir sehen den Ring als Ring, als Krone, als
Kranz, als Schlange, auf der Wasserfläche, im Baumstamm , wir sehen, wie
er geschmiedet wird, wie ihn der Fisch verschlingt, wir sehen zuletzt auch noch
den Ring des Saturn am Nachthimmel. Der Verfasser gedenkt dieser Bildchen
in seinem Nachwort, das natürlich nicht aus dem prosaischen Berlin, sondern
aus der „Villa Cargnacco am Gardasee" datirt ist, mit-folgenden feierlichen
Schlußakkorden: „Was aber, nachdem meine Arbeit vollendet, ein teuerster
Freund und Meister diesem Buche schenken wollte (zu schenken geruhte, hätte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/33>, abgerufen am 22.07.2024.