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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Moderne in der Wissenschaft

gar nicht darin vorzukommen. Man will durch nichts an die Person des
Verfassers erinnert sein. Ein "Erlebnis" dagegen ist ein Stück Selbst¬
biographie. Da dreht sich alles um die Person des Verfassers, und man
wundert sich gar nicht, wenn das Wörtchen "ich" in jedem Satze steht. Nun
ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Forscher seine Leser auch einmal
an dem äußern Verlauf einer Untersuchung teilnehmen läßt. Es muß nur
mit Geschmack geschehen, denn dem Leser liegt doch viel mehr an den Er¬
gebnissen der Forschung und -- an ihrer Methode, d. h. an ihrem innern
Gange, als an ihrem äußern Verlaufe. Wenn ich eine Urkunde, die ich ge¬
funden habe, sei es ein Schriftstück oder ein Kunstwerk, richtig benutze, an
der richtigen Stelle in den Faden meiner Untersuchung einflechte, so ist das
für den Leser viel wichtiger, als wenn ich ihm erzähle, unter welchen äußern
Umständen und bei welchem Stande meiner Untersuchung die Urkunde in
meine Hände gekommen ist. Immerhin kann man auch einmal diesen Weg
einschlagen, namentlich wenn er spannend ist, wenn er Überraschungen bietet,
vom Ziele abzuführen scheint, während er ihm zuführt. Aber Geschmack ge¬
hört dazu. Ein Gelehrter, der es namentlich in seinen letzten Lebensjahren
liebte, auch über den äußern Verlauf seiner wissenschaftlichen Untersuchungen:
wann, wo und wie er hinter das und jenes gekommen war, mit gründlicher
und behaglicher Breite Rechenschaft zu geben, war Friedrich Zcirncke. Aber
was sind seine schlichten Berichte gegen das "Erlebnis" Henry Thodes! Hier
drängt sich die Person des Verfassers auf Schritt und Tritt in den
Vordergrund. Fort und fort unterbricht und stört er den Gang der Dar¬
stellung nicht nur durch Mitteilungen über den äußern Verlauf und die ver¬
schleimen Stationen seiner Untersuchung, sondern sogar durch eingeschaltete
Phantasiestücke, Reflexionen, Ansprachen, die er an die Personen seiner Ge¬
schichte hält, Ausbrüche der Bewundrung und des Mitleids, Liebesbeteue¬
rungen, Seufzer. Als er zuerst auf Fraugipani zu sprechen kommt, fragt
er: "Was wissen wir näheres von ihm? Ihm auf seinen Wegen zu folgen
ist die nächste Aufgabe. Manche Chronisten und Geschichtsschreiber Venedigs
dürften erwünschte Nachrichten bringen. Das bei weiten: wichtigste werde ich
aber wohl wieder Marino Sanuto zu verdanken haben. Er bleibe nur ge¬
wogen!" Die Erzählung von Frangipanis Gefangenschaft unterbricht er durch
folgende Betrachtungen: "Von neuem halte ich inne in der Arbeit, im sinnenden
Verbinden aller der einzelnen Thatsachen, welche ich, die eine hier, die andre
dort, im Laufe weniger Tage gefunden. Als ich zuerst jene Chronik von Porde-
none aufschlug und in ihr den Namen Christoph Frangipani las -- wie weit ent¬
fernt war ich davon, zu ahnen, daß ich den Wandel und Wechsel eines an schweren
Schicksalen reichen Menschenlebens miterleben solle, als erschaute ich alles mit
eignen Augen! Ein Ring, der zufällig in meine Hände gelangt, hielt mich in einen
Zauberkreis gebannt. Die Gestalten aber, die er heraufbeschworen, haben mich


Die Moderne in der Wissenschaft

gar nicht darin vorzukommen. Man will durch nichts an die Person des
Verfassers erinnert sein. Ein „Erlebnis" dagegen ist ein Stück Selbst¬
biographie. Da dreht sich alles um die Person des Verfassers, und man
wundert sich gar nicht, wenn das Wörtchen „ich" in jedem Satze steht. Nun
ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Forscher seine Leser auch einmal
an dem äußern Verlauf einer Untersuchung teilnehmen läßt. Es muß nur
mit Geschmack geschehen, denn dem Leser liegt doch viel mehr an den Er¬
gebnissen der Forschung und — an ihrer Methode, d. h. an ihrem innern
Gange, als an ihrem äußern Verlaufe. Wenn ich eine Urkunde, die ich ge¬
funden habe, sei es ein Schriftstück oder ein Kunstwerk, richtig benutze, an
der richtigen Stelle in den Faden meiner Untersuchung einflechte, so ist das
für den Leser viel wichtiger, als wenn ich ihm erzähle, unter welchen äußern
Umständen und bei welchem Stande meiner Untersuchung die Urkunde in
meine Hände gekommen ist. Immerhin kann man auch einmal diesen Weg
einschlagen, namentlich wenn er spannend ist, wenn er Überraschungen bietet,
vom Ziele abzuführen scheint, während er ihm zuführt. Aber Geschmack ge¬
hört dazu. Ein Gelehrter, der es namentlich in seinen letzten Lebensjahren
liebte, auch über den äußern Verlauf seiner wissenschaftlichen Untersuchungen:
wann, wo und wie er hinter das und jenes gekommen war, mit gründlicher
und behaglicher Breite Rechenschaft zu geben, war Friedrich Zcirncke. Aber
was sind seine schlichten Berichte gegen das „Erlebnis" Henry Thodes! Hier
drängt sich die Person des Verfassers auf Schritt und Tritt in den
Vordergrund. Fort und fort unterbricht und stört er den Gang der Dar¬
stellung nicht nur durch Mitteilungen über den äußern Verlauf und die ver¬
schleimen Stationen seiner Untersuchung, sondern sogar durch eingeschaltete
Phantasiestücke, Reflexionen, Ansprachen, die er an die Personen seiner Ge¬
schichte hält, Ausbrüche der Bewundrung und des Mitleids, Liebesbeteue¬
rungen, Seufzer. Als er zuerst auf Fraugipani zu sprechen kommt, fragt
er: „Was wissen wir näheres von ihm? Ihm auf seinen Wegen zu folgen
ist die nächste Aufgabe. Manche Chronisten und Geschichtsschreiber Venedigs
dürften erwünschte Nachrichten bringen. Das bei weiten: wichtigste werde ich
aber wohl wieder Marino Sanuto zu verdanken haben. Er bleibe nur ge¬
wogen!" Die Erzählung von Frangipanis Gefangenschaft unterbricht er durch
folgende Betrachtungen: „Von neuem halte ich inne in der Arbeit, im sinnenden
Verbinden aller der einzelnen Thatsachen, welche ich, die eine hier, die andre
dort, im Laufe weniger Tage gefunden. Als ich zuerst jene Chronik von Porde-
none aufschlug und in ihr den Namen Christoph Frangipani las — wie weit ent¬
fernt war ich davon, zu ahnen, daß ich den Wandel und Wechsel eines an schweren
Schicksalen reichen Menschenlebens miterleben solle, als erschaute ich alles mit
eignen Augen! Ein Ring, der zufällig in meine Hände gelangt, hielt mich in einen
Zauberkreis gebannt. Die Gestalten aber, die er heraufbeschworen, haben mich


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[0031] Die Moderne in der Wissenschaft gar nicht darin vorzukommen. Man will durch nichts an die Person des Verfassers erinnert sein. Ein „Erlebnis" dagegen ist ein Stück Selbst¬ biographie. Da dreht sich alles um die Person des Verfassers, und man wundert sich gar nicht, wenn das Wörtchen „ich" in jedem Satze steht. Nun ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Forscher seine Leser auch einmal an dem äußern Verlauf einer Untersuchung teilnehmen läßt. Es muß nur mit Geschmack geschehen, denn dem Leser liegt doch viel mehr an den Er¬ gebnissen der Forschung und — an ihrer Methode, d. h. an ihrem innern Gange, als an ihrem äußern Verlaufe. Wenn ich eine Urkunde, die ich ge¬ funden habe, sei es ein Schriftstück oder ein Kunstwerk, richtig benutze, an der richtigen Stelle in den Faden meiner Untersuchung einflechte, so ist das für den Leser viel wichtiger, als wenn ich ihm erzähle, unter welchen äußern Umständen und bei welchem Stande meiner Untersuchung die Urkunde in meine Hände gekommen ist. Immerhin kann man auch einmal diesen Weg einschlagen, namentlich wenn er spannend ist, wenn er Überraschungen bietet, vom Ziele abzuführen scheint, während er ihm zuführt. Aber Geschmack ge¬ hört dazu. Ein Gelehrter, der es namentlich in seinen letzten Lebensjahren liebte, auch über den äußern Verlauf seiner wissenschaftlichen Untersuchungen: wann, wo und wie er hinter das und jenes gekommen war, mit gründlicher und behaglicher Breite Rechenschaft zu geben, war Friedrich Zcirncke. Aber was sind seine schlichten Berichte gegen das „Erlebnis" Henry Thodes! Hier drängt sich die Person des Verfassers auf Schritt und Tritt in den Vordergrund. Fort und fort unterbricht und stört er den Gang der Dar¬ stellung nicht nur durch Mitteilungen über den äußern Verlauf und die ver¬ schleimen Stationen seiner Untersuchung, sondern sogar durch eingeschaltete Phantasiestücke, Reflexionen, Ansprachen, die er an die Personen seiner Ge¬ schichte hält, Ausbrüche der Bewundrung und des Mitleids, Liebesbeteue¬ rungen, Seufzer. Als er zuerst auf Fraugipani zu sprechen kommt, fragt er: „Was wissen wir näheres von ihm? Ihm auf seinen Wegen zu folgen ist die nächste Aufgabe. Manche Chronisten und Geschichtsschreiber Venedigs dürften erwünschte Nachrichten bringen. Das bei weiten: wichtigste werde ich aber wohl wieder Marino Sanuto zu verdanken haben. Er bleibe nur ge¬ wogen!" Die Erzählung von Frangipanis Gefangenschaft unterbricht er durch folgende Betrachtungen: „Von neuem halte ich inne in der Arbeit, im sinnenden Verbinden aller der einzelnen Thatsachen, welche ich, die eine hier, die andre dort, im Laufe weniger Tage gefunden. Als ich zuerst jene Chronik von Porde- none aufschlug und in ihr den Namen Christoph Frangipani las — wie weit ent¬ fernt war ich davon, zu ahnen, daß ich den Wandel und Wechsel eines an schweren Schicksalen reichen Menschenlebens miterleben solle, als erschaute ich alles mit eignen Augen! Ein Ring, der zufällig in meine Hände gelangt, hielt mich in einen Zauberkreis gebannt. Die Gestalten aber, die er heraufbeschworen, haben mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/31>, abgerufen am 22.07.2024.