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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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denken. Aber dann müßte man annehmen, daß der Chronist nur ungenaue
Kunde von dem Verlust gehabt und Ort und Zeit falsch angesetzt habe. Eine
weitere Schmierigkeit bereitet die Angabe, daß die Inschrift auf dem verlornen
Ringe "innen und außen" gewesen sei. Der Verfasser sucht sie zu heben durch
die Annahme, sein Ring, der hohl ist, enthalte vielleicht im Innern (!) noch
andre Worte. Sollte es aber nicht näher liegen, das "innen und außen"
auf die Hand zu beziehen? Die Inschrift läuft ringsum, sodaß man die Hand
von innen und von außen besehen muß, um die Inschrift ganz zu lesen.

Das also wäre der Inhalt des Buches. Nebenbei lenkt der Verfasser die
Aufmerksamkeit noch auf ein. paar Kunstwerke. Das eine ist eine typographische
Seltenheit, ein deutsches Gebetbuch, das Graf Frangipani und seine Gemahlin
1518 in Venedig haben drücken lasse". Es ist mit Holzschnitten geschmückt,
ein Holzschnitt zeigt eine Krönung Mariä, darunter als Betende Christoph und
Apollonia. Im Vorwort bitten sie alle, die das Buch benutzen würden, ihrer
zu gedenken und sür ihre Befreiung zu Gott zu beten. Das andre Kunstwerk
ist das Altarbild in der Kirche von Obervellach im Möllthal in Körnten.
Obwohl es erst nach Apollvnias Tode, 1520, gemalt ist, macht es der Ver¬
fasser doch wahrscheinlich, daß in den beiden Flügeln die Bildnisse von Christoph
und Apollonia Frangipani nach dem Leben erhalten sind. . ^ ^

Kurz vor Tische war ich mit dem Lesen des Buches fertig geworden^
Nach Tische nahm ich es wieder vor, blätterte es noch einmal von vorn nach
hinten und von hinten nach vorn durch und fragte mich: Was mag wohl
der Verfasser beabsichtigt haben? Gesetzt, der Ring, den er gekauft hat, wäre
wirklich der Ring des Grafen Frangipani, so wäre das gewiß ein höchst merk¬
würdiger Zufall, und das merkwürdigste und erfreulichste daran, daß der Ring
gerade in diese Hände gekommen ist, in die Hände eines begeisterten und wissen¬
schaftlich tüchtig geschulten Gelehrten. Wäre er in die Hände eines beliebigen
reichen Sammlers geraten, so hätte nach dein Grafen Frangipani und seiner
treuen, mutigen, opferfreudigen Frau kein Hahn gekräht. Wer je in seinem
Leben wissenschaftlich gearbeitet hat, der wird die Finderfreude des Verfassers
verstehen und teilen. Aber war es nötig, diesen Fund und den Beweis für
die Richtigkeit seiner Deutung, diese rührende kleine Episode aus der deutsch¬
italienischen Kriegsgeschichte, die gerade ausgereicht hätte zu einem feinen Auf¬
sätzchen in einer historischen oder kunsthistorischen Zeitschrift, und die in einer
zwanzigbäudigen Weltgeschichte vielleicht eine Zeile füllen würde, der Welt in
einem Quartband von 183 Seiten vorzulegen? und in einer Darstellung, in
der eine simple historische Quellenforschung zu einem erschütternden "Erlebnis"
ausgebauscht wird?

Jede Darstellungsform hat ihren besondern Stil, auch jede wissenschaft¬
liche. Von einer wissenschaftlichen Untersuchung verlangt man, daß der Ver¬
fasser hinter seinem Stoffe möglichst zurücktrete. Das Wörtchen^ "ich".braucht


denken. Aber dann müßte man annehmen, daß der Chronist nur ungenaue
Kunde von dem Verlust gehabt und Ort und Zeit falsch angesetzt habe. Eine
weitere Schmierigkeit bereitet die Angabe, daß die Inschrift auf dem verlornen
Ringe „innen und außen" gewesen sei. Der Verfasser sucht sie zu heben durch
die Annahme, sein Ring, der hohl ist, enthalte vielleicht im Innern (!) noch
andre Worte. Sollte es aber nicht näher liegen, das „innen und außen"
auf die Hand zu beziehen? Die Inschrift läuft ringsum, sodaß man die Hand
von innen und von außen besehen muß, um die Inschrift ganz zu lesen.

Das also wäre der Inhalt des Buches. Nebenbei lenkt der Verfasser die
Aufmerksamkeit noch auf ein. paar Kunstwerke. Das eine ist eine typographische
Seltenheit, ein deutsches Gebetbuch, das Graf Frangipani und seine Gemahlin
1518 in Venedig haben drücken lasse». Es ist mit Holzschnitten geschmückt,
ein Holzschnitt zeigt eine Krönung Mariä, darunter als Betende Christoph und
Apollonia. Im Vorwort bitten sie alle, die das Buch benutzen würden, ihrer
zu gedenken und sür ihre Befreiung zu Gott zu beten. Das andre Kunstwerk
ist das Altarbild in der Kirche von Obervellach im Möllthal in Körnten.
Obwohl es erst nach Apollvnias Tode, 1520, gemalt ist, macht es der Ver¬
fasser doch wahrscheinlich, daß in den beiden Flügeln die Bildnisse von Christoph
und Apollonia Frangipani nach dem Leben erhalten sind. . ^ ^

Kurz vor Tische war ich mit dem Lesen des Buches fertig geworden^
Nach Tische nahm ich es wieder vor, blätterte es noch einmal von vorn nach
hinten und von hinten nach vorn durch und fragte mich: Was mag wohl
der Verfasser beabsichtigt haben? Gesetzt, der Ring, den er gekauft hat, wäre
wirklich der Ring des Grafen Frangipani, so wäre das gewiß ein höchst merk¬
würdiger Zufall, und das merkwürdigste und erfreulichste daran, daß der Ring
gerade in diese Hände gekommen ist, in die Hände eines begeisterten und wissen¬
schaftlich tüchtig geschulten Gelehrten. Wäre er in die Hände eines beliebigen
reichen Sammlers geraten, so hätte nach dein Grafen Frangipani und seiner
treuen, mutigen, opferfreudigen Frau kein Hahn gekräht. Wer je in seinem
Leben wissenschaftlich gearbeitet hat, der wird die Finderfreude des Verfassers
verstehen und teilen. Aber war es nötig, diesen Fund und den Beweis für
die Richtigkeit seiner Deutung, diese rührende kleine Episode aus der deutsch¬
italienischen Kriegsgeschichte, die gerade ausgereicht hätte zu einem feinen Auf¬
sätzchen in einer historischen oder kunsthistorischen Zeitschrift, und die in einer
zwanzigbäudigen Weltgeschichte vielleicht eine Zeile füllen würde, der Welt in
einem Quartband von 183 Seiten vorzulegen? und in einer Darstellung, in
der eine simple historische Quellenforschung zu einem erschütternden „Erlebnis"
ausgebauscht wird?

Jede Darstellungsform hat ihren besondern Stil, auch jede wissenschaft¬
liche. Von einer wissenschaftlichen Untersuchung verlangt man, daß der Ver¬
fasser hinter seinem Stoffe möglichst zurücktrete. Das Wörtchen^ „ich".braucht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/30>, abgerufen am 22.07.2024.