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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Moderne in der Wissenschaft

damit ich nicht länger den geliebtesten Gemahl entbehren muß, erlauben, daß
ich allein, nur mit einigen Mägden zu meiner Bedienung, zu dem erlauch¬
testen Herrn, meinem teuersten Gemahl, nach Venedig komme, bei ihm
wohne und in demselben Gefängnis und unter derselben Bewachung mit ihm
in Haft gehalten werde. Wenn mich aber mein erlauchter Gemahl fortgehen
heißt, sei es mir erlaubt, mit den Mägden frei und sicher wieder in die Heimat
zurückzukehren. Ich hoffe sicher, daß sie mir das nicht abschlagen werden, denn
sie werden doch keine feindselige List von einer Frau erwarten, die sich frei¬
willig in Gefangenschaft begiebt. Denn von solchem Verlangen nach dem ge¬
liebtesten Gemahl bin ich gequält, daß ich weder Gefängnis noch das äußerste
mit ihm zu erdulden fürchte, wenn ich nur bei ihm sein darf." Aber alle ihre
Bitten waren umsonst. Da traf sie am 13. Januar 1517, nachdem sie sich
vorher angemeldet hatte, mit zahlreicher Dienerschaft in Venedig ein; ohne
die Zustcherung freien Geleits hatte sie sich aufgemacht, ihren Gemahl in der
Gefangenschaft zu besuchen. Die Signoria gewährte ihr Aufenthalt in dem
Palast ihres Fürsprechers Dandolv. Am folgenden Tage erhielt sie die Er¬
laubnis, ihren Gemahl zu sehen und verweilte bei ihm bis zum Abend. Am
20. Januar durfte sie mit Gefolge vor dem Dogen und der Signoria er¬
scheinen. "Sie war -- so berichtet Sanuto -- in neue Seide gekleidet, darüber
trug sie ein Gewand von schwarzem Atlas mit Marderpelz gefüttert, eine
schwere goldne Kette am Hals und auf dem Kopfe eine goldne Haube nach
deutscher Sitte. Sie ist eine würdige und ehrfurchtgebietende Frau, sehr hübsch,
aber klein und mager." Am Nachmittag besuchte sie zum zweitenmal ihren Ge¬
mahl. Am andern Morgen aber erschien Dandolo vor dem Dogen und berichtete
in höchster Erregung, die Gräfin sei diese Nacht in der Torresella geblieben, um
bei dem Grafen zu schlafen, obgleich man alles versucht habe, es zu verhindern.
Und von Stund an blieb sie bei ihrem Gemahl, die Signoria war machtlos
ihr gegenüber. Die Senatoren lärmten über das Unerhörte, Dandolo wollte
sogar sein Amt niederlegen, weil sich der Graf nicht fügen wollte. Vergebens,
sie blieb. Und man mußte sie schon bleiben lassen, denn sie war krank. Mehrere
Arzte waren um sie bemüht. Im Mai 1517 besuchte sie die Bäder von Abano,
doch ging sie nur unter der Bedingung fort, daß sie nach der Kur in die
Haft zurückkehren dürfte. Im Juli kehrte sie wirklich zurück, denn noch immer
waren die Bemühungen, ihren Gemahl zu befreien, vergeblich gewesen. Ein
paarmal war es nahe daran; einmal wurde darüber verhandelt, ihn gegen eine
Bürgschaft von 30000 Dukaten und gegen das Versprechen, in Venedig zu
bleiben, der Haft zu entlassen, ein andermal war davon die Rede, ihn an den
König von Frankreich auszuliefern. Aber es verging auch das Jahr 1517,
ohne daß es ihm die ersehnte Freiheit gebracht hatte.

Ums kurz zu machen: die Gefangenschaft Frangipanis danerte auch noch
das ganze Jahr 1518. Selbst als am 31. Juli 1518 ein Waffenstillstand


Die Moderne in der Wissenschaft

damit ich nicht länger den geliebtesten Gemahl entbehren muß, erlauben, daß
ich allein, nur mit einigen Mägden zu meiner Bedienung, zu dem erlauch¬
testen Herrn, meinem teuersten Gemahl, nach Venedig komme, bei ihm
wohne und in demselben Gefängnis und unter derselben Bewachung mit ihm
in Haft gehalten werde. Wenn mich aber mein erlauchter Gemahl fortgehen
heißt, sei es mir erlaubt, mit den Mägden frei und sicher wieder in die Heimat
zurückzukehren. Ich hoffe sicher, daß sie mir das nicht abschlagen werden, denn
sie werden doch keine feindselige List von einer Frau erwarten, die sich frei¬
willig in Gefangenschaft begiebt. Denn von solchem Verlangen nach dem ge¬
liebtesten Gemahl bin ich gequält, daß ich weder Gefängnis noch das äußerste
mit ihm zu erdulden fürchte, wenn ich nur bei ihm sein darf." Aber alle ihre
Bitten waren umsonst. Da traf sie am 13. Januar 1517, nachdem sie sich
vorher angemeldet hatte, mit zahlreicher Dienerschaft in Venedig ein; ohne
die Zustcherung freien Geleits hatte sie sich aufgemacht, ihren Gemahl in der
Gefangenschaft zu besuchen. Die Signoria gewährte ihr Aufenthalt in dem
Palast ihres Fürsprechers Dandolv. Am folgenden Tage erhielt sie die Er¬
laubnis, ihren Gemahl zu sehen und verweilte bei ihm bis zum Abend. Am
20. Januar durfte sie mit Gefolge vor dem Dogen und der Signoria er¬
scheinen. „Sie war — so berichtet Sanuto — in neue Seide gekleidet, darüber
trug sie ein Gewand von schwarzem Atlas mit Marderpelz gefüttert, eine
schwere goldne Kette am Hals und auf dem Kopfe eine goldne Haube nach
deutscher Sitte. Sie ist eine würdige und ehrfurchtgebietende Frau, sehr hübsch,
aber klein und mager." Am Nachmittag besuchte sie zum zweitenmal ihren Ge¬
mahl. Am andern Morgen aber erschien Dandolo vor dem Dogen und berichtete
in höchster Erregung, die Gräfin sei diese Nacht in der Torresella geblieben, um
bei dem Grafen zu schlafen, obgleich man alles versucht habe, es zu verhindern.
Und von Stund an blieb sie bei ihrem Gemahl, die Signoria war machtlos
ihr gegenüber. Die Senatoren lärmten über das Unerhörte, Dandolo wollte
sogar sein Amt niederlegen, weil sich der Graf nicht fügen wollte. Vergebens,
sie blieb. Und man mußte sie schon bleiben lassen, denn sie war krank. Mehrere
Arzte waren um sie bemüht. Im Mai 1517 besuchte sie die Bäder von Abano,
doch ging sie nur unter der Bedingung fort, daß sie nach der Kur in die
Haft zurückkehren dürfte. Im Juli kehrte sie wirklich zurück, denn noch immer
waren die Bemühungen, ihren Gemahl zu befreien, vergeblich gewesen. Ein
paarmal war es nahe daran; einmal wurde darüber verhandelt, ihn gegen eine
Bürgschaft von 30000 Dukaten und gegen das Versprechen, in Venedig zu
bleiben, der Haft zu entlassen, ein andermal war davon die Rede, ihn an den
König von Frankreich auszuliefern. Aber es verging auch das Jahr 1517,
ohne daß es ihm die ersehnte Freiheit gebracht hatte.

Ums kurz zu machen: die Gefangenschaft Frangipanis danerte auch noch
das ganze Jahr 1518. Selbst als am 31. Juli 1518 ein Waffenstillstand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/28>, abgerufen am 25.08.2024.