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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Moderne in der Wissenschaft

Wahrheit enthält, doch klingt wie ein Roman. Und obwohl diese Lebens¬
geschichte oder dieser Roman in dem abschreckendsten Deutsch geschrieben ist,
lese ich doch mit Todesverachtung drauflos -- eine Stunde, zwei Stunden,
drei Stunden. Viele Sätze muß ich zweimal lesen, um sie nur zu ver¬
stehen. Als ich mich aber glücklich durchgefressen habe, da habe ich folgendes
gelernt.

Zu den Truppenführern Kaiser Maximilians in seinem Kampfe gegen
Venedig im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gehörte auch ein Gras
Christoph Frcmgipcmi, der aus einem kroatischen Geschlecht stammte, und
dessen Vorfahren schon zum Teil mit der mächtigen Republik bald in freund¬
liche, bald in feindliche Berührung gekommen waren. Namentlich ist es eine
Episode des Kampfes, in der er auf kurze Zeit hervortritt: in der ersten Hülste
des Jahres 1514 erobert er in raschem Siegeslaufe Friaul und verliert es eben
so schnell wieder. Im Januar 1513 war er in Görz zum Oberfeldherrn des
deutschen Heeres ernannt worden. Im Herbst zog er in Görz und Gradiska
seine Truppen zusammen und bereitete den Einfall in Friaul vor. Im De¬
zember waren die Vorbereitungen beendet, und der Kampf begann. Zuerst
wurde die Festung Maraino am Adriatischen Meere genommen. Im Januar
und Februar 1514 fielen Udine und Pordenone in die Hände der Deutschen. Aber
bei der Einnahme von Pordenone war Frangipcmi nicht selbst beteiligt, er war
inzwischen in Anspruch genommen durch die schwierige Belagerung der steilen
Bergfestung Osopo am Tagliamento. Nur Mitte März unternahm er einmal,
während die Belagerung von Osopo fortdauerte, einen kurzen Streifzug nach
Pordenone. Aber schon Ende März wurde die Stadt durch den venezianischen
Truppenführer Bartolommeo d'Alvicmo den Deutschen wieder entrissen, wobei
132 Deutsche gefangen genommen und nach Venedig gebracht wurden. Und
schon am 24. März war Frcmgipani vor Osopo schwer verwundet worden.
Die Besatzung verteidigte sich nämlich, indem sie Felsstücke von oben herab¬
schlenderte. Eines dieser Felsstücke hatte Frangipcmi getroffen, als er den
steilen Berg bis zur Hälfte erklommen hatte. Hätte er nicht den Helm auf
dem Kopfe gehabt, so wäre er verloren gewesen; man mußte ihm den Helm
vom Kopfe brechen, zum Teil sägen. Ende März wurde Frcmgipani von
Osopo nach Gcmvna gebracht, man zweifelte an seiner Rettung, und in Ve¬
nedig jubelte man schon über seinen Tod. Aber er erholte sich, richtete am
7. April aus dem Lager bei Cormons ein geharnischtes Schreiben an die
Stadt Udine, worin er sie aufs strengste zur Treue und Ergebenheit gegen
den Kaiser mahnte. Die nächsten Wochen brachte er noch kampfunfähig in
Gradiska zu. Gegen Ende April war er so weit hergestellt, daß er den
Kampf wieder aufnehmen konnte. Aber inzwischen hatte Bartolommeo
d'Alvicmo ringsum das Verlorne Land wiedererobert und stand schon nahe bei
Gradiska. Am 5. Juni kam es zum Kampfe; Frcmgipani wurde verwundet


Die Moderne in der Wissenschaft

Wahrheit enthält, doch klingt wie ein Roman. Und obwohl diese Lebens¬
geschichte oder dieser Roman in dem abschreckendsten Deutsch geschrieben ist,
lese ich doch mit Todesverachtung drauflos — eine Stunde, zwei Stunden,
drei Stunden. Viele Sätze muß ich zweimal lesen, um sie nur zu ver¬
stehen. Als ich mich aber glücklich durchgefressen habe, da habe ich folgendes
gelernt.

Zu den Truppenführern Kaiser Maximilians in seinem Kampfe gegen
Venedig im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gehörte auch ein Gras
Christoph Frcmgipcmi, der aus einem kroatischen Geschlecht stammte, und
dessen Vorfahren schon zum Teil mit der mächtigen Republik bald in freund¬
liche, bald in feindliche Berührung gekommen waren. Namentlich ist es eine
Episode des Kampfes, in der er auf kurze Zeit hervortritt: in der ersten Hülste
des Jahres 1514 erobert er in raschem Siegeslaufe Friaul und verliert es eben
so schnell wieder. Im Januar 1513 war er in Görz zum Oberfeldherrn des
deutschen Heeres ernannt worden. Im Herbst zog er in Görz und Gradiska
seine Truppen zusammen und bereitete den Einfall in Friaul vor. Im De¬
zember waren die Vorbereitungen beendet, und der Kampf begann. Zuerst
wurde die Festung Maraino am Adriatischen Meere genommen. Im Januar
und Februar 1514 fielen Udine und Pordenone in die Hände der Deutschen. Aber
bei der Einnahme von Pordenone war Frangipcmi nicht selbst beteiligt, er war
inzwischen in Anspruch genommen durch die schwierige Belagerung der steilen
Bergfestung Osopo am Tagliamento. Nur Mitte März unternahm er einmal,
während die Belagerung von Osopo fortdauerte, einen kurzen Streifzug nach
Pordenone. Aber schon Ende März wurde die Stadt durch den venezianischen
Truppenführer Bartolommeo d'Alvicmo den Deutschen wieder entrissen, wobei
132 Deutsche gefangen genommen und nach Venedig gebracht wurden. Und
schon am 24. März war Frcmgipani vor Osopo schwer verwundet worden.
Die Besatzung verteidigte sich nämlich, indem sie Felsstücke von oben herab¬
schlenderte. Eines dieser Felsstücke hatte Frangipcmi getroffen, als er den
steilen Berg bis zur Hälfte erklommen hatte. Hätte er nicht den Helm auf
dem Kopfe gehabt, so wäre er verloren gewesen; man mußte ihm den Helm
vom Kopfe brechen, zum Teil sägen. Ende März wurde Frcmgipani von
Osopo nach Gcmvna gebracht, man zweifelte an seiner Rettung, und in Ve¬
nedig jubelte man schon über seinen Tod. Aber er erholte sich, richtete am
7. April aus dem Lager bei Cormons ein geharnischtes Schreiben an die
Stadt Udine, worin er sie aufs strengste zur Treue und Ergebenheit gegen
den Kaiser mahnte. Die nächsten Wochen brachte er noch kampfunfähig in
Gradiska zu. Gegen Ende April war er so weit hergestellt, daß er den
Kampf wieder aufnehmen konnte. Aber inzwischen hatte Bartolommeo
d'Alvicmo ringsum das Verlorne Land wiedererobert und stand schon nahe bei
Gradiska. Am 5. Juni kam es zum Kampfe; Frcmgipani wurde verwundet


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[0026] Die Moderne in der Wissenschaft Wahrheit enthält, doch klingt wie ein Roman. Und obwohl diese Lebens¬ geschichte oder dieser Roman in dem abschreckendsten Deutsch geschrieben ist, lese ich doch mit Todesverachtung drauflos — eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Viele Sätze muß ich zweimal lesen, um sie nur zu ver¬ stehen. Als ich mich aber glücklich durchgefressen habe, da habe ich folgendes gelernt. Zu den Truppenführern Kaiser Maximilians in seinem Kampfe gegen Venedig im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gehörte auch ein Gras Christoph Frcmgipcmi, der aus einem kroatischen Geschlecht stammte, und dessen Vorfahren schon zum Teil mit der mächtigen Republik bald in freund¬ liche, bald in feindliche Berührung gekommen waren. Namentlich ist es eine Episode des Kampfes, in der er auf kurze Zeit hervortritt: in der ersten Hülste des Jahres 1514 erobert er in raschem Siegeslaufe Friaul und verliert es eben so schnell wieder. Im Januar 1513 war er in Görz zum Oberfeldherrn des deutschen Heeres ernannt worden. Im Herbst zog er in Görz und Gradiska seine Truppen zusammen und bereitete den Einfall in Friaul vor. Im De¬ zember waren die Vorbereitungen beendet, und der Kampf begann. Zuerst wurde die Festung Maraino am Adriatischen Meere genommen. Im Januar und Februar 1514 fielen Udine und Pordenone in die Hände der Deutschen. Aber bei der Einnahme von Pordenone war Frangipcmi nicht selbst beteiligt, er war inzwischen in Anspruch genommen durch die schwierige Belagerung der steilen Bergfestung Osopo am Tagliamento. Nur Mitte März unternahm er einmal, während die Belagerung von Osopo fortdauerte, einen kurzen Streifzug nach Pordenone. Aber schon Ende März wurde die Stadt durch den venezianischen Truppenführer Bartolommeo d'Alvicmo den Deutschen wieder entrissen, wobei 132 Deutsche gefangen genommen und nach Venedig gebracht wurden. Und schon am 24. März war Frcmgipani vor Osopo schwer verwundet worden. Die Besatzung verteidigte sich nämlich, indem sie Felsstücke von oben herab¬ schlenderte. Eines dieser Felsstücke hatte Frangipcmi getroffen, als er den steilen Berg bis zur Hälfte erklommen hatte. Hätte er nicht den Helm auf dem Kopfe gehabt, so wäre er verloren gewesen; man mußte ihm den Helm vom Kopfe brechen, zum Teil sägen. Ende März wurde Frcmgipani von Osopo nach Gcmvna gebracht, man zweifelte an seiner Rettung, und in Ve¬ nedig jubelte man schon über seinen Tod. Aber er erholte sich, richtete am 7. April aus dem Lager bei Cormons ein geharnischtes Schreiben an die Stadt Udine, worin er sie aufs strengste zur Treue und Ergebenheit gegen den Kaiser mahnte. Die nächsten Wochen brachte er noch kampfunfähig in Gradiska zu. Gegen Ende April war er so weit hergestellt, daß er den Kampf wieder aufnehmen konnte. Aber inzwischen hatte Bartolommeo d'Alvicmo ringsum das Verlorne Land wiedererobert und stand schon nahe bei Gradiska. Am 5. Juni kam es zum Kampfe; Frcmgipani wurde verwundet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/26>, abgerufen am 22.07.2024.