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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue Novellen

Chromatrops an, in dessen verschiednen Bildern man nur allzu bald die gleichen
Glassplitter wiedererkennt.

Ein verwandter Geist, der sich freilich schüchterner in die Untiefen natu¬
ralistischer Schilderung hineinwagt, erfüllt die Skizzen von Alma von Lardy:
Kismet (Hamburg. Otto Meißner, 1894). Ferner gehören in die Reihe dieser
kurzen Novellen auch die Schattenbilder von Fran Mazuranie (Berlin,
Siegfried Cronbach, 1893), die L. P. Bertwig aus dem Kroatischen übersetzt
hat. Die kleinen Novelletten sind zum Teil ganz sinnreich, mit ihren Situations¬
schilderungen gehören sie der neuesten, mit ihren Pointen einer viel ältern Er-
zählungskunst an, man könnte bei Geschichten wie "Diana," "Die Schwalben,"
"Die jungen Herren," "Der Slowake," "Die Kleine" u. n. glauben, Fabeln
in Prosa aus dem achtzehnten Jahrhundert zu lesen. Andre wie "Die Heim¬
kehr," "Die Mutter," "Der Einzige" sind in der That lyrische Gedichte in
Prosa, und es ist nicht der leiseste Grund vorhanden, ihnen die metrische Form
zu versagen.

Die Moralischen Träumereien von Ekkehard Zeitgenoß (Basel,
Benno Schwabe) müssen zu den frei erfundnen Märchen gerechnet werden,
ohne unter ihnen gerade einen hohen Nang einzunehme". Das Verzeichnis
dieser Art Novelletten ließe sich noch bedeutend verlängern, aber es hat keinen
Zweck. Es ist klar, daß die Mehrzahl dieser Geschichten ihre Kürze nicht dem
innerlichen Antriebe, die Kraft uns einem entscheidenden Punkte zu sammeln,
sondern dem platten äußern Bedürfnis verdankt.

Wir kommen nun zu Novellensammlungen, aus denen uus poetische, indi¬
viduelle Gesichter entgegenblicken, in denen künstlerische Sicherheit, wenigstens
ein künstlerisches Bestreben vorwaltet, und in denen wir bei gutem Glück eine
und die andre wahrhafte und bleibende Schöpfung finden zu können hoffen.
Wenn sich herausstellt, daß wir gerade bei dieser besten Gruppe von neuen
Novellen weniger Überraschungen erfahren, als dem Sensativnsbedürfnis eines
kleinen Teils des Publikums und eines großen Teils der litterarischen Kritik
ersprießlich scheint, so hat das sehr natürliche Ursachen. Die Vorzüge wie die
Schranken der guten Schriftsteller, der Meister, sind bekannt, sie können u"5
durch neue mehr oder minder vortreffliche Leistungen erquicken, sie können in
einzelnen Erfindungen, Gestalten und Zügen neue Kräfte ihres Auges, neue
Kräfte ihrer Seele offenbaren, aber sie können nicht Fratzen schaffen, um "nen"
zu sein. Neben deu schon vielgenannten stehen übrigens auch diesmal einige
Namen, die die Hoffnung erwecken, daß sie in kurzer Zeit klangvoller sein
werden als heute.

Ein frisches Talent zeigt der Österreicher Haus Grasberger, von dem
(Dresden und Leipzig, E. Piersvns Verlag, 1895) vor kurzem Ein neues
Novellenbuch erschienen ist. Die humoristische Ader, die die Erfindungen
dieses Erzählers durchzieht, verbindet sich mit der ernstern sehr glücklich in den


Grenzboten I 1895 28
Neue Novellen

Chromatrops an, in dessen verschiednen Bildern man nur allzu bald die gleichen
Glassplitter wiedererkennt.

Ein verwandter Geist, der sich freilich schüchterner in die Untiefen natu¬
ralistischer Schilderung hineinwagt, erfüllt die Skizzen von Alma von Lardy:
Kismet (Hamburg. Otto Meißner, 1894). Ferner gehören in die Reihe dieser
kurzen Novellen auch die Schattenbilder von Fran Mazuranie (Berlin,
Siegfried Cronbach, 1893), die L. P. Bertwig aus dem Kroatischen übersetzt
hat. Die kleinen Novelletten sind zum Teil ganz sinnreich, mit ihren Situations¬
schilderungen gehören sie der neuesten, mit ihren Pointen einer viel ältern Er-
zählungskunst an, man könnte bei Geschichten wie „Diana," „Die Schwalben,"
„Die jungen Herren," „Der Slowake," „Die Kleine" u. n. glauben, Fabeln
in Prosa aus dem achtzehnten Jahrhundert zu lesen. Andre wie „Die Heim¬
kehr," „Die Mutter," „Der Einzige" sind in der That lyrische Gedichte in
Prosa, und es ist nicht der leiseste Grund vorhanden, ihnen die metrische Form
zu versagen.

Die Moralischen Träumereien von Ekkehard Zeitgenoß (Basel,
Benno Schwabe) müssen zu den frei erfundnen Märchen gerechnet werden,
ohne unter ihnen gerade einen hohen Nang einzunehme». Das Verzeichnis
dieser Art Novelletten ließe sich noch bedeutend verlängern, aber es hat keinen
Zweck. Es ist klar, daß die Mehrzahl dieser Geschichten ihre Kürze nicht dem
innerlichen Antriebe, die Kraft uns einem entscheidenden Punkte zu sammeln,
sondern dem platten äußern Bedürfnis verdankt.

Wir kommen nun zu Novellensammlungen, aus denen uus poetische, indi¬
viduelle Gesichter entgegenblicken, in denen künstlerische Sicherheit, wenigstens
ein künstlerisches Bestreben vorwaltet, und in denen wir bei gutem Glück eine
und die andre wahrhafte und bleibende Schöpfung finden zu können hoffen.
Wenn sich herausstellt, daß wir gerade bei dieser besten Gruppe von neuen
Novellen weniger Überraschungen erfahren, als dem Sensativnsbedürfnis eines
kleinen Teils des Publikums und eines großen Teils der litterarischen Kritik
ersprießlich scheint, so hat das sehr natürliche Ursachen. Die Vorzüge wie die
Schranken der guten Schriftsteller, der Meister, sind bekannt, sie können u„5
durch neue mehr oder minder vortreffliche Leistungen erquicken, sie können in
einzelnen Erfindungen, Gestalten und Zügen neue Kräfte ihres Auges, neue
Kräfte ihrer Seele offenbaren, aber sie können nicht Fratzen schaffen, um „nen"
zu sein. Neben deu schon vielgenannten stehen übrigens auch diesmal einige
Namen, die die Hoffnung erwecken, daß sie in kurzer Zeit klangvoller sein
werden als heute.

Ein frisches Talent zeigt der Österreicher Haus Grasberger, von dem
(Dresden und Leipzig, E. Piersvns Verlag, 1895) vor kurzem Ein neues
Novellenbuch erschienen ist. Die humoristische Ader, die die Erfindungen
dieses Erzählers durchzieht, verbindet sich mit der ernstern sehr glücklich in den


Grenzboten I 1895 28
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[0225] Neue Novellen Chromatrops an, in dessen verschiednen Bildern man nur allzu bald die gleichen Glassplitter wiedererkennt. Ein verwandter Geist, der sich freilich schüchterner in die Untiefen natu¬ ralistischer Schilderung hineinwagt, erfüllt die Skizzen von Alma von Lardy: Kismet (Hamburg. Otto Meißner, 1894). Ferner gehören in die Reihe dieser kurzen Novellen auch die Schattenbilder von Fran Mazuranie (Berlin, Siegfried Cronbach, 1893), die L. P. Bertwig aus dem Kroatischen übersetzt hat. Die kleinen Novelletten sind zum Teil ganz sinnreich, mit ihren Situations¬ schilderungen gehören sie der neuesten, mit ihren Pointen einer viel ältern Er- zählungskunst an, man könnte bei Geschichten wie „Diana," „Die Schwalben," „Die jungen Herren," „Der Slowake," „Die Kleine" u. n. glauben, Fabeln in Prosa aus dem achtzehnten Jahrhundert zu lesen. Andre wie „Die Heim¬ kehr," „Die Mutter," „Der Einzige" sind in der That lyrische Gedichte in Prosa, und es ist nicht der leiseste Grund vorhanden, ihnen die metrische Form zu versagen. Die Moralischen Träumereien von Ekkehard Zeitgenoß (Basel, Benno Schwabe) müssen zu den frei erfundnen Märchen gerechnet werden, ohne unter ihnen gerade einen hohen Nang einzunehme». Das Verzeichnis dieser Art Novelletten ließe sich noch bedeutend verlängern, aber es hat keinen Zweck. Es ist klar, daß die Mehrzahl dieser Geschichten ihre Kürze nicht dem innerlichen Antriebe, die Kraft uns einem entscheidenden Punkte zu sammeln, sondern dem platten äußern Bedürfnis verdankt. Wir kommen nun zu Novellensammlungen, aus denen uus poetische, indi¬ viduelle Gesichter entgegenblicken, in denen künstlerische Sicherheit, wenigstens ein künstlerisches Bestreben vorwaltet, und in denen wir bei gutem Glück eine und die andre wahrhafte und bleibende Schöpfung finden zu können hoffen. Wenn sich herausstellt, daß wir gerade bei dieser besten Gruppe von neuen Novellen weniger Überraschungen erfahren, als dem Sensativnsbedürfnis eines kleinen Teils des Publikums und eines großen Teils der litterarischen Kritik ersprießlich scheint, so hat das sehr natürliche Ursachen. Die Vorzüge wie die Schranken der guten Schriftsteller, der Meister, sind bekannt, sie können u„5 durch neue mehr oder minder vortreffliche Leistungen erquicken, sie können in einzelnen Erfindungen, Gestalten und Zügen neue Kräfte ihres Auges, neue Kräfte ihrer Seele offenbaren, aber sie können nicht Fratzen schaffen, um „nen" zu sein. Neben deu schon vielgenannten stehen übrigens auch diesmal einige Namen, die die Hoffnung erwecken, daß sie in kurzer Zeit klangvoller sein werden als heute. Ein frisches Talent zeigt der Österreicher Haus Grasberger, von dem (Dresden und Leipzig, E. Piersvns Verlag, 1895) vor kurzem Ein neues Novellenbuch erschienen ist. Die humoristische Ader, die die Erfindungen dieses Erzählers durchzieht, verbindet sich mit der ernstern sehr glücklich in den Grenzboten I 1895 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/225>, abgerufen am 23.07.2024.