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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Hans Sachs und sein Kätzchen

tungen, der Dichtung und der bildenden Kunst, darzustellen, so sind doch diese
Bildnisse ebenso realistisch, um nicht zu sagen roh gehalten, wie das Beiwerk
auf dem Bilde. Es ist der Schreibtisch, auf dem der Nürnberger Dichter seine
Lieder, schwanke und andern Geisteserzeugnisse zu Papier zu bringen Pflegte,
es sind die Werkzeuge, mit denen er seine Schuhe herstellte und flickte, es sind
die Bücher, in denen er las, es sind die Haustiere, die seine täglichen Ge¬
nossen waren, es ist der Hausrat, der ihn beständig umgab. In der obern
Ecke des Bildes erblickt man den mächtigen, aus grünen Kacheln ausgemauerten
Ofen. Davor steht die Schusterbank des Meisters, bedeckt mit den zu seinem
Handwerk notwendigen Werkzeugen und Stoffen, mit Leder, Hammer, Zwicke
und Pfriemen, aber zugleich mit einer Farbenplatte des Malers. Außer dem
Buche, das aufgeschlagen neben dem Pult auf dem Schreibtische liegt, bemerkt
man in der untern linken Ecke des Bildes auf dem Boden des Zimmers zwei
stattliche Folianten, zum Zeichen, daß sich der hier Abgebildete nicht bloß mit
dem Schusterhandwerk, sondern auch mit den Wissenschaften und der edeln
Dichtkunst beschäftige. Daneben liegt auf einer Bank, bedeckt mit einem Tuche,
der Haushund, dessen Kopf und rechte Vorderpfote aus der Umhüllung hervor¬
lugen.

Zur Erläuterung der ganzen Situation ist vor dem untern Teile des
Tisches, an dem Hans Sachs sitzt, ein Plakat mit folgenden Versen an¬
gebracht:

Um den Scherz, der in diesen Versen steckt, zu verstehen, muß mau sich,
wie mir Herr Dr. Georg Habich aus München schreibt, folgender Thatsachen
erinnern. Zu der Zeit, wo unser Bild gemalt wurde, gegen Ende des sech¬
zehnte" Jahrhunderts, standen sich die Genossenschaften der Marxbrüder, die
den heiligen Markus zu ihrem Patron erkoren, und der Viter- oder Veiter-
brüder, die sich unter den Schutz des heiligen Veit gestellt hatten, feindlich
gegenüber.") Beides waren Fechterbrüderschaften, in denen seit dem Aufschwung,
den das Bürgertum mit der Zeit genommen hatte, die verblichnen Über¬
lieferungen des ritterlichen Adels innerhalb der bürgerlichen Kreise in ähnlicher



*) Vergl. Grimms Deutsches Wörterbuch unter Luxbrüder.
Hans Sachs und sein Kätzchen

tungen, der Dichtung und der bildenden Kunst, darzustellen, so sind doch diese
Bildnisse ebenso realistisch, um nicht zu sagen roh gehalten, wie das Beiwerk
auf dem Bilde. Es ist der Schreibtisch, auf dem der Nürnberger Dichter seine
Lieder, schwanke und andern Geisteserzeugnisse zu Papier zu bringen Pflegte,
es sind die Werkzeuge, mit denen er seine Schuhe herstellte und flickte, es sind
die Bücher, in denen er las, es sind die Haustiere, die seine täglichen Ge¬
nossen waren, es ist der Hausrat, der ihn beständig umgab. In der obern
Ecke des Bildes erblickt man den mächtigen, aus grünen Kacheln ausgemauerten
Ofen. Davor steht die Schusterbank des Meisters, bedeckt mit den zu seinem
Handwerk notwendigen Werkzeugen und Stoffen, mit Leder, Hammer, Zwicke
und Pfriemen, aber zugleich mit einer Farbenplatte des Malers. Außer dem
Buche, das aufgeschlagen neben dem Pult auf dem Schreibtische liegt, bemerkt
man in der untern linken Ecke des Bildes auf dem Boden des Zimmers zwei
stattliche Folianten, zum Zeichen, daß sich der hier Abgebildete nicht bloß mit
dem Schusterhandwerk, sondern auch mit den Wissenschaften und der edeln
Dichtkunst beschäftige. Daneben liegt auf einer Bank, bedeckt mit einem Tuche,
der Haushund, dessen Kopf und rechte Vorderpfote aus der Umhüllung hervor¬
lugen.

Zur Erläuterung der ganzen Situation ist vor dem untern Teile des
Tisches, an dem Hans Sachs sitzt, ein Plakat mit folgenden Versen an¬
gebracht:

Um den Scherz, der in diesen Versen steckt, zu verstehen, muß mau sich,
wie mir Herr Dr. Georg Habich aus München schreibt, folgender Thatsachen
erinnern. Zu der Zeit, wo unser Bild gemalt wurde, gegen Ende des sech¬
zehnte» Jahrhunderts, standen sich die Genossenschaften der Marxbrüder, die
den heiligen Markus zu ihrem Patron erkoren, und der Viter- oder Veiter-
brüder, die sich unter den Schutz des heiligen Veit gestellt hatten, feindlich
gegenüber.") Beides waren Fechterbrüderschaften, in denen seit dem Aufschwung,
den das Bürgertum mit der Zeit genommen hatte, die verblichnen Über¬
lieferungen des ritterlichen Adels innerhalb der bürgerlichen Kreise in ähnlicher



*) Vergl. Grimms Deutsches Wörterbuch unter Luxbrüder.
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[0180] Hans Sachs und sein Kätzchen tungen, der Dichtung und der bildenden Kunst, darzustellen, so sind doch diese Bildnisse ebenso realistisch, um nicht zu sagen roh gehalten, wie das Beiwerk auf dem Bilde. Es ist der Schreibtisch, auf dem der Nürnberger Dichter seine Lieder, schwanke und andern Geisteserzeugnisse zu Papier zu bringen Pflegte, es sind die Werkzeuge, mit denen er seine Schuhe herstellte und flickte, es sind die Bücher, in denen er las, es sind die Haustiere, die seine täglichen Ge¬ nossen waren, es ist der Hausrat, der ihn beständig umgab. In der obern Ecke des Bildes erblickt man den mächtigen, aus grünen Kacheln ausgemauerten Ofen. Davor steht die Schusterbank des Meisters, bedeckt mit den zu seinem Handwerk notwendigen Werkzeugen und Stoffen, mit Leder, Hammer, Zwicke und Pfriemen, aber zugleich mit einer Farbenplatte des Malers. Außer dem Buche, das aufgeschlagen neben dem Pult auf dem Schreibtische liegt, bemerkt man in der untern linken Ecke des Bildes auf dem Boden des Zimmers zwei stattliche Folianten, zum Zeichen, daß sich der hier Abgebildete nicht bloß mit dem Schusterhandwerk, sondern auch mit den Wissenschaften und der edeln Dichtkunst beschäftige. Daneben liegt auf einer Bank, bedeckt mit einem Tuche, der Haushund, dessen Kopf und rechte Vorderpfote aus der Umhüllung hervor¬ lugen. Zur Erläuterung der ganzen Situation ist vor dem untern Teile des Tisches, an dem Hans Sachs sitzt, ein Plakat mit folgenden Versen an¬ gebracht: Um den Scherz, der in diesen Versen steckt, zu verstehen, muß mau sich, wie mir Herr Dr. Georg Habich aus München schreibt, folgender Thatsachen erinnern. Zu der Zeit, wo unser Bild gemalt wurde, gegen Ende des sech¬ zehnte» Jahrhunderts, standen sich die Genossenschaften der Marxbrüder, die den heiligen Markus zu ihrem Patron erkoren, und der Viter- oder Veiter- brüder, die sich unter den Schutz des heiligen Veit gestellt hatten, feindlich gegenüber.") Beides waren Fechterbrüderschaften, in denen seit dem Aufschwung, den das Bürgertum mit der Zeit genommen hatte, die verblichnen Über¬ lieferungen des ritterlichen Adels innerhalb der bürgerlichen Kreise in ähnlicher *) Vergl. Grimms Deutsches Wörterbuch unter Luxbrüder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/180>, abgerufen am 23.07.2024.