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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Freiheit für die evangelische Kirche

Statistik wäre in diesem Falle gar nicht maßgebend (wie sie überhaupt eine
der brutalsten, unwissenschaftlichsten Wissenschaften ist), sie gäbe gar keine Aus¬
kunft darüber, ob der Verlust an Menge ein Verlust an Wert wäre. Und
das wäre er jedenfalls nicht. Und selbst wenn im ersten Anprall eine große
Zahl solcher, die innerlich im Zusammenhange mit ihrer Kirche stehen, aus
äußern Gründen von ihr schieden, so würde doch nach einem alten Gesetze
notwendigerweise der Ebbe eine um so stärkere Flut folgen und das echte
kirchliche Leben, das jetzt erstickt zu werden droht, dann unbegrenzt um so
herrlicher aufblühen.

Nach dieser Sichtung aber müßte sich die evangelische Kirche zwei Rechte
wieder zulegen, die ihr jetzt der Staat einfach genommen hat,") obwohl sie
ihr gewissermaßen angeboren sind. Das sind die Rechte: den auszustoßen,
der sich der Zugehörigkeit unwürdig gemacht hat, und dem die Aufnahme zu
verweigern, der auf einem andern Bekenntnisstandpunkte steht. Sohm hat
einmal ausgeführt: Wenn die evangelische Kirche von der Verstaatlichung erlöst
würde, so würde sie von Staats wegen als ein Verein zu behandeln sein:
als ein Verein evangelischer Glaubensgenossen. In der That ergiebt sich aus
dieser naturgemäßen Stellung der Kirche im Staate nicht nur, was oben aus¬
einandergesetzt worden ist, daß der Staat ganz zu Unrecht seine Bürger bisher
gezwungen hat, der Kirche -- diesem Vereine -- anzugehören, sondern auch,
daß die Kirche die beiden Rechte ohne jeden Zweifel in Anspruch nehmen kaun.

Nun höre ich freilich, sobald von dem kirchlichen Rechte, unwürdige Glieder
auszuschließen (exeommunieAtio), die Rede ist, gewisse Leute mit schwermütiger
Miene weissagen, daß dies zu Heuchelei und Pharisäertum, zu lieblosen
Richten und dazu führen würde, daß geistliche Herrschsucht und Unduldsamkeit
wieder ihr Haupt erhöben. Ich glaube aber, die würdigen Biedermänner, die
also fabeln, sind stark auf dem Holzwege. Daß dieses alte Recht der Kirche,
wenn es falsch angewendet wird, wenn es in falschen Händen liegt, viel Unheil
anrichten kann, das weiß jeder, der die Kirchengeschichte -- namentlich die
Papstgeschichte -- ein wenig kennt. Aber die evangelische Kirche soll sich ja
erst orgcinisiren, sie hat es dadurch völlig in ihrer Gewalt, die Ausübung dieses
Rechts mit solchen Sicherheitsmaßregeln zu umgeben, daß ein Mißbrauch,
soweit es menschenmöglich ist, ausgeschlossen bleibt. Es ist ganz meine
Meinung, daß nicht die Geistlichen, oder doch wenigstens nicht sie allein, dies
zweischneidige Schwert führen dürfen. Aber es wäre doch auch unglaublich
armselig, wenn man eine gute Waffe nur darum nicht brauchen wollte, weil
sie einmal in die unrechten Hände geraten und so in vereinzelten Fällen
schaden könnte.



Er hat dies gethan, weil sie geeignet waren, seine Absicht zu verhindern, möglichst viele
dem Staatschristentum angehörige Bürger zu züchten und zu erhalten.
Freiheit für die evangelische Kirche

Statistik wäre in diesem Falle gar nicht maßgebend (wie sie überhaupt eine
der brutalsten, unwissenschaftlichsten Wissenschaften ist), sie gäbe gar keine Aus¬
kunft darüber, ob der Verlust an Menge ein Verlust an Wert wäre. Und
das wäre er jedenfalls nicht. Und selbst wenn im ersten Anprall eine große
Zahl solcher, die innerlich im Zusammenhange mit ihrer Kirche stehen, aus
äußern Gründen von ihr schieden, so würde doch nach einem alten Gesetze
notwendigerweise der Ebbe eine um so stärkere Flut folgen und das echte
kirchliche Leben, das jetzt erstickt zu werden droht, dann unbegrenzt um so
herrlicher aufblühen.

Nach dieser Sichtung aber müßte sich die evangelische Kirche zwei Rechte
wieder zulegen, die ihr jetzt der Staat einfach genommen hat,") obwohl sie
ihr gewissermaßen angeboren sind. Das sind die Rechte: den auszustoßen,
der sich der Zugehörigkeit unwürdig gemacht hat, und dem die Aufnahme zu
verweigern, der auf einem andern Bekenntnisstandpunkte steht. Sohm hat
einmal ausgeführt: Wenn die evangelische Kirche von der Verstaatlichung erlöst
würde, so würde sie von Staats wegen als ein Verein zu behandeln sein:
als ein Verein evangelischer Glaubensgenossen. In der That ergiebt sich aus
dieser naturgemäßen Stellung der Kirche im Staate nicht nur, was oben aus¬
einandergesetzt worden ist, daß der Staat ganz zu Unrecht seine Bürger bisher
gezwungen hat, der Kirche — diesem Vereine — anzugehören, sondern auch,
daß die Kirche die beiden Rechte ohne jeden Zweifel in Anspruch nehmen kaun.

Nun höre ich freilich, sobald von dem kirchlichen Rechte, unwürdige Glieder
auszuschließen (exeommunieAtio), die Rede ist, gewisse Leute mit schwermütiger
Miene weissagen, daß dies zu Heuchelei und Pharisäertum, zu lieblosen
Richten und dazu führen würde, daß geistliche Herrschsucht und Unduldsamkeit
wieder ihr Haupt erhöben. Ich glaube aber, die würdigen Biedermänner, die
also fabeln, sind stark auf dem Holzwege. Daß dieses alte Recht der Kirche,
wenn es falsch angewendet wird, wenn es in falschen Händen liegt, viel Unheil
anrichten kann, das weiß jeder, der die Kirchengeschichte — namentlich die
Papstgeschichte — ein wenig kennt. Aber die evangelische Kirche soll sich ja
erst orgcinisiren, sie hat es dadurch völlig in ihrer Gewalt, die Ausübung dieses
Rechts mit solchen Sicherheitsmaßregeln zu umgeben, daß ein Mißbrauch,
soweit es menschenmöglich ist, ausgeschlossen bleibt. Es ist ganz meine
Meinung, daß nicht die Geistlichen, oder doch wenigstens nicht sie allein, dies
zweischneidige Schwert führen dürfen. Aber es wäre doch auch unglaublich
armselig, wenn man eine gute Waffe nur darum nicht brauchen wollte, weil
sie einmal in die unrechten Hände geraten und so in vereinzelten Fällen
schaden könnte.



Er hat dies gethan, weil sie geeignet waren, seine Absicht zu verhindern, möglichst viele
dem Staatschristentum angehörige Bürger zu züchten und zu erhalten.
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[0018] Freiheit für die evangelische Kirche Statistik wäre in diesem Falle gar nicht maßgebend (wie sie überhaupt eine der brutalsten, unwissenschaftlichsten Wissenschaften ist), sie gäbe gar keine Aus¬ kunft darüber, ob der Verlust an Menge ein Verlust an Wert wäre. Und das wäre er jedenfalls nicht. Und selbst wenn im ersten Anprall eine große Zahl solcher, die innerlich im Zusammenhange mit ihrer Kirche stehen, aus äußern Gründen von ihr schieden, so würde doch nach einem alten Gesetze notwendigerweise der Ebbe eine um so stärkere Flut folgen und das echte kirchliche Leben, das jetzt erstickt zu werden droht, dann unbegrenzt um so herrlicher aufblühen. Nach dieser Sichtung aber müßte sich die evangelische Kirche zwei Rechte wieder zulegen, die ihr jetzt der Staat einfach genommen hat,") obwohl sie ihr gewissermaßen angeboren sind. Das sind die Rechte: den auszustoßen, der sich der Zugehörigkeit unwürdig gemacht hat, und dem die Aufnahme zu verweigern, der auf einem andern Bekenntnisstandpunkte steht. Sohm hat einmal ausgeführt: Wenn die evangelische Kirche von der Verstaatlichung erlöst würde, so würde sie von Staats wegen als ein Verein zu behandeln sein: als ein Verein evangelischer Glaubensgenossen. In der That ergiebt sich aus dieser naturgemäßen Stellung der Kirche im Staate nicht nur, was oben aus¬ einandergesetzt worden ist, daß der Staat ganz zu Unrecht seine Bürger bisher gezwungen hat, der Kirche — diesem Vereine — anzugehören, sondern auch, daß die Kirche die beiden Rechte ohne jeden Zweifel in Anspruch nehmen kaun. Nun höre ich freilich, sobald von dem kirchlichen Rechte, unwürdige Glieder auszuschließen (exeommunieAtio), die Rede ist, gewisse Leute mit schwermütiger Miene weissagen, daß dies zu Heuchelei und Pharisäertum, zu lieblosen Richten und dazu führen würde, daß geistliche Herrschsucht und Unduldsamkeit wieder ihr Haupt erhöben. Ich glaube aber, die würdigen Biedermänner, die also fabeln, sind stark auf dem Holzwege. Daß dieses alte Recht der Kirche, wenn es falsch angewendet wird, wenn es in falschen Händen liegt, viel Unheil anrichten kann, das weiß jeder, der die Kirchengeschichte — namentlich die Papstgeschichte — ein wenig kennt. Aber die evangelische Kirche soll sich ja erst orgcinisiren, sie hat es dadurch völlig in ihrer Gewalt, die Ausübung dieses Rechts mit solchen Sicherheitsmaßregeln zu umgeben, daß ein Mißbrauch, soweit es menschenmöglich ist, ausgeschlossen bleibt. Es ist ganz meine Meinung, daß nicht die Geistlichen, oder doch wenigstens nicht sie allein, dies zweischneidige Schwert führen dürfen. Aber es wäre doch auch unglaublich armselig, wenn man eine gute Waffe nur darum nicht brauchen wollte, weil sie einmal in die unrechten Hände geraten und so in vereinzelten Fällen schaden könnte. Er hat dies gethan, weil sie geeignet waren, seine Absicht zu verhindern, möglichst viele dem Staatschristentum angehörige Bürger zu züchten und zu erhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/18>, abgerufen am 22.07.2024.