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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Gin kleines Repetitorium

fern er nicht zugleich Produktionsleiter ist, "schafft" gar nichts, er spielt nur
die Rolle eines Vermittlers. Die Häuser sind früher, als jeder Bürgersmann
von den Maurern und Zimmerleuten sein eignes banen ließ, besser gebaut
worden als heute, wo die Bewohner, die Bauhandwerker und die Arbeiter
zusammenschießen müssen, um den kapitalistischen Bauunternehmer zu bereichern.
Eine Eisenbahn wird gleich gut, mögen zehn Millionäre oder eine Million
kleiner Leute die Aktien gekauft haben. Nicht um das deutsche Volk mit Bier
zu versorgen, sind Niesenbranereien nötig, denn das ist schon zu der Zeit ge¬
schehen, wo noch jede Hausfrau das Bier im Topfe kochte, sondern um die
kleinen^Vrauer zu vernichten, einige tausend selbständige Leute in proletarische
Arbeiter zu verwandeln, den Aktionären zehn Prozent Dividende und dem
Direktor außer hohem Gehalt noch hunderttausend Mark Tantieme zu verschaffen.
Wird gefragt, womit man die Eisenbahnen wohl hätte schaffen wollen, wenn
das deutsche Volk, statt Geld zu sparen, stets alles ausgezehrt hätte? so fragen
wir dagegen: werden denn die Eisenbahnen aus Brot und Bier gebaut,
oder pflegen die Deutschen Schienen zu essen? Klagen nicht die Produzenten
der Lebensmittel, daß zu wenig verzehrt werde, und beruht nicht das Heil
der Landwirtschaft auf starkem Verzehr? Das Geldkapital hat keine andre
Funktion, als die Arbeiter, die Lebensmittel, die sie verzehren, die Werkzeuge,
die sie gebrauchen, die eisernen und hölzernen Materialien zusammenzubringen.
Manchmal erweist es sich hierzu geschickt, manchmal auch ungeschickt. Es hat
Zeiten gegeben, wo es gar nicht vorhanden war, und wo dennoch großartige
Werke vollendet wurden: der Wille des Herrn eines großen Gutes oder eines
ganzen Staates brachte damals die Arbeiter, die Lebensmittel und die Ma¬
terialien zum Bau zusammen. Es können Zeiten kommen, wo das Unter¬
nehmerkapital nicht mehr nötig sein wird, weil der gemeinsame Wille von
Genossenschaften die Funktion übernimmt, die ehemals der Wille eines Despoten
ausgeübt hat, und die heute die Macht des Geldes versieht. Wir denken
nicht daran, diese Zeit herbeizuwünschen oder an ihrer Herbeiführung zu ar¬
beiten. Wir wissen die Vorteile der Kapitalwirtschaft zu schätzen, und was
wir unter dem Namen Kapitalismus bekämpfen, das sind nur ihre Auswüchse.
Aber darum teilen wir nicht die abergläubische Verehrung vor den Gro߬
kapitalisten, die heute in allen maßgebenden Kreisen herrscht. Der Satz: "Aller
Fortschritt der menschlichen Gesellschaft wird nicht von den Massen herbei¬
geführt, sondern er geht von einzelnen ans," ist so wenig richtig wie der
entgegengesetzte, wonach die Massen alles, die großen Männer nichts bedeuten
sollen. Nur ein großes Volk erzeugt große Männer als seine edelsten Organe,
Botokuden erzeugen keine; beides kann nicht ohne einander gedacht werden.
Bringt ein Kulturvolk keine großen Männer mehr hervor, so beweist es damit
seine Altersschwäche. "Auf gewerblichen Gebiete sind es die Erfinder und
die Unternehmer, die den Fortschritt schaffen." Was die Erfinder anlangt,


Gin kleines Repetitorium

fern er nicht zugleich Produktionsleiter ist, „schafft" gar nichts, er spielt nur
die Rolle eines Vermittlers. Die Häuser sind früher, als jeder Bürgersmann
von den Maurern und Zimmerleuten sein eignes banen ließ, besser gebaut
worden als heute, wo die Bewohner, die Bauhandwerker und die Arbeiter
zusammenschießen müssen, um den kapitalistischen Bauunternehmer zu bereichern.
Eine Eisenbahn wird gleich gut, mögen zehn Millionäre oder eine Million
kleiner Leute die Aktien gekauft haben. Nicht um das deutsche Volk mit Bier
zu versorgen, sind Niesenbranereien nötig, denn das ist schon zu der Zeit ge¬
schehen, wo noch jede Hausfrau das Bier im Topfe kochte, sondern um die
kleinen^Vrauer zu vernichten, einige tausend selbständige Leute in proletarische
Arbeiter zu verwandeln, den Aktionären zehn Prozent Dividende und dem
Direktor außer hohem Gehalt noch hunderttausend Mark Tantieme zu verschaffen.
Wird gefragt, womit man die Eisenbahnen wohl hätte schaffen wollen, wenn
das deutsche Volk, statt Geld zu sparen, stets alles ausgezehrt hätte? so fragen
wir dagegen: werden denn die Eisenbahnen aus Brot und Bier gebaut,
oder pflegen die Deutschen Schienen zu essen? Klagen nicht die Produzenten
der Lebensmittel, daß zu wenig verzehrt werde, und beruht nicht das Heil
der Landwirtschaft auf starkem Verzehr? Das Geldkapital hat keine andre
Funktion, als die Arbeiter, die Lebensmittel, die sie verzehren, die Werkzeuge,
die sie gebrauchen, die eisernen und hölzernen Materialien zusammenzubringen.
Manchmal erweist es sich hierzu geschickt, manchmal auch ungeschickt. Es hat
Zeiten gegeben, wo es gar nicht vorhanden war, und wo dennoch großartige
Werke vollendet wurden: der Wille des Herrn eines großen Gutes oder eines
ganzen Staates brachte damals die Arbeiter, die Lebensmittel und die Ma¬
terialien zum Bau zusammen. Es können Zeiten kommen, wo das Unter¬
nehmerkapital nicht mehr nötig sein wird, weil der gemeinsame Wille von
Genossenschaften die Funktion übernimmt, die ehemals der Wille eines Despoten
ausgeübt hat, und die heute die Macht des Geldes versieht. Wir denken
nicht daran, diese Zeit herbeizuwünschen oder an ihrer Herbeiführung zu ar¬
beiten. Wir wissen die Vorteile der Kapitalwirtschaft zu schätzen, und was
wir unter dem Namen Kapitalismus bekämpfen, das sind nur ihre Auswüchse.
Aber darum teilen wir nicht die abergläubische Verehrung vor den Gro߬
kapitalisten, die heute in allen maßgebenden Kreisen herrscht. Der Satz: „Aller
Fortschritt der menschlichen Gesellschaft wird nicht von den Massen herbei¬
geführt, sondern er geht von einzelnen ans," ist so wenig richtig wie der
entgegengesetzte, wonach die Massen alles, die großen Männer nichts bedeuten
sollen. Nur ein großes Volk erzeugt große Männer als seine edelsten Organe,
Botokuden erzeugen keine; beides kann nicht ohne einander gedacht werden.
Bringt ein Kulturvolk keine großen Männer mehr hervor, so beweist es damit
seine Altersschwäche. „Auf gewerblichen Gebiete sind es die Erfinder und
die Unternehmer, die den Fortschritt schaffen." Was die Erfinder anlangt,


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[0163] Gin kleines Repetitorium fern er nicht zugleich Produktionsleiter ist, „schafft" gar nichts, er spielt nur die Rolle eines Vermittlers. Die Häuser sind früher, als jeder Bürgersmann von den Maurern und Zimmerleuten sein eignes banen ließ, besser gebaut worden als heute, wo die Bewohner, die Bauhandwerker und die Arbeiter zusammenschießen müssen, um den kapitalistischen Bauunternehmer zu bereichern. Eine Eisenbahn wird gleich gut, mögen zehn Millionäre oder eine Million kleiner Leute die Aktien gekauft haben. Nicht um das deutsche Volk mit Bier zu versorgen, sind Niesenbranereien nötig, denn das ist schon zu der Zeit ge¬ schehen, wo noch jede Hausfrau das Bier im Topfe kochte, sondern um die kleinen^Vrauer zu vernichten, einige tausend selbständige Leute in proletarische Arbeiter zu verwandeln, den Aktionären zehn Prozent Dividende und dem Direktor außer hohem Gehalt noch hunderttausend Mark Tantieme zu verschaffen. Wird gefragt, womit man die Eisenbahnen wohl hätte schaffen wollen, wenn das deutsche Volk, statt Geld zu sparen, stets alles ausgezehrt hätte? so fragen wir dagegen: werden denn die Eisenbahnen aus Brot und Bier gebaut, oder pflegen die Deutschen Schienen zu essen? Klagen nicht die Produzenten der Lebensmittel, daß zu wenig verzehrt werde, und beruht nicht das Heil der Landwirtschaft auf starkem Verzehr? Das Geldkapital hat keine andre Funktion, als die Arbeiter, die Lebensmittel, die sie verzehren, die Werkzeuge, die sie gebrauchen, die eisernen und hölzernen Materialien zusammenzubringen. Manchmal erweist es sich hierzu geschickt, manchmal auch ungeschickt. Es hat Zeiten gegeben, wo es gar nicht vorhanden war, und wo dennoch großartige Werke vollendet wurden: der Wille des Herrn eines großen Gutes oder eines ganzen Staates brachte damals die Arbeiter, die Lebensmittel und die Ma¬ terialien zum Bau zusammen. Es können Zeiten kommen, wo das Unter¬ nehmerkapital nicht mehr nötig sein wird, weil der gemeinsame Wille von Genossenschaften die Funktion übernimmt, die ehemals der Wille eines Despoten ausgeübt hat, und die heute die Macht des Geldes versieht. Wir denken nicht daran, diese Zeit herbeizuwünschen oder an ihrer Herbeiführung zu ar¬ beiten. Wir wissen die Vorteile der Kapitalwirtschaft zu schätzen, und was wir unter dem Namen Kapitalismus bekämpfen, das sind nur ihre Auswüchse. Aber darum teilen wir nicht die abergläubische Verehrung vor den Gro߬ kapitalisten, die heute in allen maßgebenden Kreisen herrscht. Der Satz: „Aller Fortschritt der menschlichen Gesellschaft wird nicht von den Massen herbei¬ geführt, sondern er geht von einzelnen ans," ist so wenig richtig wie der entgegengesetzte, wonach die Massen alles, die großen Männer nichts bedeuten sollen. Nur ein großes Volk erzeugt große Männer als seine edelsten Organe, Botokuden erzeugen keine; beides kann nicht ohne einander gedacht werden. Bringt ein Kulturvolk keine großen Männer mehr hervor, so beweist es damit seine Altersschwäche. „Auf gewerblichen Gebiete sind es die Erfinder und die Unternehmer, die den Fortschritt schaffen." Was die Erfinder anlangt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/163>, abgerufen am 23.07.2024.