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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Ein kleines Repetitorium

Natürlich ist nicht jede Kapitalvermehrung ohne Unterschied heilsam, sondern
nur die zweckmäßige. Wenn Deutschland, Österreich und Frankreich die Welt
dermaßen mit Zucker überschwemmen, daß der Traum Fouriers, den Ozean in
Limonade zu verwandeln, beinahe erfüllt werden könnte (Italien würde mit
Vergnügen die Citronen dazu liefern und Griechenland noch seine unverkäuf¬
lichen Korinthen hineinschütten) und wenn man trotzdem fortfährt, neue Zucker¬
fabriken zu bauen, so ist das eine unnütze und sogar schädliche Kapitalvermeh¬
rung; trotz aller Ausfuhrprämien kommt schließlich der Krach, und dann "beißen
den letzten die Hunde"; die Maschinen der überflüssigen Fabriken werden dann
als altes Eisen verkauft.

Zweitens versteht man unter dem Worte das Geld- oder Leihkapital,
oder die Geldform des Kapitals, oder die Anweisungen auf Güter in Form
von Geld und Wertpapieren. Auch gegen diese Erscheinungsform des Kapitals
haben wir nichts einzuwenden. Wir erkennen die großen Vorteile der Beweg¬
lichkeit an, die sie dem Güterumlauf und der Produktion verleiht. Aber wir
weisen von Zeit zu Zeit auf die Gefahren hin, die sie mit sich bringt, und
denen vorzubeugen Pflicht ist. Wenn der Teil der Bürger, der keinen Grund¬
besitz mehr hat, noch einen Anteil am väterlichen Boden behauptet durch Hypo¬
theken (in denen auch die Sparkassenguthaben angelegt sind), Rentenbriefe
nud vom Staate verbürgte Besoldungen (Pfründen), so ist das ein Glück;
wird jedoch dieser Anteil so groß, daß die Schulden und Steuern den Grund¬
besitzer erdrücken, so ist es ein Unglück. Daß man mit Geld Acker kaufen
kann, ist in den meisten Fällen ein Glück; daß aber der reiche Großgrund¬
besitzer die Bauern durch Ankäufe rings um die Gemeindeflnr einschnüren,
durch Zwangsablösung ihrer Forstgerechtsame ihre Existenz noch weiter unter¬
graben, zuletzt sie auslaufen und in Proletarier verwandeln darf, das ist ein
Unglück. Daß der Handwerker, der kleine Kaufmann von seinen Ersparnissen
Wertpapiere kaufen kann, deren Zinsen ihm, wenn er sich zur Ruhe gesetzt
hat, den Lebensunterhalt gewähren, ist ein Glück. Wenn aber der Gro߬
industrielle, anstatt seine Arbeiter besser zu bezahlen, lieber gewaltige Über¬
schüsse macht und mit diesen in exotischen Papieren spekulirt, an denen er
Kapital und Zins verliert, so ist das nicht bloß für ihn, sondern auch für
sein Volk ein Unglück.

Drittens versteht man unter Kapital den Privatbesitz an Kapital. Daß
wir auch dagegen nichts einzuwenden haben, bedarf keiner besondern Ver¬
sicherung, da ja Kapitalien Vermögensstücke sind. Nur wünschen wir, daß die
Vermögensunterschiede nicht übermäßig groß werden, und daß nicht dort
Niesenvermögen gebildet werden, wo es nur durch Erzeugung von Massenelend
möglich ist. Daß man aber das Kapital in diesem Sinne immer noch für
ein unentbehrliches Produktionsmittel ansieht, ist nach allem, was die tüchtigsten
Volkswirte schon darüber geschrieben haben, unbegreiflich. Der Kapitalist, so-


Ein kleines Repetitorium

Natürlich ist nicht jede Kapitalvermehrung ohne Unterschied heilsam, sondern
nur die zweckmäßige. Wenn Deutschland, Österreich und Frankreich die Welt
dermaßen mit Zucker überschwemmen, daß der Traum Fouriers, den Ozean in
Limonade zu verwandeln, beinahe erfüllt werden könnte (Italien würde mit
Vergnügen die Citronen dazu liefern und Griechenland noch seine unverkäuf¬
lichen Korinthen hineinschütten) und wenn man trotzdem fortfährt, neue Zucker¬
fabriken zu bauen, so ist das eine unnütze und sogar schädliche Kapitalvermeh¬
rung; trotz aller Ausfuhrprämien kommt schließlich der Krach, und dann „beißen
den letzten die Hunde"; die Maschinen der überflüssigen Fabriken werden dann
als altes Eisen verkauft.

Zweitens versteht man unter dem Worte das Geld- oder Leihkapital,
oder die Geldform des Kapitals, oder die Anweisungen auf Güter in Form
von Geld und Wertpapieren. Auch gegen diese Erscheinungsform des Kapitals
haben wir nichts einzuwenden. Wir erkennen die großen Vorteile der Beweg¬
lichkeit an, die sie dem Güterumlauf und der Produktion verleiht. Aber wir
weisen von Zeit zu Zeit auf die Gefahren hin, die sie mit sich bringt, und
denen vorzubeugen Pflicht ist. Wenn der Teil der Bürger, der keinen Grund¬
besitz mehr hat, noch einen Anteil am väterlichen Boden behauptet durch Hypo¬
theken (in denen auch die Sparkassenguthaben angelegt sind), Rentenbriefe
nud vom Staate verbürgte Besoldungen (Pfründen), so ist das ein Glück;
wird jedoch dieser Anteil so groß, daß die Schulden und Steuern den Grund¬
besitzer erdrücken, so ist es ein Unglück. Daß man mit Geld Acker kaufen
kann, ist in den meisten Fällen ein Glück; daß aber der reiche Großgrund¬
besitzer die Bauern durch Ankäufe rings um die Gemeindeflnr einschnüren,
durch Zwangsablösung ihrer Forstgerechtsame ihre Existenz noch weiter unter¬
graben, zuletzt sie auslaufen und in Proletarier verwandeln darf, das ist ein
Unglück. Daß der Handwerker, der kleine Kaufmann von seinen Ersparnissen
Wertpapiere kaufen kann, deren Zinsen ihm, wenn er sich zur Ruhe gesetzt
hat, den Lebensunterhalt gewähren, ist ein Glück. Wenn aber der Gro߬
industrielle, anstatt seine Arbeiter besser zu bezahlen, lieber gewaltige Über¬
schüsse macht und mit diesen in exotischen Papieren spekulirt, an denen er
Kapital und Zins verliert, so ist das nicht bloß für ihn, sondern auch für
sein Volk ein Unglück.

Drittens versteht man unter Kapital den Privatbesitz an Kapital. Daß
wir auch dagegen nichts einzuwenden haben, bedarf keiner besondern Ver¬
sicherung, da ja Kapitalien Vermögensstücke sind. Nur wünschen wir, daß die
Vermögensunterschiede nicht übermäßig groß werden, und daß nicht dort
Niesenvermögen gebildet werden, wo es nur durch Erzeugung von Massenelend
möglich ist. Daß man aber das Kapital in diesem Sinne immer noch für
ein unentbehrliches Produktionsmittel ansieht, ist nach allem, was die tüchtigsten
Volkswirte schon darüber geschrieben haben, unbegreiflich. Der Kapitalist, so-


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[0162] Ein kleines Repetitorium Natürlich ist nicht jede Kapitalvermehrung ohne Unterschied heilsam, sondern nur die zweckmäßige. Wenn Deutschland, Österreich und Frankreich die Welt dermaßen mit Zucker überschwemmen, daß der Traum Fouriers, den Ozean in Limonade zu verwandeln, beinahe erfüllt werden könnte (Italien würde mit Vergnügen die Citronen dazu liefern und Griechenland noch seine unverkäuf¬ lichen Korinthen hineinschütten) und wenn man trotzdem fortfährt, neue Zucker¬ fabriken zu bauen, so ist das eine unnütze und sogar schädliche Kapitalvermeh¬ rung; trotz aller Ausfuhrprämien kommt schließlich der Krach, und dann „beißen den letzten die Hunde"; die Maschinen der überflüssigen Fabriken werden dann als altes Eisen verkauft. Zweitens versteht man unter dem Worte das Geld- oder Leihkapital, oder die Geldform des Kapitals, oder die Anweisungen auf Güter in Form von Geld und Wertpapieren. Auch gegen diese Erscheinungsform des Kapitals haben wir nichts einzuwenden. Wir erkennen die großen Vorteile der Beweg¬ lichkeit an, die sie dem Güterumlauf und der Produktion verleiht. Aber wir weisen von Zeit zu Zeit auf die Gefahren hin, die sie mit sich bringt, und denen vorzubeugen Pflicht ist. Wenn der Teil der Bürger, der keinen Grund¬ besitz mehr hat, noch einen Anteil am väterlichen Boden behauptet durch Hypo¬ theken (in denen auch die Sparkassenguthaben angelegt sind), Rentenbriefe nud vom Staate verbürgte Besoldungen (Pfründen), so ist das ein Glück; wird jedoch dieser Anteil so groß, daß die Schulden und Steuern den Grund¬ besitzer erdrücken, so ist es ein Unglück. Daß man mit Geld Acker kaufen kann, ist in den meisten Fällen ein Glück; daß aber der reiche Großgrund¬ besitzer die Bauern durch Ankäufe rings um die Gemeindeflnr einschnüren, durch Zwangsablösung ihrer Forstgerechtsame ihre Existenz noch weiter unter¬ graben, zuletzt sie auslaufen und in Proletarier verwandeln darf, das ist ein Unglück. Daß der Handwerker, der kleine Kaufmann von seinen Ersparnissen Wertpapiere kaufen kann, deren Zinsen ihm, wenn er sich zur Ruhe gesetzt hat, den Lebensunterhalt gewähren, ist ein Glück. Wenn aber der Gro߬ industrielle, anstatt seine Arbeiter besser zu bezahlen, lieber gewaltige Über¬ schüsse macht und mit diesen in exotischen Papieren spekulirt, an denen er Kapital und Zins verliert, so ist das nicht bloß für ihn, sondern auch für sein Volk ein Unglück. Drittens versteht man unter Kapital den Privatbesitz an Kapital. Daß wir auch dagegen nichts einzuwenden haben, bedarf keiner besondern Ver¬ sicherung, da ja Kapitalien Vermögensstücke sind. Nur wünschen wir, daß die Vermögensunterschiede nicht übermäßig groß werden, und daß nicht dort Niesenvermögen gebildet werden, wo es nur durch Erzeugung von Massenelend möglich ist. Daß man aber das Kapital in diesem Sinne immer noch für ein unentbehrliches Produktionsmittel ansieht, ist nach allem, was die tüchtigsten Volkswirte schon darüber geschrieben haben, unbegreiflich. Der Kapitalist, so-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/162>, abgerufen am 23.07.2024.