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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Ist der Mittelstand im Schwinden begriffen?

Kapitals. Besitzen sie nicht selbst das nötige Kapital, so müssen sie es einem
andern entnehmen. Dieser, der Kapitalist, nimmt dadurch an der die Mensch¬
heit fördernden Thätigkeit der Erfinder und Unternehmer teil. Er trägt je
nach Umständen mit ihnen die Gefahr des Mißlingens. Unzählige Kapitalien
sind auf diese Weise schon verloren gegangen. Deshalb ist es aber auch billig,
daß er im Falle des Gelingens an dem Gewinne teilnimmt. Darin liegt
die unabweisliche Berechtigung des Kapitals am Geschäftsgewinn, sei es in
der Form des Zinsbezugs, sei es in andrer Form.

Um uns die Bedeutung der Kapitalansammlung klar zu machen, brauchen
wir nur einmal folgendes zu überlegen. Nehmen wir an, im Jahre 1815
-- wir wühlen dieses Jahr, weil mit ihm die lange Friedenszeit begann, in
der Deutschland aus einem armen zu einem wohlhabenden Lande geworden ist --,
im Jahre 1815 also wäre ein Gesetz erlassen worden, wonach jeder, der mehr
als das zum Lebensunterhalt notwendige -- sagen wir nach den damaligen
Verhältnissen mehr als W00 Thaler jährlich -- erwürbe, dieses Mehr zur
Verteilung an die ürmern Klassen des Volks abzugeben habe. Was würde
die Folge gewesen sein? Die Masse des Volks würde ein klein wenig besser
gegessen und getrunken haben. Das wäre alles. Dagegen würde jede höhere
Lebensentfaltung der Nation gestockt haben. Nicht allein für die höhern Blüten
unsers Daseins, für Kunst und Wissenschaft, hätten die Mittel gefehlt. Auch
das gewerbliche Leben würde zu keiner höhern Entwicklung haben kommen
können. Womit sind denn die ungeheuern gewerblichen Anlagen, die wir heute
in Dentschland haben, womit sind alle Eisenbahnen und Telegraphenlinien ge¬
schaffen worden? Nur mit Hilfe des Kapitals, das einzelne von ihrem Ge¬
schäftsgewinn angesammelt haben. Womit hätte man sie wohl schassen wollen,
wenn das deutsche Volk, statt Geld zu sparen, stets alles aufgezehrt hätte?
Deutschland würde das arme Land geblieben sein, das es zu Anfang dieses
Jahrhunderts war.

Das hier im allgemeinen gesagte mag noch an einem besondern Beispiel
erläutert werden. Der Mann, der jetzt das höchste Einkommen in Preußen,
mehr als sieben Millionen Mark versteuert, ist ohne Zweifel der Fabrikant Krupp
in Essen. Gewiß wird er um dieses Einkommen von manchen beneidet. Aber
haben wir Grund zu einer solchen Empfindung, wenn wir sehen, was Krupp,
Vater und Sohn, für unser Vaterland gethan haben? Aus ganz kleinen An¬
fängen haben sie im Laufe von zwei Menschenaltern durch Geschick und That¬
kraft in ihrer Fabrik ein Riesenwerk geschaffen, das die glänzendsten Leistungen
aufweist, das den Ruhm deutschen Gewerbfleißes über die ganze Erde ver¬
breitet hat, und das zugleich vielen tausend Arbeitern einen anständigen Unter¬
halt giebt. Natürlich hätte aber das Werk, so wie es jetzt ist, nicht geschaffen
werden können, wenn nicht die ersten Gewinne daraus zurückgelegt und zu
immer weitern Vergrößerungen des Werkes benutzt worden wären. Wäre es


Ist der Mittelstand im Schwinden begriffen?

Kapitals. Besitzen sie nicht selbst das nötige Kapital, so müssen sie es einem
andern entnehmen. Dieser, der Kapitalist, nimmt dadurch an der die Mensch¬
heit fördernden Thätigkeit der Erfinder und Unternehmer teil. Er trägt je
nach Umständen mit ihnen die Gefahr des Mißlingens. Unzählige Kapitalien
sind auf diese Weise schon verloren gegangen. Deshalb ist es aber auch billig,
daß er im Falle des Gelingens an dem Gewinne teilnimmt. Darin liegt
die unabweisliche Berechtigung des Kapitals am Geschäftsgewinn, sei es in
der Form des Zinsbezugs, sei es in andrer Form.

Um uns die Bedeutung der Kapitalansammlung klar zu machen, brauchen
wir nur einmal folgendes zu überlegen. Nehmen wir an, im Jahre 1815
— wir wühlen dieses Jahr, weil mit ihm die lange Friedenszeit begann, in
der Deutschland aus einem armen zu einem wohlhabenden Lande geworden ist —,
im Jahre 1815 also wäre ein Gesetz erlassen worden, wonach jeder, der mehr
als das zum Lebensunterhalt notwendige — sagen wir nach den damaligen
Verhältnissen mehr als W00 Thaler jährlich — erwürbe, dieses Mehr zur
Verteilung an die ürmern Klassen des Volks abzugeben habe. Was würde
die Folge gewesen sein? Die Masse des Volks würde ein klein wenig besser
gegessen und getrunken haben. Das wäre alles. Dagegen würde jede höhere
Lebensentfaltung der Nation gestockt haben. Nicht allein für die höhern Blüten
unsers Daseins, für Kunst und Wissenschaft, hätten die Mittel gefehlt. Auch
das gewerbliche Leben würde zu keiner höhern Entwicklung haben kommen
können. Womit sind denn die ungeheuern gewerblichen Anlagen, die wir heute
in Dentschland haben, womit sind alle Eisenbahnen und Telegraphenlinien ge¬
schaffen worden? Nur mit Hilfe des Kapitals, das einzelne von ihrem Ge¬
schäftsgewinn angesammelt haben. Womit hätte man sie wohl schassen wollen,
wenn das deutsche Volk, statt Geld zu sparen, stets alles aufgezehrt hätte?
Deutschland würde das arme Land geblieben sein, das es zu Anfang dieses
Jahrhunderts war.

Das hier im allgemeinen gesagte mag noch an einem besondern Beispiel
erläutert werden. Der Mann, der jetzt das höchste Einkommen in Preußen,
mehr als sieben Millionen Mark versteuert, ist ohne Zweifel der Fabrikant Krupp
in Essen. Gewiß wird er um dieses Einkommen von manchen beneidet. Aber
haben wir Grund zu einer solchen Empfindung, wenn wir sehen, was Krupp,
Vater und Sohn, für unser Vaterland gethan haben? Aus ganz kleinen An¬
fängen haben sie im Laufe von zwei Menschenaltern durch Geschick und That¬
kraft in ihrer Fabrik ein Riesenwerk geschaffen, das die glänzendsten Leistungen
aufweist, das den Ruhm deutschen Gewerbfleißes über die ganze Erde ver¬
breitet hat, und das zugleich vielen tausend Arbeitern einen anständigen Unter¬
halt giebt. Natürlich hätte aber das Werk, so wie es jetzt ist, nicht geschaffen
werden können, wenn nicht die ersten Gewinne daraus zurückgelegt und zu
immer weitern Vergrößerungen des Werkes benutzt worden wären. Wäre es


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[0114] Ist der Mittelstand im Schwinden begriffen? Kapitals. Besitzen sie nicht selbst das nötige Kapital, so müssen sie es einem andern entnehmen. Dieser, der Kapitalist, nimmt dadurch an der die Mensch¬ heit fördernden Thätigkeit der Erfinder und Unternehmer teil. Er trägt je nach Umständen mit ihnen die Gefahr des Mißlingens. Unzählige Kapitalien sind auf diese Weise schon verloren gegangen. Deshalb ist es aber auch billig, daß er im Falle des Gelingens an dem Gewinne teilnimmt. Darin liegt die unabweisliche Berechtigung des Kapitals am Geschäftsgewinn, sei es in der Form des Zinsbezugs, sei es in andrer Form. Um uns die Bedeutung der Kapitalansammlung klar zu machen, brauchen wir nur einmal folgendes zu überlegen. Nehmen wir an, im Jahre 1815 — wir wühlen dieses Jahr, weil mit ihm die lange Friedenszeit begann, in der Deutschland aus einem armen zu einem wohlhabenden Lande geworden ist —, im Jahre 1815 also wäre ein Gesetz erlassen worden, wonach jeder, der mehr als das zum Lebensunterhalt notwendige — sagen wir nach den damaligen Verhältnissen mehr als W00 Thaler jährlich — erwürbe, dieses Mehr zur Verteilung an die ürmern Klassen des Volks abzugeben habe. Was würde die Folge gewesen sein? Die Masse des Volks würde ein klein wenig besser gegessen und getrunken haben. Das wäre alles. Dagegen würde jede höhere Lebensentfaltung der Nation gestockt haben. Nicht allein für die höhern Blüten unsers Daseins, für Kunst und Wissenschaft, hätten die Mittel gefehlt. Auch das gewerbliche Leben würde zu keiner höhern Entwicklung haben kommen können. Womit sind denn die ungeheuern gewerblichen Anlagen, die wir heute in Dentschland haben, womit sind alle Eisenbahnen und Telegraphenlinien ge¬ schaffen worden? Nur mit Hilfe des Kapitals, das einzelne von ihrem Ge¬ schäftsgewinn angesammelt haben. Womit hätte man sie wohl schassen wollen, wenn das deutsche Volk, statt Geld zu sparen, stets alles aufgezehrt hätte? Deutschland würde das arme Land geblieben sein, das es zu Anfang dieses Jahrhunderts war. Das hier im allgemeinen gesagte mag noch an einem besondern Beispiel erläutert werden. Der Mann, der jetzt das höchste Einkommen in Preußen, mehr als sieben Millionen Mark versteuert, ist ohne Zweifel der Fabrikant Krupp in Essen. Gewiß wird er um dieses Einkommen von manchen beneidet. Aber haben wir Grund zu einer solchen Empfindung, wenn wir sehen, was Krupp, Vater und Sohn, für unser Vaterland gethan haben? Aus ganz kleinen An¬ fängen haben sie im Laufe von zwei Menschenaltern durch Geschick und That¬ kraft in ihrer Fabrik ein Riesenwerk geschaffen, das die glänzendsten Leistungen aufweist, das den Ruhm deutschen Gewerbfleißes über die ganze Erde ver¬ breitet hat, und das zugleich vielen tausend Arbeitern einen anständigen Unter¬ halt giebt. Natürlich hätte aber das Werk, so wie es jetzt ist, nicht geschaffen werden können, wenn nicht die ersten Gewinne daraus zurückgelegt und zu immer weitern Vergrößerungen des Werkes benutzt worden wären. Wäre es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/114>, abgerufen am 23.07.2024.