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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

Wie der derbe Stoß eines urwüchsigen Bauern, der an der Kraftleistung seine
Freude hat und zufrieden ist, sich ein neues, wenn auch uoch rohes Haus
gebaut zu haben. Die Bildnngsarbeit bei ihm soll erst beginnen, aber der
Deutsche ist im höchsten Maße der Bildung fähig, wie er in den Jahrtausenden
seiner Geschichte bewiesen hat, und so freuen wir uns seines regen Mutes und
sehen mit Hoffnung seiner weitern Arbeit entgegen. Die andern deutschen
Kunstplätze stehen ebenso wie Belgien, Holland, Spanien und Italien in
Bezug auf die fortschreitende Bewegung erst in zweiter Linie. Die künst¬
lerische Entwicklung der Welt wird von Paris und München bestimmt; Eng¬
land übt von Zeit zu Zeit einen bestimmenden Einfluß.

Die Plastiker sind fast alle dem Glaspalast treu geblieben, nur wenige
haben bei den Sezessionisten ausgestellt. Das liegt in der Natur der Sache,
denn die Plastik als die gebuudnere Kunst kann viel weniger leicht ihre Ge¬
setze umstoßen, oder Experimente anstellen wie die beweglichere Malerei. Und
während wir durch die Glaspalastausstellnng über den jeweiligen Stand der
Malerei in Europa vorzüglich unterrichtet werden, ist das in Bezug ans die
Plastik in viel geringerm Grade der Fall. Das Schwergewicht der modernen
Malerei liegt ausschließlich im Tafelbilde; die wenigen Künstler, die über¬
haupt Wandbilder ausführen, sind Nachzügler einer frühern Zeit. Auch in
der Plastik ragt die Monumentalkunst nicht hervor, wie sie es sollte, denn der
Zug zum Erhabnen, der unumgänglich dazu gehört, liegt nicht in unsrer Zeit.
Dennoch spielt die Monumentalplastik, schon wegen der Zahl und Bedeutung
der Aufträge, die ihr zu teil werden, eine große Rolle. Aber die Werke der
Monumentalplastik entziehen sich wegen ihrer großen Maßverhültnisse den all¬
gemeinen Ausstellungen, sie werden dem Publikum bei den Konkurrenzen in
Modellen vorgeführt, und wenn das Werk over fein natnrgroßes Modell
fertig ist, dann ladet wohl der Bildhauer das Publikum feiner Stadt in seine
Werkstatt zur Besichtigung ein. Nur selten werden Entwürfe oder einzelne
Teile von Denkmälern in den großen Ausstellungen vorgeführt. Meist finden
sich darin nur Figuren oder Gruppen in Lebensgröße und Büsten oder Werke
der Kleinplastik.

Die erste Bildhauerschule Europas ist die von Paris. Die französische
Plastik ist in der Zeit der französischen Renaissance nicht über eine unerquick¬
liche Verbindung von nüchtern-akademischen und barocken Elementen hinaus¬
gekommen. Die Architektur hat damals eine Blüte gehabt, in der die italienische
Renaissance ins französische übersetzt wurde, die entsprechende Blüte der Plastik
aber fehlte. Erst jetzt kommt sie nach. Wie die Florentiner Plastik des fünf¬
zehnten Jahrhunderts der reinste und reichste Ausdruck des italienischen Geistes
in plastischer Form ist, so sind die modernen Pariser Werke der reinste und
reichste plastische Ausdruck des französischen Geistes. Es finden sich hier nicht wie
bei der Malerei nnter den bedeutendsten Namen viele Amerikaner, sondern die


Die Münchner Ausstellungen

Wie der derbe Stoß eines urwüchsigen Bauern, der an der Kraftleistung seine
Freude hat und zufrieden ist, sich ein neues, wenn auch uoch rohes Haus
gebaut zu haben. Die Bildnngsarbeit bei ihm soll erst beginnen, aber der
Deutsche ist im höchsten Maße der Bildung fähig, wie er in den Jahrtausenden
seiner Geschichte bewiesen hat, und so freuen wir uns seines regen Mutes und
sehen mit Hoffnung seiner weitern Arbeit entgegen. Die andern deutschen
Kunstplätze stehen ebenso wie Belgien, Holland, Spanien und Italien in
Bezug auf die fortschreitende Bewegung erst in zweiter Linie. Die künst¬
lerische Entwicklung der Welt wird von Paris und München bestimmt; Eng¬
land übt von Zeit zu Zeit einen bestimmenden Einfluß.

Die Plastiker sind fast alle dem Glaspalast treu geblieben, nur wenige
haben bei den Sezessionisten ausgestellt. Das liegt in der Natur der Sache,
denn die Plastik als die gebuudnere Kunst kann viel weniger leicht ihre Ge¬
setze umstoßen, oder Experimente anstellen wie die beweglichere Malerei. Und
während wir durch die Glaspalastausstellnng über den jeweiligen Stand der
Malerei in Europa vorzüglich unterrichtet werden, ist das in Bezug ans die
Plastik in viel geringerm Grade der Fall. Das Schwergewicht der modernen
Malerei liegt ausschließlich im Tafelbilde; die wenigen Künstler, die über¬
haupt Wandbilder ausführen, sind Nachzügler einer frühern Zeit. Auch in
der Plastik ragt die Monumentalkunst nicht hervor, wie sie es sollte, denn der
Zug zum Erhabnen, der unumgänglich dazu gehört, liegt nicht in unsrer Zeit.
Dennoch spielt die Monumentalplastik, schon wegen der Zahl und Bedeutung
der Aufträge, die ihr zu teil werden, eine große Rolle. Aber die Werke der
Monumentalplastik entziehen sich wegen ihrer großen Maßverhültnisse den all¬
gemeinen Ausstellungen, sie werden dem Publikum bei den Konkurrenzen in
Modellen vorgeführt, und wenn das Werk over fein natnrgroßes Modell
fertig ist, dann ladet wohl der Bildhauer das Publikum feiner Stadt in seine
Werkstatt zur Besichtigung ein. Nur selten werden Entwürfe oder einzelne
Teile von Denkmälern in den großen Ausstellungen vorgeführt. Meist finden
sich darin nur Figuren oder Gruppen in Lebensgröße und Büsten oder Werke
der Kleinplastik.

Die erste Bildhauerschule Europas ist die von Paris. Die französische
Plastik ist in der Zeit der französischen Renaissance nicht über eine unerquick¬
liche Verbindung von nüchtern-akademischen und barocken Elementen hinaus¬
gekommen. Die Architektur hat damals eine Blüte gehabt, in der die italienische
Renaissance ins französische übersetzt wurde, die entsprechende Blüte der Plastik
aber fehlte. Erst jetzt kommt sie nach. Wie die Florentiner Plastik des fünf¬
zehnten Jahrhunderts der reinste und reichste Ausdruck des italienischen Geistes
in plastischer Form ist, so sind die modernen Pariser Werke der reinste und
reichste plastische Ausdruck des französischen Geistes. Es finden sich hier nicht wie
bei der Malerei nnter den bedeutendsten Namen viele Amerikaner, sondern die


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[0085] Die Münchner Ausstellungen Wie der derbe Stoß eines urwüchsigen Bauern, der an der Kraftleistung seine Freude hat und zufrieden ist, sich ein neues, wenn auch uoch rohes Haus gebaut zu haben. Die Bildnngsarbeit bei ihm soll erst beginnen, aber der Deutsche ist im höchsten Maße der Bildung fähig, wie er in den Jahrtausenden seiner Geschichte bewiesen hat, und so freuen wir uns seines regen Mutes und sehen mit Hoffnung seiner weitern Arbeit entgegen. Die andern deutschen Kunstplätze stehen ebenso wie Belgien, Holland, Spanien und Italien in Bezug auf die fortschreitende Bewegung erst in zweiter Linie. Die künst¬ lerische Entwicklung der Welt wird von Paris und München bestimmt; Eng¬ land übt von Zeit zu Zeit einen bestimmenden Einfluß. Die Plastiker sind fast alle dem Glaspalast treu geblieben, nur wenige haben bei den Sezessionisten ausgestellt. Das liegt in der Natur der Sache, denn die Plastik als die gebuudnere Kunst kann viel weniger leicht ihre Ge¬ setze umstoßen, oder Experimente anstellen wie die beweglichere Malerei. Und während wir durch die Glaspalastausstellnng über den jeweiligen Stand der Malerei in Europa vorzüglich unterrichtet werden, ist das in Bezug ans die Plastik in viel geringerm Grade der Fall. Das Schwergewicht der modernen Malerei liegt ausschließlich im Tafelbilde; die wenigen Künstler, die über¬ haupt Wandbilder ausführen, sind Nachzügler einer frühern Zeit. Auch in der Plastik ragt die Monumentalkunst nicht hervor, wie sie es sollte, denn der Zug zum Erhabnen, der unumgänglich dazu gehört, liegt nicht in unsrer Zeit. Dennoch spielt die Monumentalplastik, schon wegen der Zahl und Bedeutung der Aufträge, die ihr zu teil werden, eine große Rolle. Aber die Werke der Monumentalplastik entziehen sich wegen ihrer großen Maßverhültnisse den all¬ gemeinen Ausstellungen, sie werden dem Publikum bei den Konkurrenzen in Modellen vorgeführt, und wenn das Werk over fein natnrgroßes Modell fertig ist, dann ladet wohl der Bildhauer das Publikum feiner Stadt in seine Werkstatt zur Besichtigung ein. Nur selten werden Entwürfe oder einzelne Teile von Denkmälern in den großen Ausstellungen vorgeführt. Meist finden sich darin nur Figuren oder Gruppen in Lebensgröße und Büsten oder Werke der Kleinplastik. Die erste Bildhauerschule Europas ist die von Paris. Die französische Plastik ist in der Zeit der französischen Renaissance nicht über eine unerquick¬ liche Verbindung von nüchtern-akademischen und barocken Elementen hinaus¬ gekommen. Die Architektur hat damals eine Blüte gehabt, in der die italienische Renaissance ins französische übersetzt wurde, die entsprechende Blüte der Plastik aber fehlte. Erst jetzt kommt sie nach. Wie die Florentiner Plastik des fünf¬ zehnten Jahrhunderts der reinste und reichste Ausdruck des italienischen Geistes in plastischer Form ist, so sind die modernen Pariser Werke der reinste und reichste plastische Ausdruck des französischen Geistes. Es finden sich hier nicht wie bei der Malerei nnter den bedeutendsten Namen viele Amerikaner, sondern die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/85>, abgerufen am 22.07.2024.